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Atlantis Teil 18

Die Massen, die sich auf Straßen und Plätzen der amerikanischen Städte vor den Lautsprechern und Fernsehgeräten drängten, begannen sich zu zerstreuen. Noch spiegelte sich in Worten und Gebärden die Erregung der letzten Stunden wider.

Der ungeheure Knall der Explosionen, der, tausend Membranen zerbrechend, den Jubel von Millionen hervorrief. Die Schreckensnachricht: Alles auf einmal in die Luft geflogen! Und dann zuletzt: Alles in Ordnung! Die Ozeane vereint. Die ersten Schiffe auf der Fahrt durch den neuen Kanal.

Immer weitere Nachrichten waren in den nächsten Stunden gefolgt. Aber sie vermochten nichts Besonderes mehr zu bringen. Das Straßenbild gewann das alte Aussehen.

Da, um die vierte Stunde! Im Nu stauten sich die Massen. Was war es, was die Lautsprecher schrien?

Vulkanausbruch bei Colon! Colon zerstört! Kanal gesperrt! Ungeheure Todesopfer!

Mit bleichen Gesichtern, stumm hörte die Menge die Nachrichten, die sich überstürzten, immer neue, größere Schrecken meldeten. Die Menschenmasse wuchs von Minute zu Minute. Gesperrt war jeder Verkehr. Neue Nachrichten. Riesenvulkan bei Culebra … Der ganze Kanal ein Feuer speiender Schlund … Panama verschlungen … Der ganze Isthmus in Bewegung geraten … zerstört …« Die Fernsehbilder zeigten Verwüstungen unfassbaren Ausmaßes.

Dann nur noch abgerissene, verstümmelte Nachrichten … dann Schweigen.

Die Menge stand und wich nicht. Allmählich ein Summen, ein Brausen. Die Lippen gewannen die Sprache zurück. Immer wieder der Name der Kanalgesellschaft und ihres Präsidenten. Ein einziger Schrei der Verwünschungen zuletzt.

Und Fragen dann … Der Golfstrom? Europa?

Was?

Wie in den Staaten geschah es auf der ganzen Erde. Hunderte von Millionen hörten es, das Ungeheure, hörten und entsetzten sich.

J. H. … Der magische Mann, die mystische Gestalt … jetzt war sie überall.
 

*

 

In einem stillen Seitental der Sierra Nevada lag der fürstliche Sommersitz Rouses. In einem kühlen Nordzimmer, geschützt vor den glühenden Strahlen der kalifornischen Sonne, lag Juanita auf einem Ruhebett. Das Antlitz noch bleicher als sonst. Die umschatteten Augen halb geschlossen. Die schmalen weißen Hände ruhelos auf der Seidendecke, die ihre Gestalt einhüllte.

Ein leichtes Hüsteln kam ab und zu von ihren Lippen. Die Ärzte hatten sie hierher geschickt, obwohl Rouse widerstrebte. Die Krankheit, von der sie sprachen, war ihm nichts als eine vorübergehende Unpässlichkeit, verursacht durch die anstrengenden Reisen der letzten Wochen. Juanita wusste es besser. In Kapstadt, da geschah es zum ersten Mal, als sie nach jenem Zusammentreffen mit Tredrup allein in ihrem Zimmer war. Ein ungekanntes Schwächegefühl hatte sie taumeln lassen. Ein heftiger Schmerz hatte ihre Brust zusammengekrampft. Stundenlang hatte sie gelegen, bis der Anfall überwunden war.

Am nächsten Morgen war sie abgereist. Die frische Seeluft über dem Atlantik hatte ihr die alte Spannkraft wiedergegeben … scheinbar … es war wiedergekommen … stärker. Bis sie nach der Rückkunft von Montegna in ihrem Heim zusammenbrach. Und nun war sie hier, nur mit Widerstreben von Guy Rouse freigegeben.

Wie lange würde sie hier bleiben können? Wie lange würde er sie hier lassen? Nur zu deutlich hatte er ihr gezeigt, wie schwer er sie entbehrte.

Er? Sein Herz? Nein! Sein Geist, dessen Werkzeug sie war … Willenlos!

Was war es, was sie an ihn fesselte?

Liebe? Hass?

