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Gold Band 2 – Kapitel 04.1

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 2
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 4
Die deutsche Gesellschaft
Teil 1

Beim Hinuntersteigen achtete Hale aber nicht mehr auf den herrlichen Baumwuchs, auf die malerischen Tinten, mit denen der Sonnenuntergang die fernen Berge, das unter ihm liegende reizende Tal übergoss. Sein Blick haftete wohl darauf, aber er schien sich trotzdem der wunderbar schönen Natur nicht mehr zu freuen, denn das Begegnen des gereizten Indianerhäuptlings mit den Mexikanern, das Warnzeichen des kleinen Burschen, das plötzliche Schweigen der Männer selber, hatte andere Gedanken in ihm wach gerufen, die ihn jetzt ausschließlich und allein beschäftigten.

Allerdings war Hale viel zu sehr Amerikaner, für den amerikanischen Besitz des Landes auch nur einen Augenblick zu fürchten, selbst wenn alle Fremden im Land mit einem Schlag gegen sie abgestanden wären. Aber er kannte auch nur zu gut den Charakter der überdies genug gereizten und misshandelten Rothäute, um nicht gleichgültig eine solche Allianz mit anzusehen. Einzeln und auf sich selber angewiesen, konnten sie nichts unternehmen und hätten es nie gewagt. Von einer Bande nichtsnutziger Mexikaner aber untersiützt, denen es gar nicht darauf ankam, ihnen jede nur erdenkliche Hilfe zu versprechen. Wenn sie ihre Bundesgenossen dann auch augenblicklich wieder im Stich ließen, drohte ihnen eine andere und nicht unbedeutende Gefahr.

Überall nämlich in den Bergen hatten sich einzelne kleine Partien sowohl von Amerikanern als auch von Fremden niedergelassen oder durchstreiften die verschiedenen abzweigenden Täler, die Bäche nach Gold zu revidieren. Waffen führten allerdings die meisten mit sich, auf einen indianischen Überfall war aber keine vorbereitet, und viel Blut Unschuldiger hätte in einem solchen Fall vergossen werden können, ehe die Amerikaner imstande gewesen wären, sich zu sammeln und den Feind zu vertreiben.

Der junge Häuptling Kesos war zwar, soviel er wenigstens bisher von ihm gesehen oder gehört hatte, ein ehrlicher und wackerer Bursche – aber doch ein Indianer, und denen ist bei ihrem verschlossenen und ernsten Wesen schwer beizukommen. Man wusste noch nicht, wessen er eigentlich fähig wäre, wenn er gerade seinen Kopf darauf gesetzt hatte. Jedenfalls blieb er das Haupt des Ganzen. Die Stämme gehorchten seinem Befehl, wie der Sheriff recht gut wusste, aufs Wort, und er konnte sie deshalb zum Guten wie zum Bösen leiten.

»Recht hätte er«, murmelte der Sheriff dabei, während er in gerader Richtung den steilen Hang hinunterstieg, das Minenstädtchen noch vor Dunkelwerden zu erreichen. »Und wenn ich an seiner Stelle wäre und sehen sollte, wie die Fremden mir Meile nach Meile meines Gebietes unter den Händen wegrissen, mein Wild töteten oder verjagten, meine Fischereien zerstörten, ich glaube, ich fügte mich dem auch nicht geduldig und schnitte wenigstens so vielen davon die Hälse durch, wie ich bekommen könnte. Aber – arme Teufel – was würde es ihnen helfen! Sie können nicht mehr dagegen ankämpfen und waren schon verloren, als nur das erste Goldkorn in ihren Tälern gefunden wurde. Merkwürdige Geschichte, das mit dem Gold, und dass die Menschen so darauf versessen sind, Heimat und Leben in die Schanze zu schlagen, nur eine Handvoll von den gelben Körnern zu gewinnen.«

Sein Selbstgespräch wurde hier durch einen lauten Anruf unterbrochen, der von einem einzelnen Amerikaner, einem Bekannten des Sheriffs, herrührte. »O Hale!«, schrie dieser, »o Hale! Wetter noch einmal, Mann, wo habt Ihr heute Nachmittag gesteckt? Und gesucht seid Ihr geworden wie eine Stecknadel in einem Bund Heu!«

»Hallo Nolten«, rief der Sheriff, indem er stehen blieb und sich nach dem Rufenden umsah. »Wer hat mich denn gesucht? Das weiß doch der Böse, man kann auch nicht einmal einen Augenblick seinen eigenen Geschäften nachgehen, ohne dass gleich der Teufel irgendwo los ist. Was war?«

