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Der Welt-Detektiv Band 6

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Jacob von Molay, der letzte Templer 16

Franz Theodor Wangenheim
Jacob von Molay, der letzte Templer
Zweiter Teil
Herr und Knecht
Verlag von Joh. Fr. Hammerich, Altona, 1838

Drittes Kapitel

So still es noch vor wenigen Stunden hier gewesen war, so lebhaft ging es jetzt her. Ritter und Knappen drängten sich im Tor, denn der Großmeister selbst war angekommen, mit ihm die Großprioren und höchsten Ordensbeamten – zum Kapitel versammelte er alles, was auf dieser Insel dem Orden angehörte. Der Rhein- und Wildgraf Hugo, der Großkomtur aus Deutschland hatte den Großmeister schon in Ninove gesprochen. Er war es, den der Marschall empfangen hatte.

Die Mitternacht öffnete die geheimnisvolle Tür am unteren Ende der Flur. Zwei Brüder, angetan mit vollständiger Tempelherrentracht, der Schönste von ihren zwei weißen Mänteln umgab sie und das rote Kreuz glänzte darauf, standen gleich Wachen zur Rechten und Linken in der Tür. Eine weite, hohe Halle dehnte sich hinter ihnen aus, nur noch matt erleuchtet; denn die Brüder mussten sich erst versammeln, ehe die Lichter auf den aus Metall gegossenen großen Armleuchtern angezündet werden durften. Im ganzen Haus regte es sich so geheim, als ob in unterirdischen Schächten die dumpfen Schläge der Axt, das Pochen des Hammers ertönt. Jetzt aber läutete es plötzlich, und aus allen Gängen, über die Treppen herab, nahten die Brüder in gleiche Tracht gekleidet. Ernst schritten sie und schweigend durch die Tür zum Kapitel. Die großen Leuchter verbreiteten plötzlich helles Licht in der weiten Halle.

Welch ein Anblick! Ehrfurcht einflößend und schön! Obenan, unter einem Thronhimmel von weißem Seidenstoff, saß ein ehrwürdiger, betagter Ritter. Die hohe Stirn konnte das volle, nach beiden Seiten hin glatt geordnete Haar nicht verbergen. Doch unter dieser Stirn blitzte es kühn und doch schwärmerisch aus den großen, dunklen Augen. Es lag ein Ausdruck in denselben, der nur dann erst verstanden werden konnte, wenn man wusste, dass dieser Mann Jakob von Molay war, der Großmeister des berühmtesten kriegerischen Ordens in der Christenheit, die mächtigste Verbrüderung, die Schutzmauer des Kreuzes und der Schrecken des Halbmondes. Voll und aufmerksam geordnet umgab das ehrwürdige Antlitz ein dunkler Bart. Doch der Mund war frei, die aufgeworfene Oberlippe sprach das Selbstbewusstsein des Ritters aus, des fürstlichen Vorstehers des Ordens vom Tempel. Seine beiden Arme ruhten auf den Lehnen des Sitzes und das Auge erging sich wohlgefällig über die, in drei Reihen zu beiden Seiten und auch dem Meister gegenüber sitzenden Brüder. An eines jeden Namen knüpften sich Erinnerungen an Großtaten. Die Geschlechter, denen sie angehörten, waren hochgepriesen in den Geschichten ihres Vaterlandes. Hier, unweit vom Meister, der Nächste ihm zur Rechten, saß Peter von Boulogne, Priester und allgemeiner Ordensprokurator, neben ihm der berühmte Hugo von Peyraud, Generalvisitator und Großprior von Frankreich, Guido, Dauphin von Auvergne, Großprior von Normandie, Hugo, Wildgraf und Großkomtur in Deutschland, dann folgte der in den Rechten hocherfahrene Robert von Pruine, Johann von Montroyal reihte sich an diesen und so folgte einer nach dem anderen, Ritter sämtlich, außer ihnen nur der Bruder Kapellan.

