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Der Welt-Detektiv Band 6

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Gold Band 2 – Kapitel 06.1

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 2
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 6
Des Justizrats Entdeckung
Teil 1

Das ziemlich geräumige Zelt, das der Alkalde, Major Ryoth, früher bewohnt hatte, und das ihm eigentlich gehörte, war von ihm an jenem Abend ohne Weiteres zurück und im Stich gelassen worden. Der Amerikaner Kenton übrigens, der den Major verschiedene Monate hindurch mit Weinen und Spirituosen versehen, aber bis jetzt noch keine Bezahlung dafür erhalten hatte, nahm es nach des Alkalden Flucht in Beschlag und für die Schuldforderung an. Niemand weiter schien ein Anrecht darauf zu haben, und er blieb deshalb auch in Besitz und vermietete es an einen gerade eingetroffenen Franzosen.

Das Gerücht von in der Nähe entdeckten reichen Minen hatte diesen aber ebenfalls wieder veranlasst, das Paradies zu verlassen, und das Zelt stand seit einer Woche aufs Neue leer, bis sich an diesem Tag ein frischer Abmieter oder eigentlich Käufer dazu fand.

Smith hatte nämlich seinem »Freund« Siftly ganz recht berichtet, dass Hetson mit seiner Frau und Begleitung in den Minen angekommen sei, und der junge Mann hörte kaum von einem Landsmann, dass dieser Wohnraum zu erstehen sei, als er zu Kenton hinüberging und mit diesem bald einen Kauf über das für ihn doch nutzlose Zelt abschloss. Segeltuch hatte er noch außerdem mitgebracht, im Fall er kein Unterkommen fände, selber ein Obdach aufzuschlagen. Von diesem wurden nun Zwischenwände hergestellt, das Innere wenigstens für den Augenblick ihren Bedürfnissen entsprechend herzurichten, und etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang war schon für Dach und Fach gesorgt.

Die Lagerstätten aufzuschlagen, verlangte ebenfalls nur kurze Zeit. Tische und Stühle standen schon im Zelt und waren mit in den Kauf eingeschlossen, und wenn der Platz auch keine Ansprüche auf Eleganz machen konnte, entsprach er doch dem, was man eben hier in den Bergen von einem derartigen Wohnort verlangen konnte, vollkommen.

Hetson selber, der zwei mit ihm heraufgekommene Seeleute engagiert hatte, ihm die Segeltucharbeiten zu machen, war außerordentlich tätig bei dieser kleinen Einrichtung, ordnete alles an und half mit, wo er nur zu helfen imstande war. Aber eine gewisse Unruhe ließ sich in allen seinen Bewegungen nicht verkennen. Es schien ordentlich, als ob er in dieser anstrengenden Arbeit sich selber und seinen eigenen Gedanken entfliehen wolle, und nur in derselben belebten sich die bleichen abgemagerten Züge des durch ein Phantom Unglücklichen, gewannen die eingesunkenen Augen wieder Glanz.

Hetson war recht krank gewesen, und der Tod hatte schon gar ernsthaft an die schwache Hülle geklopft, die seine Seele noch umschlossen hielt. Aber die Frucht schien noch nicht reif. Jennys treue Pflege und des alten wackeren Arztes wahrhaft aufopfernde Freundschaft trieben das Fieber wieder aus den heißen, pochenden Adern und richteten den matten Körper von seinem Schmerzenslager wieder auf. Mit den neu erwachenden Kräften fingen sich dann allerdings auch jene drohenden Bilder und Fantasien an abzuschwächen, die ihn bis dahin beunruhigt, ja seine Geisteskräfte selbst bedroht hatten. Aber das Scheue, Ängstliche in seinem Wesen, das seinem sonst so offenen freien Charakter stets fremd war, hatte sich noch nicht ganz wieder verloren, und ließ sein armes Weib um so mehr einen Rückfall fürchten.

