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Sir Henry Morgan – Der Bukanier 7

Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845

Siebentes Kapitel

Morgan verlässt den Covenanter stockstill und reist mit Owen nach Bristol, trifft daselbst mit einem freundlichen Fremden zusammen, welcher mehr von seinen Verhältnissen kennt als er selbst.

Vor zweihundert Jahren machten die Leute viel früher Nacht, als es heutzutage der Fall ist, und diesem Verhältnis zufolge kamen unsere müden Reisenden sehr spät in Newport an. Hier gab sich der junge Morgan die Miene des Herrn, und Owen fand sich leicht und natürlich in die Haltung des Dieners. Mit ein bisschen mehr Autorität, als die Gelegenheit gerade nötig machte, bestellte der junge Squire ein Nachtessen, Herrichtung von Betten sowohl für sich selbst als auch für seinen Diener, und Schreibmaterialien. Zugleich deutete er an, er sei wegen eines Geschäftes von nicht gewöhnlicher Wichtigkeit nach Newport geschickt worden, und sein Vater habe ihn, soweit bloßer körperlicher Schutz in Betracht komme, der Obhut seines Dieners Thomas anvertraut.

Den Bedürfnissen der beiden Abenteurer wurde achtungsvoll entsprochen. Als sich Henry allein mit Owen befand, zeigte er ihm zum ersten Mal die Prise, welche er dem Reiter stipitzt hatte. Es war ein Haftbefehl für augenblickliche Aufgreifung eines gewissen Anthony Hazelboon, eines bekannten Kavaliers und sehr pestilenzialischen Rebellen, der Inhalt selbst aber an alle Friedensrichter, Constables, Büttel und gute Untertanen des Reichs gerichtet. Der Flüchtling sei zuletzt in der Verkleidung eines Reiters vom Regiment des Obristen Bekehre-die-Gottlosen Thomson gesehen worden. Dann folgten eine umständliche Schilderung seiner Person und Eigentümlichkeiten.

»Gut«, sagte Morgan, als das mit großen Buchstaben und klecksender Feder geschriebene Dokument vor ihm lag, »ich danke Euch, Lynia Glenllyn. Um Eures freundlichen Unterrichts willen kann ich Euch fast Eure kürzliche Geringschätzung und den Umstand vergeben, dass Ihr mich als Knaben ungerecht behandelt habt. Dies soll wenigstens beweisen, dass ich Mannesverstand habe.«

Owen schüttelte seine roten Locken unter einem Gelächterausbruch, lehnte sich über Morgans Schulter und sah zu, wie dieser in dem Dokumente radierte, verbesserte und änderte, bis das Signalement vollkommen auf Schlag-den-Beelzebub-nieder passte. Dann fuhr Henry fort, anzugeben, der Signalisierte habe kürzlich den Überbringer dieses Dokuments seines Gepäcks beraubt, dessen Inhalt namentlich aufgeführt wurde. Der Verräter ziehe unter dem Namen eines bekannten agitierenden Reiters umher, wisse dessen Manieren gut nachzuahmen, werde wahrscheinlich Psalmen singend in die Stadt einreiten und nur auf den Namen Schlag-den-Beelzebub-nieder Dobson Rede stehen.

Nachdem er diese Änderungen und Zugaben mit einigem Schmutz versehen hatte, begaben sich unsere beiden Landstreicher wohlgemut zu Bett, um von ihrer Rache und von ihrem künftigen Glück zu träumen.

Am anderen Morgen rief Morgan den Wirt und befahl ihm bei seinen Bürgerpflichten, sich mit ihm und seinem Diener zu dem Major zu begeben. Dann las er ihm den Haftbefehl vor und erzählte seine Märchen. Der Wirt lobte den jungen Yeoman höchlich, und sie befanden sich bald nebst drei oder vier anderen Gevattern vor der würdigen Magistratsperson. Der betagte Mann der Weisheit, welcher seine Nachtmütze auf dem Kopf und die wässrige Feuchtigkeit des letzten Abends noch in seinen Augen hatte, hustete gegen den jungen Morgan seine Beifallsbezeigung heraus und sprach sehr gelehrt von der Notwendigkeit, die ganze bewaffnete Macht zur Festnahme des wohlbewaffneten Royalisten aufzubieten.

Morgan, welcher aus sehr gewichtigen Gründen nicht wünschte, dass sich allzu viele in der Sache beteiligten, deutete darauf hin, der Royalist werde ohne Argwohn einreiten und könne daher leicht von zwei oder drei stämmigen Kerlen in der Tracht von Bauern überrumpelt werden. Die Sache wurde demgemäß eingeleitet und eine Wache bestellt, um Schlag-den-Beelzebub-nieder willkommen zu heißen.