Die Tür hatte sich längst geschlossen, ein jeder von den Brüdern, ehe er sich niedergelassen hatte, ein Paternoster gebetet und der Kapellan ein frommes Gebet gesprochen. Jetzt erhob sich der Großmeister, unterbrach mit starker, aber wohlklingender Stimme die heilige Stille.

»Steht auf, liebe Brüder, und bittet Gott, dass er heute seine heilige Gnade unter uns senden wolle.«

Die Brüder erhoben sich zugleich, beteten wieder still für sich ein Paternoster und der Kapellan sprach wieder ein kurzes Gebet. Darauf setzten sich alle nieder, das Kapitel war eröffnet. Anstand und Würde lagen auf allen Gesichtern.

Der Meister aber, würdiger denn sie alle, erhob seine Stimme zum anderen Mal:

»Liebe Herren und Brüder! Seit langer Zeit habe ich selbst nicht Kapitel halten können, und es wäre wohl nötig, Vergehungen und Sünden gegen die Regel zur Buße zu bringen. Doch wir müssen diese nächtlichen Stunden einem hochwichtigen Ereignis widmen. Ich schließe keinen aus, über dasjenige, was zur Sprache kommen wird, mir seine beste Meinung zu sagen. Lieber Herr und Bruder«, wandte er sich an den Wildgrafen Hugo, »beginnt Euren Vortrag in Gottes Namen.«

Der Wildgraf erhob sich und begann wie der Meister befohlen.

»Ich zog aus Deutschland nach Italia. Die Väter der Kirche waren im Konklave, um ein neues Oberhaupt zu wählen, würdig, der Statthalter Christi zu sein und des heiligen Ordens alleiniger Richter und Gebieter. Stets das Wohl des Ordens, liebe Herren und Brüder, im Auge habend, nahm ich so viel ich durfte aus dem Schatz und trug im Kapitel, meiner Pflicht gemäß, die Absicht vor, welche mich zu der Reise trieb. Es war nichts Geringes. Vielleicht, dachte ich, strebt die Klerisei von Frankreich, welche uns nicht gar hold ist, dahin, dass ein Papst erwählt werde, welcher ihr gewogen, und dann die Privilegien des Ordens schmälerte.

Ich kam nach Perugia. Die Kardinäle konnten sich nicht einigen, denn eine Partei, die feindliche des Heiligen Vaters, Colonnas Partei, strebte den Bonifaziern entgegen und die Sache wurde stets verwickelter. Aufmerksam spähte ich allenthalben; doch niemand wollte mir Rede stehen. Da wandte ich mich an den Kardinal von Ostia, um doch endlich auf den Grund zu kommen. Er aber versetzte frostig: ›Gott gedankt, Herr Graf, dass wir den Papst wählen und nicht Euer Orden.‹

›Wie soll ich die Antwort nehmen?‹, fragte ich erstaunt.

Der Kardinal aber lachte hämisch und versetzte: ›So willig, als Ihr einen Papst nehmen müsst, den wir Euch geben.‹

Damit ließ er mich allein, und wie ich eben verdrießlich davon will, bringt ein Reitender des Königs von Frankreich einen Brief an den Kardinal. Tags darauf war der Erzdischof von Bordeaux zum Papst erwählt.«

Der Wildgraf hielt inne. Er bemerkte, wie die Brüder einer den anderen befremdet und auch verwundert anblickten. Der Meister mahnte ihn aber bald, fortzufahren.

»Wer von uns weiß nicht, wie zerfallen der Erzbischof von Bordeaux mit dem Hof in Paris gewesen ist? Und nun plötzlich zum Papst erwählt! Die Partei des Königs von Frankreich hatte ge­siegt. Wer konnte mir verargen, dass ich misstrauisch wurde?