Unendlich glücklich hatte sie es aber gemacht, als ihnen Doktor Rascher versprach, sich nicht ganz von ihnen zu trennen, sondern sie jedenfalls, vielleicht schon nach sehr kurzer Zeit, in den Bergen wieder aufzusuchen, und zu sehen, wie sie es »da oben in den Minen« trieben. Seinen botanischen Studien nachgehend, war ihm in dem fremden Land ja jeder Fleck gleich, wohin er sich wandte, so er nur neue und interessante Pflanzen fand.

Segensreich hatte er aber nicht allein für den Mann, nein auch für die Frau gewirkt, indem er ihr in der Person der jungen Spanierin Manuela eine Gesellschafterin verschaffte. In einem Land, wo auf hundert Männer in jener Zeit kaum eine Frau gerechnet werden konnte, hätte die einzelne Dame da oben in den Bergen ja verzweifeln oder sich doch unendlich unglücklich fühlen müssen. Doktor Rascher war aber, eben durch seinen jungen Freund Emil, auf die Spanierin aufmerksam gemacht worden, deren Sprache Mrs. Hetson fließend redete. Die traurigen Verhältnisse, in die der eigene Vater das arme Mädchen durch sein unseliges Spiel gebracht hatte, der Abscheu, den sie selber vor diesen Spielhöllen empfand, und die sie doch nicht verlassen konnte, da des Alten Leidenschaft sie immer wieder durch neue Schulden an dasselbe fesselte, machten, dass Manuela mit Freuden und inniger Dankbarkeit gleich auf den ersten Vorschlag einging. Hetson, der ein ziemlich bedeutendes Vermögen zu besitzen schien, machte sie frei, und gestattete sogar dem Vater, sie zu begleiten.

Don Alonso war freilich in der Zeit gar sehr heruntergekommen, und seine Kleidung selbst verriet, wie arg Fortuna, die launische Göttin, ihm mitspielte. Der wertvolle Ring, den er früher getragen hatte, war von seinem Finger verschwunden. Statt seiner kostbaren, mit Goldfäden durchwirkten mexikanischen Serape, die er früher getragen hatte, hüllte ihn nun ein alter kalifornischer Poncho ein und verdeckte die Mängel seiner Unterkleidung. Sein Hut zeigte sich arg zerknittert, selbst sein Schuhwerk beschädigt, und die eingefallenen Wangen, die tief liegenden düsteren Augen verrieten die wilde Leidenschaft, die in ihm mit fast krankhafter Wut noch nagte, noch arbeitete. Auch stiller, zurückhaltender war er geworden als früher, und dass er eben nicht mehr spielen konnte, zehrte an seinem Leben.

Für alle aber, nur vielleicht nicht für den alten eingefleischten Spieler, schien die Reise in die Berge von den segensreichsten Folgen gewesen zu sein. Selbst Hetson war um vieles lebendiger und frischer geworden, und mit der reinen Bergluft, der wundervollen Natur um sich her, mit dem eigentümlichen regen Leben, das sie umwogte, mit der ungewohnten Tätigkeit selbst, die ihm die Umstände aufzwangen, fing er an, doch freier aufzuatmen, fing an, sich selbstständiger zu bewegen und weniger jenen trüben tötenden Gedanken nachzuhängen, die in San Francisco selbst sein Leben bedrohten.

Und doch hatten jene Bilder ihn nicht ganz verlassen, nur sicherer fühlte er sich hier – abgeschiedener von der Welt und ihrem Verkehr. Wie mit einer festen Wand schienen diese waldigen, das Tal umgürtenden Berge es von dem Leben draußen abzuscheiden.

