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Dämonische Reisen in alle Welt – Kapitel III, Teil 4

Johann Konrad Friederich
Dämonische Reisen in alle Welt
Nach einem französischen Manuskript bearbeitet, 1847.

Kapitel III, Teil 4

Es mochte etwa um die Mittagsstunde sein, als die beiden Gesellen daselbst ankamen, wo sie eine höchst elegante Equipage an der Türe haltend fanden und vom Portier erfuhren, dass Monsieur Barret, so nannte sich der Vater der Kinder, einen vornehmen Besuch habe.

»Hat nichts zu sagen«, sprach Asmodi. Seinen Freund beim Arm nehmend und über den Hof gehend stiegen beide einen sogenannten Escalier de service, einer kleinen Hintertreppe, wie man sie fast bei allen größeren Wohnungen zu Paris findet, hinauf und verfügten sich unbemerkt in ein Gemach, das neben dem Salon war, in welchem sich Barret mit seiner Frau und einem Fremden in einem lebhaften Gespräch begriffen befanden, dem die beiden Lauscher zuhörten und das sie vollkommen verstanden.

»Also dabei bleibt es, wir sind uns einig, Ihr könnt, wenn Ihr wollt, zu mir kommen oder schicken, die dreihundert Aktien in Empfang zu nehmen, und Eure jüngste Tochter nehmt Ihr binnen drei Tagen aus dem Kloster zurück.«

»So ist es, Herr Tonnier.«

»Und das versprochene Geschmeide?«, sagte die Frau.

»Erhaltet Ihr noch diesen Abend«, antwortete der Fremde und wollte sich nun empfehlen, als Michel und Asmodi in das Zimmer traten und ihm den Weg versperrten.

»Noch einen Augenblick, mein Herr«, sagte Michel mit starker Stimme, »ich habe auch noch ein paar Worte mit Ihnen zu reden.«

»Habe ich doch nicht die Ehre, Sie zu kennen, mein Herr!«

»Desto besser aber kenne ich Sie. Sie sind der weltberühmte Bankier Tonnier, haben vor Kurzem wieder einige Millionen an den Eisenbahnaktien gewonnen oder vielmehr erwuchert , wozu so mancher arme Teufel seinen letzten Notpfennig steuern musste. Sie sind einer jener Industrieritter en gros, vor denen die heilige Justiz sich in untertänigster Demut beugt und bückt, während sie denen en detail, die um ein elendes Dasein zu fristen sich kleine Gaunereien zuschulden kommen lassen, auf das Unbarmherzigste auf die Finger klopft und bei Hunger und Elend zwischen feuchte Mauern einsperren lässt. Doch auch Ihr Stündlein, so wie das aller derer, die Ihnen gleichen, wird schlagen, seien Sie dessen versichert. Einstweilen aber will ich Ihnen einen Vorgeschmack und diesen Kupplern, die ihre Kinder für Ihren Mammon verhandeln wollen, eine kleine Lehre geben. Nur dass Ihr Rosa-Marias Eltern seid«, sprach Michel zu dem Ehepaar Barret, »habt Ihr es zu verdanken, dass ich so glimpflich mit Euch verfahre. Wie, Ihr schämt Euch nicht, nachdem ich Euch aus dem Elend gezogen und für Euren und Eurer Kinder Unterhalt reichlich gesorgt habe, diese an diesen alten, ekelhaften, an Körper, Geist und Seele gleich schmutzigen und verkrüppelten filzigen Sündenbock zu verhandeln, der schon längst alle Pfützen von Paris durchwatet hat?« An dem kein gutes Haar, keine gesunde Faser mehr ist?«

»Mein Herr …«, fiel jetzt der Bankier ein, »… mein Herr …«

Ein donnerndes »Still!« Michels brachte ihn jedoch schnell zum Schweigen. »Still, alter Sünder«, fuhr er fort, »sonst will ich dein Register so klar offenbaren und bloßstellen, dass auch nicht die schlechteste und feilste Justiz, nicht einmal die einer gewissen kleinen Republik, es wagen dürfte, dich freizusprechen, wenn sie auch den besten Willen dazu hätte. Soll ich dir erzählen, wie du zu den ersten hunderttausend Franc kamst? Soll ich dich an die vier Wände in No. 67 der Straße Choiseuil erinnern, soll ich diese sprechen machen, und an die Witwe L… erinnern?«

Der Bankier wurde leichenblass, zitterte, seine Lippen wurden bleifarbig, seine Augen rollten wie verwirrt, seine Knie schlotterten, und er musste sich, um nicht niederzusinken, an einen Armstuhl festhalten.

