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Die Gespenster – Zweiter Teil – Erste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Erste Erzählung

Das spukende Pferd, welches zu Haus Himmelreich bei Pr. Minden einigen wachhabenden Pr. Karabiniers erschien

In der Regel pflegen zwar die Gespenster bei ihrem Sichtbarwerden, bald mehr bald weniger vollkommen die Gestalt der Menschen nachzuäffen, doch soll es auch Ausnahmen von dieser Regel und Fälle geben, wo sie es selbst nicht unter ihrer Würde hielten, als Tiere zu erscheinen. Ein redender Beweis von dem Letzteren ist das spukende weiße Pferd, welches im Sommer 1797 der Schildwache vor dem Kantonierungsquartier des Herrn Majors Baron von Lentulus in zwei verschiedenen Nächten erschien. Diese Geschichte ist um so merkwürdiger, ja weniger ein etwaiger Gaukler hoffen konnte, dass er mit braven preußischen Schnurrtbärten, die in ihrer Berufspflicht unter dem Gewehr standen, seinen Scherz ungeahndet würde treiben dürfen. Doch zur Sache! Vorläufig nur zwei Worte noch vom Spukschauplatz. Zugleich empfehle ich einen aufmerksamen Hinblick auf das Titelkupfer.

Das Königl. Preuß. Amtshaus Himmelreich bei Pr. Minden war in den fehdesüchtigen Ritterzeiten der vorigen Jahrhunderte eine feste Burg. Noch jetzt würde es bei dem hohen Wall, der es umgibt, und mittelst eines breiten, nassen Graben, gegen den Anlauf feindlicher Streifparteien eine Zeit lang sich halten können. Von dem niedergerissenen Teil des älteren Burgschlosses sowie von den abgebrochenen Befestigungstürmen stehen, etwa zwanzig Fuß hoch, nur die steinernen Außenwände noch, an welchen die Bildhauerkunst in den allenthalben angebrachten Vorstellungen aus der Geschichte in halb erhabener Steinarbeit die unverkennbarsten Spuren ehemaliger Baupracht bis auf uns gebracht hat. Auswärts schmiegt an diese Wand der Burgwall sich an. Dieser sowie das jetzige Schloss und die Wirtschaftsgebäude umschließen gänzlich den Hofraum, auf welchem neuerlich ein schwarzer Nachtgeist unter der Maske eines weißen Pferdes sein Wesen trieb. Die von der alten Befestigung noch vorhandenen finsteren Gewölbe und Gemächer, desgleichen die unterirdischen Kreuz- und Quergänge (deren einige man, weil sie weit in das Gebiet der Unterwelt hinein, in die Irre hinführen, vermauert hat) sind ganz geeignet, von Nachtgeistern aller Art zum Gaukelplatz gewählt zu werden.

Kein Wunder daher, dass dies irdische Himmelreich schon längst in dem Ruf stand, dass es unterirdisch darin umgehe.

Auch den Leibkarabiniers, welche hier Schildwache standen, war dieser Ruf zu Ohren gekommen. Als entschlossene Soldaten, die über den Wahnglauben an spukhafte Erscheinungen hinweg zu sein vermeinten, belächelten sie dieses Geschwätz oder ließen wenigstens die Wahrheit desselben unbekümmert dahin gestellt sein. Allein dieses Mal wurde ihnen der Glaube gleichsam in die Hand gegeben.

Es war eine der schönsten Sommernächte des Jahres 1797, in welcher ein Karabinier in der Mitternachtsstunde vor dem Eingang eines steinernen Turms, dessen Wendeltreppe zum Quartier seines Schwadronchefs hinaufführte, unter dem Gewehr stand. Dieser Turm stand innerhalb des von Gebäuden und hoch bemauerten Burgwällen umgebenen Hofraums. Alles, was hier ins Himmelreich eingehen wollte, musste durch einen finsteren gewölbten Gang und neben dem Turm vorbei. Unbemerkt von der Schildwache konnte daher schlechterdings nichts auf den Hof oder ins Haus kommen; um so weniger, da dieser einzige Hofaufgang nächtlich gesperrt wurde.