Ungefähr zwei Stunden später ritt, wie Morgan vorausgesagt hatte, der gottselige Reiter in das Städtchen ein. Er hatte das Felleisen vor sich liegen und sang in kläglichem, aber sehr lautem Ton einen der Bußpsalmen. Die Bauern griffen ihn an, rissen ihn von seinem Pferd herunter, entwaffneten ihn und schlossen ihn dann wegen seines Widerstandes im Namen des Parlamentes krumm.

Bald danach brachte man ihn vor den Major, welcher dasaß, in Ehrfurcht gebietender Würde die Majestät der beleidigten Gesetze aufrecht erhaltend und mit seinem grimmigen Blick bis in die Knochen des Gefangenen bohrend. Schlag-den-Beelzebub-nieder war anfangs ein wenig – ja, wir dürfen wohl sagen, sehr verdutzt, aber da das Sprechen ebenso gut wie das Fechten zu seiner Profession gehörte, so griff er, weil er von dem Letzteren keinen Gebrauch machen konnte, zum Ersteren und rührte mannhaft seine Zunge, ohne übrigens viel damit zu erzielen; denn er gewann sich damit bloß den Kredit, dass er ein ganz durchtriebener Spitzbube sei.

Endlich wurde das Mittimus ausgefertigt. Da aber das Ortsgefängnis nicht im besten Zustand war, so beschickte man in aller Eile nach dem nächsten Militärposten eine Geleitmannschaft, um den Übeltäter zum Grafschaftsgefängnis zu transportieren. Um der zu größeren Sicherheit willen aber wurde der Verbrecher unter dem Spott und Gelächter aller alten Weiber und kleinen Knaben des Orts in den Stock gelegt. Nachdem Morgan und Owen ihr Angaben unterzeichnet hatten, erhielten sie unter vielen Lobsprüchen ihr Gepäck wieder zurück und begaben sich unter dem Zurufen eines kleinen Haufens von Kannegießern und Narren zum Wirtshaus, wo sie ihre letzte Nachtherberge genommen hatten. Sie merkten wohl, dass es nicht rätlich sein dürfte, länger in Newport zu bleiben. Nachdem sie sich daher erfrischt, ihren Anzug geordnet und ihre Rechnung bezahlt hatten, schieden sie unter den Danksagungen und Bücklingen ihres Wirtes, wobei natürlich Owen kraft seiner Dienstbarkeit das Felleisen trug, eine Maßregel, gegen welche er durchaus nichts einzuwenden hatte.

Auf dem Weg durch das Städtchen konnte stich Morgan die Freude nicht versagen, an dem Reiter vorbeizugehen. Als er sich näherte, machte ihm der spottende Pöbel ehrfurchtsvoll Platz. Der Soldat saß da in der brünstigsten Ergebung, die Augen so aufgeschlagen, dass man nichts als das Weiße davon sehen konnte. Er litt heroisch für die gute Sache.

Henry näherte sich ihm von hinten, ergriff seine beiden Ohren und zerrte sie mit solcher Gewalt, dass sie zuverlässig hätten reißen müssen, wenn sie nicht stärker gewesen wären als die beste gegerbte Ochsenhaut.

Wie der Indianer am Pfahl verschmähe es der Reiter, auf diese kleinliche Folter zu achten, obwohl er nicht verhindern konnte, dass sein Gesicht von Ost nach West vibrierte, je nachdem Morgan härter an dem einen oder dem anderen Ohr riss.

»Höre mich an, Beelzebub«, sprach Morgan durch die geschlossenen Zähne. »Fluch über dich, ich wünsche, ich könnte dich schreien machen. Siehst du, dass deine Füße im Stock legen? Aber der Tölpel achtet auf nichts! Beelzebub, ich zerschlitze dir das Ohr mit meinem Messer – ja, beim heiligen David, das will ich, wenn du nicht sprichst. Wird dich dies fortan nicht lehren, keine armen Knaben mehr zu berauben und zu misshandeln? Hattest du nicht ihnen diese hölzernen Strumpfbänder zugedacht? Mich dünkt, sie seien schwerer und um einen Gedanken oder so etwas weniger schön als die zarten Handschellen, mit denen du uns so verbindlich bedenken wolltest. Sprich, du Hund! Komm Owen, das Vieh hat weniger Gefühl als die eichene Bank, auf der er sitzt. Wenn ich Zeit hätte, so wollte ich dich weiter erproben, Freund Beelzebub. Wir haben dich niedergeschlagen – so leb denn wohl, Schlag-den-Beelzebub-nieder. Höre anuf, gute Weisen mit deiner abscheulichen Stimme zu verderben und Knaben zu misshandeln, damit du vielleicht einen oder zwei Monate später auf deinem dir zum Voraus bestimmten Totenbett, dem Düngerhaufen, stirbst.«

Statt aller Antwort schrie der geduldige Reiter, als sich sein Quälgeist entfernte, aus der vollen Macht seiner Stimme:

Der Herr ist meine Zuversicht,

in diesem großen Leiden.