»Sieh, ich vermag Tote zu zitieren, Tote, welche deine furchtbaren Geheimnisse mit ins Grab genommen haben, aber die ich auferstehen machen kann! Doch wozu dich unter das Beil der Guillotine liefern? Deine Stunden hienieden sind gezählt. Wie du mit dem Jenseits fertig wirst, das ist deine Sache. Doch hier nur so viel: Wenn du auch nur noch den geringsten Versuch machst, ein unschuldiges Geschöpf durch deinen Mammon zum Fall zu bringen, so sei versichert, dass ich dich der unheiligen Justiz übergebe. Indessen darfst du doch nicht so ganz straflos für deinen infamen Versuch hier ausgehen, und du wirst so gut sein, die Wechsel hier zu unterschreiben. Der Betrag ist nur eine Kleinigkeit für dich, nicht der zwanzigste Teil dessen, um was du die Leute und die Armut betrogen und bestohlen hast, lumpige 500.000 Franc.

Hiebei zog Michel mehrere mit dem Stempel gehörig im Namen Tonniers ausgestellte Wechsel aus der Tasche und legte sie mit einem befehlerischen »Unterzeichne« vor.

Der arme Sünder, einen Jammerblick zum Himmel erhebend, unterschrieb, ohne ein Wort zu sagen.

»Das Geld ist für die Not leidende Armut bestimmt«, sagte Michel, »und wenn ich dir noch einen wohlmeinenden Rat geben darf, so ist es der, dass du fortan den Himmel so viel wie möglich durch Austeilung milder Gaben an deine leidenden Brüder zu versöhnen suchst, damit deine jenseitigen Strafen milder ausfallen mögen. Nun bist du entlassen.«

Der Bankier wankte zur Tür hinaus, ließ sich von seinen Bediensteten in den Wagen heben und zu Hause angekommen sogleich zu Bett bringen. Man hat ihn seit dieser Zeit nie mehr lachen, aber auch nie mehr der Unschuld nachstellen sehen, und öfters liest man in den Journalen: Hr. Tonnier hat die Summe von so und so viel dieser oder jeder milden Anstalt zukommen lassen.

Michel hielt nun noch den beiden Alten eine derbe Strafpredigt, welche sie bebend und um Vergebung bittend reumütig anhörten, worauf er sich mit seinem Begleiter entfernte und wieder hoch in den Lüften über den Kanal nach London flog.

Daselbst angekommen eilten sie nach Bedlam Hospital, wo sich ihnen, mit einem Empfehlungsschreiben versehen, zuvorkommend alle Türen öffneten, und Michel seine Besuche bei den Wahnsinnigen begann, bei denen ihm Asmodi als erklärender Cicerone diente.

Zuerst wurden die beiden Fremdlinge in ein reinliches Gemach geführt, in dessen Winkel ein Mann in mittlerem Alter auf einem bequemen Lehnstuhl nachlässig ausgestreckt saß und starr auf einen Fleck hinsah. Von Zeit zu Zeit ließ er einige abgebrochene Worte fallen, wie Marie Louise, Josephine, der Prinzregent, zweimal hunderttausend Mann, Austerlitz, Marengo, Hudson Lowe, Moskau, Ulm, Murat, Ney etc. Die eintretenden Besucher schien er gar nicht zu bemerken.