Desto schrecklicher musste es daher anzuschauen gewesen sein, wie einst mitten in der Gespensterstunde der Schildwache auf dem verschlossenen Hof urplötzlich ein weißes Pferd erschien. Es gaffte sie mit funkelnden Augen und unverrückten Blickes verwegen an. Kein Ei gleicht unverkennbarer dem anderen, wie das Schreckbild im Ganzen einem Schimmel glich. Aber schaudervoller noch waren dessen kleine Abweichungen von einem gewöhnlichen Pferd anzusehen. Denn am Kopf und an den Hinterfüßen schien der Fürst der Hölle selbst in die Larve sich gehüllt zu haben.

Hu! Es war nichts anderes, als ob hinter den schön gespitzten Pferdeohren ein Paar Bockshörner hervorguckten. An dem Hinterteil des Untiers aber saßen gar – man denke – Menschenfüße!

Anfangs wandelte der Schildwache ein Lüstchen an, den Nachtgeist einzufangen und für gute Prise zu erklären, allein sobald sie zu bemerken glaubte, dass es oben und unten an dem Pferd nicht ganz richtig sei, tat sie Verzicht auf die Beute und dachte in ihrem Sinne Tust du mir nichts, so tu auch ich dir nichts.

Vielleicht von ähnlichen Grundsätzen beseelt, genügte sich das Sonderbarste aller Gespenster damit, den Karadinier zu begaffen. Es schien, wie der Erfolg lehrte, seiner Erlösung, des Glockenschlages eins, zu harren. Denn kaum war dieser vernommen, und noch tönte von dem mitternächtlichen Schlag der Nachhall – weg war der Schimmel!

Man sollte glauben, der Karabinier werde mit dem endlichen Verschwinden ungemein zufrieden gewesen sein. In der Tat war er es auch. Und doch überfiel ihn eigentlich erst jetzt recht ein unwillkürliches Schaudern. Je mehr er der Natur des heimgegangenen Nachtgeistes nachdachte, um so borstiger sträubte sein Kopfhaar sich himmelwärts. Mit Schmerzen harrte er nun auch seinerseits des ablösenden Kriegsgefährten. Dieser kam endlich, und froher wie dieses Mal war der Geängstigte noch nie von seinem Posten gegangen.

Am nächsten Morgen brachte der Herr Major das bestandene Abenteuer der Nacht in Erfahrung. Er belächelte es, wollte es aber weiter keiner Aufmerksamkeit würdigen. Da indessen das Schimmelgeschwätz in kurzer Zeit gleich einem fortgewälzten Schneeball anwuchs und dem Gespensterglauben neue Nahrung geben zu wollen schien, so glaubte der Menschenfreund dies hintertreiben zu müssen. Er ließ die Wache kommen, die den verschiedenfüßigen Geist gesehen haben wollte, vernahm deren Aussage und äußerte seine Unzufriedenheit mit dem verratenen gänzlichen Mangel an Untersuchungsgeist.

»Das Natürlichste«, bemerkte er sehr richtig, »was du hättest tun sollen, wäre doch gewesen, zu untersuchen, ob du einen wirklichen Schimmel gesehen hast oder ob er, gleich manchem anderen Kind der Einbildungskraft, vielleicht nur in deinem Gehirn da war!«

Übrigens gab er Befehl, dass der Erste, der den spukenden Schimmel wieder sehen würde, ihn durchseinen leicht abzurufenden Kammerdiener wecken lassen solle, weil er durch eigenes Anschauen vom Grund oder Ungrund der Sache sich überzeugen wolle.