Als die zwei Knaben das Städtchen eine ziemliche Strecke im Rücken hatten, machte sich Owen an Henris Seite und sagte: »Henry, ich bin zwar fast zwei Jahre älter als du, aber ich will nie mehr eine Ziege melken, wenn du nicht zweimal so viel Manns bist als ich.«

»Das ist nichts Neues.«

»Schätz wohl, das kommt von deinen Büchern her. Hast du nicht Lust, jetzt auch das Felleisen eine Weile zu tragen?«

»Nein.«

»Es ist schwer, Henry, und die Sonne brennt übermäßig, Heinz.«

»Lass dir den Gedanken daran vergehen, Owen. Ich bin ein Gentleman. Aber wenn du müde bist, armer Junge, so will ich für dich ein Pferd stehlen. Ich sehe auf jener Wiese dort einige schöne Tiere. Dies kann ein Gentleman wohl tun.«

»Und dafür baumeln, Henry. Nein, ehe mein edler Gebieter den Galgen zieren soll, will ich lieber tot unter meiner Last niederfallen. Mit dem Reiter hast du es zum Wunder gut angegriffen. Henry Morgan, so einfach ich auch bin, prophezeie ich dir doch, dass du entweder ein großer Mann oder gehängt werden wirst.«

»Ich will gehängt werden, wenn das Erstere nicht eintrifft.«

»Ich sehe, es wird so ziemlich darauf hinauslaufen, und fürchte, dass du die Nase allzu hoch trägst. Schätz wohl, das kommt alles von deiner Liebe zu unserer jungen Gebieterin her.«

»Wen nennst du meine Gebieterin?«

»Tu nur nicht gleich so wild, Heinz. Bitte, lass das bleiben. Wen anderes als Miss Glenllyn? Ah, Heinz …«

»Einfaltspinsel – es gibt kein geschaffenes Wesen, das ich je als meine Gebieterin oder meinen Gebieter anerkennen werde – das heißt, wenn die Superiorität infrage kommt. Und siehst Du – ich liebe Miss Glenllyn nicht – ich hatte nur einmal einige wirre Träume, der Dirne Gutes zu erweisen und ihren stolzen bettelhaften Vater zu erheben. Aber der halb ersäufte Hund von einem Spanier, den ich auffischte und ans Ufer warf – diese leere gefärbte Blase hat mir die Augen geöffnet. Mich als einen Buben zu behandeln! Na, ich will mich nicht mehr darüber ärgern. Aber du musst wissen, Owen, dass wir Monmouthshirer Morgans sind, die alle von dem ersten der fünf großen walischen Könige abstammen. Sir George Glenllyn ist nichts weiter als ein bloßer Normannenpilz. Sein Großvater hatte einen aufgeschossenen französischen Namen – ich glaube, er schämte sich dessen, denn er bat die Königin Bess um die Erlaubnis, sich Glenllyn nennen zu dürfen, was allerdings ein wenig Verstand von seiner Seite verriet. Aber ich sehe, dass ich mit einem Windei spreche. Nur so viel merke dir, dass durch die ganze Welt ein Monmonthshirer Morgan an Abkunft allen anderen lebenden Menschen überlegen ist. Wenn du dies nicht begreifst, so will ich es dir einprügeln.«

»Du mich prügeln?«

»Jawohl – ich denke, ich könnte es. Aber ich will es nicht tun. Übrigens siehst du in der Tat müde aus, armer Owen, und doch willst du nicht haben, dass ich für dich ein Pferd stehle. Nun, hier kennt niemand meine Abkunft. Und wenn uns jemand begegnet, während ich das Bündel trage, so nenne mich nicht Morgan, sondern Glenllyn Stuart oder sonst unter einem gemeinen Namen. Was ist übrigens im Grunde Abkunft anders als altes Getrümmer? So gib den Pack her.«

Unter solchen Gesprächen und im Tragen des Gepäcks abwechselnd kamen sie abends wohlbehalten zu Blackrock an, von wo aus sie am anderen Morgen über die Severn Bay nach Bristol zu gehen gedachten.