»Dieser hält sich für den zu St. Helena gefangenen Napoleon«, sagte Asmodi zu seinem Gefährten, »es ist ein ehemaliger englischer Gardeoberst, der nur von Glorie, Eroberungen und Schlachten träumte sowie von den wilden Zeiten, als die Franzosen in fremden Ländern herrschten und nach Gefallen hausten. Seit der Rückkehr von Napoleons Leichnam aus St. Helena brach diese Narrheit bei ihm aus. Einige Zeit nach dem pompösen Leichenzug und der Beisetzung des berühmten Toten im Dom der Invaliden, dem er zu Paris beiwohnte, kündigte er vor der Front seines Regiments den Soldaten an, dass es eine unverschämte Lüge wäre, wenn man sage, dass Napoleon gestorben, da er selbst kein anderer als der große Kaiser sei, und forderte sie auf, ihm zur Eroberung der Welt zu folgen. Die Truppen sahen ihn erstaunt und verwundert an, gehorchten indessen dennoch seinem Kommando. Er ließ das Regiment eine Angriffskolonne bilden, sodann den Sturm­marsch schlagen, das Bajonett fällen. ›Sturmschritt, Marsch!‹ kommandierend rückte er unaufhaltsam an der Spitze der Kolonne durch die Straßen von London gegen den Tower vor. Im Angesicht desselben angekommen befahl er die Feste zu stürmen, laut ausrufend ›Jetzt, Kinder, jetzt gilt es, das ist das Schloss, das mir gebührt, und welches Usurpatoren, Räuber und Tyrannen in Beschlag genommen haben!‹ und zeigte mit dem Degen auf die Zinnen des Towers. Bisher war ihm das Regiment noch gehorsam gefolgt, da die meisten Offiziere glaubten, er wolle nur ein Übungsmanöver ausführen. Da ihnen aber die Sache jetzt bedenklich zu werden schien, so sprengte der Chef des ersten Bataillons heran und sagte zu ihm: ›Mein Oberst, wo denken Sie hin, was treiben Sie!‹ Aber statt aller Antwort führte der Oberst einen mächtigen Hieb nach dem Bataillonschef, den dieser nicht ohne Mühe parierte, darauf seinem Bataillon ›Halt und Gewehr in Arm!‹ kommandierte. Als der Oberst fortfuhr, die Leute anzutreiben und dabei die tollsten und aufregendsten Reden ausstieß, ließ er diesen mit Zustimmung der übrigen Stabsoffiziere und Adjutantenmajore entwaffnen, was jedoch nicht ohne den gefährlichsten Widerstand vonseiten des Colonels und nur mit den größten Anstrengungen vollzogen werden konnte, da man zugleich alle mögliche Schonung anbefohlen hatte. Der Offizier geriet in ein furchtbares Delirium, das längere Zeit anhielt. Man brachte ihn nach Bedlam, wo es dem Direktor hauptsächlich vermittelst Musik gelang, ihn ruhiger zu stimmen, sodass er jetzt nur noch an der fixen Idee leidet, der zu St. Helena gefangene Kaiser zu sein und einen der Aufseher der Irrenanstalt für Hudson Lowe hält, als solchen anredet und behandelt. Manchmal bildet er sich jedoch wieder ein, auf seinem Thron in den Tuilerien zu sitzen, erlässt sodann Dekrete, die er von Mailand, Berlin und Moskau, Wien und Madrid datiert und diktiert oder vielmehr selbst niederschreibt und in denen er Königreiche, Throne und Kronen verschenkt. So hat er gestern erst Spanien dem Kalfaktor der Anstalt gegeben, weil dieser das ihn erwärmende Feuer zu seiner Zufriedenheit angemacht hatte. Seinen Stiefelputzer ernannte er schon zum König von Polen, und den ganzen Rheinbund schenkte er seinem Schneider. Glücklicherweise gehen diese Dekrete kaum geschrieben wieder in Rauch auf, indem er sie im nächsten Augenblick selbst ins Feuer wirft. Diesen Menschen hat sein maßloser Ehrgeiz zum Narren gemacht. Jetzt kommen wir zu einem anderen Tollen, einem Lord, der für den besten und verwegensten Fuchsjäger von ganz Albion galt. Der Mensch ist ein wahres Narrenchamäleon. Morgens von 8 – 10 Uhr hält er sich für einen Friseur und coeffiert seine Stühle, denen er Perücken aufsetzt. Sowie aber die Glocke zehn schlägt, springt er auf, behauptet ein Restaurateur zu sein und schreibt als solcher endlose Speisezettel, auf denen Rostbeefs, Beefsteaks, Plumpuddings, Ortolanen, Fasanen und Trüffelpasteten immer obenan stehen. Er serviert sodann mehrere Tische, erwartet und traktiert Gäste, die auch nicht ausbleiben, und teils aus friedlichen Narren, teils aus Aufwärtern und Wächtern bestehen. Da er sehr reich ist und die Verwalter seines Vermögens alle seine Torheiten bezahlen, so lässt man ihm gern das unschädliche, wenn auch kostbare Vergnügen. Aber nachmittags um drei Uhr verwandelt sich der Gastwirt in den Don Juan und schreibt er statt der Speisezettel Mädchen- und Frauenlisten, deren Namen er in sein Register im buntscheckigsten Durcheinander einträgt. Da liest man die der Königinnen Kleopatra, Maria Stuart, Elisabeth, Anna, Victoria mitten unter den Ladys, Misses und berühmten Tavernedirnen. Gegen Abend aber wird er zum Fuchs, springt im Galopp in seinem Gemach umher, Hunde, Jäger und das ganze Jagdhallo hinter sich wähnend. Mit einbrechender Nacht verwandelt sich jedoch der Fuchs in einen Beichtvater und erteilt unaufhörlich Absolution. Dieses Original wurde zum Narren, weil es ihm nicht gelingen wollte, alle Füchse Altenglands und alle Schönheiten Londons in seinen Netzen zu fangen, was ebenfalls zu einer fixen Idee bei ihm geworden war.