Der Amerikaner, der eine lange Brechstange auf der Schulter trug, lachte, als er an ihn hinankam, und sagte: »Ihr seid wohl mit Eurem Revolver prospektieren gegangen, he? Hale, Hale, Euch möchte ich auch zum Sheriff haben, wenn ich Alkalde wäre – wofür mich übrigens Gott in Gnaden bewahren wolle!«

»Wieso?«, fragte der Sheriff, konnte aber doch nicht verhindern, dass er ein wenig rot wurde. »Da draußen, wo Ihr herkommt, haben sie mich doch gewiss nicht gesucht.«

»Nein, das nicht«, schmunzelte der Amerikaner, »ich bin auch nur erst vor einer halben Stunde dort hinübergegangen, mir die Brechstange wiederzuholen, die ich gestern da drüben gelassen hatte. Den ganzen Nachmittag war ich in der Stadt, und den Heidenlärm, den sie dort vollführten, hättet Ihr oben auf den höchsten Bergspitzen hören müssen.«

»Aber was ist denn vorgefallen?«

»Na, tut nur nicht so unschuldig«, sagte Nolten. »Briars hat mir selber erzählt, dass Ihr ihnen die Augen geöffnet hättet.«

»Ich? Mit der Goldklumpengeschichte meint Ihr? Da habe ich nichts zu öffnen gehabt, die Sache hat der Alkalde selber an die große Glocke geschlagen, denn auf morgen früh soll ich eine Jury zusammentrommeln, die Hoosier wegen Diebstahl zu verklagen. Ihr müsst jedenfalls einen Jurymann mit abgeben, Nolten.«

»Die Jury wird nicht mehr nötig sein«, sagte da der Amerikaner. »Der Alkalde ist über alle Berge, und ich glaube schwerlich, dass er bis morgen früh zurückkehrt.«

»Der Major fort?«, schrie der Sheriff und musste sich Mühe geben, an sich zu halten, dass er nicht gerade herauslachte.

»Ja!«, lautete die Antwort, »die Goldklumpengeschichte hat dem Fass den Boden ausgeschlagen, und andere, noch viel schmutzigere Dinge kamen dadurch ebenfalls zum Vorschein. Der Lump kann übrigens noch seinem Gott danken, so davongekommen zu sein, denn verdient hätte er Schlimmeres, als nur einfach fortgejagt zu werden.«

»Nun, ich denke die Hoosier haben ihn auch schwer genug geärgert.«

»Ach was«, rief Nolten, »das Gold hat er so ziemlich wieder mit seinem Registrieren herausgeschlagen, und dadurch keinen besonderen Verlust. Aber sie sind ihm auch dahinter gekommen, dass er falsche Gewichte gehabt hat, und das brach ihm den Hals.«

»Falsche Gewichte? Hm, das ist nicht übel«, brummte der Sheriff. »Deshalb fehlte mir neulich auch die halbe Unze an meinem Gold.«

»Jim, der lange Kentuckier«, fuhr Nolten fort, »nahm ihm seine Bleigewichte vom Tisch und ging damit in Burtons Zelt, um sie dort untersuchen zu lassen. Dem folgte nun der ganze Schwarm, und der Major mochte wohl wissen, was ihm bevorstand, denn als sie wieder zurückkamen, war er fort. Sein Pferd hatte er schon, ohne dass es jemand wusste, gesattelt und nicht weit von seinem Zelt stehen, und war weg, ohne irgendjemand Good bye zu sagen. Ein paar wollten allerdings nach und ihm seinen Raub noch abjagen. Wir ließen sie aber nicht und sind froh, ihn auf solche Art losgeworden zu sein. Jetzt sollt Ihr Alkalde werden.«

»Ich?«, sagte der Sheriff lachend, »das wäre gefehlt. Ja, wenn ich mit der Feder so gut umgehen könnte wie mit meinem Metzgermesser, hätte ich nichts dagegen, aber so mögen sie sich einen anderen wählen. Alle Wetter, wird unser guter Major aber jetzt eine Wut auf unser armes Paradies haben.«