Morgan nahm nun wieder die Rolle des Gebieters auf und Owen fügte sich geduldig darin, von dem Rang des Gesellschafters zu dem des Dieners herabzusteigen. In Blackrock gab Henry vor, er sei von seinem Onkel abgeschickt worden, um eine alte Tante in Bristol zu besuchen. Auch habe er die Erlaubnis erhalten, unter der Obhut seines Bedienten das schöne Wetter zu einer Fußreise zu benutzen, damit er auch mit dem Land bekannt werde. Dtieser Bericht klang sehr wahrscheinlich und erregte keinen Argwohn. Am anderen Morgen trafen sie in Bristol ein, welches schon damals wie heutzutage ein sehr wichtiger Platz war. Die Stadt bot unseren jungen Reisenden viel Interesse, da sie zwei oder drei Belagerungen durchgemacht hatte und abwechselnd in den Händen der Royalisten und der Parlamente gewesen war. Allenthalben trafen sie auf rühriges Leben, und Wichtigkeit oder Aufregung war fast auf jedem Gesicht, das ihnen begegnete, zu lesen. Sie verbrachten den ganzen Vormittag damit, dass sie sich umsahen, die zerschossenen Mauern besuchten und mit großäugiger Bewunderung die zahlreichen, prächtigen Schiffe betrachteten, welche den Hafen füllten.

Die Knaben hatten sich eine Weile auf den Werften und Kais umhergetrieben, als sie sehr höflich von einem reich gekleideten Mann angeredet wurden, dem der prunkhafte Anzug des Kavaliers weit besser als der ernste des Puritaners zuzusagen schien. Seine Züge waren hart und um seine Lippen schwebte ein beständiges Lächeln, an welchem sein übriges Gesicht selten teilzunehmen schien.

»Ich sehe, Gentlemen«, sagte er, indem er sich achtungsvoll gegen sie verbeugte, »dass Ihr Fremde seid. Kann ich Euch in irgendetwas dienen? Ich werde mich glücklich schätzen, Euch all die Merkwürdigkeiten dieses Platzes zu zeigen. Gestattet mir die Ehre, Eure Bekanntschaft zu machen. Vermutlich Brüder?«

Über diese letzte Bemerkung machte Morgan eine etwas gekränkte Miene, während Owen lächelte, sich in die Brust warf und mit einem Kratzfuß seine Mütze abnahm, so eine üppige Fülle des roten Haares entfaltend.

»Ihr seid im Irrtum, mein gütiger Sir«, sagte Morgan. »Der Bursche ist ein guter Junge, aber nur mein Dienstmann.«

Der Fremde warf heiter ein Silberstück in Owens Hut.

»Oder vielmehr der meines geehrten Onkels«, fuhr Morgan fort, »des guten Mr. Price ap Price von Carmarthen. Vielleicht kennt Ihr ihn?«

»Oh, ich kenne diesen würdigen Gentleman recht gut. In der Tat, als wir noch jünger waren, haben wir uns manchen lustigen Tag gemacht. Ist mein guter Freund, der schätzbare Mr. Price ap Price noch immer so wohl wie sonst?«

»Wie sonst«, antwortete Morgan im höflichen Erstaunen.

»Ob ich ihn kenne! Wie sollte ich meinen alten Gefährten Price ap Price nicht kennen! Recht angenehm … nun und dann …« »Ei, dann Sir – da ich ein Waise bin, wie Ihr vielleicht gleichfalls wisst, kennt Ihr am Ende auch mich?«

»Lasst mich Euch noch einmal ansehen, Sir … ei, ja … nein … die Züge wechseln gar sehr in Eurem Lebensalter … aber ich bin überzeugt, Sir, dass ich Euch bald kennen lernen werde … schätze mich sehr glücklich, Eure Bekanntschaft zu machen.«

Die Verbeugungen wiederholten sich, und Owen grinste von einem Ohr bis zum anderen.

»Mein Vater hat zu mir gesagt, Sir«, fuhr Morgan fort.

»Euer Pate, meint Ihr?«

»Nein, mein väterlicher Onkel – er sagte zu mir: Bristol ist eine sehr große Stadt und der Zufluchtsort von grundsatzlosen Spitzbuben aller Art. Schurken gibt es daselbst im Überfluss. Daher nimm dich hauptsächlich vor aufgeschniegelten Fremden in Acht, Heinz. Und vor allen Dingen beantworte keine unverschämten Fragen. Ich spiele damit nicht im Geringsten auf Euch an, Sir.« Henry verbeugte sich abermals. »Nur möchte ich Euch zu verstehen geben, dass mir guter Rat zur Seite steht und ich mich nicht anführen lasse.«