Der Rausch, in den er sie damals versetzte, war nur allzu rasch verflogen. Bald musste sie fühlen, dass er gesättigt war, dass seine Augen nach anderer Schönheit suchten. Ihr Stolz hatte sich aufgebäumt. Fliehen? Wohin? Montegna war ihr verschlossen.

Er erriet ihre Gedanken, wie er es auch verstand, in den verborgensten Falten ihrer Seele zu lesen. Und er wollte sie nicht verlieren. Nur zu gut hatte er erkannt, wie nützlich, wie wertvoll dies an Körper und Geist gleich hervorragende Geschöpf ihm bei seinen Plänen war. Als er sah, dass das glänzende Leben allein sie nicht an seiner Seite halten konnte, änderte er sein Verhalten.

Sein faszinierendes Wesen, dem alles unterlag, was mit ihm in Berührung kam, zwang auch sie. Vergeblich rang sie immer wieder dagegen. Sie blieb bei ihm … blieb, schwankend zwischen Neigung und Hass. Wie oft hatte sie in Stunden, wo sie fern von ihm war, geglaubt, sich von ihm lösen zu können. Immer wieder hatte diese rätselhafte Macht, die von ihm ausging, sie besiegt.

Jahre des Kämpfens waren es, bis sie resignierte, bis sie aufgab, bis sie sein willenloses Werkzeug war. Selten nur noch ein kurzes Rebellieren, wenn ihr Stolz allzu sehr getreten wurde, wenn allzu krass das Unsaubere seiner Pläne in ihr Bewusstsein trat.

Ein Rätsel, die Macht dieses Mannes … ein Rätsel ihr Herz. Die Hände der Liegenden pressten sich an die Stirn, als müsste sie sie finden, die Lösung. Im Fluge zogen die Jahre vor ihren Sinnen vorbei.

Die Schulreiterin … sie stockte … Was war es, was ihn zu dieser Frau zog? War es auch hier nur der Trieb der Sinne? Nein! Hier schien es mehr zu sein. Durch einen Zufall war sie auf die Spur gekommen, war ihr nachgegangen. Sie hatte zurückgeführt bis zum Kanal.

In der gleichen Zeit, in der er in ihr Leben brach, hatte er auch jene umworben. Umworben? Ja! Hier war es Werben, Werben um mehr als das jugendschöne Mädchen. Gefühlsmäßig hatte sie das erfasst. Ein Hieb für ihren Stolz, für ihr Selbstbewusstsein.

Und dann hatte sie dieses Mädchen gesehen … im Zirkus in Kapstadt, und Hass und Neid hatten ihre Hand geführt, hatten sie jene Rosen schleudern lassen, die die andere zu Sturz brachten. Im letzten Augenblick wollte ihre Hand zurück, aber der Wurf war geschehen … und dann war Tredrup gekommen. Zu spät! Hätte sie ihn nur früher gesehen!

Alte, verborgene Wunden rissen damals wieder auf. Die Szene im Park in Kapstadt stand greifbar vor ihren Augen. Hätte er ihn nicht gesehen, den verhängnisvollen Wurf! Die Stunden des reinen Glückes, die sie mit ihm verlebt, waren in Sekundenschnelle an ihr vorübergegangen. Ein reines Gefühl war in ihr aufgewallt, das sie zu ihm hinzog.

Da stellte der Mann die Frage, die sie zur Lüge zwang, zur Lüge, die mehr als alles andere sie für immer von ihm schied.

Ihre Hände sanken schlaff auf die Decke zurück. Unaufhaltsam liefen zwei Tränen über die blassen Wangen.

Zu spät! Immer zu spät!

Erregt schleuderte sie die Decke zurück, sprang auf und eilte aus dem Raum.

Weg mit den Gedanken! Den Erinnerungen! Ablenkung! Was anderes! Da! Der Fernseher! Mechanisch betätigte sie ihn. Eine Weile stand sie … hörte und sah mit halben Sinnen.

Immer wieder der Kanal?

Da! Ihre Augen weiteten sich. Was vernahm sie? Der ganze Isthmus erschüttert … in fürchterlichen Erdbeben, die alles vernichteten … die Zahl der Todesopfer ungeheuer … Der Golfstrom … Europa …

Sie schaltete den Apparat ab.

Sein Werk! Mein Werk!