Den tollen Fuchsjäger verlassend kamen die Herren nun zu einem etwas hageren langbeinigen Narren.

»Diesen da«, sagte Asmodi, »hat die Fanny Elßler verrückt gemacht. Er hörte und sah nichts mehr als elßlerische Sprünge, Entrechats, Equilibres, Pirouets usw., sodass er, wo er auch gehen und stehen mochte, selbst alle mögliche Stellungen der liebenswürdigen Fanny nachzumachen suchte, pirouettierte und entrechatierte, dass ihm das Volk lachend und tobend auf der Straße und auf den Plätzen folgte, wo er seine Sprünge machte. Die Sache wurde endlich so toll, dass man sich genötigt sah, auch ihm einen Platz im Bedlam Hospital zu geben.«

»Aber wenn man alle die einsperren wollte, die wegen der Fanny Elßler verrückt wurden, so würden alle Narrenhäuser Europas nicht ausreichen«, meinte Michel.

»Du kannst recht haben«, erwiderte Asmodi, »aber die Elßler- Narren sind es nicht allein, da gab und gibt es Sonntagsnarren, Catalanisnarren, Taglionisnarren, Paganinisnarren, Lisztsnarren nnd besonders Lisztnärrinnen, Malibransnarren, Thalbergsnarren, Lindsnarren nnd wie diese Art Narren alle heißen mögen, die sich in ihrem Wahnsinn zum Teil sogar vierbeiniges Vieh glaubten und sich statt der edlen Rosse als zweibeinige Langohren an die Wagen der Füße- und Kehlenköniginnen spannten.«

»Wohl wahr, doch lass uns weitergehen.«

In einer vierten Zelle sahen sie ein ehemaliges Parlamentsglied, das ein wütender Antagonist der Kornbill und ein reicher Gutsbesitzer aus der Grafschaft Suffolk ist, der zu gleicher Zeit von einem wütenden Franzosenhass besessen war und sich einbildete, die französische Regierung sei die geheime Anstifterin dieses ihm so fatalen Gesetzes und besteche die englischen Parlamentsmiglieder, um ganz England mit französischem Korn zu überschütten. Dies war anfänglich nur eine fixe Idee bei ihm, die aber bald in eine völlige Tollheit überging, sodass er eine Franzosenjagd in London anstellen wollte und dabei zum Vorwand angab, die Franzosen hätten alle Ratten und Mäuse in Frankreich weggefangen und in seinen Kornspeichern losgelassen. Da er nun mehrere Menschen, die eine etwas französische Tournüre hatten, in den Straßen Londons anpackte und sie gefährlich bedrohte, so war man genötigt, ihn endlich einzusperren. Jetzt hört man keine anderen Worte wie Kornbill, Rallen, Mäuse und Franzosen aus seinem Mund kommen. Ein fünftes Häuschen beherbergte einen Börsenspekulanten. Dieser Mensch war durch glückliches Börsenspiel schon im Besitz von anderthalb Millionen Pfund Sterling gewesen, hatte aber, nachdem er einige bedeutende Verluste erlitten, das Verlorene durch forciertes Spiel wieder gewinnen wollen, und wettete – denn spekulieren und selbst spielen kann man diese unsinnigen Börsenmanipulationen nicht nennen – nun in allen möglichen Staatspapieren, Aktien, Eisenbahnen etc., verlor fortwährend und setzte endlich das letzte Hunderttausend Pfund aufs Spiel, das er ebenfalls und mit demselben zugleich seinen Verstand verlor, und ist so ein närrischer Bettler geworden, den regelmäßig in der Mitte und am Schluss jedes Monats eine Raserei überfällt, während welcher sich ihm nicht gut zu nähern ist, denn er packt die Leute mit dem Geschrei ›Zahlt mir meine Differenz aus oder ich erwürge euch!‹ beim Kragen und versucht es wirklich, ihnen die Kehle zuzudrücken. Deshalb legt man ihm am 14. und letzten jedes Monats auf vierundzwanzig Stunden eine Zwangsjacke an.

