Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Marone – Die Entführung

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 38

Die Entführung

Als Chakra von der Spitze des Jumbéfelsens die glänzend erleuchteten Fenster zu Willkommenberg sah, hatte er dort Gesellschaft vermutet, allein hierin irrte er sich. Früher freilich, bis zu der Ankunft des vortrefflichen Herrn Smythje, hätte der Koromantis ganz richtig geschlossen, doch seitdem dieser hier zu Gast, war die vollständige Beleuchtung des Herrenhauses mit Ansteckung aller Kron- und Armleuchter nicht allein nichts Ungewöhnliches, sondern der regelmäßige Gebrauch jeden Abend. Hieran fand Herr Vaughan Gefallen, und der Hausmeister war beauftragt, auch während seiner Abwesenheit die Beleuchtung gerade wie sonst zu besorgen.

Deshalb war die große Halle diesen Abend wie gewöhnlich beleuchtet. Der glänzende Fußboden derselben strahlte im hellem Licht, und auf den Seitentischen schimmerten geschliffene Gläser und Silbergeschirr, laut den Reichtum des Pflanzers Vaughan verkündend.

Die einzigen Personen, die sich in diesem prächtig ausgestatteten Gemach befanden, waren Smythje und die junge Herrin von Willkommenberg, die beide nichts von dem wussten, was sich auf der Landstraße nach Savanna zugetragen hatte, jenem schrecklichen Ereignis, das Käthchen Vaughan zur vaterlosen Waise machte und sie zugleich des Titels beraubte, mit dem sie erst bezeichnet wurde.

Yola, ihre Dienerin, kam und ging von Zeit zu Zeit, und auch der Diener Smythjes erschien zuweilen in dem Gemach, wenn sein Herr ihn rief.

Obwohl keine Gesellschaft vorhanden, so war Herr Smythje doch ganz wie zu einer solchen angezogen und geputzt, trug Leibrock, seidene Strümpfe und Schuhe mit Silberschnallen darauf. Es war sein unabänderlicher Gebrauch, sich jeden Abend gesellschaftsfähig anzuziehen oder vielmehr anziehen zu lassen. Diesen beobachtete er so gewissenhaft, dass wäre auch niemand im Haus gewesen, als nur die diensttuenden Diener, er trotzdem doch ganz gewiss im prächtigen Gesellschaftsanzug erschienen wäre, denn von ihm wurden die Anforderungen der Mode und der Eleganz ebenso heilig gehalten und ebenso gewissenhaft befolgt, wie von einem heiligen Mönch die Gebräuche seiner Religion und die Regeln seines Ordens. Herr Smythje war höchst aufgeräumt und munter, und seine Gesellschafterin, merkwürdig genug, weniger trübsinnig als sonst gewöhnlich in der letzten Zeit. Unbezweifelt hatte dies auch ihn noch mehr erheitert und in die fröhliche Stimmung versetzt. Smythje wusste keineswegs, weshalb Käthchen nicht so niedergeschlagen wie sonst war, doch glaubte er ihre größere Munterkeit der immer näher tretenden Aussicht auf die frohe Feier, die in wenigen Tagen stattfinden sollte, beimessen zu können. In einer Woche oder in höchstens vierzehn Tagen sollte Herr Vaughan von seiner Reise zurückkehren, und dann sollte, der Verabredung gemäß, zu der das junge Mädchen ihre Einwilligung stillschweigend erteilt hatte, die Vereinigung von Willkommenberg und Schloss Montagu nicht länger mehr aufgeschoben werden.

Smythje war sogar so verwegen, von der Aussteuer zu reden, von der Hochzeitsreise während der Flitterwochen, die sich bis zur großen Weltstadt jenseits des großen Ozeans ausdehnen sollte. Als Käthchen auf seine Aufforderung sich zur Harfe setzte und Musik zu machen begann, fing er lang und breit von der großen Oper und deren unübertrefflichen Genüssen zu erzählen an. Solch Geschwätz hatte bei früheren Gelegenheiten seine Zuhörerin stets noch einsilbiger und schweigsamer gemacht, allein diesen Abend führte es keine solche unangenehme Wirkung herbei. Käthchen horchte still, während ihre über die Saiten der Harfe hingleitenden Finger eine keineswegs melancholische Melodie begannen.

In Wahrheit aber hörte die junge Kreolin ganz und gar nicht auf die rosenfarbenen Beschreibungen und Ergießen Smythjes, die seiner Meinung nach einen tiefen Eindruck auf sie hervorbringen mussten. Wenn auch bei der Harfe sitzend und mechanisch deren Saiten rührend, waren ihre Gedanken doch ganz anderer Art, denn die wurden durch eine weitere ihr von Yola mitgeteilte Nachricht beherrscht, welche die eigentliche Quelle ihrer Freude oder vielmehr jenes flüchtigen Freudenglanzes war, der für eine kurze Zeit ihr Angesicht mit unvergleichlicher Anmut umfloss.

Ach Käthchen ahnte nicht, dass die Leiche ihres Vaters, kalt und starr auf einer Tragbahre ausgestreckt und von fremden Leuten begleitet, kaum noch eine Meile von ihrem Sitz entfernt, sich langsam dem nun herrenlosen Willkommenberg nähere!

Ebenso wenig ahnte sie, dass während sie Herrn Smythje auf der Harfe vorspielte, sich von einer anderen Seite dem friedlichen Wohnhaus wilde Ungetüme in menschlicher Gestalt näherten, deren dunkle Schatten sich verstohlen durch das von den Fenstern aus verbreitete Licht schlichen und bereits Anstalt trafen, in das Haus selbst einzudringen, um dort Raub, Gewalttätigkeit noch viel schlimmerer Art, ja, wenn es nötig, selbst Mord zu begehen.

