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Die Gespenster – Erster Teil – Zweiundvierzigste Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil

Zweiundvierzigste Erzählung

Vom Vorhersagungsvermögen durch vorgespiegelten Umgang mit Wesen höherer Natur

Der verstorbene Doktor und Professor zu Halle, Adam Nietzky, hatte die Eitelkeit, nicht allein als ein guter Arzt und Naturkundiger, sondern auch als ein großer Chiromant angesehen werden zu wollen. Er nutzte daher nicht nur jede Gelegenheit, wo er seine Wahrsagerkunst zeigen konnte, sondern breitete auch selbst den Ruf davon geflissentlich unter seinen Bekannten aus. Jede eingetroffene Vorbedeutung, jede durch den Zufall begünstigte Prophezeiung, die Verwunderung seiner Freunde und sein eigenes rätselhaftes und geheimnisvolles Betragen verursachte, dass immer einer dem anderen vertraulich ins Ohr flüsterte, Nietzky habe unfehlbar die Schlüssel der Zukunft in seiner Gewalt. Was diesen Wirkungsmitteln dann noch gebrach, das ersetzte so mancher andächtelndeZug, so manches mystische Kunstwort, so manches Gemurmel über die Gnade Gottes, über die sympathetischen Kräfte der Natur, über das Vorhersagungsvermögen der menschlichen Seele, und so mancher viel bedeutende Blick des Herrn Professors, welchen er allemal weislich zurückzog, wenn derselbe auf die Umstehenden zu merklich wirkte.

Durch alle diese Kunstgriffe, vornehmlich aber durch das Ansehen, worin er als ausübender Arzt stand. Durch den allgemeinen Ruhm seiner Frömmigkeit und Rechtschaffenheit erwarb er sich nicht nur das Vertrauen vieler ehrwürdiger Matronen, sondern er wurde auch so sehr das Orakel seiner Zuhörer, wie es nur irgendein akademischer Lehrer werden kann. Er beendete daher selten eine Vorlesung, nach welcher sich nicht seine ordentlichen Zuhörer in kleinen Gruppen vor seinem Haus sammelten und über seine angehörten dunklen und sinnlosen Orakelsprüche noch dunklere und sinnlosere Kommentare machten.

Indessen war der Eindruck, welchen die Äußerungen seiner prophetischen Wissenschaft auf seine Schüler machten, nicht bei allen von gleicher Stärke. Einige lachten und spotteten über den eitlen Geck. Mehrere, als junge aufkeimende Orthodoxen, verdammten ihn als einen Nekromanten und Zauberer zum Feuer. Die meisten aber waren geneigt und entschlossen, dem übernatürlichen Licht ihres Lehrers in treuer Folgsamkeit und mit abgemessenen Schritten wie die Leichenbegleiter dem Leichenzug still und nachdenkend nachzuschreiten.

Unter den Ersten befand sich ein aus dem Hannoverschen gebürtiger Student namens T…, der sich zufällig in den Kreis der schwärmenden Partei einmischte. Anfangs spottete er seiner schwachen Gegner oder bemitleidete sie über die Verirrung ihres Verstandes. Allein so wenig er ihre unsinnigen Behauptungen zu begreifen oder einzuräumen vermochte. So wirkte doch allmählich auch auf ihn das Gift der Schwärmerei. Oft begleitete ihn nun ein ernstes Nachdenken nach Hause. Er fand die Schwärmerei seiner Bekannten ungemein widersinnig und belachenswürdig, aber in der Sache selbst schien ihm doch etwas Wahres zu liegen. Endlich gelang es ihm sogar, sich aus vielen Lächerlichkeiten ein ernsthaftes Ganzes zusammenzusetzen.

