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Die Skalpjäger – Dacoma

Thomas Mayne Reid
Die Skalpjäger

Zweiter Teil
Zwölftes Kapitel

Dacoma

Wir eilten jetzt alle der Quelle zu, stiegen ab und ließen unsere Pferde nach Belieben saufen. Wir hatten keine Furcht, dass sie davonlaufen würden. Unser eigener Durst bedurfte der Löschung ebenso gut, wie der ihre und wir sprangen in den Bach und gossen das kalte Wasser becherweise hinab. Es war, als ob wir nie genug erhalten könnten, aber ein ebenso starker anderer Appetit lockte uns von der Quelle weg und wir liefen auf den Lagerplatz hinaus, um Mittel zu seiner Befriedigung zu suchen. Wir trieben die Kojoten und weißen Wölfe mit unserem Geschrei auseinander und verscheuchten sie mit Steinwürfen vom Platz.

Wir wollten uns eben bücken, um die staubbedeckten Fleischstücke aufzuheben, als ein eigentümlicher Ausruf vonseiten eines der Jäger unsere Blicke plötzlich auf ihn lenkte.

»Malraya! Camerados – mira el arco! (Verwünscht, Kameraden, seht den Bogen!)«

Der Mexikaner, welcher diese Worte ausstieß, deutete auf einen zu seinen Füßen am Boden liegenden Gegenstand. Wir eilten herbei, um zu sehen, was es war.

»Cospita!«, rief der Mann von Neuem. »Es ist ein weißer Bogen!«

»Ein weißer! Ein weißer, bei Gott!«, schrie Garey.

»Ein weißer! Ein weißer!«, riefen mehrere andere, indem sie den Gegenstand mit der Miene des Erstaunens und der Besorgnis betrachteten.

»Er hat einem großen Krieger gehört, dafür bürge ich«, sagte Garey.

»Ja«, fügte ein anderer hinzu, »und zwar einem, der zurückreiten wird, um ihn zu holen, sobald er …«

»Meiner Seele, seht dorthin, er kommt.«

Unsere Blicke lenkten sich zu gleicher Zeit in der von dem Jäger angedeuteten östlichen Richtung über die Prärie. Ein Gegenstand wurde wie ein Meteor tief unten am Horizont sichtbar.

Das war es aber nicht. Wir wussten auf den ersten Blick, was es bedeutete. Es war ein Helm, welcher im Sonnenschein blitzte, als er sich mit dem gemessenen Galopp eines Pferdes hob und senkte.

»Zu den Weiden, Leute, zu den Weiden!«, schrie Seguin. »Werft den Bogen hin, lasst ihn, wo er war. Zu den Pferden! Fort! Führt sie hinein! Bückt euch! Bückt euch!«

Wir liefen sämtlich zu unseren Pferden, nahmen sie am Zügel und führten sie oder schleppten sie vielmehr in das Weidendickicht. Wir sprangen in die Sättel, um auf alles bereit zu sein, und spähten durch das uns verbergende Laub.

»Sollen wir feuern, wenn er herankommt, Cap’tain?«, fragte einer von den Leuten.

»Wir können ihn hübsch aufs Korn nehmen, wenn er sich bückt, um den Bogen aufzuheben.

»Nein, so lieb Euch Euer Leben ist! Tut es nicht!«

»Was denn, Cap’tain?«

»Lasst ihm den Bogen nehmen und gehen«, war Seguins Antwort.

»Ei, Cap’tain, weshalb?«

»Ihr Toren, seht Ihr denn nicht ein, dass der ganze Stamm vor Mitternacht wieder auf unserer Fährte sein würde? Seid Ihr toll! Lasst ihn gehen, er wird vielleicht unsere Spuren nicht bemerken, da unsere Pferde nicht beschlagen sind. In diesem Fall mag er gehen, wie er gekommen ist.«

»Aber wie, Cap’tain, wenn er dorthin schaut?«

Garey deutete bei diesen Worten zum Felsen am Fuß des Berges.

»Sacré dieu – der Gräber!«, rief Seguin mit bestürzter Miene.

Der Körper lag an einer auffallenden Stelle auf dem Gesicht – der rote Schädel nach oben und auswärts gekehrt, sodass er kaum dem Auge eines von der Ebene Herankommenden entgehen konnte. Mehrere Kojoten waren bereits an der Stelle, wo er lag, versammelt und beschnüffelten ihn, ohne, wie es schien, Lust zu haben, das hässliche Fleischstück zu berühren.

