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Sir Henry Morgan – Der Bukanier 1

Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845

Erstes Kapitel

Schauplatz von unseres Helden Kindheit – Einige Auskunft über seine Nachbarn – Sein Aussehen in der Jugend – Seine Genealogie und Abstammung – Seine Erziehung und Beschreibung seines Tuns und Treibens

Im Sommer 1647, nachdem die Puritaner sich nicht nur in England befestigt, sondern auch ihre Verzweigungen in die entlegensten Teile von Schottland und Wales gebreitet hatten, sahen sich diejenigen, welche noch immer den Glauben ihrer Vorfahren bekannten und nicht Mut genug befassen, die Krone des Märtyrertums zu suchen, genötigt, die Tugend der Demut zu üben und alle Abgeschiedenheit, zugleich aber auch viel von dem Mangel der Anachoreten zu erdulden, ohne dass sie sich gleich diesen eines entsprechenden Rufes zu erfreuen gehabt hätten.

Die edle, königlichem Blut entsprossene walisiche Familie Glenllyn hielt fest an dem nur zu oft gerühmten Vorrecht ihrer hohen Geburt, dass sie nicht Erzeuger, sondern nur Verzehrer der guten Dinge dieser Welt hervorzubringen habe, und hatte sich daher von ihrem vormals fürstlichen Erbgut eines Ackers um den anderen entschlagen, bis ihnen zuletzt wenig mehr geblieben war, als ihr ungeheures baufälliges Schloss, ihre Religion und ihr Stolz. Graben konnten sie nicht und zum Betteln schämten sie sich. Den einzigen Besitz vielleicht auch erringt. Der frühe Eindruck des Großartigen erweitert den Geist des Menschen, wo er nämlich zu finden ist, und wir glauben fest, dass ein Gleiches auch bei unserem künftigen Helden Henry Morgan der Fall war.

In der Zeit, von der wir schreiben, fand zwischen dem Binnenland und der übrigen Welt kein weiterer Verkehr statt, als derjenige, welcher durch den engen Pass Bwlch y Groes vermittelt wurde – ein Name, welchen Letzterer einem Kreuz verdankte, das an seinem Eingang errichtet worden war, um dem einsamen und frommen Wanderer als Wegweiser zu dienen.

Um die Periode des Anfangs unserer Geschichte war Sir George Glenllyn ein fast sechzigjähriger Mann mit untergrabener Konstitution, gebrochenem Mut und gebrochenem Herzen. Als er noch jung war, hatte er die wilden Wege der Jugend mit dem heißen Temperament eines Cambriers verfolgt, denn er verflocht sich in alle Arten von Verschwörung, Aufstand und Hochverrat, nur dem Impuls seines unlenksamen Charakters folgend, welcher ihm nicht gestattete, einer Strafe seiner Verirrungen durch Klugheit oder Unterwerfung auszuweichen. Vermögenskonfiskation, Verlust der bürgerlichen Ehre und Achtung folgten in seinem Mannesalter der trunkenen Tollheit seiner Jugend. So sah er sich mit einem Mal am Rande des Verderbens und des Grabes. Die letzte Ruthe Landes entglitt seinen Händen, als er im Begriff war, seine Schmach unter ihr zu verbergen. Er bat nur, man möchte ihn im Frieden sterben lassen, konnte aber die Vergangenheit nicht vergessen.

Das Zeugnis, welches Giraldus den Welschen gab, ist sogar heutigen Tags noch passend. »Dieses Volk ist mit Leib und Seele bei allem seinem Treiben, seine Schlechten sind schlechter, als man nur irgendwo welche finden kann, während die Guten ebenfalls ihres Gleichen suchen.« Wenn wir auf diese Behauptungen hin bauen wollen, so müssen wir sagen, dass Sir George ein sehr schlimmer Mann, die wahre Wesenheit der Selbstsucht war. Er hatte in der Tat nur wenig zu dem gemeinsamen Ruhmvorrat seines Geschlechtes beizutragen, und doch bildete er sich hartnäckig ein, der Glanz desselben, den er weder erzeugen noch fortpflanzen konnte, sei aufs Innigste mit seinem eigenen Wesen verwoben. Dieser Stolz führte den Mann in ein Gewirr von Widersprüchen und machte ihn anderen zur Qual, für sich selbst aber zum scharfsinnigsten Selbstpeiniger.

