Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Die Gespenster – Zweiter Teil – Sechste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Sechste Erzählung

Ein Sterbender rettet einem zu Mainz verstorbenen spukenden Mönch das Leben.

Im katholischen Deutschland pflegt man die Leichen bis zu ihrer Beerdigung von einem oder zwei Betenden bewachen zu lassen. In den Klöstern werden studierende, junge Leute dazu genommen, denen von Zeit zu Zeit Bier oder Wein dabei gereicht wird, um sie munter zu halten.

Vor etwa zwanzig Jahren starb in einem Kloster zu Mainz an einem Winterabend ein Mönch. Man legte ihn in das zum Aufbewahren der Leichen bestimmte Zimmer auf einen Strohsack und gesellte ihm für die eben beginnende Nacht zwei Studierende zu, die auch durch ihre Ave-Maria der abgeschiedenen Mönchseele den Aufenthalt im Fegefeuer möglichst verkürzen helfen sollten. Allein diese Jünglinge ließen bald ihre Rosenkränze unabgezählt und ihre Gebetbücher ungelesen. Sie dachten auf angenehmeren Zeitvertreib, erzählten einander lustige Schwänke und feuchteten fein fleißig den trockenen Schlund an. Gegen Mitternacht entfernte sich A…, der eine von ihnen, um die leeren Trinkgeschirre noch einmal anfüllen zu lassen. Sein Gefährte, der verwegene B… hatte längst über eine Posse gebrütet, welchen er dem Abwesenden spielen wollte, und brachte nun seinen Beschluss zur Ausführung. Entschlossen und rasch packte er den erblassten Mönch und setzte ihn, in aufrechter Stellung, auf ein gemauertes Gefäß mit Lehnen, welches, wär es nicht steinhart, sondern ein wenig gepolstert gewesen, vollkommen einem Großvaterstuhl geglichen haben würde. Sich selbst legte er auf den Strohsack an der Stätte der Leiche, um so die Geistesgegenwart und den Mut seines Gefährten in Hinsicht auf Wahnglauben und Gespensterfurcht zu erproben. Der arme Schelm mochte freilich nicht denken, dass er, der beten sollte, durch diese Posse sich selbst den ärgsten Possen spielen würde.

Jetzt kam A… mit der gefüllten Weinflasche zurück. Seine Seele, die im frohen Hinblick auf die anlockende Flüssigkeit die höchste Unbefangenheit ausdrückte, ahndete nichts weniger als eine ihm gespielte Teufelei. Zufällig warf er in dem halbdunklen Wachzimmer zuerst einen flüchtigen Blick auf den Bettsack des Mönches. Aber Gott im Himmel! Wie erschrak er, als er an der vermeinten Leiche ein deutliches Zucken des Fußes zu bemerken glaubte. Zitternd an allen Gliedern schwankte er zu seinem vermeinten Gefährten im Lehnstuhl, von dem er glaubte, er sei über sein langes Ausbleiben eingeschlafen.

Aber Jesus Maria! Jetzt erkannte er in demselben nicht seinen Freund, sondern den Mönch, und was ärger als alles war, diese wahre Mönchsleiche starrte ihn mit einem Paar großen, offenen Augen an und machte spukend mit Händen und Füßen Miene zum Aufstehen.

A… sank ohnmächtig zu Boden.

B…, der wegen seiner Lage auf dem Leichensack zwar das Hinstürzen seines Freundes gehört und gesehen haben, aber nichts von den erschrecklichen Grimassen der spukenden Leiche gewahr worden sein mochte, sprang mitleidig auf, um den erschrockenen und ohnmächtigen A… zu Hilfe zu kommen. Aber jetzt war die Reihe an ihm, die traurigen Wirkungen des heftigen Schreckens zu erfahren. Denn jetzt, wo er die erst vor einer Viertelstunde auf den Lehnstuhl hingeschleppte Leiche, von demselben aufgestanden, ihm stöhnend entgegen schwanken sich, jetzt sank er wie vom Schlag gerührt in die Knie und ging in den Zustand der Sinnlosigkeit und dann in den Todesschlaf über, aus welchem er nie wieder erwachte.

Dieser Unglückliche war des Mönchs Wohltäter gewesen, indem er den Scheinleichnam auf jenen steinernen Lehnstuhl, welcher mit dem benachbarten stark erheizten Stubenofen in Verbindung stand, geschleppt hatte. Die sanfte Wärme des Letzteren, vielleicht auch die mit einer wohltätigen Erschütterung verbundene Versetzung der ohnmächtigen Mönchsmasse aus der unvorteilhaften, wasserrechten Lage in eine aufrechte Stellung, hatten die schlummernden Lebenskräfte des Mönchs schnell geweckt. Mit ihnen war ihm auch das Bewusstsein, das ihm während seines Scheintotenschlafes nur zum Teil verlassen hatte, ganz wieder geworden. So sah er nun plötzlich seine zwei Totenwächter im Leichenzimmer tot zu seinen Füßen. Halb nackt, wie er war, schwankte er zitternd durch sie hin, um ihnen zur mitternächtlichen Stunde die Schlafenden zu Hilfe zu rufen. Sein schleppender Gang zu den Lebendigen hin glich in allen Betracht dem Schweben einer spukenden Leiche. Es fehlte wenig, diejenigen, welche den vom Tode Erstandenen zuerst erblickten, hätten vor Schrecken das Schicksal jener ohnmächtigen Wächter gehabt. Lange währte es, bevor man sich einander verständigte. Endlich nahm man den vor Erkältung fast zum zweiten Mal gestorbenen Mönch wieder unter die Zahl der Lebendigen und in ein wärmendes Bett auf. Pflege und Wartung wurde nicht vergebens auf diesen Wundermönch verwandt, denn er genas gänzlich. Auch A… erholte sich nach und nach mittelst zweckmäßiger Hilfsreichungen von seiner Ohnmacht. Vergeblich aber bemühte man sich, dessen Unglücksgefährten ebenfalls zu retten. B…, vom Schlag gerührt, war und blieb tot.

So bestätigt auch diese Erfahrung wieder das wahre Wort: Man zitiere den Teufel nicht, der kommt wohl ungerufen. Oft schaden wir durch die Teufeleien des Spukens uns selbst oder anderen. Wer es mit der Menschheit gut meint, wird sich hüten, gaukelnd das für den Teufel zu tun, wozu der keine Macht hat.