»Er muss ihn sehen, Cap’tain«, fügte der Jäger hinzu.

»Dann müssen wir ihn mit der Lanze, dem Lasso oder lebendig fangen. Es darf kein Gewehr abgefeuert werden. Sie würden es immer noch hören und hinter uns sein, ehe wir um den Berg kommen könnten. Nein, nehmt eure Gewehre auf den Rücken. Diejenigen, welche Lanzen und Lassos haben, mögen sie aber bereithalten.«

»Wann sollen wir auf ihn losgehen, Cap’tain?«

»Überlasst das mir. Vielleicht steigt er ab, um den Bogen zu holen, oder wenn er das nicht tut, kann er auch an die Quelle reiten, um seinem Pferd Wasser zu geben. Dann wird es möglich sein, ihn zu umringen. Wenn er den Gräber sieht, so geht er vielleicht zu ihm heran, um ihn aufmerksam zu untersuchen. In diesem Fall können wir ihn ohne Schwierigkeit auffangen. Geduldet Euch, ich werde das Signal geben.«

Der Navajo näherte sich unterdessen in einem regelmäßigen Galopp. Als das Gespräch zu Ende kam, war er noch etwa dreihundert Schritte von der Quelle und eilte immer noch vorwärts, ohne seinen Schritt zu verzögern. Wir hefteten unsere Blicke in atemlosem Schweigen auf ihn und sein Pferd. Es war ein herrlicher Anblick. Das Pferd war ein großer, kohlschwarzer Mustang, mit feurigen Augen und roten, offenen Nüstern. Er schäumte am Maul und die weißen Flocken hingen ihm an Hals, Brust und Schultern. Er war über und über nass und schimmerte im Sonnenschein. Der Reiter war vom Gürtel an bis auf seinen Federhelm und einige Zierraten, welche an Brust, Hals und Handgelenken glänzten, nackt. Ein grell farbiges, gesticktes, tunikaartiges Hemd bedeckte seine Hüften, und seine Schenkel unterhalb des Knies waren nackt und endeten mit einem halbstiefelähnlichen Mokassin, welcher eng am Fuß anschloss. Man sah, dass er keiner von den Apachen war, denn er hatte keine Malerei am Körper. Sein bronzenes Gesicht schimmerte von der Farbe der Gesundheit. Seine Züge waren edel und kriegerisch, sein Auge kühn und durchdringend und seine langen schwarzen Haare flatterten hinter ihm in der Luft und fielen bis auf den Schweif seines Pferdes. Er ritt auf einem spanischen Sattel. Seine Lanze ruhte auf dem Steigbügel und in der Höhlung seines rechten Armes. Sein linker war durch den Riemen eines weißen Schildes gedeckt, sein Köcher, mit seinen gefiederten Pfeilen, ragte über seine Schulter hervor, sein Bogen war vor ihm.

Pferd und Reiter boten einen prächtigen Anblick, als sie sich zusammen über die grüne Anschwellung der Prärie erhoben. Das Bild glich eher dem eines homerischen Helden, als dem eines Wilden des fernen Westens.

»Pah!«, rief einer von den Jägern leise, »wie er glitzert! Seht nur das Kopfstück an. Es flimmert ordentlich.«

»Ja«, murmelte Garey, »wir haben dem Messing viel zu verdanken. Wir würden in einer ebenso hässlichen Lage sein, wie er jetzt, wenn wir es nicht bei Zeiten gesehen hätten.«

»Was!«, rief der Trapper plötzlich! »Dacoma! Bei Gott, der zweite Häuptling der Navajo.«

Ich wendete mich zu Seguin, um die Wirkung dieser Worte zu beobachten. Der Maricopa hatte sich zu ihm herübergebeugt, murmelte einige Worte in einer mir unbekannten Sprache und gestikulierte energisch. Ich kannte den Namen Dacoma, und das Gesicht des Häuptlings zeigte einen Ausdruck wilden Hasses, als er auf den herannahenden Reiter deutete.

»Nun«, antwortete Seguin, dem Anschein nach dem Wunsch jenes entsprechend, »er soll nicht entrinnen! Gleichviel, ob er uns sieht, oder nicht, aber wendet Eure Büchse nicht an – sie sind keine zehn Meilen entfernt. Wir können ihn leicht umringen, und wenn auch das nicht wäre – so kann ich ihn auf diesem Pferd einholen, und hier ist ein zweites.«

Als Seguin die letzten Worte sprach, deutete er auf Moro.

