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Die Gespenster – Zweiter Teil – Dritte Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Dritte Erzählung

Der Geist eines Verewigten erscheint, der Verabredung gemäß, seinem noch lebenden Freund

Ich hatte – erzählt Herr Geheimrat Ringleben, ein wahrheitsliebender Greis – während meiner Universitätsjahre, mit einem jungen Westfale, Namens Helsen, die aller vertraulichste Freundschaft geschlossen. Wir hingen so sehr aneinander, dass wir keinen Tag leben konnten, ohne uns zu sehen, und das Einzige, was die Freude unseres Umgangs uns oft verkümmerte, war der Gedanke der Trennung. Unser Vaterland war zu weit voneinander getrennt, als dass wir hoffen durften, uns je wiederzusehen. Die Zeit, da wir beide die Universität verlassen sollten, rückte indessen heran. Um uns noch so viel möglich zu genießen, pflegten wir oft bis nach Mitternacht beisammen zu sein und von Vergangenheit und Zukunft zu plaudern.

Eines Abends, als wir auch mit vieler Wehmut von unserer nahen Trennung sprachen, lenkte sich die Unterhaltung unvermerkt auf das Kapitel von unserer Unsterblichkeit und vom Wiedersehen jenseits der Gräber. Wir fanden in dem Glauben daran einen süßen Trost.

»O Helsen! Wir werden uns dort wieder suchen und wiederfinden«, rief ich und drückte ihn mit jugendlichem Ungestüm an meine Brust. »Ja wäre es möglich, aus jener Welt in diese noch einmal zurückzukehren, ich würde dich aufsuchen, wo du auch wärest, und mich deines Anblicks erfreuen.«

»Wenn es möglich wäre«, erwiderte Helsen und schwieg einige Minuten nachdenkend. »Wenn es möglich wäre«, fing er darauf an, so würde ich dir wohl zuerst erscheinen können, denn mein schwächlicher Körper verspricht mir kein langes Leben. Und gesetzt, es wäre möglich«, fuhr er lebhafter fort, »gesetzt, dass zwischen dem Jenseits und Diesseits keine so ungeheure Kluft befestigt wäre, wie man sich oft vorstellt, welch ein süßes, eines Unsterblichen würdiges Vergnügen müsste es sein, wenn der entfesselte Geist die ersten Augenblicke seines neuen Daseins dazu anwendete, einen lange von ihm getrennten Busenfreund auf den Fittichen der Liebe aufzusuchen, im Säuseln der Abendluft ihn zu umschweben und ihm zuerst eine bestimmte Nachricht von dem besseren Leben zu bringen. O Ringleben! Diese Hoffnung entzückt mich und erleichtert mir den Gedanken der Trennung. Hier meine Hand! Lass uns einen Bund schließen, in dieser feierlichen Stunde der Mitternacht! Ist es möglich, so erscheine der Geist dessen, der einst zuerst von uns beiden stirbt, dem zurückgebliebenen Freund. Bei den heiligen Banden unserer Freundschaft lass es uns schwören! Schlage ein!«

Ich war eben in derjenigen Stimmung, in welcher man sein muss, um ein Versprechen dieser Art einzugehen. Ich schlug ein. Einige Zeit darauf trennten wir uns unter vielen Tränen, und unsere letzten Worte waren: Wir sehen uns wieder.

Ich kann nicht leugnen, dass ich in jenen Jahren ein wenig leichtsinnig dachte. Neue Situationen und neue Freundschaften löschten zwar nicht das Bild dieses Freundes in meiner Seele aus, aber sie verdunkelten es doch. Das Gelübde, welches wir an jenem Abend abgelegt hatten, fing ich bald an für eine jugendliche Torheit zu halten, wozu ich mich in einer Anwandlung von Schwärmerei durch meinen poetischen Freund hatte hinreißen lassen. Ich lachte jetzt darüber und erzählte den Vorfall als eine kindische Posse oft meinen Bekannten. Eine Reihe von etlichen Jahren war endlich zureichend gewesen, mir die ganze Sache ins Vergessen zu bringen, bis ich durch einen besonderen Zufall wieder lebhaft daran erinnert wurde.

