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Interessante Abenteuer unter den Indianern 60

Interessante-Abenteuer-unter-den-IndianernJohn Frost
Interessante Abenteuer unter den Indianern
Erzählungen der merkwürdigsten Begebenheiten in den ersten indianischen Kriegen sowie auch Ereignisse während der neueren indianischen Feindseligkeiten in Mexiko und Texas

Merkwürdiges Entkommen von den Indianern

Im Herbste 1695 griff eine Partie Indianer die Stadt Haverhill in Massachusetts an. Es gelang ihnen zwei Jünglinge, Isaak Bradley, fünfzehn Jahre alt, und Joseph Whitacker, elf Jahre alt, gefangen zu nehmen. Ohne weitere Gewalttätigkeiten zu versuchen, zogen sich die Indianer schnell zurück, durchkreuzten die angrenzenden Wälder, erreichten ihre Stämme an den Ufern des Sees Winnepisiogee. Die Gefangenen wurden mit Güte behandelt und zu Mitgliedern der Familie gemacht, in welcher sich zwei oder drei indianische Kinder befanden. Sie lernten bald die indianische Sprache, ein Umstand, der dem Stamm so sehr gefiel, dass er beschloss, sie im nächsten Frühling mit nach Kanada zu nehmen. Den älteren Knaben, der von tätigem und unternehmendem Geist war, erfüllte der Entschluss mit Schrecken. Schon lag eine tiefe ununterbrochene Wildnis pfadloser Berge und geschwollener Ströme zwischen ihm und seiner Heimat. Er glaubte, dass wenn er und sein Gefährte noch weiter nördlich gebracht würden, nur wenig Wahrscheinlichkeit übrig bliebe, die Heimat wieder zu erreichen. Isaak beschloss, noch vor Rückkehr des Frühlings einen Versuch zum Entkommen zu machen. Tag und Nacht, während er anscheinend schlief oder sich so stellte, als gehorchte er den Befehlen seines Herrn mit Freuden, bildete und entwarf er verschiedene Pläne, die den gewünschten Zweck ins Werk setzen sollten. Gemütsangst warf ihn in ein heftiges Fieber, aus welchem er knapp mit dem Leben davonkam. Der traurige Winter eines Neuenglandwaldes kam herbei. Monat auf Monat glitt langsam dahin, der Frühling kehrte zurück und noch waren die beiden Knaben gefangen. Aber die Nähe des gefürchteten Unglücks spornte den Scharfsinn des gefangenen Jünglings. Er brachte seinen Plan zur Reife und bestimmte eine Nacht im April zur Ausführung desselben.

Isaak lag wach, bis seine indianischen Gefährten im tiefen Schlaf lagen und alles rings umher still war. Vorsichtig erhob er sich dann und blickte schüchtern rings um sich her. Dichte Finsternis lag auf der Natur, die bloß dann für Augenblicke geteilt wurde, wenn der Mond durch die vorüberziehenden dunkeln Wolken blickte. Der Versuch, den der Knabe vorhatte, war ein verzweifelter, und er fühlte, dass er es war. Aber sein Geist war unter jenen frühen Ansiedlern von Plymouth und Massachusetts gebildet worden. Leise unter seinen schwarzgelben Schlafkameraden dahinschreitend, versicherte er sich der Gewehre seines Herrn und des Moosefleisches, was er in ein benachbartes Dickicht trug. Hierauf versuchte er seinen Gefährten zu wecken, aber mit einem Erfolg, welcher ihn überzeugte, dass wenn er diesen Versuch durchsetzen wolle, sein Entzweck zunichtewerden würde. Er verließ deshalb den Wigwam und eilte zu dem Platz, wo die Waffen und Mundvorräte verborgen waren, aber ehe er fähig war, denselben zu erreichen, wurde er durch das Geräusch von Fußtritten erschreckt, und nahm wahr, dass man ihm folge. Es war sein Mitgefangener. Eilig versicherten sie sich ihrer Beute und schlugen dann ohne Karte und Kompass eine südliche Richtung durch die Wälder ein, das Ziel ihrer Reise auf die Ansiedlungen von Haverhill richtend. Nachdem sie die ganze Nacht gelaufen waren, hielten sie bei Tagesanbruch bei einem hohlen Baumstamm an, in welchen sie beide krochen. Hier wurden sie im Verlauf des Morgens durch die Hunde ausgewittert. Hinter denselben kamen die Indianer, welche eifrig ihrer Spur folgten. In dieser äußersten Not sprachen die Knaben freundlich zu den Hunden, welche, da sie die Stimme der Knaben kannten, zu bellen aufhörten. Hierauf warfen sie ihnen etwas Moosefleisch vor, welches die Tiere gierig verschlangen.