»Aus dem er hinausgejagt ist«, gab Nolten lachend von sich. »Ich bin übrigens seelenfroh darüber, denn was müssen nur die Fremden von uns Amerikanern denken, wenn wir einen solchen Lump zum Alkalden wählen. Hätten wir nur jetzt einen tüchtigen Mann an seiner statt, denn ich fürchte, dass wir hier noch manche Not mit Fremden nicht allein, nein, auch mit unseren Landsleuten selber bekommen. Das Spielergesindel, dieser Auswurf der Menschheit, macht sich mit ijedem Tag breiter, und über kurz oder lang wachsen sie uns doch hier über den Kopf.«

»Bah, mit denen werden wir schon fertig«, entgegnete der Sheriff, »und da wir den Major los sind, bin ich der anderen wegen nicht besorgt. Aber hier geht es ja heute Abend lustig her. Die Leute scheinen sich über die Trennung von ihrem Vorgesetzten schnell getröstet zu haben.«

Die beiden Männer waren während ihres Gespräches dem schmalen Pfad gefolgt, der zu dem Städtchen niederführte, und hatten dieses nun erreicht. In den Zelten herrschte aber allerdings ein lustiges und reges Leben, und sonderbarerweise waren es hier die drei Hoosier, um die sich alle lachend und jubelnd scharten.

Allerdings hatten gerade diese die sämtlichen Goldwäscher zum Besten gehalten und waren die Ursache gewesen, dass Hunderte von ihnen eine volle Woche und länger nutzlos mit harter Arbeit vollbracht hatten. Da sie selber aber doch die ganze Zeit in der Flat mitgegraben, ebenfalls in der Hoffnung, doch noch etwas zu finden, und den Alkalden zuletzt so vortrefflich mit seinen eigenen Waffen geschlagen und um seinen Goldklumpen geprellt hatten, war ihnen das von Herzen vergeben. Von allen Seiten, wo sie sich nur sehen ließen, wurde ihnen entgegengejubelt und zugetrunken.

An dem Abend geschah nun freilich nichts weiter, als dass die Leute in den Trinkzelten ihr Geld verschlemmten und sich die Einzelheiten des heutigen ereignisvollen Tages erzählten.

Am nächsten Mor­gen jedoch hielt man es für nötig, einen neuen Alkalden zu wählen und fiel dabei, wie schon Nolten dem Sheriff angedeutet hatte, vor allen anderen auf diesen.

Hale war als ein rechtlicher, und wo es galt auch entschlossener Mann bekannt, und seine Wahl würde von allen, selbst den Fremden, auf das Eifrigste untersucht und einftimmig angenommen worden sein. Aber er selber weigerte sich entschieden, eine Stellung anzunehmen, der er nicht gewachsen war. Mit den verschiedenen Gesetzen verstand er nicht umzugehen, Lesen und Schreiben gehörte ebenfalls zu seinen schwachen Seiten, und er war zu gewissenhaft, eine solche Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen.

Die nächste Wahl fiel auf Nolten, einen ernsten, ruhigen und äußerst rechtlichen Mann. Aber auch dieser mochte nichts damit zu tun haben und wollte sich vor allen Dingen nicht an den einen Minenplatz hier binden. Wurde er Alkalde im Paradies, so musste er auch darin aushalten, und das war nicht die Absicht, in der er nach Kalifornien gekommen war.

Die Wähler gelangten auch wirklich zu keinem Resultat, und man beschloss endlich, ehe man wieder einen Missgriff mache, lieber so lange zu warten und sich ohne Alkalde zu behelfen, bis sich eine passende Persönlichkeit dafür gefunden hätte. Hale musste indessen und konnte sich nicht gut weigern, die Geschäfte besorgen, die etwa in der Zwischenzeit des Interregnums vorfielen.

Wer sich um alle diese Wirren auch mit keinem Wort, ja mit keinem Gedanken bekümmerte, waren die Deutschen. Hier nach Kalifornien nur in der Absicht gekommen, um Gold zu graben, ging sie das, was die Amerikaner trieben, gar nichts an; kümmerte sie wenigstens nicht im Geringsten, und sie teilten nur in sofern den Grimm der anderen auf den Alkalden, dass er sie nicht allein an solch einen dürren Ort geschickt, sondern ihnen auch noch jedem zwei Dollar extra abgelockt hatte, für ihren nicht einen Cent werten Claim zu bezahlen.

Lamberg, Binderhof und Hufner, die in den acht Tagen mit Erschöpfung aller ihrer Kräfte etwa fünf Fuß in den steinharten Boden hineingekommen waren, begannen denn auch ohne Weiteres an einer anderen Stelle, wo sie doch wenigstens bequemeres Graben hatten. Der Justizrat, der sich nie mit der »roten Erde« länger als ein paar Stunden befasst hatte, setzte seine Bemühungen auch ferner allein und an den unersprießlichsten Plätzen fort.