Weder der hoffnungsfrohe Smythje noch seine Verlobte noch sonst irgendjemand zu Willkommenberg sah oder mutmaßte diese unter dem Schleier einer dunklen Nacht geheim und unbemerkt vollzogene Umstellung, als bis sie vollkommen ausgeführt war. Auch nicht ein Warnruf, nicht ein Zeichen oder ein Wink wurde den in der hell beleuchteten Halle den Sitzenden zuteil, als ein halbes Dutzend wilder Schreckgestalten von scheußlichem Aussehen, einige mit schwarzen hässlichen Masken, andere mit noch hässlicheren und furchterregenden bloßen Gesichtern, plötzlich in die große Halle stürzten und dort sofort ihre Plünderungswelle und Zerstörungen begannen.

Einer dieser Männer von hervorragend riesiger Gestalt mit einer grässlichen Maske vor dem ganzen Gesicht in einem weiten Pelzmantel, der indes nicht hinreichte, um einen nicht unbedeutenden Buckel zu verbergen, eilte im wilden Grimm allen anderen voran gerade auf das holde, ohne alles Arg noch im Musizieren begriffene Käthchen, stieß die Harfe zur Seite und packte das arme Geschöpf mit seinen mächtigen Händen, bevor sie noch von dem Stuhl sich zu erheben vermochte.

»Humm!«, stieß er fast brüllend in wilder Freude hinter der Maske hervor, »endlich habe ich dich gefasst, meine kleine Quasheba! Nach langen Jahren Wartens habe ich dich endlich! Deine Mutter, die Quadrone, ist mir entschlüpft und hat mich verhöhnt, aber ich will schon achtgeben, dass es mit der Tochter nicht ebenso geht. Du kommst nun gleich mit mir!«

Während der Räuber diese Worte schnaubte, schleifte er sein schreiendes Opfer durch den Saal zur großen Treppe. Smythjes nur unentschlossene Dazwischenkunft war von keinem Nutzen. Mit einem einzigen Hieb seiner mächtigen geballten Faust warf der Riese in dem Tierfell den ohnmächtigen Stutzer zu Boden, so plötzlich und gewaltsam, dass der erschreckte Cockney nicht mehr an Widerstand dachte, sondern sich heulend auf dem glatten Boden wälzte, bis es ihm zuletzt gelang, wieder auf die Füße zu kommen. Dann aber, ohne einen zweiten Hieb zu erwarten, der ihn abermals zu Boden schleudern könnte, lief der geängstigte Hasenfuß schleunigst zur offenen Tür hinaus, flüchtete die steinerne Treppe hinab und verschwand nach wenigen Sprüngen in der Finsternis. Unterdessen war der Lärm und das Geschrei der Räuber sowohl in die Küche als auch in die übrigen Teile des Hauses gedrungen. Auf Ausrufen der Verwunderung und des Erstaunens folgte verwirrtes Angstgeschrei mit Schreckensrufen. Die Dienerschaft kam von allen Seiten in die große Halle hineingestürzt, allein einige Schüsse aus den Musketen und Pistolen der schwarzen Räuber, lediglich abgefeuert, um die Verwirrung zu vermehren, zerstreute sie bald alle zusammen, Thoms mit inbegriffen, und trieb sie zur Flucht zu den Zuckerwerken und zu dem etwas entfernteren Negerdorf.

In wenigen Minuten waren Adam und seine Spießgesellen vollkommen Herren des Hauses. Dann wurden die Silberschränke aufgebrochen, alle Kisten und Koffer geöffnet und ihrer wertvollen Gegenstände entledigt.

In kaum einer Viertelstunde waren die schwarzen Räuber mit dem Plündern fertig und bereiteten sich vor, wieder fortzugehen.

Während seine Spießgesellen in dieser Weise beschäftigt waren, hatte Chakra sein unglückliches Opfer unten an der großen Treppe in Sicherheit gebracht, wo er ungeduldig die Vollendung des Plünderungszugs abwartete. Obwohl er entschlossen seinen Anteil an der Beute vollständig in Anspruch zu nehmen, so war ihm hieran doch viel weniger gelegen, als an der endlichen Befriedigung jenes verruchten Gelüstes, das seine wilde Seele schon seit langer Zeit erfüllte.

Allein ungeachtet der heftigen Leidenschaft seiner teuflischen Begierde besaß Chakra doch hinreichend Klugheit, um sich für den Augenblick mäßigen zu können.

Sobald Adam und seine Helfer mit Beute beladen die große Treppe herab kamen, gab er seine Gefangene einem der Räuber zur Bewachung, befahl den anderen, ihm zu folgen, stieg rasch die Treppe hinauf und ging noch einmal in die ihrer Kostbarkeiten beraubte und ausgeplünderte Halle.

In unglaublich kurzer Zeit wurden die Harfe, die Stühle, die Sofas und Ruhebetten und andere leichte Mobilien mitten im Saal aufgehäuft, die Jalousien wurden ausgehoben und auf den Haufen gelegt und dann dieser angezündet. Das trockene Holz fing Feuer wie Zunder, und in wenigen Augenblicken stand das prächtige Herrenhaus von Willkommenberg vollständig in Flammen!

Kurze Zeit darauf suchten die Räuber bei dem weit umher in den Feldern verbreiteten Schein der roten Flamme sich in den nahen Büschen zu verbergen.

Sechs von ihnen schleppten schwer an den geraubten Schätzen, während der Siebente, der Fürchterlichste von allen, in seinen Armen einen Schatz ganz anderer Art trug, die liebliche Gestalt eines reizenden Mädchens, die ohnmächtig hingesunkene Kleine Quasheba!