Die Familie dieses verarmten Ritters bestand, ihn selbst mit eingeschlossen aus fünf Personen: seinem Familienkaplan, einem katholischen Priester ex societate Jesu, einem Barden aus dem Orden von Penwyz, dessen unlenksamem Sohn – und endlich aus dem besten und letzten Mitglied, seiner einzigen Tochter Lynia. Ehe wir jedoch eine von diesen Personen besonders zu schildern beginnen, sehen wir uns durch die literarische Etikette verpflichtet, unserem Helden Henry Morgan und seiner Familie den Vorrang zu geben. Obwohl Henrys Vater seine Vorfahren nicht auf eine der fünf königlichen Quellen, von denen die ganze gegenwärtige welsche Bevölkerung abzustammen vermeint, zurückführen konnte, so hatte er doch auch Ahnen, auf die er stolz war. Diese Ostentation von Geblüt übte einen entschiedenen Einfluss sowohl auf seine Handlungen als auch gewissermaßen auf das Schicksal seines Sohnes.

Syrinans Familie kam aus Monmouthshire, und Syrinan selbst suchte seine Vorfahren nicht über den bekannten Abt von Bangor hinaus zu verfolgen, welcher für sich die gehässige und kopfgefährdende Auszeichnung des Erzketzers Pelaguis gewonnen hatte. Dieser kühne und große Mann war zu Rom nicht ganz so stolz auf seinen gälischen Ursprung, wie die Cambrier gewöhnlich sind, denn er tauschte seinen ehrlichen Namen Morgan, welcher einen Seegeborenen bezeichnet (von dem keltischen Mor, Meer und Gan abgeleitet) gegen das klassischere, obwohl weniger wohltönende πέλαγος, (lateinisch: Pelagius) um.

Das Gebrechen der Eitelkeit ist dem Menschen so natürlich, wie der Tod. Es darf uns daher nicht Wunder nehmen, dass Gaffer Morgan und seine Gaffer vor ihm, um sich einer Ahnenschaft aus dem Jahre 400 rühmen zu können, kein Bedenken trugen, ihre Abstammung von einem Mann anzuerkennen, welcher nicht heiraten konnte, obwohl er es mit seinem Zölibat-Gelübde nicht genau nahm. Die Morgans zogen gar weislich in Betracht, dass es viel besser sei, einen unehelich geborenen Vorfahren im 5., als den ehrenwertesten Ahnen im 15. Jahrhundert zu besitzen, und nach Weise der Heraldiker taten sie sich gewaltig viel darauf zugute. Denn es gilt ja als eine anerkannte Doktrin, eine alte Schande mache einem Geschlecht weit mehr Ehre als neuer Ruhm. Unter dem Einfluss des gleichen Gefühls hielten die Morgans hartnäckig an der pelagianischen Ketzerei fest, mochte nun der vorherrschende Glaube katholisch oder protestantisch sein. Sie waren kühne Gesellen und, obwohl nur Yeomen, doch zu stolz, eine Erbsünde anzuerkennen. Mochten sie daher in einem Meeting oder der Messe anwohnen, so behaupteten sie stets die Freiheit des Willens. Sie erklärten, imstande zu sein, alle Gebote Gottes ohne Einmengung der Gnade des Pfarrers oder Priesters befolgen zu können, und leugneten, dass die Sünde mit den Menschen geboren werde, denn sie trete erst nach der Geburt ins Leben. Dies war eine sehr schöne Doktrin, um einen männlichen, unabhängigen, selbst vertrauenden Charakter zu bilden, freilich aber schlimm genug für alle Arten geistlicher Hirten, da ihre Amtstätigkeit dadurch beträchtlich gemindert und ihre Gewalt über solche Beichtkinder sehr verkürzt wurde.

Syrinan ap Morgan, der Vater unseres Helden, war ein strenger presbyterianischer Nonkonformist, denn er hatte die Lehre dieser Sekte im Geist ganz mit der pelagianischen Ketzerei zu vereinigen gewusst. Auch war er bereit, sein Schwert zu ziehen und es bis ans Heft im Blut des Papisten zu färben, der sich den Calvinisten und Lutheranern entgegensetzte – ja, auch den Calvinisten oder Lutheraner mit kaltem Eisen zu behandeln, welcher gleich den Katholiken die Erbsünde oder auch nur eine modifizierte Prädestination behauptete. Wir können diese Kühnheit Syrinans ap Morgan und seine zarte Weise einer haarscharfen Unterscheidung nicht genugsam bewundern, um so weniger, wenn wir in Betracht ziehen, dass er kaum lesen und gar nicht schreiben konnte. Doch war er nicht ein Abkömmling von dem großen Pelagius?

