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Slatermans Westernkurier 12/2017

Auf ein Wort, Stranger, wenn es auch heute wieder um jenes gewisse Thema geht.

Es sind nur drei Buchstaben, aber in der richtigen Reihenfolge gelesen, bilden sie jenes Wort, das seit den frühesten Tagen des Christentums als Inbegriff für die schönste Nebensache der Welt gilt. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Auch der Wilde Westen war davon nicht ausgenommen, allerdings war es gerade diese Epoche, in der die Kluft zwischen Verzückung und Verteufelung so tief war wie kaum jemals davor oder danach.

Besonders deutlich wurde diese Kluft zwischen dem puritanischen Norden, in dem die Idee von der jungfräulichen Unschuld geradezu in Besessenheit und Verfolgungswahn ausartete, und dem Süden, wo die Sitten diesbezüglich schon immer etwas lockerer waren. Die größten Gegensätze gab es hierbei zwischen den von Osten her kommenden Siedlern und den Cowboys und Westmännern, die Kontakt mit den Indianern hatten.

Westmänner oder Westmann ist keinesfalls ein historischer Begriff. Er steht hier lediglich als Sammelbegriff für jene Männer, die keine Trapper, Waldläufer, Mountain-Men oder Cowboys waren, sondern Pioniere, die in den Westen gezogen waren, um dort ihr Glück zu machen und die sich dabei an Land und Leute anpassten und nicht das Geringste mit jenen bibelfesten und weltfremden Puritanern zu tun hatten, die ab 48 in Scharen gen Westen strömten.

Durch die Ankunft der Letztgenannten prallten Welten aufeinander, unter anderem auch christliche Enthaltsamkeitsmaxime gegen eine offen zur Schau getragene Freude am Sexuellen.

Auf der einen Seite Männer, die so hart wie sie waren, Frauen und auch Freudenmädchen gegenüber ein unglaubliches Feingefühl an den Tag legten und für die es eine Todsünde war, sexuellen Kontakt zu erzwingen. Auf der anderen eine frömmelnde, heuchlerische Gesellschaft, deren christliche Sexualethik und öffentliche Moral ihren Mitgliedern ein permanent unterdrücktes Triebverhalten bescherte.

Als Beispiel mag hier Reverend Harvey Newcomb gelten, der 1869 in einer Zeitschrift alle männlichen Leser aufforderte: »Wenn ihr irgendeine Neigung verspürt, nach verbotenen Vergnügungen Ausschau zu halten, so gebe ich euch den Rat, euch mit euren Brüdern und Schwestern zusammenzusetzen und Home sweet Home zu singen.«

Enthaltsamkeit war also oberstes Gebot.

 

*

 

Was aber tat Mann, wenn sich einem die Ehefrau – sei es durch Schwangerschaft, Angst vor Schmerzen oder Krankheit – versagte und das nächste Freudenmädchen Hunderte von Meilen entfernt war?

Mann versuchte es mit Handarbeit oder verfiel der Sodomie, denn die Gelegenheit im Stall war allgegenwärtig und das tagtäglich.

Es gibt für letztere Behauptung zwar keinerlei schlüssige Beweise, aber gewisse Umstände sprechen für einen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad.

In den überlieferten, sehr oft mit Vulgärausdrücken durchsetzten Redewendungen der Cowboys tauchen, wenn es um die Kleinfarmer und sogenannten Drei-Kühe-Rancher des Westens geht, immer wieder verachtungsvolle Worte wie Hühner-, Gänse-, Hunde- oder Kälberficker auf. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts sind es laut dem damals aufsehenerregendem Report von Albert Kinsey noch immerhin 34 Prozent der männlichen Farmjugend, die solche Kontakte kennen.

Nach wissenschaftlichen Studien und anonymen Befragungen kam Kinsey zu dem Ergebnis, dass die ländliche Bevölkerung weniger zwischenmenschliche Sexkontakte hat wie die städtische und eine viel größere Häufigkeit von Tierkontakten.

Cowboys hingegen entwickelten vor dem Hintergrund eines realitätsgebundenen Lebens mit einem Minimum an Theorie und einem Maximum an Lebensfreude eine vollkommen andere Einstellung gegenüber dem Geschlechtlichen. Für sie war Sex eine natürliche Gegebenheit wie Hunger und Durst, die ihr Recht forderten, und man nahm keine Rücksicht auf das Geschlecht des Partners, mit dem man in eine sexuelle Beziehung trat.

Dass sich aus dieser Einstellung aufgrund des akuten Frauenmangels im Westen eine ausgeprägte Bisexualität ergab, erscheint, wenn man unbelastet von der puritanischen Pseudomoral war, als durchaus natürlich und normal. Zwar wurden, wo immer sich die Möglichkeit ergab, sexuelle Beziehungen zu Frauen gepflegt, aber wenn der Beruf in der Einsamkeit und Abgeschiedenheit der Natur nur männliche Gruppen zusammenführte, unterhielt man eben Beziehungen zu Männern.

Allerdings ist diese Form der Sexualität nicht mit jener Affektiertheit gewisser feminin-homosexueller Stadtgruppen zu vergleichen, deren Benehmen und Auftreten von Cowboys niemals geduldet worden wäre. Auch entwickelten sich aus solchen gleichgeschlechtlichen Beziehungen niemals jene Hörigkeitsverhältnisse, wie sie oft Folge städtischer Homosexualität sind.

Die zweifellos im Rinderreich unter Cowboys verbreitete maskuline Homosexualität bedeutete physisch und charakterlich kaum mehr als gemeinsames Essen und Trinken.