Es war gerade ein Jahr her, seit ich meine mir unvergessliche Gattin durch den Tod verloren hatte. Der Schmerz über ihren Verlust erwachte an diesem Tag mit erneuter Stärke in mir, und ich fand, gegen meine sonstige Gewohnheit, ein Vergnügen daran, meiner Schwermut nachzuhängen. Ich besuchte ihren Grabhügel und fasste da zuerst den Gedanken, ihr ein marmornes Denkmal mit ihrem Brustbild in halb erhabener Arbeit setzen zu lassen. Ich bedurfte hierzu eines Gemäldes von meiner Frau, das ich dem Bildhauer vorlegen konnte. Ich erinnerte mich an ein Miniaturgemälde, welches ich einst von ihr anfertigen ließ, und in meinem Schreibtisch verwahrt hatte. Beim Suchen danach fiel mir ein anderes Bildnis in die Hände, welches meinen alten Freund Helsen darstellte. Zugleich fand ich noch einige Briefe und Gedichte von ihm, die ich wieder durchlas und die mich ganz in jene Jahre meiner Jugend zurück versetzten. Es war natürlich, dass ich mich an einem Tag, wo ich nun einmal für das Traurige gestimmt war, mit diesen Gegenständen bis in die Nacht beschäftigte. Noch nie hatte die Szene jenes nächtlichen Bündnisses zwischen Helsen und mir so lebhaft wieder vor meinen Augen gestanden, wie in diesem Augenblick. Ich ging zu Bett, aber es war mir nicht möglich zu schlafen.

Lebt dein Helsen noch? Wenn er nun gestorben wäre und sein Versprechen erfüllte, vielleicht heute erfüllte?

Diese und ähnliche Gedanken beschäftigten mich so sehr, dass ich ihrer durchaus nicht loswerden konnte.

Mein Schlafgemach war neben meinem Studierzimmer. Die Vorhänge dieses Kabinetts waren heruntergelassen, aber ich konnte zwischen denselben hindurch einen Teil des Zimmers übersehen, jedoch mit Ausnahme der Tür, denn diese verdeckte mir der Vorhang. Die Uhr schlug eben zwölf, als ich mich mit dem Gesicht nach der Wand zukehrte, um den schon oft gemachten Versuch zu wiederholen, ob ich auf dieser Seite den Schlaf finden könnte, der ganz von meinem Lager gewichen zu sein schien. Allein in demselben Augenblick wurde ich einen blassen Schimmer gewahr, der sich an der Wand verbreitete, und mich um so mehr befremdete, da das Gemach keine Fenster hat, und der Mond nicht hineinscheinen kann. Ich wandte mich schnell nach der Seite des Zimmers hin, um zu sehen, ob jemand darinnen sei. Ich wurde niemanden gewahr, aber ein düsterer Schein erfüllte dasselbe, und zwischen den Vorhängen hindurch wurde zugleich sparsam mein Schlafgemach erhellt. Ich rief meinen Bedienten, denn ich glaubte, dass er es sei, der irgendetwas in meiner Stube vergessen habe. Keine Antwort! Kein Fußtritt! Kein Auf- oder Zumachen der Tür!

Ich hob mich im Bett auf und blickte mit unverwandten Augen durch die Öffnung des Vorhangs in das Zimmer – aber Gott, wie ward mir, als ich in einer Entfernung, die mir größer schien als die ganze Länge meines Zimmers, eine Gestalt gewahr wurde, die ich ohne Mühe für meinen Freund Helsen erkannte. Ich konnte mich unmöglich in der Ähnlichkeit täuschen, denn sein Bild war durch den Anblick des Gemäldes bis auf die kleinsten Züge in meiner Seele weder aufgefrischt worden. Die Gestalt stand eine Zeit lang unbeweglich, das Gesicht gegen mein Kabinett gewendet. Sie war in ein weißes langes Gewand gehüllt, und ich weiß nicht, von welchem magischen Etwas umgeben. Ich kann nicht leugnen, dass mich ein kleiner Schauer überfiel. Ich rief noch einmal nach meinem Bedienten, aber die Gestalt winkte und schien mir anzudeuten, dass ich schweigen sollte. Alle meine Sinne waren angespannt. Jetzt öffnete sie den Mund und nannte mit leiser Stimme meinen Namen. Gott, es war die Stimme meines Freundes; so deutlich, so natürlich, wie ich mich tausendmal in seinen Armen von ihm hatte nennen hören. Ich fuhr zusammen. Ich glaube, ich zitterte.

