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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Zweiter Teil – Fünfte Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Fünfte Erzählung

Das Wimmern eines längst vermoderten Selbstmörders im Rekrutenhaus zu Genthin

Das Ordonanzhaus zu Genthin steht von alten Zeiten her in dem Ruf, als ob es der Wohnsitz spukender Nachtgeister sei. Ob und wieviel Wahres an dieser allgemeinen Volkssage sei, darüber kann nachfolgende Erzählung ein starkes Licht verbreiten. So viel ist gewiss, dass die ehemalige Art zu werben, wo den Rekruten oft falsche Versprechungen gemacht wurden, die erste Veranlassung zu dem üblen Ruf dieses Hauses gegeben hat. Denn jene Vorspiegelungen brachten die Rekruten, wenn sie ihr Schicksal zu Genthin erfuhren, zuweilen zur Verzweiflung, und mehrere von ihnen hatten sich dann im Ordonanzhaus gewaltsam das Leben genommen. Was ist natürlicher, als dass der rastlose Geist der Selbstmörder nachher hier spukend umging, den alltäglichsten nächtlichen Ereignissen einen vollkommenen Anstrich des Übernatürlichen und Unbegreiflichen gab, und von unedlen, obgleich über den Gespensterwahn erhabenen Gauklern zu mancherlei Mummereien benutzt wurde? Was ist begreiflicher, als dass sogar die ältesten, entschlossensten Soldaten hier Nahrung für ihren Gespensterglauben fanden und eine Menge höchst wunderbarer Geschichten davon erzählten!

Aber in der Tat waren manche hierher gehörige Vorfälle von der Art, dass nicht nur der in groben Vorurteilen aufgewachsene gemeine Mann, sondern selbso Offiziere, denen die fehlerfreiste Erziehung und die vollkommenste Ausbildung zuteil geworden war, leicht getäuscht und in das größste Erstaunen versetzt werden konnten. Hier sind, statt mehrerer, nur zwei auffallende Tatsachen, die ich mit den eigenen Worten des Herrn Grafen von Götzen erzähle:

»Als ich das erste Mal als Junker des Leibcarabinierregiments auf Kommando nach Genthin zum Rekrutentransport kam, erzählte mir mein Kamerad, der jetzige Leutnant und Adjutant Herr von Normann, ungeachtet er an die wunderbaren Begebenheiten, welche sich im Genthinschen Ordonanzhause zugetragen haben sollten, nie glauben werde, so sei ihm doch ein sonderbarer Vorfall aufgestoßen. Herr von Normann schlief nämlich allein in der sogenannten Offizierstube dieser Spukwohnung. In der Nacht weckte ihn ein starkes anhaltendes Wimmern, welches, wie er deutlich zu unterscheiden glaubte, in der Ecke seines Zimmers war. Er sprang auf, durchsuchte die Gegend, wo sich das Wimmern hören ließ, und fand weder hier noch irgendwo im ganzen Zimmer ein lebendes körperliches Wesen, das diese schaudervollen ängstlichen Töne hätte verursachen können. Er legte sich wieder zu Bett und schlief, nachdem das Wimmern noch eine Zeitlang fortgedauert hatte, endlich wieder ein. Am nächsten Morgen erfuhr er, dass gerade um die Spukzeit der einzige Sohn seines Kompaniechefs des dort garnisonierenden Herrn Majors von Holzendorff gestorben sei.

Mir war es vorbehalten, in dem nämlichen Zimmer, wo Herr von Normann dem natürlichen Ursprung der angstvollen Töne des wimmernden Nachtgeistes vergebens nachgespürt hatte, ein ganz ähnliches Abenteuer zu bestehen. Ich hatte schon mehrere Nächte in dem Zimmer eines Seitengebäudes, dem wegen des Spukens am verrufendsten Teil des Ordonanzhauses, allein zugebracht, ohne irgendein übernatürliches Ereignis wahrgenommen zu haben. Aber diesen ruhigen Nächten folgte einst, da die Rekrutentransporte sich sehr häuften, und ich sowie der zweite Unteroffizier, der nachmalige Königliche Sattelmeister Steinert, selten eine Nacht vom Dienst frei hatten, eine sehr unruhige, spukhafte Nacht.

Es war eben ein starker Transport gekommen, den ich den anderen Morgen sehr früh fortbringen sollte. Der Unteroffizier erbot sich daher, die Wache in der unmitteibar vorhergehenden Nacht, die, der Reihe nach, ebenfalls von mir hätte getan werden müssen, für mich zu übernehmen, damit ich einige Stunden schlafen könnte.