»Still«, fuhr er mit gedämpfter Stimme fort, »hört!«

Es entstand eine Grabesstille. Ein jeder drückte sein Pferd mit den Knien, um es so in Ruhe zu halten.

Der Navajo hatte jetzt den Rand des Lagers erreicht, wendete sich etwas links und galoppierte an der Linie herab, indem er auf seinem Lauf die Wölfe auseinanderscheuchte. Er saß, auf die eine Seite übergebeugt, auf dem Pferd, und betrachtete forschend den Boden.

Als er unserem Hinterhalt beinahe gegenüber war, erblickte er den Gegenstand seiner Nachsuchung, glitt aus dem Steigbügel und führte sein Pferd so, dass es dicht daran vorüberstrich. Dann beugte er sich, ohne sein Pferd auch nur langsamer gehen zu lassen, hinüber, bis sein Federbusch die Erde fegte, hob den Bogen auf und schwang sich wieder in den Sattel.

»Wunderschön gemacht!«, rief der Stierkämpfer.

»Bei Gott, es wäre schade, ihn zu töten«, murmelte ein Jäger. Unter den Leuten wurde ein leises Flüstern der Bewunderung hörbar.

Nach einigen weiteren Sprüngen schwenkte der Indianer plötzlich und wollte eben zurückgaloppieren, als seine Augen den blutigen Gegenstand auf dem Felsen erblickten. Er gab dem Zügel einen Ruck, bis die Hüften seines Pferdes beinahe auf der Prärie ruhten, und schaute den Körper mit überraschter Miene an.

»Wunderschön!«, wiederholte Sanchez von Neuem. »Carambo! Wunderschön!«

Es war tatsächlich eines von den schönsten Bildern, welche das Auge erblicken konnte. Das Pferd mit seinem auf dem Boden liegenden Schweif, mit erhobenem Kopf und weit offenen Nüstern und unter dem Impuls seines meisterhaften Reiters keuchenden Flanken – der Reiter selbst mit seinem glänzenden Helm und den wehenden Federn – seinem bronzenen Teint – seinem festen, graziösen Sitz – und seinem verwunderten auf eine Stelle gehefteten Blick!

Es war, wie Sanchez gesagt hatte, ein wunderschönes Bild, eine lebende Statue und wir alle von Bewunderung erfüllt, als wir darauf blickten. Kein Einziger aus unserer Schar, mit vielleicht einer einzigen Ausnahme, hätte den Schuss feuern mögen, welcher sie von ihrem Piedestal geworfen haben würde.

Pferd und Reiter blieben einige Augenblicke in dieser Stellung, da veränderte sich plötzlich der Gesichtsausdruck des Indianers, sein Auge schweifte mit einem forschenden und etwas entsetzten Blick umher – es ruhte auf dem noch von den Hufen unserer Pferde schmutzigen Wasser.

Ein Blick war genug und der wilde Reiter schwenkte mit einem schnellen, starken Ruck am Zügel zu der Prärie hinaus.

Das Signal zum Angriff war in demselben Augenblick gegeben worden. Wir sprangen vorwärts und schossen in einer dicht gedrängten Masse aus dem Dickicht.

Wir mussten über den Bach setzen. Seguin war, als wir darauf zuritten, um einige Schritte voraus. Ich sah sein Pferd plötzlich straucheln, über das Ufer stürzen und sich im Wasser wälzen. Die Übrigen ritten spritzend hindurch. Ich hielt nicht an, um zurückzuschauen. Ich wusste, dass jetzt die Gefangennahme des Indianers für uns eine Sache des Lebens und Todes war, und ich stieß meinem Pferd die Sporen tief in die Seite und strengte es aufs Äußerste an.

Wir ritten eine Zeit lang alle in einem dichten Klumpen beisammen. Als wir auf die Ebene gekommen waren, sahen wir den Indianer um ein Dutzend Pferdelängen vor uns und fühlten sämtlich mit Entsetzen, dass er seine Entfernung bewahrte, wo nicht sie gar vergrößerte.

Wir hatten den Zustand unserer Tiere vergessen. Sie waren vom Hunger schwach und vom langen Stehen in der Schlucht steif geworden, überdies hatten sie soeben im Übermaß getrunken.