Hier in No. 6 befindet sich ein Pferdenarr. Er wurde wahnsinnig, weil sein bester Renner nur den zweiten Preis erhielt, und rannte nun bei allen Wettrennen zu Fuß neben den Pferden her, sich selbst für einen der schönsten englischen Hengste haltend und den Stuten nachspringend. Seine Familie musste ihn des Skandals wegen nach Bedlam bringen lassen.«

»Aber sind denn gar keine weiblichen Narren in Bedlam?«, fragte Michel endlich. »Diese Männer sind mir zuwider, man stößt so häufig im Alltagsleben auf ihre Narrheiten.«

»Daran fehlt es nicht«, gab Asmodi zur Antwort, den sie begleitenden Aufseher ersuchend, ihnen die Gemächer einiger Frauen zu zeigen, wozu derselbe um so mehr bereit war, da er den Teufel für einen großen Herrn, etwa für einen Minister hielt, in dessen Departement die Narrenhäuser gehörten, da derselbe weit besser wie er selbst von den Tollheiten dieser Wahnsinnigen unterrichtet war.

»Die ersten sieben wollen wir übergehen«, sagte Asmodi zu dem Aufseher, »denn dies sind nur gewöhnliche Närrinnen. Die Welt ist voll von ihnen. Es sind sieben alte Koketten, die sich unaufhörlich im Spiegel begaffen, und von denen jede behauptet, die meisten Anbeter gehabt, die meisten Köpfe verrückt und die meisten Körbe ausgeteilt zu haben. Man würde sie nicht eingesperrt haben, wenn ihre Narrheit nicht in Männertollheit ausgeartet wäre, sodass sie zum Skandal der Welt wurde. Die eine glaubt sich Prinzessin und Braut eines Prinzen von Coburg zu sein und packt jeden hübschen Mann an, ihn mit einem ›mein Bräutigam‹ anredend, die andere nennt sich die Herzogin von Argyl und glaubt, der Prinz Albert wolle sie entführen. Jede Mitternachtsstunde hüllt sie sich in Mäntel und Shawls und erwartet den vierspännigen Reisewagen, der sie abholen soll usw.«

Nun öffnete der Aufseher ein anderes Häuschen, in welchem man eine schon etwas verblühte Schönheit vor einem Spiegel sitzend, sich schminkend und schmückend, erblickte, und die alle möglichen Grimassen schnitt.

»Dies ist eine hof-, stifts-, und die Götter mögen wissen, was alles, fähige hochadelige Dame«, erklärte der Hinkende, »die sich jetzt selbst nur noch die schöne Helena nennt und jeden Morgen ihren Paris erwartet. Sie wurde verrückt, weil ihr vor ein paar Jahren bei einer großen Cour am Hof der Master of Ceremonies (Oberzeremonienmeister) Ihrer Majestät einen Platz und Rang hinter ihrer Todfeindin anwies. Dies war hinreichend, ihr das bisschen Gran Gehirn noch vollends zu verwirren. Noch denselben Abend ging sie auf den Herzog v. E. zu, und forderte diesen im Angesicht des ganzen Hofes auf, sie öffentlich als seine Favoritin zu erklären und anzuerkennen. Die Erklärung ließ auch nicht auf sich warten, nur wurde statt des Wortes Favoritin Närrin gesetzt. Da sie sich bald völlig als eine solche benahm, ihren Kopfputz vom Haupt riss, von dem Prinzen D. verlangte, er möge sie zu Bett bringen, sie befinde sich unwohl, so wurde sie heimgeführt, und ihr Gemahl sah sich genötigt, da sie fortfuhr, die tollsten Extravaganzen zu sprechen und zu begehen, sie ins Tollhaus bringen zu lassen.