Eigentlich war es sein fester Plan gewesen, Kalifornien schon in den nächsten Wochen wieder zu verlassen und nach den Sandwichinseln hinüberzufahren, wohin sich zu Zeiten Gelegenheit fand. Aber er fürchtete auch, dass dann sein Verfolger weit leichter die Spur wiederfände, als wenn er, erst eine Weile von San Francisco abwesend, in den Bergen sich aufgehalten hätte. Hier oben wurde keine Kontrolle geführt. Jeder kam und ging, wie es ihn freute, ungefragt, unbemerkt, und was der Nachbar trieb, kümmerte wahrlich nicht den Nachbar – so er ihm nur nicht in seinen Arbeitsplatz kam, ihm den Gewinn zu schmälern.

Hier wollte Hetson selber mit graben und arbeiten; Doctor Rascher hatte ihm das besonders anempfohlen, denn in der neuen ungewohnten Beschäftigung, in dem Interesse, das er daran gewinnen musste, und besonders in der harten körperlichen Arbeit, die ihm wieder Lust an Speise und Trank, Lust am Leben selber geben sollte, wurden die trüben nutzlosen Gedanken am leichtesten und schnellsten aus dem Felde geschlagen.

 

Mit der Morgendämmerung begannen nun im oder um das Städtchen die gewöhnlichen Arbeiten. Die Goldwäscher hatten sich aber mehr aus der Flat hinausgezogen, und die in dieselbe einströmenden kleineren Bergbäche aufgesucht, an denen die Arbeit nicht so mühsam und dadurch auch lohnender war. Die Bachbetten führten hier überall Gold in ziemlich groben Körnern. Große Stücke kamen allerdings selten oder gar nicht vor, aber das feinere Gold zahlte ihnen doch auch ihre Arbeit, und sie brauchten nicht so lange zu graben, die goldhaltige Erde zu erreichen.

Eine dieser Stellen hatte der Justizrat in Angriff genommen, und da er dort zum ersten Mal wirkliches Gold gefunden hatte, fing die Sache auch an ihn zu interessieren. Nach schon gestern Abend mit dem frisch angekommenen Assessor getroffener Abrede wollten die beiden von jetzt an nicht nur allein zusammen arbeiten, sondern auch zusammen ein eigenes Zelt beziehen. Kochgerätschaften hatte der Assessor selber noch mit von Deutschland herübergebracht, ein kleines Zelt kaufte der Justizrat von nach San Francisco zurückkehrenden Franzosen, und gegen Mittag war ihre neue Einrichtung so weit getroffen, dass sie gleich nach Tisch zusammen an die Arbeit gehen konnten.

Anfangs hatte der Justizrat allerdings beabsichtigt, sein Zelt dicht neben dem der früheren drei Kameraden aufzustellen. Binderhof ärgerte ihn aber an dem Morgen wieder, indem er von Lamberg verlangte, dass er den neuen Bund der beiden würdigen Männer einsegnen solle. Er beschloss nun diesen ewigen Neckereien dadurch zu entgehen, dass er sich mehr von ihnen entfernte. Wollten sie dann einmal zusammenkommen, so konnte das ja noch immer geschehen. Das Zelt wurde deshalb etwa fünfhundert Schritte weiter, am Fuß eines ziemlich hohen, nur hier und da mit einzelnen Büschen bewachsenen Hügels aufgeschlagen. Wasser quoll nicht weit davon entfernt aus einem Felsen, Holz war von hier aus auch bequemer zu bekommen als weiter dem Städtchen zu. Die beiden neuen Partner versprachen sich von ihrem künftigen Leben nicht allein manche Annehmlichkeit, sondern auch reichlichen Gewinn.

Der Assessor war besonders ganz glücklich über diese neue Tätigkeit, in die er jetzt eintreten sollte, ja, dem Justizrat so dankbar für die Hilfe, die er ihm angedeihen ließ, dass er nicht nur die nötigen Arbeiten ganz allein besorgte, während sein würdiger Kompagnon mit der langen Pfeife ruhig danebensaß, sondern diesem auch, als sie nachmittags endlich an die Arbeit gingen, unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählte, weshalb er eigentlich die Frau Siebert und ihre Kinder verlassen habe, um in die Minen zu gehen. Er tat das auch in dem unbestimmten und vollkommen unnötigen Gefühl, sich zu entschuldigen, als ob er die arme, vom Schicksal schwer heimgesuchte Frau mit ihren Kindern rücksichtslos sich selber überlassen hätte.