Ich fand bald, dass ich meinen Gefährten vorauskam. Die größere Schnelligkeit Moros gab mir den Vorteil. El Sol war immer noch vor mir. Ich sah ihn sein Lasso zur Hand nehmen, ihn werfen und plötzlich anhalten. Die Schlinge glitt über die Hinterschenkel des fliehenden Mustangs herab, er hatte sein Ziel verfehlt.

Als ich an ihm vorüberschoss, schlang er sein Lasso von Neuem zusammen. Ich bemerkte seine Miene des Verdrusses und der getäuschten Hoffnung.

Mein Araber war jetzt warm geworden und ich meinen Kameraden bald weit voraus gekommen. Ich nahm überdies wahr, dass ich mich dem Navajo näherte. Ein jeder Schritt brachte mich dichter zu ihm heran, bis kaum ein Dutzend Schritte noch zwischen uns waren.

Ich wusste nicht, wie ich mich benehmen sollte. Ich hielt meine Büchse in der Hand und hätte den Indianer in den Rücken schießen können, aber ich erinnerte mich der Warnung Seguins und wir waren jetzt näher am Feind als je, – ich wusste nicht einmal, ob wir ihm nicht sichtbar waren.

Ich wagte nicht zu feuern.

Noch war ich unentschieden, ob ich mein Messer gebrauchen oder den Indianer mit dem Büchsenkolben vom Pferd werfen sollte, als er einen Blick über seine Schulter warf und sah, dass ich allein war.

Plötzlich lenkte er um, legte seine Lanze ein und galoppierte zurück. Sein Pferd schien ohne Zügel gelenkt zu werden und seiner Stimme und Berührung zu gehorchen.

Ich hatte nur etwa noch Zeit, meine Büchse zu erheben und den Stoß, welcher direkt auf meine Brust gerichtet war, zu parieren. Ich vermochte ihn nicht ganz abzulenken, die Spitze streifte meinen Arm und verursachte eine Fleischwunde. Der Lauf meiner Büchse verfing sich mit der Schlinge der Lanze und das Gewehr wurde mir aus den Händen gerissen.

Die Wunde, die Erschütterung und der Verlust meiner Waffe hatten mich außer Fassung gebracht und verhinderte mich, mein Pferd gehörig zu lenken, sodass es einige Zeit dauerte, ehe ich mich wieder des Zügels so weit bemächtigen konnte, um es zu wenden. Mein Gegner hatte eher geschwenkt, wie ich durch das Zischen eines Pfeiles erfuhr, welcher durch das Haar über meinem rechten Ohr ging. Als ich ihm wieder entgegen ritt, war ein Zweiter auf der Sehne und im nächsten Augenblick steckte er in meinem linken Arm.

Ich war jetzt zornig, zog eine Pistole aus dem Halfter, spannte sie und galoppierte vorwärts. Ich wusste, dass es die einzige Möglichkeit zur Rettung meines Lebens war.

Der Indianer ließ zu gleicher Zeit seinen Bogen fallen, legte seine Lanze ein und spornte sein Pferd mir entgegen. Ich war entschlossen, nicht eher zu feuern, bis er nahe und ich meines Zieles gewiss sein würde.

Wir jagten im vollen Galopp aufeinander zu – ich zielte und drückte ab – das Zündhütchen explodierte.

Die Lanzenklinge blitzte in meinen Augen, ihre Spitze war an meiner Brust, ein Gegenstand schlug in meine Augen, es war der Schlingenring eines Lassos – ich sah ihn über die Schultern des Indianers bis an seine Ellenbogen fallen – die Schlinge wurde im Sinken angezogen, – ich hörte einen wilden Schrei sah einen schnellen Ruck an dem Körper meines Gegners, – die Lanze flog aus seiner Hand und im nächsten Augenblick war er aus dem Sattel gerissen und lag hilflos auf der Prärie. Sein Pferd stieß mit einer Erschütterung auf das meine, welche beide zur Erde warf. Wir rollten umher und erhoben uns wieder.

Als ich mich aufgerichtet hatte, stand El Sol mit gezogenem Messer und um die Arme seines Gefangenen geschlungenem Lasso, über dem Navajo.

»Das Pferd! Fangt das Pferd!«, schrie Seguin, der jetzt herangaloppierte. Die Leute sprengten an mir vorüber, um den Mustang zu verfolgen, welcher mit schleppenden Zügeln über die Prärie galoppierte.

Nach wenigen Minuten war das Tier mit dem Lasso gefangen und wurde zu der Stelle zurückgeführt, welche beinahe mein Grab geworden wäre.