Bald erging der Befehl an die Kardinäle, dass sie sich nach Lyon verfügen sollten, wo sich der Erzbischof krönen zu lassen gedächte. Mittlerweile aber hatte man mir auch berichtet, König Philipp sei vor der Wahl des neuen Oberhaupts der Kirche heimlich in einer Abtei nahe bei Saint-Jean-d’Angély mit ihm zusammengetroffen. Dort hätten sie sich versöhnt.«

Ein Gemurmel unter den Brüdern hinderte den Sprecher im Vortrag.

Der Meister aber ermahnte zur Ruhe und weiter fuhr der Wildgraf fort: »Es schien mir das Beste, ferner sich Ereignendes zu erwarten, bedächtig alles zu prüfen, denn abhold schien man dem Orden in Frankreich, welches ich durchzogen habe. Hier und da hörte ich, dass Gerüchte in Umlauf wären, welche uns des Stolzes, der Habsucht, ja sogar des Wuchers mit König Philipp ziehen. Alle bösen Schuldner sind sich in dem einen Punkt gleich, dass sie zur Zahlungszeit den Gläubiger einen Wucherer nennen. Doch, liebe Brüder und Herren, es will mir nicht in den Kopf, dass ein ritterlicher Herr und König so handele. Müssen wir doch alles aus dem eigenen Säckel bestreiten, und wenn nicht unser Schwert den Weg zur Beute ebnete, wir würden schlecht bestehen. Doch das nur nebenbei. Ich zog daher mit gen Lyon. Niemals habe ich solche Pracht gesehen wie bei dieser Feier. König Philipp mit seinen Söhnen, seinen Vettern und den Edelsten seines Reiches; und dennoch stand ihm der Erzbischof, der neu erwählte Papst nicht nach in Pracht und Reichtum. Es hatten sich auch von unseren Brüdern mehrere eingefunden. Sie blieben jedoch unbemerkt in der weltlichen Ritter Zahl, welche sich bemühten, uns ihr Übergewicht fühlen zu lassen. Die ältesten Brüder suchte ich daher auf, ging mit ihnen zu Rat, und in dem Kapitel wurde beschlossen, dass ich mich nach Zypern begeben sollte, um Euch, lieber Herr, zu mahnen, mit unserem alleinigen Vorgesetzten auf Erden, mit Clemenz V. Euch dahin zu verständigen, dass er durch Philipp und Frankreichs Erzbischöfe und Bischöfe sich gegen uns nicht einnehmen lasse.«

Der Wildgraf ließ sich nieder. Der Meister dedachte sich lange und nicht ein Atemzug unterbrach die Stille. Man konnte jedoch auf des Meisters Stirn Zornesfalten bemerken. Die aber wollte er verscheuchen, indem er mit der flachen Hand darüber hinfuhr. Es gelang ihm nicht und auch zornig klang es aus seinem Mund.

»Wir allein und noch zwei kriegerische Orden liegen hier kampfgerüstet und wachend für des Christenglaubens Glorie. Alle Fürsten pflegen sich daheim und keiner von ihnen scheint an die Wiedergewinnung des heiligen Bodens zu denken, an den sich so beseeligende Erinnerungen knüpfen. Sind wir stark genug, uns selbst hier zu behaupten, so sind wir auch mächtig genug, unsere Privilegien zu beschützen. Lieber Bruder Großkomtur, lieber Herr, Ihr habt leichtsinnig gehandelt und des Ordens Euch anvertrautes Gut nutzlos vergeudet.«

Da erhob sich der Wildgraf. Die Demut wollte ihm nicht gelingen, der Regel getreu aber brachte er die Worte hervor:

»Lieber Herr! Behüte Gott, dass ich je so etwas tun sollte!«

Alle Brüder staunten verwundert den Wildgrafen an, der mit so entschiedenen Worten, mit beleidigtem Stolz, die Beschuldigung des Meisters in Abrede stellte.