»Ringleben!«, rief es noch einmal und etwas lauter.

Ich fasste mich wieder. »Bist du es? Ist’s möglich?« Weiter vermochte ich nicht zu reden.

Die Erscheinung trat einige Schritte näher. »Wir werden uns wiedersehen! Erinnerst du dich noch?« Mit diesen Worten trat sie an mein Gemach, die Vorhänge schlugen sich selbst zurück. Ein heller Glanz erleuchtete das ganze Kabinett.

»Ringleben! Kennst du mich?«

»Ich kenne dich, mein Helsen.«

»Gott! Gott! Seh ich dich noch einmal!« Mit diesen Worten stürzte er auf mich zu, schlang beide Arme um mich und drückte mich an seine Brust.

Ja! Ja! Er war’s, er war’s; aber nicht sein Geist, sondern er selbst in eigener Gestalt und bei gesünderem Leibe, als er in jüngeren Jahren gewesen war.

Ich erholte mich bald von meinem Schrecken, denn an der Heftigkeit seiner Umarmung, die mir einen Schrei auspresste, merkte ich endlich wohl, dass es kein Geist war, sondern ein Mensch mit Fleisch und Beinen. Doch würde mein Erstaunen über seine plötzliche Erscheinung bei Weitem nicht so groß gewesen sein, wenn er sich mir als Geist gezeigt hätte, als sie jetzt war, da ich ihn lebend vor mir erblickte. Aber seine Erzählung machte mir alles gar bald begreiflich.

Es war nämlich gerade um die Zeit, als unsere ganze Armee in den Krieg ging. Helsen bekleidete den Posten eines Regimentsquartiermeisters. Er kam mit seinem Regiment in diese Gegend, erkundigte sich nach mir, und da er hörte, dass ich noch lebe, so brannte er vor Begierde, mich zu sehen. Seine Geschäfte erlaubten ihm nicht, sich lange vom Regiment zu entfernen. Er nahm Extrapost und kam um Mitternacht hier an, und da er nur bis zum anderen Morgen bleiben konnte, so ließ er sich sogleich zu meiner Wohnung bringen. Mein Bedienter, der dicht an der Tür schlief, ließ ihn ins Haus und hörte, dass er ein alter und vertrauter Bekannter von mir sei. Helsen, um die Überraschung vollkommen zu machen, bat den Bedienten, ihn unangemeldet in mein Zimmer zu führen, und versprach, es bei seinem Herrn zu verantworten. Beide schlichen sachte in das an meinem Schlafgemach gelegene Zimmer und hatten wahrscheinlich die Tür in dem Augenblick leise geöffnet, da ich mich nach der Wand zu kehrte. Mein Bedienter trug eine kleine Blendlaterne, die das Zimmer nur düster erleuchtete und durch die Öffnung meiner Vorhänge nur einige Strahlen in mein Kabinett fallen ließ. Was aber der Gestalt meines Freundes ein so ungewöhnliches und magisches Ansehen gegeben und verursacht hatte, dass ich ihn anfangs in einer unbegreiflichen Entfernung erblickte, war auch ein sehr natürlicher Umstand. Ich sah nämlich nicht ihn selbst, sondern nur sein Bild im Spiegel. Ich hatte in dem Augenblick nicht daran gedacht, und es war mir vorher nie aufgefallen, dass ich durch die Öffnung meiner Vorhänge aus meinem Bett auf einen Trümeau sehen kann, der mir das Bild von einem Teil meiner Stube zuwirft. In diesem erblickte ich zuerst den vermeinten Geist. Das weiße Gewand, worin er mir erschien, war nichts mehr als ein weißer Mantel, der zur Uniform seines Regiments gehörte. Der Wink, den er mir zu geben geschienen, galt eigentlich meinem Bedienten, dem er andeuten wollte, dass er mir auf meine Frage nicht antworten möchte. Dieser hatte auch von hinten die Vorhänge zurückgeschlagen, als mein Freund in das Schlafgemach treten wollte, und kurz, es ging alles so natürlich zu, dass, wenn mein Blut gerade ein wenig kühler gewesen wäre, ich gar bald hinter die Wahrheit würde gekommen sein.