Hier in diesem Gemach«, auf ein noch junges schönes Mädchen zeigend, fuhr Asmodi fort, »sitzt Miss Molly Gainsborough, ein Opfer der modernen Romanenwut. Sie verschlang nebst den Mysterien von Paris und London alle nur möglichen Mysterien, welche die Mysterienwut und verbrannte Gehirne zutage förderten. Das arme Kind war von jeher eine sentimentale Mondscheinprinzessin, welche schon die Keepsaks und andere Taschenbüchererzählungen immer in höheren Regionen schweben und leben machten. Eugens ewiger Jude aber machte sie vollends überschnappen. Sie hält sich aber nun für Fleur de Mary und mit Rudolph verlobt. Ihre sentimentale Narrheit verwandelt sich mit dem zunehmenden Mond in steigende Raserei, die mit dem Abnehmen dieses Gestirns auch wieder in sanfte Melancholie übergeht. So fantasiert sie crescendo und smorzando

Miss Molly Gainsborough sah jetzt unseren Michel mit starren Augen und einem durchdringenden Blick an, und ihr langes blondes herabwallendes Haar schien sich dabei zu sträuben und zu erschüttern, als ob der Pfauhahn sein Rad zu schlagen beginnt, sodass es unserem Besucher ganz unheimlich zumute wurde und er zu seinem Begleiter sagte: »Lass uns von hinnen eilen, ich fühle mich fast selbst von einem Anfall von Narrheit ergriffen. Fort in das tolle Weltgewühl, in das allgemeine Narrenhaus, damit ich unter dem bunten Treiben der freien Narren die gefangenen wieder vergesse.«

Nach einem in London eingenommenen Mahl kehrten unsere Reisenden über den Kanal nach Frankreich zurück und bereiteten sich zum Ball in dem großen Opernhaus zu Paris vor. Beide hatten sich in Jesuitengewänder gehüllt. Als sie durch die Passage de l’Opera gingen, bot ihnen ein dürrbeiniger Galantuomo Eintrittskarten zum vierten Teil des Nennwertes an.

»Warte, dich will ich kriegen«, sagte der Hinkende, die Karten betrachtend, packte den Verkäufer beim Ohr und übergab ihn dem nächststehenden Polizeisergenten mit den Worten: »Hier, mein Herr, einer der sauberen Patrone, welche falsche Eintrittskarten verkaufen und die Fremden prellen, die dann am Büro des Eingangs mit Grobheiten und Insulten zurückgewiesen werden.«

Der Sergent führte sogleich den ihm Übergebenen auf das Polizeibüro im Opernhaus1, wo dem Herrn sein Recht wurde.

Kaum war dies geschehen, als sich in dem Gang, der zum Vestibül führt, ein paar keusche Ursulinernonnen an den Arm der Jesuiten hingen und verlangten, unter deren Schutz den Ball zu besuchen. An dem Eingang angekommen, wies man jedoch alle vier zurück, unter dem Vorwand, dass allen sich auf die römisch-katholische Religion beziehenden Masken der Zutritt untersagt sei.

»Was zum Henker hat denn die Religion mit Jesuitenröcken und Nonnenkleidern gemein?«, fragte Michel.

»Das lassen Sie sich von dem Minister erklären, der dies so zu verordnen beliebt hat. Ich vollziehe nur die mir erteilten Befehle.« »Wohlan«, sprach der Hinkende, »so wollen wir uns gleich dem Johann von Paris in großopernballfähige Masken verwandeln«, und warf nebst Michel sein Jesuitengewand ab. Beide standen nun als halb nackte Wilde da. Auch den Nonnen zog er ihre Kleider herunter, und diese stellten nun fast bis auf den Gürtel dekolletierte Nymphchen zu ihrer eigenen großen Verwunderung dar. Jetzt hatte der Billettabnehmer nichts mehr einzuwenden, und die beiden Paare traten Arm in Arm in den Saal, wo soeben der infernalische Galopp unter Musards Direktion gespielt und gerast wurde. Sax Instrumente, ein paar Dutzend tüchtige Trommelschläger, Glocken und Hämmer machten noch nicht Lärmen genug, nein, auch schwere eiserne Ketten, mit denen unaufhörlich gerasselt wurde, mussten das furchtbare Getöse noch vermehren, dabei das bacchanalische Spektakel, den die meist halb betrunkenen, tanzenden und tobenden Masken und Nichtmasken machten. Dies alles ließ Michel die Äußerung tun, dass selbst der großsatanische Hofball im Vergleich mit diesem noch dezent und weniger skandalös sei.