Es gibt auch bei guten Köpfen eine Neugierde, welche die Neigung zum Spott erzeugt, die Liebe zum Wunderbaren unterhält und endlich das Interesse der Wahrheit selbst zu werden anfängt. Von dieser Neugierde angetrieben, und in der Absicht, entweder das Wahre der Chiromantie zu entdecken und zu ergründen oder die Unzuverlässigkeit und das Lächerliche derselben ins Bloße zu stellen, entschloss sich der junge T… sein eigenes Schicksal durch Nietzky sich verkünden zu lassen. Ein Vorwitz, der ihm das Leben kostete. Einst begleitete er denselben aus dem Hörsaal in seine Studierstube und eröffnete ihm sein Verlangen. Nietzky war gewohnt, von den Umständen und Verhältnissen eines jeden seiner Zuhörer genaue Erkundigung einzuziehen, welche ihm dann sein treues Gedächtnis und das Interesse seiner Kunst ohne Vermischung der Ideen immer in frischem Andenken erhielt. Auf der anderen Seite hatte unser wissbegierige Student zwar mehrere Professoren und auch den Nietzky vielmals vom Katheder herab sprechen hören, aber mit keinem derselben, am wenigsten mit dem Wundermann, jemals ein geheimes Tête-à-Tête gehabt. Das Ungewöhnliche dieses Vorfalls, die erblickte ernste Professormiene, und noch mehr das Gefühl, seinem Zoroaster und der Erreichung seines Zwecks so ungemein nahe zu sein, setzte ihn in eine Art von halb trauriger, halb angenehmer Bestürzung, von welcher er stich nicht sogleich zu erholen vermochte.

Nietzky hatte bereits manche dunkle, jedoch richtig beantwortete Frage an ihn getan, und dem jungen Herrn schon manchen Familienumstand entlockt, bevor sich die Röte im Gesicht des Verwirrten verziehen und ihm erlauben wollte, sich wieder zu sammeln.

Endlich ergriff Nietzky die Hand des Jünglings. Auf den ersten Blick in dieselbe sagte er: »Er, junger Mensch – denn bekanntermaßen war der Herr Doktor etwas grob – wird in einem Jahr von seinem Vater aus Halle zurückgerufen werden. Sechs Wochen darauf wird seine Tante mit dem Tod abgehen. Er wird die Anwartschaft eines Amts haben, aber ein unvermuteter Zufall wird die Hoffnung vereiteln. Nun mache Er sich gefasst, das Schlimmste zu hören: Sechs Monate nachher stirbt Er selbst.«

Hier schwieg der Wahrsager. Ein bestellter Bedienter rief ihn ab, und der ganz verstummt dastehende Student wurde für dieses Mal entlassen. Man kann sich leicht vorstellen, dass unser Held durch das Gehörte in eine nicht geringe Bestürzung werde geraten sein. Anfangs dachte er Stunden und Tage darüber nach und durchwachte selbst manche Nacht in diesem Nachdenken. Allein er war überhaupt von etwas leichtsinniger Gemütsart. Die Vorlesungen des Professors Nietzky waren beendet. Er selbst hatte das Ziel seiner Wünsche erreicht. Sein Verlangen war gestillt. Allmählich hatten anderweitige Zerstreuungen und ernsthaftere Beschäftigungen den Eindruck des Orakelspruchs geschwächt oder ganz wieder verwischt. Es währt nicht gar lange, so glaubte er von seiner begangenen Torheit und von dem Ungrund der Chiromantie überzeugt zu sein. Er machte daher in jedem Kreis seiner Bekannten und bei jedem Studentengelage die aus Nietzkys Mund ihm zugedonnerte Prophezeiung bekannt und glaubte, seinen Fehler dadurch wiedergutzumachen, dass er seinem spottenden Witz hier einen Spielraum anwies. Kurz, er sah die Sache mit völliger Gleichgültigkeit an und erinnerte sich derselben bloß noch zuweilen, um über sie und Nietzky mitleidig zu lächeln.

Seine akademische Laufbahn ging nun mit dem dritten Jahr zu Ende. Seine Wechsel blieben aus, und auf seines Vaters Befehl musste er Halle verlassen. Seine ziemlich alte Tante hatte bereits über sechszehn Jahre an der Schwindsucht gekränkelt. Sie näherte sich bei merklich zunehmender Schwäche ihrem Grab, und kaum konnte die Freude über den zurückgekommenen geliebten Neffen ihr Leben noch einige Tage verlängern. Sie starb einige Wochen nach seiner Rückkehr in die Heimat.

Wenn sich auch der junge T… aller, aus diesen Vorfällen natürlicher Weise bei ihm entstehenden Gedanken und Schlüsse zu entschlagen bestrebte, so verstärkte sich doch seine Besorgnis unvermerkt.