Wir glauben wahrhaftig, wenn es in England eine Familie gäbe, welche sich unbezweifelt von Alexander dem Großen ableiten könnte, so wurden alle Mitglieder derselben ihre Köpfe nach Weise der aufgezweckten Hühner über die Schulter hängen lassen. Es darf uns daher nicht überraschen, dass die Morgans so beharrlich an einer Ketzerei festhalten. Wir sind eine schiefhalsige Generation.

Um die Zeit des Beginns unserer Geschichte hatte der junge Henry Morgan kaum sein 16. Jahr erreicht. Er war ein lebhafter, schön gebildeter Jüngling, rührig wie die wilden Ziegen seiner heimatlichen Berge, starkgliederig wie das ungezähmte Ross der Wüste und furchtlos wie der Seeadler in der Mitte seiner Alpeneinsamkeit; dabei fröhlich, frei und just so gottlos, wie ein Knabe notwendig sein muss, der von Kindheit an gelernt hat, dass er keine Erbsünde auf sich trage. Da jedoch diese Beschreibung vielleicht nicht zureichend bestimmt ist, um meine schönen Leserinnen zufriedenzustellen, so will ich ein bisschen mehr ins Einzelne eingehen. Seine Augen (denn die Augen fordern stets die erste Aufmerksamkeit) waren tiefblau von lebhaftem Glanz und hatten etwas Falkenartiges in ihrem Ausdruck. Seine Stirn zeichnete sich weder durch Breite noch Höhe aus, obwohl sie auch nicht gemein oder niedrig genannt werden konnte. Seine wallenden Locken hätten als das beliebteste Nussbraun erscheinen können, wenn nicht Sonne und Regen rötlich aussehende Wische, die mit verbranntem Weiß wechselten, da eingesät hätten. Die Umrisse seines Gesichtes waren fast rund, die Wangen voll und über Gebühr rot, die übrigen Teile seines Gesichtes aber so tief sommersprossig, dass sich über ihre ursprüngliche Farbe kaum ein Schluss ziehen ließ.

Da Henry Morgan buchstäblich eine historische Person ist und in den Zeiten, in welchen er blühte, eine sehr augenfällige Rolle spielte, so bitten wir, dieser Schilderung eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken, und fahren fort, zu berichten, dass seine Nase schön gebildet und keineswegs nach walisischem Brauch bloß eine Quasinase war. Sein Mund war groß, aber gewiss nicht übel geformt, und wenn man Ersteres vielleicht als einen Mangel betrachtet, so wurde er mehr als ausgeglichen durch die Regelmäßigkeit und blendende Reinheit der Zähne. In dem hervorragenden Kinn sprachen sich Tatkraft und Entschlossenheit aus. Seine ganze Haltung war frei und kühn, aber doch ein wenig renommierend. In seinem übrigen Körperbau zeichnete sich besonders die Breite und Tiefe seiner Brust, die Derbheit seiner Schultern aus. Diese Merkmale bewahrte er im ganzen Lauf seines ereignisreichen Lebens, obwohl sie unter dem Klima, den Entbehrungen und der Reihe der Jahre viele Veränderungen erlitten. Er wurde einer der schönsten Männer seiner Zeit.

Morgans Familie schloss sich der Reformation an, dabei natürlich stets ihre pelagianische Ketzerei beibehaltend, welche sie sehr geschickt auf ihr religiöses Gewand flickte, das ihrer Behauptung zufolge dadurch nur um so besser aussah. Die wenige klassische Erziehung, welche Henry zuteilwurde, erhielt er von einem ambulierenden Domine, welcher der Reihe nach in den verschiedenen Farmhäusern lebte und lehrte. Auch verdankte er Miss Glenllyn einige Kenntnis in der spanischen, italienischen und französischen Sprache.

Dieser Unterricht wurde jedoch während der Unruhe des Kampfes zwischen Carl und seinem Parlament unterbrochen. Die weiteren Fortschritte verdankte Henry später dem Pater Polybius ex societate Jesu, Sir George Glenllyns Hauskaplan, welcher ein bisschen gar zu viel glaubte, und dem Barden ap Lywarch, welcher kaum irgendetwas glaubte; denn Letzterer war ein wahrer Heide, welcher die Mistel verehrte und kein großes Bedenken getragen haben würde, einem noch schlimmeren Götzen zuliebe ein menschliches Wesen zu verbrennen, falls dasselbe ein Sachse gewesen wäre.