»Nur Geduld, das Beste kommt noch«, höhnte Asmodi.

Weibliche Masken in den unanständigsten Stellungen und Sitzungen lehnten sich zu fast allen Logen heraus oder setzten sich den männlichen Masken, diese umhalsend, auf die Knie. Auf allen Treppen, in den Korridoren und im Foyer begegnete man schon beim Eintritt trunkenen Menschen, die sich lagerten oder mit den ekelhaftesten Beweisen ihres Zustandes die Orte verunreinigten. Wie könnte dies auch anders sein! Die Saaltüren werden erst nach Mitternacht geöffnet, bis dahin treibt sich das Volk in allen Wein- und Branntweinschenken und Kneipen, Männer wie Weiber, herum und kommt nun nach Mitternacht taumelnd in dem Opernhaus an. Schon hatte Michel das tolle Treiben eine Zeit lang mit starrer Verwunderung angesehen, als sich ein älterer Mann in gewöhnlicher Kleidung neben ihn stellte und sagte: »Mais e’est unc infamie, ich wollte, dass der Teufel den Leo Pillet mit seinen abscheulichen Bällen holte.«

»Was haben Sie, mein Herr, was fehlt ihnen?«, fragte Michel.

»Ich habe nichts, und mir fehlen meine Börse und meine Uhr.«

»Sie sind bestohlen worden?«

»Soeben.«

»Hier im Saal?«

»Nicht doch, auf dem Korridor, zwischen dem Haupteingang des Saales und dem Foyer, es war ein furchtbares Gedränge.«

»Aha«, mischte sich der Hinkende in das Gespräch ein, »die Diebe haben wieder einen Fischzug gemacht. Nur eine wenig Geduld, mein Herr, ich werde Ihnen zu dem Ihrigen verhelfen.«

»Sind Sie etwa von der Polizei, mein Herr?«

»So etwas Ähnliches«, sagte Asmodi diabolisch lächelnd.

»Aber was nennst du einen Fischzug machen?«, fragte Michel.

»Du bist noch gewaltig unerfahren in der Pariser Spitzbubenwelt. Wohlan, so höre: Die Diebsbanden, welche sich jedes Mal bei den Opernbällen einfinden, wenden ein eigenes Manöver an, um den Gimpeln die Taschen zu leeren, was sie in zwei Abteilungen ausführen, von denen sie die erste la mise du filet (das Netzwerfen) und die zweite la peche (den Fischzug) in ihrem Jargon nennen. Das Netzwerfen geschieht auf folgende Weise: Zehn bis zwölf dieser Gauner umringen auf ein Zeichen des Direktors der Bande den Ort, an welchem sich die größten Haufen, die dichtesten Gruppen befinden, und drängen, stoßen und drücken nun von allen Seiten so sehr, dass das Gedränge außerordentlich und selbst gefährlich ist, indem man nicht selten schwebend in die Luft gehoben und getragen wird. Ist nun auf diese Art das Netz ausgeworfen, so werden auf ein zweites Zeichen die Taschen der in demselben gefangenen Fische geleert. Dieses Manöver wird meistens von Weibspersonen vollzogen, die zur Diebesbande gehören. Es ist fast unmöglich, so gedrängt zu spüren, dass sich fremde Hände in unsere Taschen verloren haben, denn während dies geschieht, verursachen die Dränger noch wellenartige Bewegungen durch rasche Gewaltstöße. Und man ist nur froh, endlich dem unheimlichen Gedränge entwischen zu können, ohne Zeit zu haben, an seine Börse, Uhr etc. zu denken. Auf ein drittes Zeichen gibt es Luft, die Diebe entfernen sich möglichst schnell nach allen Richtungen, der Fischzug ist vollbracht und die Bestohlenen, welche meistens erst, wenn sie einige Erfrischungen bezahlen wollen, bemerken, dass sie beraubt wurden, haben das Nachsehen. Selbst eingenähte Portefeuilles werden bei solchen Gelegenheiten herausgeschnitten.«

»Sie scheinen eine vollkommene Kenntnis von den Kunstgriffen dieser Diebe zu haben«, bemerkte der Bestohlene.