»Ist ein Bruder hier«, fragte der Meister gelassen, »der Zeugnis für Eure Unschuld ablegt?«

»Nicht einer«, versetzte der Wildgraf. »Mehrere sind ihrer hier.«

»Lieber Bruder, so lasst sie vortreten.«

Auf des Wildgrafen Gebot erhoben sich zwei Brüder und traten vor den Meister hin. Es waren die Begleiter des Grafen. Sie überreichten dem Meister einen geöffneten und einen verschlossenen Bries. Der Meister las den Ersteren, gab ihn zurück, dann öffnete er den Zweiten, las aufmerksam und immer aufmerksamer. Aber noch ehe er bis zum Schluss gelesen hatte, gab er den beiden Zeugen ein Zeichen, dass sie sich wieder an ihre Plätze begeben sollten. Der Brief musste tiefen Eindruck gemacht haben, denn der Meister hob die Beratung mit großer Überwindung auf, beschied die Superioren zu sich in den Palast und gebot, dass man zu dem gewöhnlichen Kapitel schreiten sollte.

Mancher Bruder senkte da den Blick und wagte nicht, dem Blick des Meisters zu begegnen. Diesen und jenen rief der Meister auf, auch klagten wohl die Brüder sich untereinander an. Es wurden die Strafen zwar erkannt, jedoch, da sie nur geringen Grades waren, so wurden sie verschoben, indem der Meister erklärte, sämtlicher Brüder zum Nutzen des Ordens zu bedürfen.

Eben wollte der Meister mit der üblichen Formel Liebe Herren Brüder, wir können nun wohl unser Kapitel schließen zur Beichte schreiten, da erhob sich Peter von Boulogne und sprach zu dem Großprior von Normandie, zu Guido, dem Dauphin von Auvergne: »Lieber Bruder, ich habe Euch vor drei Zeugen das Vergehen gegen Peter von Malhac vorgehalten. Ihr aber wolltet dieses Kapitel verlassen, ehe Ihr das Vergehen bekannt und gebüßt habt. Darum klage ich Euch jetzt an: Ihr habt im Zorn Hand an einen Bruder gelegt, sein Fuß ist von der Stelle gerückt worden und die Schnur seines Mantels zerrissen. Erinnert Ihr Euch dessen nicht, lieber Herr und Bruder?«

Der solchergestalt Angeredete und eines schweren Verbrechens Angeklagte erhob sich. Beinahe zu schmächtig für den schweren Ritterdienst stand eine hohe Gestalt vor dem Meister. Jugendlich war das Gesicht des Ritters, der Bart nur noch dunkler Flaum, doch tiefer Ernst, diesem Alter fremd, lag in seinem ganzen Wesen und das hohle dunkle Auge sprach von Schwärmerei oder von Entsagung.

Der Meister selbst erschrak ob der schweren Beschuldigung, welche, wenn sich die Wahrheit erwies, nicht allein den Verlust des Ordenskleides, sondern auch den Kirchenbann nach sich zog. Und der Dauphin von Auvergne war Molays Liebling. Freilich war ein Ausbruch des Zornes einem jungen Mann von zweiundzwanzig Jahren zu verzeihen, doch der Dauphin gehörte schon zehn Jahre dem Orden an, war Superior und hier im Kapitel war alles gleich. Nicht allein der Meister erschrak, auch andere Häupter des Ordens blickten mit banger Erwartung auf den Dauphin, der nur die Anrede des Meisters zu erwarten schien, um dem verhaltenen Zorn Luft zu machen. Der Meister rief ihn vor sich. Man konnte ihm die Mühe ansehen, mit welcher er es tat.

»Wisst Ihr auch, lieber Herr und Bruder, wessen man Euch zeiht?«, fragte der Meister bedeutungsvoll und mit schwerem Ernst. »So Ihr überführt würdet, dürfte man Euch das Kleid nicht lassen; vor welcher Pön Euch Gott bewahre. Sagt an, ob Ihr Euch schuldig fühlt, und tut dann, wie es die Regel gebeut.«

Der Dauphin kniete nieder vor dem Meister und erhob die zornerfüllten Worte, deren Sinn durchaus nicht mit seiner Bewegung übereinstimmte.