»Eure Klugheit ist sehr löblich, mein junger liebenswürdiger Sir. Ich habe selten einen Gentleman, der so frisch wie Ihr vom welschen Gebirge herkommt, besser Englisch sprechen hören. Allerdings habt Ihr noch ein bisschen den Geißengeschmack auf Eurer Zunge, aber ein wenig Verkehr mit der feinen Gesellschaft, in welche ich Euch einzuführen gedenke, wird Euch bald so reines Englisch sprechen lehren, als wäret Ihr zu Southwark erzogen worden. Verzeiht mir meine Teilnahme an Euch, aber natürlich habt Ihr Eure Tante schon besucht. Ich vergaß ihren Namen – wie habt Ihr sie doch genannt, Sir?«

»Oh, wahrscheinlich kennt Ihr sie so gut wie meinen Onkel. Sie heißt Meredith, Sir.«

»Ah, die gute Mrs. Meredith? Freilich kenne ich sie – eine Witwe mit fünfzehn Kindern?«

Darüber kann ich keine Auskunft geben, Sir, da ich meine Vettern nie gesehen habe. Aber was diesen Punkt betrifft, sind wir in großer Verlegenheit. Dieser Bengel da, meines Onkels jüngster Diener – eine Art Unterpage, der mir mitgegeben wurde, um mich wohlbehalten hierher zu bringen, hat den Brief an meine gute Tante verloren, und wir haben in der Tat den Namen der Straße vergessen.«

»Überlasst es mir, die gute Dame aufzufinden. Wollt Ihr nicht inzwischen an Bord meines armen Schiffes gehen und eine kleine Erfrischung einnehmen?«

»Und welches ist Euer Schiff, mein edler Sir?«, fragte unser Held hastig.

Der Fremde deutete auf eines der prächtigsten Schiffe hin – auf ein edles Fahrzeug, welches, wie man es heutzutage nennt, en flute bewaffnet, das heißt ebenso gut für den Krieg als auch für den Handel geeignet war. Henrys Herz hüpfte hoch auf vor Freude.

Zu jener Periode sahen die Schiffe weit prunkvoller aus als heutzutage; denn auch die besten, sowohl im königlichen Dienst als auch in dem der Kaufleute zeigen derzeit nur eine majestätische Einfachheit und in ihrem Prunk eine dorische Strenge. Wir sehen nicht länger den lästigen hohen Stern, die Hütte auf der Hütte, die Überladung mit Skulptur und das Flitterwerk von Gold und Malerei. Die Schiffe jener Periode waren zuverlässig, weit prachtvoller als heutzutage und ganz besonders geeignet, die Begeisterung eines jugendlichen Gemütes zu wecken.

Wir brauchen nicht zu sagen, mit welcher Freude die Einladung angenommen wurde. Morgan und Owen betrachteten alles mit einem Entzücken, das in seiner tiefen Einfalt wohl kindisch genannt werden konnte. Das Schiff war in seiner Art allerdings so vollkommen wie nur eines, welches bis dahin die englische Küste verlassen hatte.

In der Kajüte wurden ihnen Erfrischungen mit Weinen und gebrannten Wassern vorgesetzt, von denen sie ebenso gierigen Gebrauch machten, als sie ihnen freigebig geboten wurden. Owen durfte sich an einen Seitentisch setzen und nicht nur an dem guten Mahl, sondern auch an der Unterhaltung teilnehmen. Morgans Herz tat sich auf, und mit einem Gemisch von Schlauheit und Zutraulichkeit enthüllte er seinen Wunsch, sich dem abenteuerlichen Leben eines Seemanns zu weihen, obwohl ihm seine Geburt, seine Ehre und seine Erziehung nicht gestatten würden, anders denn als Offizier zu dienen.

Der Fremde, der sich als Kapitän van Vagardo angekündigt hatte, schien jetzt gedankenvoll zu werden, billigte aber zu gleicher Zeit den Entschluss und den Mut seines jungen Gefährten. Das Vertrauen schien sich wechselseitig zu steigern, während jeder den anderen zu hintergehen versuchte.

Nach einem kräftigen Mahl, bei welchem weit mehr als rätlich getrunken wurde, drückten Henry und Owen ihren Wunsch aus, wieder an Land gesetzt zu werden, um die Sehenswürdigkeiten der Umgegend zu betrachten. Der Kapitän hatte nicht das Geringste dagegen einzuwenden, sondern erbot sich sogar, sie zu begleiten. Das beste Boot wurde bemannt und die Matrosen ruderten mit großem Achtungsgepränge Morgan, Owen und ihren Wirt an Land. Sie streiften einige Zeit durch die Stadt, und Morgan stellte tausend Fragen über den Sold, die Beförderung und die Gebräuche auf einem Schiff, wie das, welches ihr angeblicher Freund kommandierte. Die Antworten stellten goldene Berge in Aussicht. Im Verlauf des Gesprächs gab sich übrigens Owens verschmitzte Einfalt doch nicht ganz zufrieden und steckte bei jeder schwunghaften Schilderung des Kapitäns van Vagardo seine Zunge in die linke Wange, wahrscheinlich, weil ihm kein besseres Mittel einfiel, um sie schweigend zu erhalten; denn er begann zu denken, dass er in Wahrheit der geschworene Knecht und Diener Henrys sei.