Da nämlich die Goldwäscher in der tiefen Erde der roten Flat wenig oder gar kein Gold gefunden hatten, schloss er daraus, dass es noch gar nicht ins Tal hinabgewaschen wäre, sondern oben auf den Bergen läge, und setzte die umherstreifenden Amerikaner nach Verlauf von etwa drei Wochen durch eine Anzahl kleiner Löcher in Erstaunen, die er auf den verschiedenen Hügelrücken etwa zwei bis drei Fuß tief eingrub, und dann, natürlich ohne auch nur je ein Korn Gold dort oben zu finden, liegen ließ. Die alten Goldwäscher, wenn sie auf einen solchen rätselhaften Platz trafen, blieben nicht selten dabei stehen und überlegten sich kopfschüttelnd, wozu in aller Welt jemand hier das kleine Loch ausgeworfen haben könnte. Ein paar trafen auch einmal den Justizrat gerade bei solcher Arbeit und fragten ihn, was er dort machen wolle, erhielten aber keine Antwort. Er sah sie dann nur grimmig von der Seite an und hackte weiter, und sie mussten unbelehrt wieder abziehen.

Recht zufrieden war aber der Justizrat noch aus einem anderen Grund nicht mit dem Minenleben, denn ihm mangelten fast sämtliche früher gewohnte Bequemlichkeiten. Zu Hause hatte er sich um gar nichts bekümmert, als was vielleicht seinen unmittelbaren Beruf betraf, und sein Gehalt dabei monatlich ausgezahlt bekommen. Hier dagegen sollte er sich nicht allein sein Brot mit höchst unbequemen Werkzeugen verdienen, sondern auch noch dabei kochen hel­fen, sein eigenes Bett machen – und das behagte ihm nicht.

Auch mit seiner Wäsche hatte er vielen Ärger. Mit keiner Zeiteinteilung als die, welche ihm sein Magen oder der ermüdete Körper angab, überlieferte er auch seine Wäsche damals dem alten Neger und kümmerte sich nicht weiter darum. Daheim wurde ihm ja die Wäsche, wenn sie fertig war, ins Haus gebracht, und hier, wo er den vierfachen Wascherlohn zahlte, konnte er das doch um so mehr verlangen. Der alte Tomlins kam aber nicht – der Justizrat verbrauchte nach und nach alles auf, was er noch rein mit in die Berge gebracht hatte, und sah sich endlich genötig, selber nach seiner Wäsche zu fragen, denn niemand anderes sorgte ihm dafür.

Damals war er nun allerdings selber bei dem Alten gewesen. Ohne den geringsten Ortssinn aber, hatte er keine Idee mehr, in welcher Richtung das Zelt eigentlich liegen könne. Er wandte sich deshalb wieder an die erstbesten ihm begegnenden Amerikaner und fragte sie nach dem Waschneger.

Ob ihn diese aber nicht verstanden oder nicht verstehen wollten, weil er die misshandelten englischen Worte auf seine gewöhnliche wunderliche Art herauspolterte; kurz, sie sahen ihn verwundert an, hielten ihn vielleicht für betrunken und gingen weiter, ohne ihm zu antworten. Dass sich seine Laune dadurch nicht verbesserte, lässt sich denken. Er wollte schon eben wieder in sein Zelt umkehren, gegen Abend Herrn Hufner danach zu schicken, als ihm ein Mann begegnete, der ihm wie ein Deutscher vorkam, und dessen Gestalt ihm auch bekannt schien. Der schwarze Frack, den er trug, rief ihm aber die Persönlichkeit bald wieder ins Gedächtnis zurück, trotzdem dass ein großer wollener Shawl sein halbes Gesicht verdeckte. Es war jedenfalls der Tenorist, mit dem er am ersten Abend in dem Elsässer Zelt zusammengetroffen war und den er seit jener Zeit aus den Augen verloren hatte. Der Mann schien sich aber indessen in seinen Umständen eben nicht gebessert zu haben. Seine Kleidungsstücke waren wenigstens entsetzlich mitgenommen und der arme Frack besonders kaum noch zu erkennen. Auch sein schwarzer Seidenhut, durch Regen, Nachttau und heiße Sonne zu einer rötlichen formlosen Masse zusammengesunken, hing ihm trübselig auf dem Kopf. An der linken Hand – die rechte steckte in der Tasche – hingen nur noch die Trümmer eines einst schwarz gewesenen Glacehandschuhs.