Zusammengenommen lässt sich sagen, dass die vorwiegend individualistische Gesellschaft der Cowboys, Mountain-Men und Westmänner die von einer Minderheit der aus dem Osten kommenden Bevölkerung gesetzten sexualethischen Standards nicht akzeptierte und im Gegensatz zu dieser fanatischen Minderheit nicht das geringste Bedürfnis hatte, Andersdenkende zu überzeugen. Was für die Yankees in jeder Hinsicht zweideutig und damit generell verabscheuungswürdig war und in der Praxis den Eindruck der Befleckung hervorrief, war für diese Männer das Gegenteil, nämlich ein ungetrübter Genuss.

 

*

 

Ein Bericht über das Sittenbild des Wilden Westens kommt natürlich um das Thema käufliche Liebe nicht herum. Doch auch hier lagen zwischen den Ansichten der puritanischen Yankees und denen der lebensbejahenden Bevölkerung des Südens Welten.

Der Gegensatz beruhte zum großen Teil schlicht und einfach auf Geschlechtsneid. Dazu kam noch eine Aversion gegen die Schießfreudigkeit, die pure Lebenslust der Menschen aus dem Süden und deren Mangel an sogenannter Kultur.

Es ist nichts Neues, das Sittenrichter seit jeher eigene Frustration als Maßstäbe für die Anklage gegen weniger unglückliche Zeitgenossen benutzen, das gilt sowohl für damals als auch für heute.

Das Verhältnis der Cowboys und Westmänner Frauen gegenüber war nicht nur aufgrund ihrer allgemeinen Verehrung für das weibliche Geschlecht völlig andersgeartet als das der übrigen Amerikaner. Sie waren auch weitaus wählerischer als Büffeljäger, Siedler, Eisenbahner und Städter, selbst bei Freudenmädchen.

Diese Männer zelebrierten den Geschlechtsakt wie ein Gourmet, der sein Lieblingsgericht genießt, sie bevorzugten Licht, um das Objekt ihrer Begierde sehen zu können, während die übrigen Besucher der Rotlichtbezirke verstohlen durch die Hintertür kamen und die Frauen sprichwörtlich wie blutfrische Steaks in verdunkelten Kammern hinunterschlangen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass diese Gesellschaft mit ihrer strengen, christlichen Konfession im Vergleich zur Cowboygesellschaft eine im Verhältnis weitaus höhere Rate unehelicher Geburten aufzuweisen hatte.

Doch zurück zu den Redlight Additions im Westen.

Trotz aller Prüderie wusste der geschäftstüchtige Yankee sehr wohl, dass man den Männern des Westens am schnellsten das Geld aus der Tasche ziehen konnte, wenn man Frauen ins Spiel brachte. Je schöner die Damen waren, umso lockerer saß das Geld. Gerade in Rinderstädten wie Abilene, Dodge City, Wichita, oder Caldwell funktionierte das perfekt.

In Abilene zum Beispiel gab es, was Freudenmädchen anbelangte, ab 1869 am Ufer des Mud Creeks einen ganzen Stadtbezirk mit unabhängiger Eigenverwaltung. In Dodge City, wo damals nur zwei verschlossene Häuser existierten, nämlich das Gefängnis und die Kirche, war es nicht viel anders, genauso wie in Tombstone, wo der Bird Cage, das beste Bordell am Platz, weit über die Grenzen Arizonas hinaus bekannt war.

Es waren hauptsächlich Polizisten, die sich in diesen Städten als eine Art Pimps – Zuhälter – der Freudenmädchen aufspielten. Allerdings nur so lange, bis die Viehsaison begann, denn dann geschah etwas, das wohl einmalig in der amerikanischen Prostitution war.

Sobald die Freudenmädchen über längere Zeit mit den Cowboys und Westmännern in Berührung kamen, schien ihnen der eigentliche Sinn ihres Berufes, nämlich das leichte Geldverdienen, allmählich abhandenzukommen. Das ging so weit, dass sie sogar ihre Preise herabsetzten, um sich mit diesen Männern einer Lebens- und Sinnesfreude hinzugeben, die normalerweise gar nicht zu den Merkmalen ihres Berufes gehörte.

Manche solcher Verhältnisse glichen Ehen auf Zeit und viele Cowboys, Scouts, Treibführer und Rancher heirateten Freudenmädchen. Durch ihr ehrliches und offenes Wesen waren diese Männer mehr als nur Freier. Sie waren Bruder, Freund, Geliebter, Beschützer und Unterhalter in einem, stets hilfsbereit, verständnisvoll und taktvoll und über alle Maßen zärtlich.

Eine der weniger erfreulichen Begleiterscheinungen dieses freien sexuellen Lebens waren die Geschlechtskrankheiten.

Es wird in den zeitgenössischen Darstellungen des Lebens der Westmänner und Cowboys zwar kaum erwähnt, aber diese Geschlechtskrankheiten waren im Westen damals weiter verbreitet als die Volksseuche Tuberkulose.

Es kann davon ausgegangen werden, auch wenn es darüber keine verlässlichen Statistiken gibt, dass mindestens ebenso viele Cowboys und Westmänner an der Syphilis starben wie durch die Hand kriegerischer Indianer oder Fehden und Weidekriege.

An dieser Stelle möchten wir nun das Kapitel Sexualität im Wilden Westen beschließen.

Das Thema ist einfach zu komplex und würde über Wochen hinaus den Rahmen dieser Kolumne sprengen. Daher beschränken wir uns auf diese grobe Übersicht, die dennoch hoffentlich genug Informationen über die Sexualität in der damaligen Zeit bietet.

Wer mehr erfahren möchte, dem sei das Buch Das waren noch Männer von H. J. Stammel ans Herz gelegt.

Euer Slaterman

Quellenhinweise:

  • Das waren noch Männer, H. J. Stammel, Econ Verlag Düsseldorf
  • My Live & Loves, Frank Harris, Corgi Edition London 1966