Es waren noch nicht acht Tage vergangen, so trat dieser Fall gegen Mitternacht wirklich ein. Der Schimmel stand wieder da, wie hingezaubert. Das Glück oder Unglück, dem teuflischen Geist das Garaus machen zu sollen, war dem Karabinier Genz vorbehalten. Er machte Lärm, und die Erweckten strömten aus allen Gemächern des Amtshauses herbei oder steckten wenigstens neugierig die Köpfe zu den Treppenfenstern des Turmes hinaus. Der Königl. Amtmann zu Himmelreich, Herr Otte, war keiner von den Letzten. Auch ihn plagte die Sehnsucht nach dem Anblick des Wundertieres. Er machte wie alle Übrigen große Augen, als er wirklich erblickte, was keiner von den Ungläubigen erwartet zu haben schien. Der Schimmel stand leibhaftig da, und keiner von den Gegenwärtigen vermochte im Geringsten daran zu zweifeln. Ihnen blieb nichts übrig, als auszumitteln, woher dieser Schimmel gekommen sein und wohin er mit dem Glockenschlag eins wieder fahren möge. In der Tat eine schwere Aufgabe! Indessen begann nun folgende Gespensterphilosophie:

A: »Ein wirkliches Pferd muss es sein, denn sonst würden nicht wir alle es sehen und für einen leibhaften Schimmel erkennen.«

B: »Ein Schimmel aus dem Pferdestall des Amtshauses ist es nicht, denn weder der Herr Major noch Herr Otte haben unter ihrer Equipage ein Pferd von dieser Farbe.«

C: »Der wunderschöne Brillant des Herrn Majors, mit dem es Ähnlichkeit hat, kann es auch nicht sein, denn der ist ja tot.«

D: »Ja eben darum!«, meinte ein Vierter, »der mag es eben sein, der spukt!«

E: »Schweig, alter Narr! Eine Gaukelei des Mondes, der da vor uns durch die Bäume blickt, kann es auch nicht sein, denn der Schimmel steht ja innerhalb des von der Hofwand geworfenen Schattens.«

F: »Der Schein von dem Licht der Kammer hier linker Hand ist es ebenso wenig, denn der würde nach Maßgabe der viereckigen Gestalt des Fensters vielmehr ein Viereck und keinen Schimmel bilden.«

G: »Aber, mon dieu! Wo sind denn die Menschenfüße da hinten? Die sehe ich so wenig wie vorn die Bockshörner!«

H: »Ich habe die Augen auch schon vergebens danach aufgerissen.«

I: »Aber meine Herren! Sehen Sie denn nicht die Haken neben den Ohren? Nicht das lange Ding vorn an den Hinterfüßen? Ist das wohl ein ungehörnter Kopf, ein ordentlicher Pferdefuß? Nimmermehr!«

Die Denkenden unter den Anwesenden, welche die Brille des Vorurteils nicht auf der Nase hatten, entdeckten weder die Haken noch das lange Ding und schritten kalten Blutes zur Untersuchung. Je näher sie dem spukhaften Unbild traten, um so höher wurde die Erwartung aller gespannt. Aber der spaßhafte Schimmel fing an, immer unkenntlicher zu werden. In dem nämlichen Augenblick, wie man entschlossen die Hand nach ihm ausstreckte, um ihn zu berühren, blieb ihnen nichts als sein Schattenbild zurück. Sie griffen durch dasselbe hin, an die kahle Wand, welche, veranlasst durch den eigentümlichen Stand eines Nachtlichts in der gegenübergelegenen Kammer, die Pferdegestalt auffing, indem zufällig (oder vielleicht auch absichtlich) eine der sehr angelaufenen Glasruten das vollkommene Bild eines Pferdes darstellte. Nur dann, wenn das sich zu Bett leuchtende Hausgesinde von ungefähr das Licht genau in eine gewisse Gegend des Kammerfensters setzte, bildete sich an der das spukhafte Schattenspiel. Aber auch selbst dann wurde der Schimmel an jener Wand nur sichtbar, wenn das Licht weder zu lang noch zu kurz war, sondern in einer bestimmten Höhe brannte. Vielleicht hatte man das Licht fünfzigmal in jenes Fenster gesetzt, ohne dass der Schimmel ein einziges Mal erschienen war, denn alles hing von dem doppelten Zufall ab, erstens, ob man gerade ein Licht von der erforderlichen Höhe hatte, und zweitens, ob dasselbe gerade in die einzige Fenstergegend hingesetzt wurde, wo die angelaufene Glasscheibe einem Schimmel, dem die Einbildungskraft Hörner und Menschenfüße lieh, das Dasein geben konnte.