»Lieber Herr … ich bitte … Gott, unsere liebe … Frau … Euch und … die Brüder für die Sache, welche dieser … mir vorwirft … um Barmherzigkeit. Wisset aber … dass die Sache sich anders verhält.«

Der Meister atmete wieder freier und fragte nach dem wahren Hergang. Da erhob sich der Dauphin: »Peter von Malhac und seine beiden Gefährten sind nicht im Kapitel. Sie können sich nicht verantworten, dennoch aber sage ich Euch jetzt die reine lautere Wahrheit. Der Großprior von Normandie, der Dauphin von Auvergne, ist zu stolz, auch nur ein unwahres Wort über seine Lippen kommen zu lassen. Mein Ahn von mütterlicher Seite, Robert der Fromme, ein König, würde sich meiner schämen und das erlauchte Haus de la Tour du Pin, dem mein Vater entsprossen, mit Schande bedeckt werden, da ich doch stets dahin gestrebt habe, Ehre und Ruhm auf diese glorreichen Namen zu sammeln. Auch nicht arm bin ich der Ehre des weißen Kleides mit dem roten Kreuz teilhaft worden, denn die Baronie Montauban mit zweihundert Livres Renten und fünfzehntausend Livres bares Geld brachte ich dem Orden zu. Als ich kräftiger wurde, das Schwert und die Lanze führen lernte, als mein Arm der Keule Wucht und der Axt mächtig worden, wer sah mich jemals zagen, wenn der Heiden Übermacht uns zu vernichten drohte? Wer weiß ein anderes von mir, als dass ich des Ordens schwere Pflichten stets so gehorsam erfüllte, wie sie ein würdiger Streiter Christi, ein Ritter des Tempels erfüllen soll? Wer weiß es anders, liebe Herren und Brüder?«, wandte er sich zu der Versammlung. »Ist einer unter Euch, der mich des geringsten Fehls zeihen kann, der sage es um der Ehre des Ordens und der Würde der Regel willen.«

Doch niemand erhob sich, es schwieg die ganze Versammlung.

»Könnt Ihr, lieber Herr«, fuhr der Dauphin zu dem Meister fort, »könnt Ihr mich daher einer Sünde fähig halten, um die ich das Kleid lassen müsste, wovor mich Gott bewahre? Könnt Ihr mir zumuten, dass ich meiner Fürstenehre und der Ehre eines Ordensoberen so viel vergeben würde, einem Bruder auf solch rohe Weise zu begegnen? Hört denn, wie es sich verhält! Bei der letzten Landung wurde mir der Befehl, mit zehn Rittern einen engen Pass zu bewachen, damit die Feinde nicht durch ihn unserer Hauptmacht in den Rücken fallen könnten. Das Wichtige meiner Stellung ganz erkennend, sprach ich zu den Rittern: ›Liebe Brüder, haltet Euch ja beieinander. Lasse sich keiner von Euch verleiten, auf eigene Hand Waffenruhm zu suchen.‹ Darauf vernahm ich hinter mir ein Flüstern. Der Helm dämpfte zwar den Schall, doch glaubte ich das Wort Feigheit zu unterscheiden. Auf bloßes Glauben hin aber – so spricht die Regel – soll kein Bruder dem anderen einen Vorwurf machen, und ich schwieg. Seitab, weit genug, um von uns abgeschnitten zu werden, wenn sich irgendein Bruder dorthin wagte, zeigte sich eine Anzahl Feinde. Plötzlich rief es hinter mir: ›Einen Christen sehe ich dort in Gefahr!‹ Ehe ich aber den Rufenden vom Gegenteil überzeugen konnte, sprengten Peter von Malhac und seine beiden Gefährten davon. In demselben Augenblick ertönte das Kriegsgeschrei der Ungläubigen in dem Pass. Sie hatten listig jene Abteilung dorthin gestellt, um uns zu trennen. Wir waren jetzt nur noch unser Acht und der Drang wurde so hart, wie ich ihn noch nicht empfunden hatte. Mit Gottes Hilfe und unserer lieben Frau gelang es uns jedoch, die Übermacht zu bewältigen. Was nicht erschlagen wurde, das floh heulend in den Pass zurück, dessen Enge uns am Verfolgen gehindert hätte, wenn es nicht schon der Befehl, diese Stellung zu halten, getan hatte. Peter von Malhac aber und die beiden kämpften noch schwer. Mir schien es, als ob sie unterliegen würden. Drum gab ich zwei Rittern den Befehl, ihnen zu Hilfe zu eilen. Es war höchste Zeit, Malhac hatte sein Streitross eingebüßt, der beiden anderen Rüstung war zerbrochen.«