Die Verfolger kamen jetzt an, gingen jedoch vorüber, ohne die Hunde zu bemerken. Bei Anbruch der Nacht verließen Isaak und sein Begleiter den Baumstamm, und beide eilten in einer anderen Richtung davon. Nachdem sie ihren kleinen Brotvorrat aufgezehrt hatten, sammelten sie Wurzeln und Baumknospen. Kurz vor Tag versteckten sie sich, reisten jedoch den dritten Tag und die dritte Nacht, ohne zu ruhen. Auf diese Weise wanderten sie fünf Tage lang, zum Teil von Wurzeln, zum Teil von einer wilden Taube und einer Schildkröte, welches alles sie roh zu verzehren genötigt waren, ihr Leben fristend. Am sechsten Tag trafen sie auf einen indianischen Pfad, welchen sie bis zur Nacht verfolgten, als sie plötzlich ein Lager zu Gesicht bekamen, in welchem eine Anzahl ihrer Feinde um ein Feuer saßen. Schleunigst wendeten sie ihre Schritte rückwärts, bis sie bei Anbruch des Tages einen kleinen Fluss erreichten, an dessen Ufer sie ausruhten. Sie befanden sich jetzt in einem pfadlosen und dem Anschein nach unendlichem Wald, umgeben von Wilden, hungrig, verlassen und verwundet von Dornen und Felsen. Es ist kein Wunder, dass unter solchen Umständen die unglücklichen Knaben fühlten, dass ihnen der Mut sinke, während sie aneinander gelehnt, ihre Tränen mit den rieselnden Wellen des sorglosen Flusses vermischten.

Dennoch verzweifelte der ältere Knabe nicht. Da er wusste, dass der Fluss notwendigerweise zu einem großen Gewässer führen müsste, so ermutigte er seinen Begleiter. Nachdem sie sich erfrischt hatten, setzten sie ihren Weg fort, dem Lauf des Flüsschens folgend. Am achten Morgen legte sich Joseph völlig mutlos nieder, seine Glieder waren verstümmelt, sein Körper abgemergelt. Isaak bat ihn weiter zu gehen. Er grub Wurzeln aus, gab sie ihm zu essen und brachte Wasser, um seinen Durst zu löschen. Er stellte ihm vor, dass er sicherlich sterben würde, wenn er hier bliebe. Es war alles umsonst; er überließ seinen Gefährten seinem Schicksal und verfolgte mit müden Schritten und blutendem Herzen seine einsame Reise. Plötzlich erblickte er ein kleines Gebäude. Von Hoffnung belebt, eilte er zurück zu seinem Gefährten und nötigte ihn, einen neuen Versuch zu machen. Er rieb seine steifen Gliedmaßen, bis dieselben noch einmal fähig waren, ihr gewohntes Gewicht zu tragen. Sie schritten zusammen weiter, während Isaak seinen Gefährten manchmal führte und manchmal trug, bis sie, nach den Mühsalen eines ganzen Tages Fort Saco erreichten.

Dieses Entkommen von den Indianern ist ohne Zweifel eines der außergewöhnlichsten, das uns je berichtet worden ist. Neun Tage lang reisten zwei Jünglinge, die kaum den Kinderschuhen entwachsen waren durch einen unermesslichen Wald, ernährten sich bloß von wenig trockenem Brot, Baumknospen, Beeren, einer rohen Schildkröte und wilden Taube, ohne das Angesicht eines Freundes zu sehen oder sich an einem Feuer zu erwärmen. Als sie in Fort Saco ankamen, waren sie von Dornen zerfleischt, von Krankheit erschöpft und zu Gerippen abgemergelt. Als Isaak seine Stärke wieder gewann, reiste er nach Haverhill ab und kam wohlbehalten in der Behausung seines Vaters an. Joseph hatte mehr zu dulden. Lange Zeit lag er in Saco an einem hitzigen Fieber leidend. Sein Vater ging, als Isaak zurückgekehrt war, zum Fort und brachte seinen Sohn sobald als möglich nach Hause.