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Gold Band 2 – Kapitel 09.1

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 2
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 9
Don Alonso
Teil 1

Die Chinesen hatten sich allerdings, ohne einen weiteren Angriff zu wagen, zurückgezogen und ihr rechtmäßiges Eigentum, wie es schien, aufgegeben. Nicht weit davon aber arbeiteten Mexikaner, und bald lief unter diesen das Gerücht von Mund zu Mund, dass die Amerikaner anfingen, die Fremden zu vertreiben und geschworen hätten, alle aus der Flat zu jagen.

Zufälligerweise war ebenfalls gerade in dieser Stunde der lange angedrohte amerikanische Kollektor im Paradies eingetroffen, der die Taxen von allen Ausländern sammeln sollte. Einer der Mexikaner, der in der Stadt gewesen war, um sich eine neue Brechstange zu holen, brachte die Nachricht mit heraus.

Etwa eine halbe Stunde später hörten sämtliche Mexikaner zu arbeiten auf, sammelten sich in ihrem Lager, das östlich von der Flat zwischen dieser und den nächsten Hügeln lag, und sandten dann Berittene nach verschiedenen Seiten in die Berge hinauf, ohne jedoch eine weitere Demonstration vorzunehmen.

Auch die Franzosen – wenngleich nicht durch den Angriff auf die Chinesen, doch durch das Eintreffen des Kollektors beunruhigt – zogen sich zusammen. Bis jetzt hatten sie geglaubt, die früher angedrohte Taxe sei nur eben eine Drohung und ein blinder Lärm gewesen, da sich die langen Wochen durch kein Kollektor hatte sehen lassen. In diesem langen Zwischenraum schienen sie außerdem zu dem festen Entschluss gekommen zu sein, diese rasend hohe Steuer unter keiner Bedingung zu zahlen. Jetzt dagegen, da der Kollektor wirklich eintraf, mochten es die meisten doch für geratener halten, sich die Sache erst noch einmal zu überlegen, ehe sie sich den amerikanischen Autoritäten widersetzten, wenn auch die Hitzköpfigsten von keinem Fügen etwas wissen wollten.

Hetson indessen, der neue Alkalde, erfuhr von all diesem nicht ein Wort, da ihn seine Geschäfte diesen Nachmittag vollständig an sein Zelt bannten.

Der Kollektor hatte nämlich, ehe er seine Wirksamkeit in den Minen beginnen konnte, noch eine Menge Vorarbeiten zu machen, bei denen ihn Hetson unterstützen musste. Das neue Gesetz, die neuen Listen waren durchzusehen, Zertifikate mussten ausgefüllt werden, und überdies bot die neue Steuer in der Ausführung so manche andere örtliche Schwierigkeiten, die die Gesetzgeber in San Francisco allerdings nicht gekannt und deshalb auch nicht berücksichtigt hatten, die aber hier jetzt desto schwerer in die Waage fielen.

Der Kollektor erklärte sich dabei bereit, das eigentliche Einkassieren der Taxen zu besorgen. Während er aber, mit einem ziemlich weiten Distrikt zu begehen, die einzelnen Bergwasser absuchte und die Fremden dort notierte und besteuerte, sollte es hauptsächlich dem Alkalden und Sheriff des kleinen Minenstädtchens überlassen bleiben, die Fremden hier zu überwachen.

Dabei schien es Hetson, als ob der Kollektor, ein echter Yankee aus Connecticut, nicht übel Lust habe, so viel wie irgend möglich von seinen Schultern abzuwerfen. Mit einer sehr glücklichen Nonchalance, die er »Vertrauen zu Mr. Hetson« nannte, hatte er schon seinen Plan des Einkassierens für das Paradies fertig. Der Sheriff wurde dadurch der eigentliche Kollektor, und er kontrollierte nur die eingegangenen Summen.

Darin hatte er sich aber in feinen Leuten hier geirrt, und Hetson, wie er merkte, dass sich der Kollektor auf mündlich in San Francisco erhaltene Befehle berief, ließ einfach den Sheriff bitten, zu ihm zu kommen.

Hale war gerade von einer Runde durch die Flat zurückgekehrt und sah erhitzt und aufgeregt aus, als er in das Zelt trat.