Wie eine Irre stürzte sie aus dem Haus in den Park. Wie eine Irre jagte sie durch seine verschlungenen Wege … weiter … immer weiter dem Ausgang zu.

Das große eiserne Tor war verschlossen. Ihre Hände umkrampften es, rissen an ihm.

»Mörderin! Mörderin!«, gellte es aus ihrem Mund.

Sie sah es nicht, wie ein Kraftwagen vor dem Tor haltmachte, Guy Rouse ihm entstieg, auf das Tor zuschritt und es aufschloss.

»Juanita!« Der Name, von seinem Mund gerufen, brachte sie zum Bewusstsein. Mit wirren Augen sah sie um sich, fühlte, wie er sie umfasst hielt, zum Wagen führte, bis in das Haus brachte, zu dem Ruhebett geleitete.

Und da saß er neben ihr und hielt ihre Hand und streichelte ihr Gesicht und sprach zu ihr. Den Kopf dicht an ihrem Gesicht.

Und wie wenn ein Zauberer neben ihr säße, wandelte sich alles in ihrer Seele … bis die Schreckensbilder verflogen, bis sie wieder das Wachs wurde, das er in seinen Händen knetete. Bis ihr die Sprache wiederkam. Und dann sprach er immer wieder zu ihr. Ihre Sinne wurden schärfer von Satz zu Satz.

Er brauchte sie wieder … sein Werkzeug.

»Ich fahre fort von hier, Juanita. Nur ein paar Stunden noch kann ich bleiben. Fort aus den Staaten! Längst hätte ich sie hinter mir, wenn ich nicht dich noch hätte sprechen müssen.«

Eine kurze Freude war ihr der Gedanke, mit ihm wegzugehen, zu fliehen.

»Du musst bleiben, Juanita! Für mich wirken … arbeiten … nicht hier in den Bergen, du musst nach Washington. Spätestens morgen.«

Mit abwehrenden Händen hatte sie sich weggewandt.

»Nein! Nein! Nimm mich mit. Ich kann nicht mehr …«

»Doch, Juanita! Du wirst bleiben, du wirst stark sein. Du musst tun, was geschehen muss.«

Und dann brachte er den Mund ganz nahe an ihr Ohr und sprach zu ihr …

Von James Smith, den man verhaftet hatte, sprach er, von der kommenden Gerichtsverhandlung, von den Aussagen des verhafteten Chefingenieurs vor den Richtern, sprach von seiner Angst, dass dieser unter dem Druck des Geschehenen schwach werden könne … sagte, wie sie zu Smith eilen müsse, mit ihm reden, ihn festhalten in dem Rausch, dass er standhaft blieb … ein Zufall war es gewesen, der alle Minen gleichzeitig zur Explosion brachte …

Und sie sank unter seinen Worten zusammen … ihr Leib wand sich wie unter martervollen Misshandlungen. Ihre Seele schrie unablässig nein! Nein … zuviel! Zuviel!

Die gerungenen Hände streckten sich ihm entgegen in tiefster Qual. Er griff sie, und die zusammengekrampften Finger lösten sich. Er küsste sie, streichelte sie. Die Augen, die blicken konnten wie die keines anderen Menschen, senkten sich in ihre. Wie eine schwere Decke legte es sich über ihre Stirn.

Er beugte sich über sie. Seine Lippen berührten die ihren. Ein Zucken ging über ihre Gestalt, als wolle sie ihn zurückstoßen. Dann flüsterte sie: »Ja! Ich werde gehen!«

Mit geschlossenen Augen lag sie. Er war hinausgegangen. Sie hörte die Tür hinter ihm ins Schloss fallen. Langsam richtete sie sich empor. Ihre Hand griff zur Brust. Da war es wieder … Der Schmerz … der brennende Schmerz. Ein kurzes Husten erschütterte ihren Leib. Sie führte das Tuch zum Mund, ihn aufzuhalten, den Lebensstrom, der da sich lösen wollte. Mit aller Willenskraft kämpfte sie, sich aufrecht zu halten, und es gelang. Der Anfall verging.

Langsam schritt sie zum Spiegel! Wie eine Fremde starrte sie das Bild an, das der ihr entgegenwarf. Und dann fiel ihr Blick auf das Taschentuch, das der Spiegel zeigte.

Die roten Flecken darin, sie waren wieder da.