Der Abend begann hereinzubrechen, und Morgan machte seinem Talent, das ihn später berief, der Führer von Männern und der Verrichter unsterblicher Taten zu werden, viele Ehre, indem er während des langen Gesprächs, das ihn vonseiten des schlauen Weltmanns den verfänglichen Fragen aussetzte, keine einzige wahre Silbe, wohl aber einen ganzen Band von Lügen äußerte, die wunderbar wie Wahrheit aussahen. Sein eigentliches Leben hatte bereits begonnen. Der Kapitän schien übrigens von seinen Mitteilungen und seinem Verstand ganz bezaubert zu sein. Endlich machte Kapitän Vagardo den Vorschlag, da die Nacht bald hereinbreche, so dürfte es gut sein, wenn sie sich auf den Weg machten, Mrs. Meredith allen Ernstes aufzusuchen. Diese Andeutung fand bei Henry eine sehr kühle Aufnahme, obwohl er es nicht wagte, sie entschieden abzuweisen. Der Kapitän dagegen war so ungemein höflich, nicht weiter darauf zu bestehen.

Es erhob sich nun die Frage, wie die beiden Abenteurer für die Nacht untergebracht werden sollten. Bisher hatte sich Morgan ganz mannhaft gehalten, aber jetzt wurde sein Benehmen zum ersten Mal befangen, und er wollte nicht recht heraus mit der Sprache, bis er sich endlich einzuräumen genötigt sah, durch die Nachlässigkeit seines Bedienten sei das Geld, womit ihn sein Onkel für die Reise versehen hatte, fast ganz verloren gegangen. Sie hatten nur noch wenige Silberstücke übrig und wollten sich daher gerne mit der allerbescheidensten Herberge begnügen, bis sie den Aufenthalt der Tante aufgefunden hätten.

Jetzt aber zeigte Kapitän Vagardo seinen ganzen Wert; sie sollten an Bord seines Schiffes schlafen. Sie sollten daselbst nicht beunruhigt werden und wegen des Geldes nicht die geringste Sorge haben. Wenn sie es aber vorzögen, an Land zu übernachten, so stehe er ihnen auch mit barer Aushilfe zu Diensten. Allerdings wimmle es in der Stadt von Betrügern aller Art, und ob sie schon zwei sehr verständige Jünglinge seien, folglich auch leicht den gelegten Schlingen entgehen könnten, so dürften sie doch vielleicht der Gewalt weichen müssen. Wie dem übrigens sein mochte – wollte Morgan Geld annehmen?

Owen streckte augenblicklich die Hand aus, aber Henry stieß sie hastig und mit Verachtung zurück.

»Wie, Schlingel – du, der du mir, ich weiß nicht wie viele Engel und Mark verloren hast?«

»Weiß nichts davon.«

»Still, Spitzbube, und lerne die dir angewiesene Stellung kennen. Mein höflicher Sir«, fuhr er gegen seinen neuen Freund fort, »ich nehme ohne Bedenken das Erbieten Eurer Gastfreundschaft an, und wenn Ihr in die nördlichen Teile des Fürstentums kommt, wird Euch mein Vater, mein Pate, will ich sagen – der gütige Onkel nämlich, von welchem ich so viel gesprochen habe – Eure Güte hundertfältig belohnen. Jagden, Rennen, Fischerei – Landvergnügungen aller Art sollen Euch zu Diensten stehen.«

»Sprecht nicht weiter davon, mein wackerer junger Freund. An Bord, an Bord! Bei Jove , wir wollen uns eine lustige Nacht machen!«

Sie gingen wieder an Bord des Delphin, und bald danach wurde ein sehr appetitliches Nachtessen aufgetragen, an welchem Owen Lywarch, dem ein kleiner Seitentisch angewiesen wurde, teilnahm.

Nach dem Mahl wurde der Kapitän beredt. Er teilte Morgan mit, dass sein edles Schiff mit allen Arten Goldwaren befrachtet sei, die er in den spanischen Ansiedlungen der Neuen Welt einzuschmuggeln gedenke. Viele der Gegenstände würden einen ungeheuren Gewinn abwerfen. Der größte Vorteil des Kreuzzuges bestehe übrigens darin, dass er, wenn er seine ganze Ladung veräußert habe, auf der Heimfahrt sein Schiff mit einer anderen zu befrachten gedenke.