Das alles sah aber der Justizrat nicht. Er erinnerte sich nur, dass jener Mann, der einen Frack trug, deutsch sprach. Er ging deshalb gerade auf ihn zu, blieb vor ihm stehen und sagte mit einem seiner finstersten Blicke, mit denen er wohl oft in früherer Zeit einem armen Sünder Schrecken eingejagt hatte: »Waschneger!«

»Bitte um Entschuldigung«, antwortete, etwas verblüfft zurückfahrend, der arme Tenorist. »Sie irren sich wahrscheinlich in der … in der Person.«

»Hm«, antwortete der Justizrat, »Hemden holen … weist nicht, wo verfluchte Neger wohnt.«

»Ah, den alten Tomlins suchen Sie?«, rief aber der junge Mann gutmütig. »Wenn Sie mir erlauben, werde ich Sie hinüberführen.«

Der Justizrat nickte nur einfach mit dem Kopf, und der Tenorist schritt neben ihm her die Straße entlang.

»Nun, wie ist es Ihnen bis jetzt in den Minen gegangen?«, sagte er dabei. »Ich erinnere mich, dass wir den ersten Abend beisammen waren, als Sie gerade eintrafen. Haben Sie viel Gold gefunden?«

»Ich?«, sagte der Justizrat. Es fiel ihm in diesem Augenblick eigentlich zum ersten Mal ein, dass er auch noch nicht ein einziges Korn in seiner Pfanne gehabt hatte. »Hm … nein … nicht viel. Verdammtes Land … lauter Lügen … lauter Flunkereien … Gold … hm … so viel hätte ich bei Darmstadt auch gefunden.«

»Meinen Sie wirklich?«, fragte Herr Bublioni, sich erstaunt nach ihm umsehend. »Sollten die dortigen Berge in der Tat …?«

»Werde kein Narr sein und versuchen«, knurrte der Justizrat. »Haben Sie was gefunden?«

»Wenig … etwas allerdings«, lautete die bescheidene Antwort, wobei der Mann ein wenig hustete und sich noch ängstlicher in seinen Shawl einhüllte. »Das Klima aber sagt mir hier gar nicht zu, und ich fürchte fast, dass ich meine ganze Stimme verliere. Ich habe mich deshalb auch jetzt mehr auf Spekulation als wirkliche Arbeit gelegt.«

»Spekulation?«, fragte der Justizrat, der von allem, was in das Fach schlug, nur eine sehr geringe Meinung hegte. »Hm, verdammt schlechtes Land dazu, Kalifornien.«

»Nun, ich sollte doch nicht denken«, meinte Herr Bublioni. »Allerdings konnte ich nur mit sehr wenigem beginnen. Mein Kompagnon aber, der schon länger in Kalifornien ist, und mit dem ich einige Wochen gearbeitet habe, hat das, was wir zusammen gefunden, genommen, um Provisionen dafür in Stockton zu kaufen und sie dann hier in den Minen wieder mit bedeutenden Prozenten zu verwerten. Ich er­warte ihn jeden Tag zurück, und möchte allerdings wünschen, dass er bald kommt, denn durch meinen Rheumatismus bin ich in der letzten Woche so an jeder Arbeit verhindert worden, dass ich gar nichts verdienen konnte.«

»So?«, sagte der Justizrat , dem die letzte Bemerkung eben nicht besonders gefiel. Es konnte die Einleitung zu einem erneuten Wunsch, Geld zu borgen, sein, und er hatte darin schon zu bittere Erfahrung gemacht. »Deutscher, der Kompagnon?«

»Ja«, sagte Herr Bublioni, »Sie kennen ihn ja wohl auch: der Aktuar Kolber.«

»Komet?«, rief der Justizrat, erschreckt stehen bleibend.

»Bitte um Entschuldigung … Kolber … aber dieses ist das Zelt, das Sie aufzufinden wünschten. Der alte Tomlins wohnt wenigstens hier.«

»So? – danke«, sagte der Justizrat, »na, will wünschen, gute Geschäfte machen.«

»Hoffentlich«, gab der Tenorist lächend zurück. »Lieber Gott, es ist immer ein erster Versuch – ein erstes Auftreten auf dem Feld der Spekulation, bei dem das Publikum die einzige entscheidende Stimme hat. Ich empfehle mich Ihnen gehorsamst, Herr Justizrat.«