So konnte in seiner vorgedachten frühen Jugend Henry bereits lesen und schreiben, englisch sprechen, sein Paternoster lateinisch, den Glauben walisisch hersagen und den Leuten welsche Liebeslieder vorsingen. In der Tat war er für den Sohn eines obskuren, aber doch reichen Yeoman wunderbar begabt, obwohl er kraft seiner Abstammung von dem unsterblichen Pelagius durchaus keiner nutzlosen oder gefährlichen polemischen Gelehrsamkeit zugänglich war. Indes kannte er doch viele seltsame Legenden von den welschen Königen und Prinzen, von den Söhnen des Nebels, von den Feen des Cader Idris und der umgebenden Berge nebst vielen noch seltsamen Geschichten von römischen Wundern und Märtyrern. Dies und die harten trockenen Lehrsätze pelagianischer Ketzerei, welche ihm sein Vater mit dem viel beliebten überzeugenden Haselnussöl einrieb, bildeten die Grundlage seines Glaubens und die religiösen Begriffe seines früheren Lebens. Die Jugend glaubt alles, während der Mann, sobald er den Trug entdeckt hat, womit man die bildsamere Seele eines früheren Alters nährte, sich empört, auf das entgegengesetzte Extrem übergeht und weiterer Täuschung dadurch zu entgehen sucht, dass er nicht nur gar nichts mehr glaubt, sondern überhaupt allem ein taubes Ohr leiht und so eigensinnig sich der göttlichen Wahrheit entfremdet. Syrinan ap Morgans Farm zu Penabock war bei Weitem die größte und kultivierteste auf viele Meilen im Umkreis, Syrinan selbst aber unendlich reicher als sein adliger Nachbar Sir George Glenllyn. Sie standen gegenseitig nicht auf dem besten Fuß, denn Sir George betrachtete sich immer noch als den Lehensherrn des Yeoman, trotz der Konfiskationen, Exekutionen und Attainders1. So oft Sir George von Erhebung der gewöhnlichen Lehensleistungen und Fronen sprach, geriet Morgans Blut in Wallung, und zugleich erhoben sich kampffertig seine drei Söhne nebst seinen zahlreichen Scharen von Bauern, Schäfern und Knechten.

Der Lehensherr durfte es nicht wagen, von den Schrecken des Gesetzes zu sprechen, denn er befand sich als ein Widerspenstiger selbst außer dem Bann desselben und durfte nur aus Nachsicht in seiner Ruine bleiben. Was ferner die Kraft betraf, die ihm vordem sein Haushalt oder seine Vasallen geboten, so hatte er längst aufgehört, sich ihrer zu rühmen. Indes war doch Syrinan ap Morgan sehr bereitwillig, seinen schlossbesitzenden Nachbarn in jener möglichen Weise zu unterstützen, wenn der Beistand als eine Höflichkeit erbeten, nicht aber als ein Recht gefordert wurde. Sir George gewann zwar Brennstoff aus seinem Trümmerhaufen, hing aber in Beziehung auf fast alle anderen Unterhaltsmittel hauptsächlich von Morgans Freigebigkeit ab, obwohl ihm hin und wieder auch das Wohlwollen einiger Farmer in der Nachbarschaft und je zuweilen ein Geschenk der reicheren Einwohner von Abermaw Unterstützung boten. Sir George befand sich in jener peinlichsten von allen Lagen – in der Lage der Ungewissheit, ob sein herabwürdigendes Elend durch Tod oder Gefangenschaft enden werde. Seine leidende Gesundheit drohte mit dem Ersteren, während die nahe Ankunft der Parlamentsstreitkräfte das Letztere höchst wahrscheinlich machte.

Harlech Castle war kürzlich an die Parlamentssoldaten unter General Mytton übergeben worden, und dieser Platz, welchen damals Kapitän William Owen verteidigte, das letzte Fort in Wales gewesen, welches es mit dem unglücklichen Carl hielt. Auch befand sich ein Trupp von Cromwells Reitern zu Abermaw, das nun Barmouth heißt und nicht mehr als acht Meilen von Glenllyn Castle lag. Indes schienen es diese mehr auf Bekehrung als auf Belästigung abgesehen zu haben.

Die Vorderseite von Glenllyn Castle war derjenige Teil, welcher den Verheerungen der Elemente, dem Unterminieren der Zeit und dem langsamen, aber sicher um sich fressenden Einfluss der Armut den erfolgreichsten Widerstand entgegengesetzt hatte. Die Form des Schlosses bestand nahezu aus einem Parallelogramm, dessen zwei längste Seiten sich einwärts gegen die Gebirge hin erstreckten. Die vier Ecken dieses massigen Gebäudes waren mit hohen, kreisrunden Zinnentürmen versehen, an denen außen Treppen hinaufführten, welche das Hinansteigen erleichterten und die Notwendigkeit beseitigten, sich der schmalen, lästigen Wendeltreppen zu bedienen.