Nietzkys Prophezeiung fing an, sich zu bestätigen und in der Seele des Jünglings immer mehr Wahrscheinlichkeit zu gewinnen, obwohl er gleich diese Ereignisse beständig von natürlichen Ursachen herleitete. Die Untätigkeit, worin er während des Aufenthalts in seines Vaters Haus lebte, wurde ihm zur Last. Mehrere seiner Landsleute und Universitätsfreunde wurden nach und nach versorgt, und Ehrgeiz und Betriebsamkeit regten sich daher immer mächtiger bei ihm. Er warb bald um diese, bald um jene erledigte Bedienung, aber jedes Mal schlugen ihm seine Absichten und Bemühingen fehl, weil seine Entwürfe immer über den natürlichen Lauf der Dinge gespannt waren.

Endlich ward die Stelle des Stadtschreibers in seiner kleinen Vaterstadt erledigt. Es fehlte ihm nicht an Gönnern. Sein Vater war selbst einer der ältesten Ratsmänner, und viele der übrigen Mitglieder des Magistrats waren seine Blutsverwandte. Diese wünschten und bemühten sich insgesamt, ihm zu dieser Ehrenstelle zu verhelfen. Er wurde auch wirklich gewählt, und es war nur noch die Bestätigung vom Hof erforderlich. Einer der damaligen Minister aber, welcher gerade diesen Landstrich zu seinem Departement und also starken Einfluss auf das Wohl und Weh dieser Stadt hatte, brachte seinen Sekretär dazu in Vorschlag, und dieser musste ohne Widerrede angenommen werden.

T… fand sich also in seiner Hoffnung getäuscht. Bisher war demnach beinahe alles, was ihm Nietzky prophezeit hatte, haarklein eingetroffen. War diese Prophezeiung vormals bei ihm aus Ernst in Spott übergegangen, so verwandelte sich solche nunmehr aus Spott in Ernst, und eben diese fatale Verwandlung ward jetzt selbst für sein Leben gefährlich. Er schwebte in beständiger Furcht vor einem ihm nahe bevorstehenden unvermeidlichen Tod.

Es mangelte ihm nicht an Gründen, welche sein Verstand dieser unweisen Furcht entgegensetzte. Aber das waren nur einzelne deutliche Vorstellungen, welche mit dunkleren Empfindungsideen stritten. Jeder Sieg, den die Ersteren erhielten, war zugleich ein Triumph für diese, weil sie sich immer tiefer in seine Seele eindrückten und seiner Phantasie geläufiger wurden. Die sonst so heitere Miene des bedauernswürdigen jungen Mannes verwandelte sich nach und nach in einen finsteren Blick. Die Röte seiner Wangen schwand, und mitten durch das aufgeräumte Wesen, welches er anzunehmen sich zwang, blickten Besorgnisse und Unmut hindurch. Der ihm beständig gegenwärtige Gedanke an den Tod machte ihn täglich trauriger und ängstlicher. Sein schreiender Ton verlor sich in öde Vernünftelei, seine freien religiösen Grundsätze gingen in Andachtelei und Religionseifer über.

Je näher er der letzten Periode seines Lebens kam, desto stärker wuchs seine Besorgnis. Die immer geschäftige Einbildungskraft wirkte höchst nachteilig auf seinen Körper. Jedes Gefühl einer Unverdaulichkeit, jede Stockung des Geblüts, jede fleißig von ihm bemerkte Veränderung des Pulsschlages, jede zurückgetretene Ausdünstung wurde dadurch verdoppelt, und diese so nachteiligen Wirkungen der Phantasie verwandelten gar bald die bisher nur eingebildete Krankheit in eine wirkliche. Ein schneller Witterungswechsel verursachte eben damals eine Menge Katarrhe und Rheumatismen in der Geburtsstadt des elenden T… Auch er wurde von diesem Übel befallen. Dies war nun freilich nicht sehr zu verwundern. Aber dass von hundert Erkrankten eben Er der Einzige war, welcher ungeachtet der Sorgfalt und Hilfeleistungen erfahrener Ärzte an diesem unbeträchtlichen Zufall starb, das schien jedermann, selbst diesen Ärzten sonderbar und war doch in Betracht aller vorhin erzählten Umstände, äußerst begreiflich.

Zum Schluss dieser Erzählung wird folgendes lustige Geschichtchen oder Märchen – wofür man es nehmen will – vom Esel, zur Ehre der Sterndeuter! hier am rechten Fleck stehen.

