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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Erster Teil – Einundvierzigste Erzählung – Teil 6

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil

Einundvierzigste Erzählung – Teil 6

Von dem wilden Jäger oder dem wütenden Heer

Fünfte Erklärungsart

Zugleich erinnert sie uns an einen Beleg zu der großen Wahrheit, dass ein Aberglaube sehr oft die Stütze des anderen ist.

Freiherr von Lichtenstein versteht unter dem wütenden Heer, welches er Wuttisheer nennt und von dem berühmten Götzen des deutschen Nordens Wodan ableitet, eine Versammlung von Hexen und Unholden aus allen Nationen, welche der Teufel, geräuschvoll durch die Luft reitend, auf einen gemeinschaftlichen Tummelplatz zusammenführe, wo er dann Kinder mit ihnen zeuge und sie ihre Teufelsabkömmlinge an das Tageslicht zu fördern pflegten. Dem zufolge scheinen die beiden Volkssagen vom wilden Jäger und vom Luftritt der Hexen in der ersten Mainacht, nahe verschwistert, ja vielleicht aus einer gemeinschaftlichen Quelle geflossen zu sein und einander gegenseitig in ihrem Ansehen erhalten zu haben. Die kritische Geschichte und Herleitung der Letzteren erklärt uns zugleich die Erstere und steht daher hier ganz am rechten Ort.

Der Schlüssel zu dem rätselhaften Märchen vom Luftritt der Hexen und Unholde zum Brocken scheint in der Geschichte Karls des Großen zu liegen. Bekanntlich verwickelte sich dieser berühmte Frankenkönig mit ebenso vielem Bekehrungseifer als Eroberungsgeist Anfang des 9. Jahrhunderts in einen dreiunddreißigjährigen Krieg mit den Sachsen. Diesen freien Deutschen voll Kraft und Mut lag als eifrigen Götzendienern die Religion ihrer Väter nicht weniger als ihre Freiheit am Herzen. Und doch sollten sie mit aller Gewalt Christen werden. Oft mussten sie vereinzelt der fränkischen Übermacht unterliegen, aber nach jedem Sieg Karls und nach jedem Friedensabschluss griffen sie immer wieder zu den Waffen. Nach jeder scheinbaren Annahme des Christentums kehrten sie zum Götzendienst zurück. Dies erbitterte Karl zuletzt so sehr, dass er ganz im Geist und mit dem Feuereifer eines spanischen Großinquisitors alles Ernstes befahl, diejenigen, welche die christliche Taufe anzunehmen sich weigern oder getauft noch fortfahren würden, den Götzen ihrer Väter zu dienen, mit dem Tode zu bestrafen. So mussten nun freilich die heidnischen Sachsen öffentlich sich taufen und Christen nennen lassen. Allein in ihren Herzen blieben sie Heiden. Kaum hatte Karl sein Kriegsheer aus einer vermeintlich bekehrten Gegend zurückgezogen, so opferten die sogenannten Christen wieder den Götzen, welche sie vor ihren Bekehrern irgendwohin in Sicherheit gebracht hatten. Wurden sie durch die Gegenwart der christlichen Franken an einem Ort verhindert, ihre Opferfeste zu feiern, so nahmen sie ihre Zuflucht zu einem anderen. Besonders benutzten sie dazu die dicht verwachsenen Gebirge des Harzes, wo man Jahrhunderte danach noch und überhaupt am längsten den Götzen geopfert hat. Daher werden auch jetzt noch mannigfaltige Spuren heidnischer Opferplätze dort vorgefunden.

Karl blieb zwar diese Übertretung seines Befehls nicht verborgen, allein seine Inquisitoren wagten sich nicht immer in die dichten Gebirgswaldungen hinein. Indessen besetzte man, wenigstens um die Zeit der großen heidnischen Festtage, die Zugänge zu den Opferplätzen, unter denen der Brocken oder Blocksberg einer der vorzüglichsten war. Die Sachsen hingen, so wie alle wegen des Glaubens Verfolgte, unter diesen Umständen der Religion ihrer Väter nur desto treuer an und nahmen da, wo ihre Gewalt nicht hinreichte, ihre Zuflucht zu List und Betrug. Sie verkleideten sich in scheußliche Larven und bahnten sich den Weg zu ihren Götzen, indem sie des Nachts die Wachen erschreckten, die beim Anblick dieser Teufelsgestalten um so geschwinder die Flucht ergriffen, da die Teilnehmer der nächtlichen Opferzüge, auf alle Fälle gefasst, mit Heuforken oder Feuergabeln bewaffnet waren. Diese gebrauchten sie im Notfall sowohl zum gewaltsamen Bestürmen und Verdrängen der christlichen Wache als auch zum Schutz gegen wilde Tiere. Vielleicht bedurften sie ihrer auch beim Opferfeuer selbst, teils zum Nachlegen des Holzes, teils zum Herausziehen der Feuerbrände, mit welchem in der Hand sie in Schmaus und Fröhlichkeit um das Opferfeuer herumtanzten. Da auf den Höhen des Harzes, wenigstens auf dem Brocken, am Fest der ersten Mainacht gewöhnlich noch Schnee lag, so bedurfte man vielleicht der Besen, auf deren Stielen die Sage die Damen der Walpurgisnacht reiten lässt, zum Fegen und Reinigen des Opferplatzes.

Die damaligen Christen hielten den Götzendienst für Teufelsdienst und glaubten nichts gewisser, als dass der Teufel selbst, trotz der mit christlichen Wachen besetzten Zugänge zu den Opferplätzen, seine treuen Anhänger unterstütze und durch die Luft zum Brocken hinaufführe. Ein Wahnglaube, welchen die abergläubige Wache durch ihr Geschwätz von den gesehenen Teufelsmasken und Hexengestalten zur Bemäntelung ihrer Flucht entweder veranlasst oder doch nährte, indem sie ihm nicht widersprach.