Die beiden östlichen Türme waren nichts als stattliche Trümmermassen und die beiden westlichen gleichfalls in sehr schlechtem Zustand, obwohl noch immer bewohnbar. Aus Mitleid hatte der Efeu seinen grünen Blättermantel um sie geworfen, um so die Verheerungen der Zeit zu verbergen und, indem er dem Alten eine reichere Schönheit verlieh, der Ruine eine lieblichere Großartigkeit zu geben.

Das Gebäude hatte früher einen geräumigen Hof eingeschlossen, der jedoch der gewöhnlichen Unterhaltung ermangelte. Die Fenster, welche danach hinsahen, waren groß und vordem schön verziert gewesen, während diejenigen, welche nach dem Land hinausgingen, aus bloßen schmalen Spalten bestanden, nur so breit, um dem Gebrauch eines Bogens oder dem Anlegen einer Arkebuse Raum zu geben.

Die zwei zur See hin gelegenen Türme, zwischen welchen sich der Haupteingang befand, waren nebst den in ihrer Nähe gelegenen Hauptzimmern noch erhalten. Die ganze Vorderseite enthielt drei bewohnbare Stockwerke, welche ihr Licht durch die engen, lanzenförmigen Fenster erhielt.

In dem zweiten oder mittleren Stockwerk des mittleren Turms befand sich Miss Glenllyns Gemach. Dieses hatte ein mit Bugen versehenes Dach, dessen Rippen zwölf mit reichen Ornamenten versehene Fächer bildeten. Es war ein sehr schönes, eines Edelsitzes nicht unwürdiges Zimmer. Eines von diesen Fächern, das gegen die Berge hin lag, war weiter als die übrigen in das massive Gemäuer des Turms eingetieft und hinreichend groß, um nicht nur das Lager der jungen Dame, sondern auch unmittelbar unter dem langen, schmalen Fenster, welches seine farbigen Scheiben noch ganz erhalten hatte, einen kleinen Altar zu bergen, auf welchem ein Ebenholzkruzifix, ein mit schönen Bildern verziertes Messbuch und einige andere Zugaben des katholischen Glaubensbekenntnisses zu sehen waren. Diese Nische hieß das Nebenzimmer der Tochter.

Das Gemach war das heiterste und bei Weitem am besten möblierte Zimmer in der Ruine, weshalb es auch am häufigsten besucht wurde. Hier trafen die wenigen gefallenen Angehörigen des Hauses Glenllyn zusammen, um auf die wilden Ergießungen des Lords oder auf die methodischeren Vorträge des Priesters zu hören.

Von Lynia Glenllyn haben wir nur wenig zu sagen. Sie benahm sich mit jener ernsten und stolzen Demut, welche weit peinlicher anzusehen, als durchzuführen ist. Sie war von hoher Gestalt, dunklem Teint und sehr lieblichem Äußerem. Die gesunde Luft der Berge und des Meeres hatte die Glut der Gesundheit auf ihre Wangen gefächelt, deren warme Röte nicht ganz mit ihrem gesetzten Wesen und mit dem melancholischen Anstand ihrer Haltung harmonierte. Nur selten sah man sie lächeln.

Miss Glenllyn war zum Teil in Frankreich, zum Teil in Spanien erzogen worden und sah weit eher wie eine aus irgendeinem fernen Land verbannte Prinzessin als wie eine Eingeborene der ländlichen Einsamkeit von Wales aus.

Diese Dame war ein Gegenstand der Ehrfurcht und Bewunderung für den jungen Henry Morgan, welcher ihr Bild mit allen seinen Gedanken in Verbindung brachte und jene seiner Handlungen danach abmaß, wie sie wohl von Miss Glenllyn beurteilt werden dürfte. Sie stand um jene Zeit ihrem Zwanzigsten nahe, während er kaum viel mehr als sechszehn Jahre zählte. Miss Lynia hatte ihn mit freundlicher Zuneigung ausgezeichnet und, während sie ihn ein bisschen Französisch, Spanisch und Italienisch lehrte, oft die beginnende Rauheit seines Charakters gemildert, dem sie einiges von dem Rost der Gemeinheit abwischte.

Während der junge Morgan in die tiefen Einöden von Cader Idris eindrang und Tage lang einsam über die ungeheuren Schafweiden am Abhang des vielgestaltigen Gebirges streifte, pflegte, kräftigte und erleuchtete er seinen sich entfaltenden Verstand mit Bildern der Zukunft, in welchen überall die Dame seiner Verehrung voran stand.

