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Der Marone – Ein Trauerzug

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 37

Ein Trauerzug

Am selben Abend, etwa eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang, bewegte sich ein seltsamer Zug auf dem Carrion-Kreuzweg nach Willkommenberg hin. Sein langsames Vorwärtsgehen, die ernsthaften Blicke und Gebärden der daran Teilnehmenden, eine von vier Männern auf den Schultern getragene rohe Tragbahre, vor allem aber die auf ihr ausgestreckt liegende menschliche Gestalt, die trotz des sie vollständig bedeckenden Kamelottmantels leicht als ein Toter zu erkennen war, alle diese Anzeichen bewiesen deutlich, dass es ein Leichenzug war.

Er bestand aus zehn Personen; zwei davon waren zu Pferde den Übrigen ein wenig voraus. Dann folgten vier, welche die Bahre trugen, und dicht dahinter kamen vier andere Männer, die zu zweit gingen und von denen die vordersten Zwei offenbar Gefangene waren, da sie mit den Armen aneinander geschlossen und ihnen die Hände auf den Rücken festgebunden waren. Die beiden Hinteren waren ihre Wächter. Die beiden Reiter vorn waren Herbert Vaughan und der Maronenhauptmann und die Pferde dieselben, die den Tag zuvor der Custos und sein Diener geritten hatten. Die Gefangenen waren die spanischen Negerjäger, ihre Wächter Quaco und der Reitknecht des verstorbenen Custos, und die vier den entseelten Körper tragenden Sklaven gehörten zur Pflanzung Content.

Genau genommen konnte von allen den Leichenzug Begleitenden nicht ein Einziger als wirklich Leidtragender bezeichnet werden, denn niemand hatte Grund, über das den Eigentümer von Willkommenberg getroffene Schicksal sehr tief bekümmert zu sein, nicht einmal sein Neffe. Dennoch zeigten die Gesichter aller, selbst die beiden Gefangenen nicht ausgeschlossen, den Ausdruck einer stillen, einem Leichenzug angemessenen ernsten Trauer.

Vielleicht wäre der Neffe doch noch tiefer und inniger gerührt gewesen; denn jetzt, wo der Onkel tot, war alle Feindschaft gegen ihn vollkommen erloschen. Vielleicht hätte sich seiner selbst eine aufrichtige und sein ganzes Wesen in Anspruch nehmende Trauer um den Verstorbenen bemächtigt, wären ihm nicht gerade jetzt verschiedene Umstände bekannt geworden, die dazu dienten, in seinem Herzen nicht nur jedes trübe und traurige Gefühl zu ersticken, sondern es sogar mit der lebhaften süßen Freude zu erfüllen.

Nur mit Anstrengung vermochte er deshalb in seiner Haltung wie in seinen Gebärden den einer solchen Gelegenheit geziemenden Ausdruck der Trauer zu bewahren.

Sein Herz war eigentlich trotz des trüben Leichenzugs von freudigen Hoffnungen gehoben, die durch die Mitteilungen des Maronenhauptmanns erregt waren. Während ihres längeren Zusammenseins hatte Cubina ihm nämlich alles erzählt, was er in jüngster Zeit erlebt und erfahren hatte, und darunter auch von dem mit seiner geliebten Yola zuletzt unter der großen Ceiba geführten Gespräch, das sich auf Käthchen Vaughan oder die kleine Quasheba bezog. Obwohl Cubinas Kenntnis von ihrem Herzenszustand eigentlich nur sehr unvollständig, da sie nicht unmittelbar und ihm erst durch Yola zugekommen, so war sie dennoch genügend, um Herbert erneute Hoffnung und wohl noch etwas mehr als bloße Hoffnung zu verleihen, deren lebhafte Äußerung er nur schwer zu unterdrücken vermochte.

Auch noch andere Geheimnisse hatte Cubina ihm enthüllt, unter ihnen den wahren Charakter seines bisherigen Gönners und Schutzherrn Jessuron, der ihm freilich längst verdächtig vorgekommen war, aber den er nun in seiner ganzen Niederträchtigkeit erkannte. Die Herbert bis dahin ganz unbekannte Geschichte des Fellahfürsten, in Verbindung mit allem Übrigen, was er in den letzten vierundzwanzig Stunden selbst erlebt hatte, war mehr als nötig, um jeden schon zuvor über Jakob Jessuron gehegten Verdacht vollkommen zu bestätigen. Obwohl es einleuchtend war, dass die beiden in der Obhut Quacos sich befindenden Gefangenen den Custos nicht wirklich ermordet hatten, so war dies doch offenbar ihre Absicht gewesen, die nur durch einen bereits zuvor in anderer Weise bewirkten Mord vereitelt worden. Sowohl Herbert als auch Cubina vermochten nach allem Vorausgegangenen durchaus nicht die sichere Vermutung zu unterdrücken, dass beides von derselben Hand ausgegangen sei, von der ruchlosen zu jeder Abscheulichkeit fähigen Hand des früheren Gönners und Wirtes Herberts.

Deshalb war Herbert auch schon längst, noch bevor Cubina ihm alles umständlich erzählt hatte, entschlossen, nie wieder freiwillig den Bezirk des Glücklichen Tals zu betreten und noch viel weniger je unter das Dach Jessurons zurückzukehren. Sollte er noch je irgend twas mit dem heimtückischen Israeliten zu tun bekommen, so konnte dies jedenfalls nur auf dem Weg der Gerechtigkeit, als Rächer seines gemordeten Oheims, sein.

An dem Mord selbst war nicht im Geringsten zu zweifeln, denn die Unterredung zwischen Chakra und dem Juden, die der Marone behorcht und die er unglücklicherweise damals nicht vollständig verstanden hatte, enthielt jetzt, nach dem Tod des Custos, leider nichts Geheimnisvolles mehr, da die schreckliche Tat alles hinlänglich aufgeklärt hatte. Nur die Beweggründe und Absichten bei derselben lagen noch gänzlich im Dunklen.

Sowohl Herbert als auch Cubina dachten nicht daran, diese ganze Angelegenheit in Stillschweigen zu begraben und sich etwa nicht weiter darum zu bekümmern. Ein so schreckliches und notwendigerweise so folgenreiches Ereignis verlangte die genaueste Erforschung und sorgsame Untersuchung. Zu einer solchen taten sie jetzt den ersten Schritt, indem sie den Leichnam des Custos nach Willkommenberg geleiteten, damit hier die Behörden eine genügende, den Gesetzen entsprechende Untersuchung anordnen könnten.

Aber wie verschieden waren Herberts Gefühle jetzt bei der Begleitung der Leiche im Vergleich zu damals, als er sich zuerst dem Wohnhaus seines stolzen Verwandten näherte!