Auf diese historisch wahren Umstände gründet sich das unsinnige Märchen von der Hexenfahrt zum Brocken. Auch stimmt dies vollkommen mit der Aussage des Verfassers einer ungedruckten Lebensbeschreibung Herzogs Julius zu Braunschweig-Lüneburg überein, der den Zusammenhang der dunklen Geschichte der ersten Mainacht durch mündliche Überlieferung zu wissen behauptet. Wirklich gibt es von dem Wort Unhold, welches von gemeinen Leuten noch immer den spukenden Wesen jener Walpurgisnacht, den Hexen und Zauberern beigelegt wird, eine etymologische Erklärung, die Beifall verdient.

Als zu Karls des Großen Zeiten die Sachsen zur Annahme der Lehre Jesu gebracht wurden, hatten viele keine Neigung, ihrem Götzendienst zu entsagen. Auch waren sie sehr ungehalten darüber, dass ihr Heerführer Wittekind ein Christ geworden war. Diese nannte man daher Unholde, d. h. Ungehaltene, Unzufriedene. Sie verrichteten ihren Götzendienst auf den höchsten Bergen unserer Gegend, vorzüglich auf dem Brocken, wo sie der Erde – de grote Hertha – opferten. In späteren Zeiten nahm man das Wort Unhold für gleichbedeutend mit Hexe, und dies gab Gelegenheit zur Fabel.

Wahrscheinlich trugen diese verfolgten Unholde ihre Unzufriedenheit gegen Wittekind auf die unter ihnen zerstreut lebenden Christen über und fügten ihnen und dem Vieh derselben auf ihren nächtlichen Wallfahrten zum Opfertanz der ersten Mainacht allerlei Schaden zu. So bewiesen sie freilich durch die Tat, dass sie den Christen unhold waren. Diese wussten sich in ihrer Einfalt vor dergleichen Schaden nicht besser zu verwahren, als durch christlich-abergläubige Kreuze, womit unsere gemeinen Leute noch immer zum ersten Mai die Türen der Häuser und Ställe bezeichnen, des festen Glaubens, dass sie und das ihre dann von den durchziehenden Unholden nicht behext werden können.

Warum jene Faseleien von den Hexenzügen gerade der Nacht vor dem ersten Mai angedichtet sind? Mit Gewissheit lässt sich diese Frage zwar nicht beantworten, aber der Wahrscheinlichkeiten, die uns einstweilen genügen können, sind viele. Da die heidnischen Deutschen eines ihrer größten und fröhlichsten Feste, das Fest des lieblichen Mayen und der wiederkehrenden schönen Jahreszeit am ersten Mai, also um die Zeit feierten, wo unser Ostern und Pfingsten fällt; da sie in dieser Absicht ihre Wohnungen und Opferplätze mit Mayen oder jungen Birken auszuschmücken und um das nächtliche Opferfeuer herum zu tanzen pflegten; und da endlich dies Fest vorzüglich der in den Harzgegenden so sehr verehrten Göttin Ostara geheiligt gewesen zu sein scheint, so ist es in der Tat mehr als bloß wahrscheinlich, dass die große Anhänglichkeit der Sachsen an dies besonders fröhliche Fest der ersten Mainacht, jenes unaufhaltsame Zuströmen der Unholde zum Opfertanzplatz veranlasste; dass der, in mehreren Gegenden Deutschlands noch bis auf diesen Tag herrschende Brauch, am Pfingstfest die Häuser und Kirchen mit Mayen zu schmücken, noch ein Rest jener heidnischen Feierlichkeit ist; und dass die ebenfalls noch übliche Gewohnheit der jungen Burschen auf und um den Harz, am Osterabend auf den Bergen ein großes Freudenfeuer anzuzünden und um dasselbe zu tanzen, von den heidnischen Tänzen der ersten Mainacht herstammt.

Wenn aber dieses Fest der ersten Mainacht eins der beliebtesten war, woran jedermann teilnahm, und welches die tanzlustigen Schönen am wenigsten eingehen lassen wollten, so mochte selbst manche muntere Hausfrau, deren Mann und manche aufblühende Tochter, deren Eltern gedankenlos die christliche Taufe empfangen hatten, beim Herannahen des ersten Mai in die Versuchung geraten, sich ganz im Stillen aus dem ehelichen Bett oder dem elterlichen Haus wegzustehlen, um der nächtlichen Mummerei, dem Tanz und den übrigen vielleicht nicht sehr züchtigen Freuden des ihnen zunächst gelegenen Opferplatzes beizuwohnen. So entstand der in der Folge so mörderische Wahnglaube, dass dieser oder jener Mann eine Hexe zur Frau habe, die in der Mainacht zum Brocken reise, um mit dem Teufel zu tanzen.

Die unsinnigsten Märchen haben einen historischen Grund, und das Märchen von der Brockenfahrt erläutert sich zur Genüge aus dieser Geschichte eines oder mehrerer Götzen, die von unseren heidnischen Vorfahren zur Zeit Karls des Großen auf den Bergen und vor allem auf dem Brocken gefeiert wurden.

Wie übrigens der Wahn von der Luftreise der Hexen nun schon über ein Jahrtausend hindurch Glauben finden konnte, ist ebenfalls sehr begreiflich, wenn man bedenkt, dass die nächtlichen Luftzüge der Raub-und Zugvögel ihn bisher von Jahr zu Jahr erneuerten, dem Gemeinen mancher Gegend vielleicht noch lange zu wundervollen Deutungen Veranlassung geben werden.