Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Marone – Cynthia in Ängsten

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 32

Cynthia in Ängsten

Die beiden Männer, welche das nächtliche Stillleben unter der Ceiba unterbrochen hatten, waren Jakob Jessuron und Chakra, der Koromantis.

Gerade um dieselbe Zeit, als Chakra den Jumbéfelsen verlassen hatte, um dem Juden einen Besuch abzustatten, entfernte sich auch dieser von seinem Hof, um den Myalmann aufzusuchen.

Da beide denselben Weg gingen, so mussten sie sich notwendigerweise treffen, und dies geschah mitten auf der Lichtung, wo die große Ceiba stand, über die beider Weg führte. Hier, außerhalb des Schattens des großen Baums standen sie sich im hellsten Mondschein auf einmal gegenüber, wenige Schritte voneinander entfernt. Nicht die geringste Begrüßung fand zwischen ihnen statt. Sie kamen zusammen wie zwei Raubtiere, die sich im Dickicht treffen, denn gleichsam ein geheimer Vertrag unter ihnen schloss jede unnütze Begrüßung und alle überflüssigen Anreden aus, die nicht gänzlich zum Geschäft gehörten.

»Nun, guter Chakra! Habt Ihr Neuigkeiten für mich?«, fragte der Jude, sobald er dem Myalmann nahe genug gekommen war. »Seid Ihr auf dem Weg nach Savanna gewesen? Ist alles in Ordnung auf der Landstraße?«

»Humm!«, stieß der Koromantis aus, hob die breite Brust und zog die mächtigen Schultern mit triumphierendem Gesichtsausdruck im Bewusstsein seines vollendeten Sieges in die Höhe. »Alles in Ordnung, meint Ihr? Nun, gerade nicht auf der Landstraße, aber etwas zur Seite, da liegt ein Mann, der um diese Zeit jetzt kalt sein muss wie ein Stein und steif wie … steif wie … nun, wie das Skelett des alten Chakra! Ha, ha, ha!«

Hier bei dem Gleichnis, das aufzufinden er so viel Mühe hatte, doch welches, als er es gefunden hatte, ihm das süße Gefühl der vollzogenen Rache im vollsten Maß erweckte, erhob er ein lang anhaltendes, dem Lachen einer Hyäne gleichendes schallendes Gelächter.

»Bei meiner Seele! Dann ist alles getan und vorüber?«

»Alles richtig getan, wie ich vorhergesagt habe.«

»Und der ßauber tat würklich das? Des war nücht notwendüg, dass …«

Hier stockte der Jude plötzlich in seiner Rede, als sei er im Begriff, etwas zu sagen, was er eigentlich nicht beabsichtigte und was ihm beinahe unwillkürlich entschlüpft wäre.

»Es war nicht notwendig – nicht notwendig, dass Ihr selbst nachgingt?«

Dies war offenbar nicht die ursprünglich beabsichtigte Frage.

»Das war nicht notwendig!«, sagte Chakra, über die sonderbare Frage etwas verwundert. »Der Zauber war kräftig genug, wie ich es vorhergesagt habe. Deswegen ging ich auch nicht hinter ihm her, sondern wegen eines anderen Grundes. Wer hat Euch denn davon gesagt, Herr Jakob, dass ich nachgegangen bin?«

»Guter Chakra! Bis jetzt wusste ich das nicht gewiss. Das Mädchen, die Cynthia, glaubte, Ihr wäret zu dem Custos Vaughan gegangen.«

»Humm! Das Mädchen schwatzt mir zu viel, der muss das Maul gestopft werden. Der muss das Maul recht bald gestopft werden, sonst bringt sie uns alle beide in Gefahr! Nun, das will ich schon in Ordnung bringen. Aber Herr Jakob, ich muss nun die anderen fünfzig Pfund haben. Das Geschäft ist beendet und das Werk vollbracht! Deshalb ist es nun Zeit, zu zahlen.«

»Das ist ganz tüchtig, Chakra. Ich habe das Geld hier in reinem Gold. Da ist es.«

Mit diesen Worten überreichte der Jude dem Myalmann einen kleinen Beutel, der offenbar Gold enthielt.

»Ihr werdet finden, dass alles tüchtig ist, wie wir zuvor ausgemacht haben. Aber viel Geld, viel Geld, wahrhaftig!«

Auf diese letzte Äußerung gab Chakra gar keine Antwort, sondern nahm den Beutel, steckte ihn ruhig in die Tasche seiner Leinenhose und stieß, mit offenbarer Befriedigung, sein beliebtes »Humm!« aus, dessen Bedeutung sich je nach dem ihm verliehenen Ausdruck veränderte.

»Und nun, guter Chakra!«, fuhr der Jude fort, »ich habe für Euch noch mehr zu tun. Ich habe noch einen Zauber nötig, für den Ihr auch fünfzig Pfund haben sollt. Aber erst sagt mir, habt Ihr irgendjemand auf Eurer Reise gesehen?«

»Was, irgendjemand gesehen? Was für eine Frage ist das? Ich habe gar manche gesehen und manche haben mich gesehen.«

»Aber habt Ihr irgendjemand gesehen, den Ihr kennt?«

»Gewiss! Da ist vor allem der Custos, den habe ich gar nicht aus den Augen verloren, bis er selbst nicht mehr sehen konnte. Nun wird er bald ein Skelett sein wie der alte Chakra. Ha, ha, ha!«

»Aber habt Ihr nicht sonst noch jemand gesehen, den Ihr kennt?«

»Nein, niemand, wenn ich nicht des Custos Reitknecht rechnen wollte. Ich habe wohl noch andere gesehen, aber immer zu weit entfernt, um sie erkennen zu können, und ich blieb auch absichtlich weit entfernt. Doch halt! Einen habe ich in der Nähe gesehen, den ich erkannt habe. Das war einer von den Trelawney Maronen. Quaco ist sein Name.«