Nachdem ich mich niedergelegt hatte, schloss mein Bursche wie gewöhnlich die Stube ab und gab den Schlüssel dem Unteroffizier mit dem Anftrag, uns zur rechten Zeit zu wecken. Es mochte ungefähr Mitternacht gewesen sein, als ich durch ein starkes, zuweilen unterbrochenes Winseln im Schlaf gestört wurde. Die Töne kamen aus der nämlichen Ecke des Zimmers neben derHaustür, wo mein Freund dieses Wimmern einst vernommen hatte. Noch halb schlaftrunken bestand meine erste unwillkürliche Willensäußerung darin, dass ich nach meinem über dem Bett hängenden Pallasch griff. Hierdurch völlig ermuntert, glaubte ich sehr deutlich an meiner Stubentür klinken zu hören. Es war hell genug, um bemerken zu können, dass außer mir kein Mensch im Zimmer war.

Mich wandelte bei dieser Gelegenheit (zum letzten Mal in meinem Leben) ein gewisses unwillkürliches Schaudern an, dessen eigentlichen Ursprung ich mir bei der in Hinsicht auf Gespensterwahn ganz vorurteillosen Erziehung, die mir glücklicherweise von Kindheit an zuteil geworden ist, nie recht zu erklären gewusst habe. Und doch – wer vermag es genau zu berechnen und anzugeben, welch einen vielleicht unauslöschbaren, schädlichen Eindruck der Amme einzige Furchtäußerung bei einem unerwarteten nächtlichen Poltern auf die weiche Seele des Säuglings zu machen imstande ist?

Die Anwandlung ehemaliger Furcht, verbunden mit der Erinnerung an die Erzählung des Herrn von Normann, veranlasst indessen, dass ich nicht sogleich zur näheren Untersuchung schritt. Aufgerichtet im Bett suchte ich erst nach Vernunft gründen, um meine Furcht ganz zu unterdrücken und kaltblütiger untersuchen zu können. Aber noch war dies nicht vollendet, als ich nahe am Bett starkes Stöhnen hörte. Dies erschwerte nun freilich der Vernunft ihr Geschäft gar sehr. Ich blieb mehrere Minuten unentschlossen, während welcher Zeit das Wimmern in der Ecke, das Klinken an der Tür und das Stöhnen ganz in meiner Nähe abwechselnd fortdauerten.

Jetzt begann auf der Straße ein lautes Gebell von Hunden, und zu meiner nicht geringen Freude stimmte das Wimmern in der Ecke nun stärker als bisher mit ein. Ich ahndete jetzt wenigstens von einem Teil der rätselhaften Ereignisse – von dem Winseln – eine natürliche Ursache und sprang aus dem Bett, um untersuchend meine Vermutung bestätigt zu sehen. Kaum hatte ich die Stubentür geöffnet, so kam mir der große Haushund vom Flur schmeichelnd entgegen. Er hatte durch die Straßentür, die unmittelbar an meine Stubentür grenzte und nur durch einen gemeinschaftlichen Pfeiler von derselben getrennt war, zu seiner Schönen zu kommen gesucht und durch sein Kratzen einen Überwurf, welcher an diesem Pfeiler hing, gegen meine Tür geworfen. Durch Letzteres war das vermeinte Klinken hervorgebracht, womit es dem phantasienbetörten Gehör in der Tat die größte Ähnlichkeit zu haben schien.

Jetzt hatte meine Vernunft den Sieg davongetragen, und ich schritt nun auch zur Untersuchnng des noch immer fortwährenden Stöhnens. Höchst verwundert bemerkte ich, dass die Kammertür, von der ich mich mit Zuverlässigkeit erinnerte, dass ich sie beim Schlafengehen zugemacht hatte, ein wenig aufstand. Beim gänzlichen Öffnen derselben erblickte ich so deutlich, als die Dämmerung es erlaubte, eine dicke, bis an den Kopf ganz raue, der Länge nach hingestreckte Spukgestalt. Ich stutzte von Neuem. Mein erstes Schaudern war indessen über die glückliche Entdeckung des winselnden Hundes überwunden und alle Furcht fast gänzlich verschwunden. Ich rief daher dem rauen Unding ein herzhaftes Wer da! zu, worauf es sich sogleich in die Höhe richtete und mir Rede stand. Es war der Unteroffizier Steinert, der vermutlich vom übermäßig anhaltenden Nachtwachen kränklich geworden war, sich in meinen Wildschur gehüllt und auf die in der Kammer befindliche Pritsche gelegt hatte. Da er sich des durch meinen Burschen erhaltenen Stubenschlüssels bedient hatte, und, um mich nicht im Schlaf zu stören, leise durch mein Zimmer geschlichen war, so konnte ich freilich nicht wissen, dass ganz in meiner Nähe mein schnarchender Dienstgefährte der Ruhe pflege.

Da gerade damals dle Laufzeit der Hunde war, so erneuerte sich in einer der folgenden Nächte die Szene mit dem Winseln des Haushundes. Nichts ist aber begreiflicher als die sinnliche Täuschung, nach welcher sowohl dem Herrn von Normann als auch mir die Töne eines dicht vor der Stubentür befindlichen Hundes aus dem der Tür zunächst gelegenen inneren Stubenwinkel zu kommen schienen.«