Peter von Boulogne war in Verlegenheit. Der Dauphin hatte seinen Vortrag mit einem sonderbaren Blick auf ihn beendet.

»Wie aber kamt Ihr zu der Anklage?«, fragte der Meister mit finsteren Stirnfalten.

»Lieber Herr«, stammelte der Ordensprokurator hervor, »Peter von Malhac trat vor mich hin, beschwerte sich und rief die beiden, für ihn zu zeugen. Das taten sie und ich durfte es dem Bruder Großprior vorhalten; denn so gebietet die Regel. Er aber würdigte mich keines Blickes, viel weniger noch …«

»Dass ich Euch gegenüber auch noch ein Wort darum hätte verlieren sollen!«, rief der Dauphin. »Ihr wusstet, dass noch sieben Ritter, außer den Knappen, das Ganze mit angesehen hatten, und hört einen Malhac mit seinen beiden Gefährten, da Euch eine Frage an den Dauphin von Auvergne wohl gut angestanden hätte!«

»Ihr ereifert Euch …«

»Wie mögt Ihr Euch drob wundern? Gerechter Zorn ist es, was mich erfüllt, was mir das Blut durch die Adern jagt! Gekränkte Ehre nur hat diesen Zorn erzeugt und Genugtuung soll mir werden!«

Um ferneren Ausbrüchen des Unwillens vorzubeugen, nahm der Meister das Wort.

»Lieber Herr und Bruder Großprior, wollt zuvörderst mir sagen, wie Ihr mit den drei Brüdern verfahren wollt, denn ist es so, wie Ihr sagtet, so ist ihr Kleid in den Händen der Brüder. Wenn Umstände die Sache verschlimmern, so könnte ihnen das Kleid nicht bleiben, wovor sie Gott bewahre.«

Und gehorsam dem Wort des Meisters erzählte der Dauphin:

»Als sie nun wieder zu uns herankamen, da hielt ich ihnen vor, wie sehr sie sich an der Regel vergangen und wie ihnen schwerlich das Kleid bleiben könne. Malhac erbleichte, aber plötzlich griff wütend in seinen Mantel, zerriss die Schnur und rief laut: So mir das Kleid nicht bleiben kann, will ich es auch nicht länger tragen!«

»Sind der Zeugen einer, zwei oder mehrere hier?«, fragte der Meister.

»Ich weiß es nicht, lieber Herr.«

»Wisst Ihr die Namen?«

»Ja, lieber Herr.«

»So ruft sie auf.«

Und der Dauphin rief sieben Namen. Nur fünf von diesen Rittern waren im Kapitel. Sie bezeugten, dass der Dauphin wahr gesprochen hatte.