»Aber es ging nicht mehr, Herr Justizrat. Sie dürfen es mir glauben«, sagte er. »Ich habe mein Mögliches getan, aber – das konnte ich nicht.«

»Was? Unsinn!«, sagte der Justizrat, »was konnten Sie nicht?«

»Die Frau heiraten«, platzte der Assessor heraus und sah sich dabei scheu um, als ob er selbst hier im Wald fürchtete, dass ihn die Frau Siebert gehört hätte.

Bis dahin hätte nun noch niemand den Justizrat je ordentlich lachen sehen. Der finstere gravitätische Ernst, der auf seinen Zügen thronte, wich nur höchst selten den milderen Regungen der Heiterkeit, und wenn ihm je etwas einmal außergewöhnlich komisch vorkam, verzog er nur sein Gesicht etwa in derselben Art, als ob er aus Versehen in eine Zitrone gebissen hätte, und hustete dazu. Nun aber blieb er stehen und lachte, ein wirklich ordentliches menschliches Lachen, lachte, dass ihm der Rauch seiner Pfeife in die Kehle kam, und er, von mehreren höchst ungehaltenen Donnerwettern unterbrochen, drei-, viermal heftig husten musste.

Plötzlich aber wieder so ernsthaft wie nur je aussehend, sagte er: »Also Sie sollten die Frau Siebert heiraten, Assessor?«

»Bitte um Verzeihung, Herr Justizrat,« bemerkte der etwas ängstliche Mann. »Sie … sie wollte mich heiraten. Sie erklärte mir eines Morgens, die Kinder hätten sich so an mich gewöhnt, und … und sie sich auch. Wir wären aber jetzt schon in das Gerede der Leute gekommen … und das ist wahr, denn der Herr Ehlers hörte nie auf, seine Witze darüber zu machen … und da sei es besser, man verleide den Leuten das Reden durch … eine Heirat.«

»Und da rissen Sie aus?«

»Ich versuchte erst, ihr mein Alter und meine ungenügenden Geldmittel zu einer solchen Verbindung vorzustellen, aber es half nichts. Sie verdiente sich recht hübsches Geld, es ist wahr, und behauptete, mich auch schon in irgendeine Beschäftigung hineinarbeiten zu wollen – mit einem Wort: Sie war entschlossen, mich zu heiraten.«

Der Justizrat hatte ihm mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zugehört. »Und dann?«, sagte er endlich.

»Wie ich fand, dass alle meine Vorstellungen nichts halfen – denn zu einer Heirat konnte ich mich in meinen Jahren unmöglich mehr entschließen – und die Frau Siebert – ja, es ist eine recht gute brave Frau, aber …«

»Nun? Und als Vorstellungen nichts halfen?«

»Hm – da packte ich abends meine Sachen zusammen …«

»Die Frau Siebert war ausgegangen?«

»Sie war drüben bei der Frau Hetson …«

»Und brannten durch?«, rief der Justizrat. Sein Gesicht wurde vor innerlicher Freude feuerrot.

»Ich … ich bitte Sie nur um Gottes willen keinen Gebrauch davon zu machen,« sagte der Assessor ängstlich.

»Und selber die Witwe heiraten?«, rief der Justizrat in einem eigenen Anfall von Humor. »Donnerwetter, die Pfeife ausgegangen … schlagen Sie Feuer, Assessor … habe mein Feuerzeug verloren.«

Der Assessor rauchte nun allerdings selber nie, trug aber trotzdem stets Stahl und Schwamm bei sich, anderen gefällig sein zu können. Die Pfeife wurde deshalb wieder in Brand gebracht, und die beiden Männer setzten von da an, ohne dass ein Wort weiter über die Angelegenheit gesprochen wurde, ihren Weg fort.