Zuerst betrachtete er Miss Glenllyn nur als seinen Mentor – als ein Wesen, das ihm nichts sein konnte als eine hochstehende Gebieterin, Ermahnerin und Lenkerin. Allmählich aber milderte sich der Ernst dieser Vorstellung, und er dachte, dass ihre Mitteilungen nicht immer Befehle, ihre Unterhaltung nicht stets Vorschriften sein dürften. Mit der Lehrerin identifizierte sich die Freundin, deren Bild ihm immer teurer wurde. Endlich wagte er es sogar, auf den Reichtum, den Landbesitz und die Herden seines Vaters zu spekulieren, die eines Tages sein Eigentum sein würden, und ihre Armut wurde sogar für ihn ein Gegenstand der Freude. Er vergegenwärtigte sich bereits den Tod ihres grämlichen, leidenden Vaters und schwelgte in dem Vorgenuss, das Banner seines Ehrgeizes über dem Letzten ihrer Vorfahren aufzupflanzen und den Palast seiner Hoffnungen auf den Untergang des ritterlichen Häuptlings zu bauen.

War Henry nicht zu beklagen? O, der wahnsinnigen Verblendung!

Die stolze, rückhaltige und bis ins Herz getroffene Dame – ja, sogar an dem verwundbarsten Fleck, dem Stolz auf ihr Geschlecht ins Herz getroffen – wie konnte er glauben, dass je eine Gemeinschaft stattfinden könne zwischen ihr und dem halb verwahrlosten, wilden Bauernbuben. War sein Schicksal nicht bedauernswürdig? O nein! Nie nachher hat er sich wieder so glücklich gefühlt. Er baute das Schloss wieder auf, gewann Ruhm in fremden Ländern und umgab sich in der Einbildungskraft mit Würden und Ehren. Der Bogenstrang wurde stark, zuversichtlich und wohlgemut angezogen – der Pfeil ging weit, obwohl er im späteren Leben dennoch seines Zieles verfehlte.

Henry Morgan war ebenso geschickt als Jäger, wie als Fischer. Er hatte ein junges Häschen in seiner Sasse überrascht und in einem der abschüssigen Gebirgspässe drei schöne Forellen gefangen. Die Beute lag in große grüne Blatter eingehüllt vor ihm , und außerdem hatte er die wilden Blumen der Berge in einen geschmackvollen Strauß gebunden, um sein Geschenk noch annehmbarer zu machen. Er blickte mit Stolz auf die Opfergabe nieder, während ein Schatten von Misstrauen sein ehrliches Gesicht verdunkelte.

Während er so in Gedanken vertieft war, kam der junge Owen, der Sohn des Barden, vom Schloss her auf ihn zu, schlug die Hände zusammen und rief: »Ein schönes Geschenk für unsere junge Dame, Master Henry! Du hast gut Wort gehalten.«

»Ja, ja«, versetzte Henry. »Ich besinne mich eben auf eine hübsche kleine Rede. Ich möchte ihr etwas sagen, wenn ich ihr dies zu Füßen lege, um ihr zu zeigen, dass ich kein ganzer Tölpel bin. Dann bin ich auch müde, obwohl ich ans Gebirge gewöhnt bin, und möchte zuvor ein wenig ausruhen.«

Owen vernahm jedoch nur wenig von den letzteren Worten, sondern lief unter lautem Jubel davon, um jedem , der ihn anhören mochte, die Kunde mitzuteilen. Sein Vater und der Priester waren bald von Henrys gutem Glück unterrichtet, und da der wandernde Domine gleichfalls Owen in den Weg kam, so zog auch dieser auf eine Entdeckungsreise aus.

Als endlich der wilde Bardensohn zu Miss Glenllyn kam, hatte derselbe den Hasen dermaßen vergrößert und die Fische so sehr vervielfältigt, dass die Dame, wenn sie ein anderer Bote unterrichtet haben würde, wohl auf den Glauben hätte kommen können, die Veste werde für eine ganze Woche verproviantiert werden.

Doch wir müssen wieder zu Henry Morgan zurückkehren. Ge­dankenvoll auf einer Moosbank sitzend fühlte er wohl, dass er noch nicht die Fähigkeit besaß, eine Gabe durch reiche Worte noch reicher zu machen. Er fasste leicht, wusste aber wohl, dass seine Sprache nur rau war, und da er sein Geschenk selbst Miss Glenllyns Händen überantworten wollte, so studierte er eine passende Rede ein, um der Gabe und dem Geber eine wohlwollende Aufnahme zu sichern. In dieser Schwierigkeit begann er bisweilen in reinem Welsch, dann aber in zweideutigem Englisch laut vor sich hinzusprechen, ohne übrigens mit seinen Leistungen zufrieden zu sein.