»Mr. Hale«, redete ihn da Hetson an, »hier Mr. Slocum, der neue Kollektor, hat Ihnen die Ehre zugedacht, die monatliche 20-Dollar-Taxe von den hiesigen Fremden zu erheben, die …«

»Verdammt, wenn ich es tue!«, unterbrach ihn aber der Sheriff ziemlich ungeniert, »wenn sie mich zum Kollektor gemacht hätten, und ich hätte es angenommen, so könnte ich natürlich nichts dagegen einzuwenden haben. Wie aber die Sache jetzt steht, danke ich dafür.«

»Ja, Sheriff,« sagte achselzuckend der Kollektor, »das wird Euch nichts helfen. Das Gesetz ist einmal gegeben, und uns ziemt es …«

»Das Gesetz ist gegeben«, rief aber der Sheriff, »dass die Kollektoren das Geld einkassieren sollen – wenn sie es kriegen können. Jetzt aber esst vor allen Dingen auch erst einmal aus, was Ihr mit eingebrockt habt, und guckt einmal vor die Tür hinaus, wie es draußen aussieht. Drüben in San Francisco können sich die Herren recht gut breit an einen Tisch setzen und eine Menge der verschiedenen Geschichten zu Papier bringen – das Papier ist geduldig- aber dann mögen sie auch selber heraufkommen und sehen, wie die neue Maschine arbeitet.«

»Ist etwas vorgefallen, Mr. Hale?«, rief Hetson, dem nicht entgangen war, dass sich der sonst so ruhige Mann in ungewöhnlicher Aufregung befand.

»Vorgefallen«, brummte aber Hale, »das ganze Nest ist in Aufruhr, und mehr als das, wir werden auch Zuzüge wahrscheinlich aus den Bergen erhalten.«

»Aber was ist geschehen?«, rief der Kollektor wie Hetson zu gleicher Zeit.

»Unsinn, natürlich«, sagte der Sheriff ärgerlich, »Ihr Freund, Mr. Hetson, jener Mr. Siftly, mit dem großen Bart und dem kalifornischen Poncho, hat damit angefangen, ein paar arme Teufel von Chinesen, die keinem Menschen etwas in den Weg gelegt haben, aus ihrem Claim zu jagen und zu misshandeln, und ein paar von unseren rauen tollköpfigen Burschen, die schon lange auf einen solchen Anfang gewartet haben, machen sich jetzt über einige andere Plätze her, in denen Mexikaner bis dahin gearbeitet hatten. Sie werfen das darin liegende Handwerkzeug hinaus, graben die Löcher aus, und schwören, dass sie jedem Fremden, der sie daran hindern wolle, eine Kugel durch den Kopf schießen würden.«

Hetson biss sich auf die Lippen.

»Siftly, sagt Ihr, hat den Anfang damit gemacht?«, fragte er.

»Der und der Hitzkopf Briars«, bestätigte der Sheriff. »Die Fremden nun, die darin nur den Anfang gemeinsamer Maßregeln gegen alle sehen, rotten sich zusammen. Die Franzosen haben eben in einem ihrer Zelte eine große Versammlung und schleppen an Waffen zusammen, was sie bekommen können, und die Mexikaner haben sich in ihrem Lager aufgestellt. Aber das nicht allein – Boten von ihnen find auch in die Berge geschickt worden. Die Indianer, von denen keiner wieder in unsere Nähe gekommen ist, seit jener Smith den einen armen Teufel erstochen hat, und der Häuptling keine Genugtuung dafür bekommen konnte, lagern dort drüben auf dem nächsten Hügel, vielleicht dreihundert Mann stark, und haben nicht ein einziges Frauenzimmer bei sich – jedenfalls ein Zeichen, dass sie auf keiner friedlichen Expedition sind und etwas im Schilde führen. Überdies stecken die Mexikaner mit ihnen unter einer Decke, und wenn sie alle miteinander über uns herfallen, können wir das aus­baden, was ein paar … Lumpen von Spielern gesündigt haben.«

»Wie viel Amerikaner sind wir etwa hier in der Stadt?«, sagte der Alkalde nach kurzem Überlegen.