König Ludwig der Elfte in Frankreich hielt, ganz im Geiste seines Zeitalters, verschiedene Sterndeuter an seinem Hof. Vielleicht hatte seine unerhörte Furcht vor dem Sterben einigen Anteil an dieser Art des Hofstaats. Seine Furcht ging so weit, dass schlechterdings niemand das Wort Tod in seiner Gegenwart aussprechen durfte. Hörte er es von ungefähr dennoch einmal, so verkroch er sich vor Angst und Schrecken unter die Betttücher.

Eines Tages, da er auf die Jagd reiten wollte, fragte er einen seiner Sterndeuter, ob es auch gutes Wetter bleiben würde. Dieser verkündigte ihm mit vieler Zuversicht einen schönen und heiteren Tag. Kaum aber hatte der König einen Teil des Weges zum Wald zurückgelegt, da begegnete ihm ein Kohlenbrenner, der seinen mit Kohlen beladenen Esel vor sich hertrieb und so dreist war, dem König zu sagen, er werde wohl tun, wenn er wieder umkehre, weil in wenig Stunden ein Gewitter aufsteigen und ein entsetzlicher Platzregen fallen würde. Das traf auch richtig ein.

Den anderen Tag ließ der König den Kohlenbrenner holen und fragte ihn, wo er die Sterndeuterkunst gelernt hätte und wie er das Wetter so richtig habe vorhersagen können.

»Sire«, war die Antwort, »ich bin niemals in die Schule gegangen und kann weder schreiben noch lesen, aber ich halte einen guten Sterndeuter in meinem Haus, der mich nie betrügt.«

Erschrocken fragte der König: »Wer ist der? Und wie heißt er?«

»Sire«, versetzte der Bauer, »das ist mein Esel. Sobald ein Gewitter aufblühen will, lässt er die Ohren vorwärts hängen und den Kopf sinken, geht weit langsamer als gewöhnlich und reibt sich an den Mauern. So machte er es gestern, und darum konnte ich Ew. Majestät den Platzregen vorhersagen.«

Jetzt ging in dem Verstand des Königs, im Betreff der Sterndeuter, ein kleines Licht auf. Er sah, dass sogar ein Esel mehr verstand als sie, und fing daher an, sich ihrer zu schämen. Er beschenkte den unberufenen Wetterpropheten – den Eseltreiber – königlich und jagte die Berufenen aus seinen Diensten.

Ein Einziger von ihnen wusste sich in der Gnade seines Fürsten zu erhalten. Er prophezeite, dass eine geliebte Mätresse dieses Königs binnen acht Tagen sterben würde. Sie starb wirklich auf die bestimmte Zeit.

Aus Liebe zum Wunderbaren finden es die Erzähler nicht der Mühe wert, der Nachwelt auch die näheren Umstände, unter welchen sie starb, aufzubewahren. Vielleicht war sie acht Tage vor ihrem Tod schon sehr krank oder trug doch – nur wenigen Giftmischern bekannt – den Keim zum nahen Tod bereits in sich. Oder vielleicht begünstigte den Unglückspropheten ein Zufall, 0der der nämliche Gang der Dinge, welcher auch Nietzky nicht zuschanden werden ließ.

Dass es dem Sterndeuter wenigstens nicht an Verschmitztheit, die Zeit und Umstände gehörig zu benutzen, gefehlt haben muss, erhellt zumTeil aus der Geistesgegenwart, womit er seinem eigenen nahen Tod weislich entging. Der König, den der Tod seiner Mätresse sehr schmerzte, ließ nämlich den Propheten vor sich erscheinen, nachdem er den Bedienten ernstlich befohlen hatte, auf ein gewisses Zeichen, das er ihnen geben würde, den armen Schelm anzupacken und aus einem Fenster des zweiten Stockwerks hinauszuwerfen.

Der König redete ihn auf folgende verfängliche Art an: »Da du so ein geschickter Mann sein willst und das Schicksal anderer Personen so genau vorhersiehst, so belehre mich doch, welches das deine sein wird, und wie lange du selbst noch zu leben hast.«

Ganz unbefangen erklärte der schlaue Sterndeuter freimütig: »Ich werde drei Tage vor Ew. Majestät Ableben sterben.«

Der König war zu abergläubig, um auch nun noch bei seinem Entschluss bleiben zu können, und ihn wirklich zum Fenster hinausstürzen zu lassen. Er tat vielmehr alles, was in seinem Vermögen stand, eine Todesstunde, welcher die seine so bald folgen sollte, weit hinauszuschieben.