Der arme Knabe hatte eben ein welsches Kompliment begonnen, als er durch das Gelächter und das Salvete des Pater Polybius Gonsalvo unterbrochen wurde. Nach einigen Scherzreden des alten Herrn und viel Verwirrung vonseiten Henrys ließ sich der Letztere den Grund seiner Verlegenheit entlocken.

»Versuche es auf Lateinisch, mein Sohn«, sagte der Jesuit. »Nichts geht über das Latein, und ich bin überzeugt, dass Miss Glenllyn eine große Freude daran haben wird. Es wird sie überzeugen, dass du etwas Besseres bist als ein bloßer Kuhhirte, und dass mein Unterricht an dir nicht verloren ging.«

»Das kann ich mir nicht merken, Vater«, versetzte Henry, »und Euer Latein scheint mir ein seltsamer Mischmasch zu sein.«

»Ich will dir’s aufschreiben, junger Schäfer, und diese Forelle als mein Honorarium mitnehmen. Sie kommt mir eben recht, weil heute Fasttag ist.«

Nachdem er zuerst mit gierigen Blicken die Leckerbissen gemustert hatte, nahm er eine Forelle heraus, steckte sie in seine Tasche, kritzelte mit einer gespitzten Holzkohle einige Worte auf einen Streifen Papier, gab das Blättchen Henry mit seinem Segen und humpelte nicht wenig entzückt über seine Erwerbung von hinnen.

Wahrend der junge Morgan eben bemüht war, etwas wie belissima et purissima Donna Lynia, accipe herauszubuchstabieren, erschütterte ihn plötzlich die schwere Hand des riesigen welschen Barden, welche gewichtig auf seine Schulter niederfiel.

»Kenne das alles«, sagte ap Lywarch. »Wirf dieses Kauderwelsch in die Winde – der Wind des schneeigen Ferwyn soll es hintragen auf die wilden Wellen. Du darfst das Licht des Hauses Glenllyn nicht in der eitlen Sprache der sieben Gräuel anreden. Ich will diese Forelle nehmen – so, und setzt höre mir zu und lerne, wie du zu der Blume von Merurad sagen musst.«

Dann haspelte der Poet die Stanze eines alten welschen Barden ab, welche dem armen Jungen ebenso unverständlich war wie das Latein des Priesters, und marschierte dann in großer Selbstzufriedenheit mit dem nächst schönsten Fisch ab.

Henry blickte trostlos auf seinen geminderten Vorrat und sagte zu sich selbst: »Jetzt brauche ich nur noch zwei Lehrer in der Redekunst , um der Mühe einer Rede ganz und gar überhoben zu sein. Sie sollten sich vor sich selbst schämen.«

»Ich habe alles gehört, was vorgegangen ist – ja, mit meinen Ohren habe ich gehört, was der welsche Heide und der papistische Götzendiener dir geraten haben. Du bist mein Schüler und hast noch einen einzigen trefflichen Fisch übrig, den ich mir zueignen will. Ja, ich werde ihn in Butter braten und will davon essen. Du aber sollst auf der Stelle die anderen Fische wieder erhalten, welche dir die beiden Finsterlinge abgenommen haben.«

»Und warum soll ich Euch meinen Fisch geben, Domine?«, fragte Henry ein wenig unmutig.

»Erstens, damit ich ihn esse«, sagte der Schulmeister. »Zweitens, weil ich hungrig bin. Drittens und letztlich, weil ich ihn nehmen will. Und damit man mir es nicht als Raub ausrechne, so will ich dich selbst unterrichten, mit welcher Rede du dein Geschenk an die Dame zu begleiten hast, die noch auf dem dunklen Weg eines falschen Glaubens geht. Der Messpfaff und der Mann der eitlen Verse, beide werden dir die Fische zurückgeben, wenn sie sehen, dass ihr Unterricht zu nichts nütze war. Sobald du deine Viktualien wieder hast, sollst du zu ihr in frommem Englisch folgendermaßen sagen.

Da wir übrigens die anderen Reden nicht wiedergegeben haben, so wollen wir uns auch dieser enthalten und bloß andeuten, dass sie mit der Entführung der dritten Forelle schloss.