»Höchstens zwanzig, auf die man sich allenfalls verlassen könnte«, brummte Hale, »und vielleicht hundert Franzosen, und zweihundert Mexikaner, ohne die Deutschen.«

»Und glaubt Ihr, dass die Deutschen mit jenen gemeinschaftliche Sache machen würden?«

»Nein«, sagte der Sheriff, »eher würde ein Teil von ihnen zu uns stehen. Einiger bin ich sicher.«

Mr. Slocum, der diesem unerwarteten Bericht mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört hatte, war außerordentlich bleich geworden und sagte jetzt: »Unter diesen Umständen, und wenn sich das Lager im Aufstand befindet, werde ich allerdings meine mir aufgetragenen Pflichten hier nicht erfüllen können, und lieber gleich wieder nach golden bottom zurückkehren, um dort Bericht abzustatten und Hilfe zu requirieren.«

Der Sheriff warf ihm einen spöttischen Seitenblick zu, erwiderte aber nichts, während Hetson sagte: »Das werden Sie hoffentlich nicht tun. Als Beamter der Vereinigten Staaten und als Abgesandter von San Francisco ist es Ihre Pflicht, hier auszuharren, zu sehen, wie sich die Sache gestaltet, und abzuwarten, ob wir hier nicht imstande sind, die Ordnung aufrechtzuerhalten. «

»Aber wenn zweihundert Mexikaner und dreihundert Indianer …«

»Noch hat Ihnen niemand die Taxe verweigert«, unterbrach ihn Hetson ernst, »denn Sie haben sie noch niemandem abverlangt. Wollten Sie deshalb jetzt schon Beschwerde führen, wäre das ein unverantwortlicher Leichtsinn und könnte die schlimmsten Folgen haben. Ich bin selber nicht mit dieser hohen Taxe einverstanden, und was ich seit meinem kurzen Aufenthalt hier gehört habe, scheint mich zu dem Glauben zu berechtigen, dass die Herren in San Francisco die Steuer nach den übertriebenen Berichten der Händler, nicht nach dem wirklichen Verdienst der Goldwäscher angeordnet haben. Das Gesetz ist jedoch einmal gegeben und muss von allen Amerikanern aufrecht gehalten werden, bis eine Revision desselben möglich ist. Wir wollen aber nicht gleich von vornherein mehr tun, als es aufrecht halten, indem wir die Fremden unnötigerweise reizen und erbittern.«

»Brav«, sagte der Sheriff, vergnügt mit dem Kopf nickend, »ganz meine Meinung und aufs Haar getroffen. Ich glaube auch selber, dass die Sache weiter keine große Gefahr hat, wenn wir eben nur unser eigenes nichtsnutziges Gesindel im Zaum hal­ten können. So wie die aber, übermütig wie sie überhaupt sind, die Fremden gerade in diesem Augenblick noch mehr reizen, stehe ich für nichts und könnte es ihnen am Ende nicht einmal verdenken, wenn sie losschlügen.«

»Aber unter diesen Umständen kann ich doch keine Taxen einkassieren«, sagte Mr. Slocum bestürzt. »Ich setzte mich den größten Unannehmlichkeiten aus.«

»Dass Sie heute natürlich nicht anfangen, versteht sich von selbst«, erwiderte Hetson. »Überdies sind Sie noch nicht einmal mit Ihrer Einteilung fertig. Machen Sie das heute und morgen ab, und bis dahin wird sich die Aufregung schon wieder gelegt haben. Spricht man dann vernünftig mit den Leuten, so glaube ich kaum, dass sich Ihnen auch nur die geringste Schwierigkeit in den Weg stellen wird.«

»Weiter keine, als dass sie ihm davonlaufen«, gab der Sheriff lachend von sich. »Alle die, denen die Taxe zu hoch ist, brauchen sich nur in die Berge zu schlagen, und der Henker soll sie dort finden oder, wenn man sie wirklich findet, halten. Soviel weiß ich, mit unserem friedlichen Leben in den Minen ist es aus, und ich wollte, dass die ganze Taxe beim Kuckuck wäre. Wenn Sie nur Ihre Frau nicht mit hier oben hätten. Die Frauen werden jetzt unsere ganze Verhandlung gehört haben.

»Nein«, sagte Mr. Hetson, »die beiden Damen haben einen kleinen Spaziergang durch die Stadt gemacht und sollen auch vor der Hand noch nichts erfahren, bis man es ihnen eben nicht länger verheimlichen kann. Wozu sie vor der Zeit ängstigen! Hoffentlich ist das Ganze nichts weiter als eben eine Demonstration, die keine schlimmeren Folgen haben wird. Jetzt, Mr. Hale, möchte ich Sie aber bitten, weitere Erkundigungen einzuziehen – besonders was die Sache mit den Chinesen betrifft. Sie sind ein ruhiger, vernünftiger Mann, und ich weiß, ich kann mich da auf Sie verlassen.«

»Ich glaube, Ihr Freund, Mr. Hetson, hat uns keinen Gefallen getan«, sagte Hale.