»Vermutlich ist es Euerm Scharfblick und Eurer Fassungsgabe nicht entgangen«, fuhr er fort, »wie gut bewaffnet diese schöne Dame der Meere ist. Sobald ich in Indien bin, werde ich bloß meine Mannschaft verdoppeln und auf eigene Rechnung dem König Philipp von Spanien förmlich den Krieg erklären. Niemand verabscheut den Seeraub mehr als ich. Aber wenn man den zerrütteten Zustand dieser Reiche ansieht, wenn man Zeuge ist, wie Seine Majestät vermittelst Dero eigenen Parlaments Krieg gegen sich selbst führt und zu gleicher Zeit in enger Haft gehalten wird, so erachte ich es für die Pflicht aller guten Untertanen, Englands Oberherrlichkeit zu behaupten. Ich weiß zwar wohl, dass wir auf dieser Seite der Wendekreise mit den Spaniern im Frieden sind, aber auf der anderen Seite hat jeder, dem Schiffsplanken wie diese unter den Füßen schwimmen, die Wahl, ob er mit was immer für einem Potentaten im Frieden oder im Krieg leben will. Von Seeraub ist da natürlich keine Rede, denn, wie zuvor gesagt, ich hasse die Piraten. Es handelt sich nur um Abenteuer, Prisen und Glück – lauter Dinge, welche die Schneide im Leben des Menschen schärfen können. Ich bin in der Tat der Ansicht, dass dies die einzige Lebensweise ist, zu welcher sich ein Mann von Mut, ein Gentleman herablassen sollte.«

Dies stand ganz mit Henrys eigenen Gesinnungen im Einklang. Nachdem er einen gewaltigen Schluck Wein zu sich genommen hatte, sprach er seine Herzensmeinung aus. Er begann dann zu diplomatisieren und schlang dabei den Köder seines Verlockers hastig hinunter, stets der Überzeugung lebend, dass er den Täuscher täusche.

Es würde zu viel Raum wegnehmen, wenn wir ausführen wollten, wie beide Teile sich allmählich dem Punkt näherten, auf welchen der eine den anderen zu bringen wünschte. Mit sprachlosem Staunen und, wir müssen sagen, mit großer Bestürzung hörte nun Owen mit an, wie sein Gebieter von eigener Schöpfung endlich einwilligte, an den nirgends existierenden Onkel einen Brief zu schreiben und ihn pflichtmäßig um die Erlaubnis zu bitten, dass er mit dem ritterlichen Kapitän Vagardo einen Kreuzzug macheu dürfe. Zugleich wollte er selbigen fabelhaften Onkel ersuchen, ihm fünfzig Pfund Sterling nach Liverpool zu übermachen, damit er sich passend als Offizier ausrüsten könne. Auch dürften zwanzig weitere nötig sein, um die Equipierung des Bedienten Owen zu besorgen.

Kapitän Vagardo verstand sich seinerseits dazu, Henry als Kadetten oder Freiwilligen anzunehmen, bis er ihn bei erster Erledigung zum Offizier machen könne. Bis dahin solle er mit aller Achtung als Gentleman behandelt werden, als Begleiter des Kapitäns an dessen Tisch speisen, und Owen als ausschließlicher Diener Henrys funktionieren. Ferner wurde die Übereinkunft getroffen, dass Morgan und Owen an Bord bleiben sollten, bis das Schiff aussegle, weil der nicht existierende Onkel den flüchtigen Neffen aufsuchen lassen könnte, im Falle er seine Einwilligung zu der Verabredung verweigerte. Nachdem alles bereinigt war, wurde jedem der beiden Knaben eine sehr gut ausgestattete kleine Schlafkajüte angewiesen, worauf sie sich samt und sonders sehr spät zur Ruhe begaben.

Am anderen Morgen erwachte Henry Morgan mit einigem Kopfweh, aber seine Brust schwoll in Hoffnung und seine Eitelkeit blähte sich noch mehr auf in der Vorstellung, dass er den Kapitän überlistet habe. Sein glühender Geist ließ ihn nicht daran zweifeln, dass er sich ehestens auszeichnen werde. Er berechnete eifrig die Wahrscheinlichkeiten der Todesfälle infolge von Schlachten und Krankheit und befand sich in seiner erhitzten Einbildungskraft bereits als Zweiter im Kommando, mit geplündertem Geld überladen und der Fama nicht unbekannt, wieder auf der Heimfahrt. Seine plötzliche und warme Freundschaft gegen den Freibeuterkapitän hinderte ihn nicht einmal, sogar auf dessen Tod zu spekulieren und das Kommando schließlich auf sich selbst zu übertragen. Auch meinte er mit einem solchen Schiff so viele Fahrzeuge zu erobern, dass er mit ihnen die halbe Welt besiegen könne.