Während sich der Pädagoge rasch zurückzog und Henry eben im Begriff war, ihm einen großen Stein nachzuschleudern, kam der alte Morgan herauf, fasste seine Hand, gab ihm eine Ohrfeige, dass er beinahe umpurzelte, und hieß ihn dann stillstehen und den Vater mit gehörender Achtung anhören. Der alte Mann hielt ihm sodann eine höchst strenge Vorlesung über die Art, wie er seine Zeit vergeude, indem er für Hasen Schlingen lege und nach Forellen angle, während es ihm doch obliege, von Weide zu Weide, von Berg zu Berg zu streifen und die verschiedenen Schäfer zu besuchen, damit er sich von ihrer Wachsamkeit überzeuge und über das Vorgefallene Bericht erstatten könne.

Nachdem er damit zu Ende gekommen war, nahm er in aller Ruhe das Häslein an den Löffeln und bedeutete seinem Sohn, es sei sein hoher Wille, dass das junge Herrlein wegen unterschiedlicher Fehler und Vergehungen ohne Nachtessen zu Bett gehe. Dann entfernte er sich und ließ Henry mit seinen drei Reden in verschiedenen Sprachen zurück, ohne dass demselben eine Aussicht blieb, sein Fasten zu brechen, wenn ihm nicht die Wirtlichkeit von Glenllyn Castle etwas zukommen ließ, denn obwohl es fast vier Uhr nachmittags war, hatte er doch seit dem Frühstück nichts zu sich genommen.

Sobald der alte Morgan außer Hörweite war, ballte der gehorsame Sohn seine Faust und schrie: »Wenn der alte Schelm einmal unter dem Boden liegt und Miss Glenllyn und ich …«

Es war sogar in Gedanken das erste Mal , dass er die Dame also mit sich in Verbindung gebracht hatte. Er hielt plötzlich inne und errötete tief, obwohl er wusste, dass ihn niemand sehen konnte. Dann aber versank er in ein tiefes bitteres Brüten. Seine Gedanken waren stürmisch und die Folgerungen, zu denen er kam, ebenso quälend wie unrichtig. In seinem kleinen Kreis sah er nichts als Trug und Gewalt. Der Schlag, den er von seinem Vater erhalten, hatte sein rebellisches Blut in Gärung gesetzt. Er war unter dem empörendsten Hohn von den drei Personen beraubt worden, deren sich jede in ihrem eigenen Kreis einer geistigen Überlegenheit über ihn anmaßte, und der höhnende Scherz sollte der Schiedsrichterin , der ausschließlichen Gebieterin aller seiner Gedanken und Gefühle erzählt werden.

»Ich bin nur ein Knabe! Ich bin nur ein Knabe!«, rief er mit Bitterkeit, »aber doch will ich ihnen entgegentreten. Wenn der fette Mönch sich untersteht, über mich zu lachen, so will ich ihm sein Brevier an den Ölkopf schmeißen – wenn der lange Reimschmied mich verhöhnt, zerschlage ich ihm seine Harfe an dem verstandeslosen Schädel. Was den Domine betrifft – der ist freilich ein armes ausgehungertes Gerippe, und wenn er an den Gräten der Forelle nicht erstickt, so will ich ihm vergeben. Und meinem Vater … nein, ihm wünsche ich nichts Böses … wenigstens glaube ich so … und so will ich denn jetzt zu der Dame des Schlosses.«

Aber er trat seinen Weg nicht an mit dem frohen Schritt der Jugend, sondern erwog brütend in seinem Inneren, wie er die Geschichte seiner getäuschten Erwartung erzählen und seine ruhmredige Zusage am besten entschuldigen konnte. Die unbedeutenden Ereignisse des Tages hatten ihn, geistig gesprochen, um sieben Jahre älter gemacht. Er ging mit bitterem inneren Kampf weiter, nichts weniger als friedfertigen Gedanken sich hingebend. Er trug etwas in sich, was großartiger war, als der Triumph eines Volksbezwingers, aber auch dunkler, finsterer vielleicht schuldvoller.

Als er an dem verfallenen Schlossportal ankam, hatten sich seine Wut und sein Hunger dermaßen gesteigert, dass er nicht wusste, sollte er die Dame aufsuchen oder nicht vorerst einen Einfall in das Gemach tun, welches als Küche benutzt wurde.

Indes war er schon in diesem frühen Alter Held genug, das unedlere Sehnen seiner Galanterie unterzuordnen. Er strich hastig seinen einfachen, aber doch reinlichen Anzug zurecht und stand plötzlich ohne Ankündigungszeremonie in Sir George Glenllyns Familienkreis.

Show 1 footnote

  1. Die gerichtliche Überführung eines Vergehens, welches den bürgerlichen Tod nach sich zieht.