»Sich selber vielleicht auch nicht«, sagte Hetson ernst, »wenn die Chinesen wirklich in ihrem Recht gefährdet sind, so sollen sie sich nur an mich wenden, und ich werde ihnen dazu verhelfen.«

Hale sah den Richter etwas erstaunt an. Er wusste augenscheinlich nicht, wie weit derselbe das im Ernst meine. Hetson aber hatte sich abgewandt, die verschiedenen Papiere wieder durchzusehen. Der Sheriff wollte eben das Zelt verlassen, den erhaltenen Auftrag auszuführen , als sich Hetson noch einmal an ihn wandte.

»Apropos, Mr. Hale, haben Sie heute nichts von meinem Zeltkameraden, dem Spanier Ronez oder Don Alonso, wie er genannt wird, gesehen? Ich hoffe doch nicht, dass sich der den Mexikanern angeschlossen hat.«

»Der nicht«, erwiderte Hale lachend, »das ist ein stiller wunderlicher Kauz, wie sie eigentlich meist alle sind, wenn man sie zufrieden lässt, und arbeitet schon seit gestern ganz fleißig und allein in einem der kleinen Gulche da drüben. Ob er etwas findet, weiß ich freilich nicht, der Platz sieht aber nicht schlecht aus.«

»Sollten Sie zufällig wieder dort vorbeikommen, so bitten sie ihn doch, dass er heute Abend nicht zu lange ausbleibt. Ich hätte ihm etwas zu sagen.«

Der Sheriff nickte einfach und ließ den Kollektor mit dem Alkalden allein, ihre verschiedenen Geschäfte abzumachen.

Hale hatte übrigens den, dem Alkalden gebrachten Bericht keineswegs übertrieben. Auch was die Indianer betraf, schien ihr plötzliches Erscheinen hier keineswegs ein zufälliges, denn Frauen und Kinder waren jedenfalls in irgendeinem sicheren Versteck in den Bergen zurückgelassen worden, bei einem raschen Rückzug nicht gefährdet zu werden, während die Männer alle bewaffnet, einige sogar bemalt und mit Adlerfedern besteckt, genau so aussahen, als ob sie auf einem Kriegszug begriffen wären. Trotzdem war Hale, der manche von ihnen kannte, ganz allein, und nur mit seinem Revolver bewaffnet, mitten zwischen ihnen gewesen, ohne dass ihm das Geringste geschehen wäre. Nur seinen Bogen und Köcher, den einen Pfeil ausgezogen und zu augenblicklichem Gebrauch bereit, hielt

jeder in der Hand, und Antwort konnte er von keinem bekommen.

Den Häuptling selber sah er übrigens nirgends, und die Indianer lagerten auf dem langen, das Tal im Norden begrenzenden Hügelrücken, in Trupps von vierzig bis fünfzig Mann an verschiedenen kleinen Bergquellen. Nur Boten hatten sie abgesandt, und zwar zu den Mexikanern, mit denen sie eine stete Verbindung unterhielten. Als Hale aber auch in deren Lager gehen wollte, um zu sehen, was sie trieben, wurde er von einzelnen ihm entgegenkommenden Mexikanern zurückgewiesen. Die Leute waren gerade nicht unfreundlich gegen ihn, erklärten ihm aber, er habe dort nichts zu suchen, und möge seiner Wege gehen. Fast alle hatten dabei zu arbeiten aufgehört, und nur hier und da, wo noch Einzelne in der Flat beschäftigt waren, schienen sie bloß, von Kameraden unterstützt, die früher nicht mit ihnen gegraben hatten, ihre einmal angefangenen Claims so rasch als möglich ausbeuten zu wollen.

Das alles verriet dem, mit den Gebräuchen der verschiedenen Stämme genau vertrauten Amerikaner, dass irgendetwas Außergewöhnliches am Werke sei. Die Stimmung der Fremden gegen die Amerikaner war jedenfalls eine feindselige, und es bedurfte vielleicht nur einer geringen Veranlassung, sie zum Ausbruch zu bringen.