»Allerdings, mein Herr, denn auch ich wurde schon auf diese Weise bestohlen«, erwiderte der Hinkende, »aber einen kleinen Augenblick Geduld, und Sie sollen einem Fischzug beiwohnen, durch welchen die Diebe selbst gefangen werden. Folgen Sie uns.«

Asmodi, Michel und der Bestohlene begaben sich nun in das Foyer. Sie waren noch keine Viertelstunde in demselben, als ein solches Gedränge, wie es Asmodi beschrieben hatte, veranlasst wurde. Gleich darauf erhob sich aber ein herzbrechendes, durchdringendes Jammer- und Zetergeschrei, das größtenteils von weiblichen Stimmen herrührte, und vermehrte sich mit jedem Augenblick. Jetzt eilte die löbliche Polizei herbei und versuchte Luft zu machen, aber o Wunder, mehr denn ein Dutzend niedlicher Damenhändchen fand sich in den Hosen- und Rocktaschen von allerlei Herren und konnten trotz der gewaltigsten Anstrengungen nicht aus denselben herauskommen. Die Stadtsergenten untersuchten die Sache und fanden, dass eine jede dieser Hände einen Beutel, eine Uhr, ein Portefeuille oder etwas der Art festhielt, dabei aber durch eine Art von eiserner Falle so zusammengekneipt war, dass sie sich weder bewegen noch losmachen konnte und gewaltig Schmerzen litt. So wurden die Schönen nebst einigen Männern en flagrant delit ergriffen. Jetzt lösten sich die Hände mithilfe der Polizei von den Taschen, aber nicht von dem gestohlenen Gut und den Fallen. Zugleich aber wurden auch noch ein Dutzend der Gauner festgenommen, welche die Gruppe umgaben und sich nicht von der Stelle, auf der sie gebannt waren, hatten entfernen können und die Asmodi der löblichen Polizei bezeichnete. Auch in ihren Taschen fand man gestohlene Börsen und Gegenstände mancherlei Art, als Damenschmuck etc. Auch der Beutel des Bestohlenen, der die Veranlassung zu diesem Fang war, fand sich samt seinem Inhalt von einigen fünfzig Franc vor. Die saubere Sippschaft wurde nun zur Polizeipräfektur abgeführt. Michel und Asmodi begaben sich wieder in den Saal zurück, in welchem das Treiben der schamlos-frechen Weiber und der betrunkenen Männer immer ärger wurde, und in Logen und Baignoirs die obszönsten Szenen zu sehen waren, sodass keine honnette Frau länger an diesem Ort verweilen konnte.

»Das ist zu toll«, rief endlich Michel aus, »ein solches Haus der Prostitution existiert in der Welt nicht mehr! Asmodi, gib ihnen und dem sauberen Direktor eine derbe Lektion.«

Plötzlich erlosch das Gaslicht aller Lüster und Kandelaber auf einen Augenblick und wurde sogleich durch ein rotes Flammenlicht ersetzt. Allen Versenkungen der Bühne entstiegen schwarze Fratzen in diabolischen Gestalten und ebenso viele Furien mit roten Schlangenhaaren und schwangen Feuerwolken hervorbringende Fackeln. Die Ersten ergriffen sämtliche Weiber und die Zweiten die Männer. Sie fest in den Armen haltend, rasten sie einen Galopp mit denselben, bis ihnen der Atem ausging und sie dann bewusstlos zu Boden sanken.

Aber diese infernalische Lektion fruchtete dennoch wenig, denn auf dem nächstfolgenden Ball ging es um kein Haar besser her und wurden nicht weniger Taschen leer.

Asmodi hatte sich samt Michel hierauf entfernt. Ersterer, um einige Stunden in der Hölle zu ruhen, der andere, sich in das Hôtel des princes zu begeben.

Show 1 footnote

  1. An den Balltagen der großen Oper umschwärmt alle zu derselben führende Straßen und Passagen eine Bande Gauner, die verfälschte oder alte Eintrittskarten für Herren um einen Spottpreis verkaufen und sich dann aus dem Staub machen. Kommt man nun mit einem so erkauften Billett an den Eingang des Saals, so wird man schnöde und höhnisch zurückgewiesen.