Peter von Boulogne, eines der Würdigsten der Ordenshäupter, unentbehrlich in allen Geschäften, war hier zum ersten Mal von einem jüngeren Ritter sozusagen vor den Namhaftesten des Ordens schamrot gemacht worden. Der Fall war so verwickelt, dass man zu Robert von Pruine Zuflucht nehmen musste. Ihn berief der Meister vor sich, denn kam es auf die trockene Regel an, so war Boulognes Kleid in den Händen der Brüder. Demütig musste er und kniend die Formel sprechen: »Liebe Herren und Brüder, ich bekenne Euch vor dem ganzen Kapitel, das ich in allem, was ich wieder diesen Bruder gesagt, gelogen habe, denn ich weiß mit Wahrheit nichts als Gutes von ihm.«

Robert von Pruine, alles wohl erwägend, wie sehr der Orden durch die Demütigung eines Boulogne leiden würde, wie nachteilig ein solches Beispiel auf minderwichtige Brüder wirkte und wohl ahnend, dass der Brief, welcher den Meister so sehr überrascht hatte, wohl noch schwierigere Punkte enthielte, trachtete in seinem Vortrag dahin, dass alle Schuld auf Malhac und seine Gefährten fallen musste. Es gelang ihm auch, den Dauphin zu besänftigen und er schloss mit den Worten: »Malhac, der sich so schwer vergangen hat, ist durch die Hilfe anderer Brüder hierher zu schaffen oder in Ninove in Ketten zu legen, bis das Kapitel sein Urteil gefällt hat. Die beiden anderen, welche dem Orden Schaden gebracht und noch größeren hätten bringen können, was Gott verhütet, sind im Kapitel zu verklagen, damit auch ihr Urteil gefällt werde. Der Bruder Oberprokurator, hintergangen durch falsche Anklage und falsches Zeugnis, ist freizusprechen. Doch wenn er den Bruder Großprior von Normandie um Verzeihung bittet, so ist das schön von ihm. Vergibt ihm der Bruder Großprior um Gotteswillen und unserer lieben Frau, so ist es schön von ihm.«

»Lieber Bruder von Pruine«, sprach der Meister freudig, »Eure Weisheit muss ich loben. Es soll geschehen, wie Ihr gesagt habt. Die Befehle wegen Malhacs und seiner Gefährten sollen in dieser Stunde nach Ninove gesandt werden. Wir«, wandte er an Bologne und den Dauphin das Wort, »wir sprechen uns morgen im Palast. Tretet zurück, liebe Herren, nehmt Eure Plätze ein.«

Und, besorgt, dass noch andere Punkte gleich diesem vorgebracht würden, befahl der Meister, diejenigen zu bringen, welche die Disziplin erhalten sollten. Vier Brüder brachte man vor ihn. In aller Form erteilte sie ihnen der Meister mit seinem Gürtel, nachdem er ihnen befohlen hatte, wenn sie gesund seien, den Rücken zu entblößen. Sie entkleideten sich auf vorgeschriebene Weise und knieten nieder.

Dann sprach der Meister zu dem Kapitel: »Liebe Herren und Brüder, seht hier Euren Bruder, der zur Zucht kommt. Bittet Gott, dass er ihm seine Sünde verzeihen möge.«

Und jeder Bruder betete ein Vaterunser.

Der Meister aber fragte den Knieenden: »Lieber Bruder, bereut Ihr, dass Ihr solchergestalt Euch vergangen habt?«

Jener antwortete: »Ja Herr, sehr!«

»Wollt Ihr Euch in der Folge davor hüten?«

»Ja, Herr, so Gott will.«

 Darauf nahm der Meister den Gürtel und tat drei Streiche auf den entblößten Rücken des Knienden.

Aber wer die Disziplin empfangen hatte, durfte acht Tage nicht sein Geschäft verrichten, nicht einmal Pferd oder Rüstung berühren. Einen anderen Bruder musste er bitten, dafür Sorge zu tragen.

Nun schloss der Meister das Kapitel. Niemals hatte Jakob von Molay den Schluss desselben so sehr beschleunigt wie in dieser Nacht. Leichten Herzens ging er hinaus; aber schwere Sorgen verscheuchten den Schlaf von seinen Augen. Als er mit sich selbst allein war, da erst erwachten diejenigen Gedanken, welche er im Kapitel mit aller Mühe unterdrückt hatte.