Der Kapitän brachte fast den ganzen nächsten Tag an Land zu, sodass Morgan und Owen sich meist selbst überlassen blieben. Sie nahmen ihre Mahlzeiten in der Kajüte ein und trafen allerseits nur auf Zeichen der Achtung – freilich nur abgemessen und vorsichtig, aber doch war es Achtung.

Der Sohn des Harfners teilte nun allerdings Morgans geistige Erhebung nicht. Er bedeutete seinem Freund, er habe aus reiner Liebe zu ihm freiwillig Heimat und Vater verlassen und halte es doch für sehr ungerecht, dass er mit einem Mal für unbestimmte Zeit zu einem Fröhner herabgewürdigt werde. Ihm zu Gefallen habe er nichts dagegen, eine kleine Weile jede beliebige Rolle zu spielen. Indessen müsse es ihm doch sehr schmerzlich werden, wenn er also unter rohen Fremden bloß auf ein dienstliches Verhältnis angewiesen sein solle.

Auf alle diese Vorstellungen antwortete Morgan nur scherzhaft und zuverlässig mit allzu wenig Rücksicht auf die Liebe, mit der Owen an ihm hing, und auf das Opfer, das er ihm gebracht hatte. Er bedeutete seinem armen Freund, was einmal geschehen sei, lasse sich nicht ändern – sie müssten für einige Zeit in der gleichen Weise fortfahren. Wenn sie sich aber einmal auf dem Weg zu Ruhm und Reichtum befänden, so wolle er die erste Gelegenheit benutzen, ihn von seiner unangenehmen Knechtschaft zu befreien. Dass er dies bald zu tun imstande sein werde, war ihm keinen Augenblick zweifelhaft. Owen sollte sich daher nur auf seine Beförderung vorbereiten, indem er sich aller gemeinen und niedrigen Gedanken entschlüge, namentlich aber ja kein Misstrauen in seine Ehre und in die des edlen Kapitäns Vagardo setzte. Morgan hatte bereits angefangen, großartig zu sprechen.

Ein Nachtessen so ziemlich in dem gleichen Stil, wie das von gestern, schloss den zweiten Tag, und der bramarbasierende Kapitän Vagardo zeigte sich womöglich noch liebenswürdiger als vorher.

Am anderen Morgen sehr früh verließ der Delphin die Docks und befand sich unter einer günstigen Flut bald in dem Severn. Da von den Knaben keiner an die See gewöhnt war, so zeigten sie sich weniger auf den Decks, als man wohl hätte erwarten sollen, obwohl sie auch durchaus nichts von den Manövern eines so großen Schiffes verstanden.

Als sie rasch an den Vorgebirgen von Caermarthen und Pembrokeshire vorbeikamen, fühlte Henry einige herbe Gewissensbisse, während sich des natürlichen und einfacheren Owens ein herber Schmerz bemächtigte.

»Es wird nur für eine kurze Weile sein«, sagten sie gleichzeitig zueinander. Aber wenn der Mensch auf die Zeit spekuliert, endet die Rechnung in die Ewigkeit.

Der Delphin hatte es weder auf Liverpool noch auf einen anderen Platz abgehoben, sondern verfolgte stetig seinem Kurs nach Westen. Nachdem er jedoch das Landende umschifft hatte, holte er ein wenig kanalaufwärts und legte vor Falmouth bei. Hier kamen mehrere große Boote heran und brachten das gemischteste Lumpengesindel an Bord. Viele waren gefesselt und kamen augenscheinlich aus dem Gefängnis; indes waren sie lauter starke, kräftige junge Männer.

Als sie die Laufplanke heraufkamen, streifte einer davon Morgans Kleid. Unser Held schüttelte sich voll Ekel über diese Berührung und fluchte mit den Gebärden eines nach Zibet duftenden Höflings über den gefesselten, mit Lumpen umhüllten Menschen.

Der Mann wandte sich gegen ihn um und sagte ruhig: »Junger Naseweis, ich hoffe, dass Euer Fluchen schon hier, nicht erst jenseits gesühnt werden wird.«

»Der lausige Schurke will gar noch Widerpart halten!«

Mit diesen Worten wandte sich Morgan um und traf dabei auf den Blick des Kapitäns. Er fand darin einen Ausdruck, den er nicht beschreiben konnte, obwohl er ihm durchaus nicht gefiel.

Diese Leute wurden auf dem Halbdeck in hölzerne Käfige gebracht. Sie waren zum Besten unserer jugendlichen Kolonien als weiße Sklaven eingeschifft worden.