»Nur Quaco, sagt Ihr? Habt Ihr nichts von seinem Hauptmann Cubina oder von dem jungen weißen Herrn gesehen, der mit ihm unterwegs ist?«

»Weder den einen habe ich gesehen noch den anderen. Warum fragt Ihr danach, Herr Jakob?«

»Ich habe guten Grund dazu. Der junge Mann, von dem ich spreche, ist ein Buchhalter von mir. Der hat heute früh am Morgen den Hof verlassen und ich weiß nicht, warum oder wohin er gegangen ist? Aber ich habe guten Grund, zu vermuten, dass er in Gesellschaft mit dem Hauptmann Cubina ist. Es kann sein, dass es nicht so ist und dass er zurückkommt, abers es sieht verdächtig aus. Wönn er ganz gegangen ist, dann ist der Zauber umsonst gewesen und mir nichts nützt, wahrhaftig gar nischt!«

»Das wäre wirklich schade und es sollte mir sehr leidtun, Herr Jakob. Aber ich hoffe, er ist nicht ganz fortgegangen.«

»Nun, das wird sich finden. Aber hört jetzt, Chakra! Ich habe noch einen anderen Zauber nötig, mehr nötig als alles andere.«

»Noch einen, Herr Jakob?«

»Ja, guter Chakra.«

»Nun, Obi soll bereit sein. Auf wen soll er hingewandt werden?«

»Auf diesen Schelm von Maronen, auf diesen Herumstreicher Cubina.«

»Das ist recht, der Gott wird sein Bestes tun, den Zauber auf ihn zu bringen.«

»Der Gott viel für mich zu tun; aber es ist nicht nötig, dass er sobald kommt, da der Custos aus dem Weg ist. Besser ist es immer, er kommt bald, als dass der Zauber auf einmal angewandt werden muss. Deshalb, guter Chakra, wenn Ihr es mit Cubina in ebenso kurzer Zeit wie mit dem Custos machen könnt, so sollen andere fünfzig Pfund für Euch bereit sein.«

»Ich will mein Bestes dabei tun, Herr Jakob, um Ihr Geld zu verdienen. Ich will tun, was ich kann. Mehr vermag ich nicht zu versprechen.«

»Das ist ganz recht, guter Chakra. Glaubt Ihr nicht, dass das Mädchen, die Cynthia, Euch helfen kann?«

»Ganz und gar nicht, gewiss nicht. Cubina lässt die Mulattin um keinen Preis nahe kommen. Er kann sie nicht ausstehen. Außerdem weiß das Mädchen jetzt schon zu viel. Sie wird eines schönen Tages die ganze weiße Sippschaft in das Teufelsloch führen, doch das darf nicht geschehen. Sie ist weiter von keinem Nutzen mehr, sie hat jetzt ihre Schuldigkeit getan, hat ausgedient und muss beiseitegeschafft werden, muss hingehen, wo die anderen alle hingegangen sind, wo der Custos nun auch ist! Das ist ein gutes Mittel, der einzige Weg, um eine Weiberzunge im Zaum zu halten und ihrem Geschwätz auf einmal ein Ziel zu setzen. Humm!«

Nach dieser in kalter Überlegung ausgestoßenen Drohung stand der schreckliche Mensch einige Augenblicke schweigend da, wie in tiefes Nachdenken über die Art und Weise versunken, wie mit dem Leben der Mulattin am leichtesten fertig zu werden sei.

»Glaubt Ihr, Chakra, Ihr werdet einen anderen finden, der Euch beim Zauber beistehen würde?«

»Habt keine Angst, Herr Jakob. Überlasst das ganz allein dem alten Chakra – dem alten Chakra und dem alten Obi. Die tun das ganz allein ohne fremde Hilfe.«

»Nun, fünfzüg Pfund dann, Chakra. O, ich wollte doppelt das Geld geben, ja zehnfach wahrhaftig, wenn ich wüsste, es wäre alles mit dem jungen Vaughan in Ordnung. Ach! Wo ist er nur hingegangen?«

Der Ausdruck bitteren Verdrusses, ja selbst Kummers, mit dem der schändliche alte Jude diese Frage mindestens schon zum zehnten Mal an diesem Tag wiederholte, bezeugte, dass von allen den mannigfachen Gegenständen, die seinen Geist beschäftigten, die rätselhafte Abwesenheit seines Buchhalters ihn am meisten drückte und dass er sie für die Wichtigste von allen hielt.

»Bei meiner Seele!«, fuhr er fort, hob seinen Regenschirm in die Höhe und blieb in dieser Stellung einige Augenblicke stehen. »Bei meiner Seele! Wenn er wirklich davongegangen ist, da habe ich all die Mühe und die Sorge umsonst gehabt, da habe ich all die Ver… Verfälschungenumsonst begangen.«

Er hatte ›Verbrechen‹ sagen wollen, doch er änderte das Wort, nicht weil er auf Chakra irgend Rücksicht nahm, sondern weil ihn ein innerer Schauder überfiel, den er bei dem Gedanken an die mögliche Fruchtlosigkeit aller seiner Bestrebungen nicht ganz zu überwinden vermochte.

»Nun, quält Euch darum doch nicht so sehr, Herr Jakob!«, sagte sein Verbündeter ermutigend. »Einstweilen seid Ihr von einem großen Feind befreit, gerade wie ich auch. Das ist doch auf alle Fälle keine Kleinigkeit. Und ich verspreche Euch, in kurzer Zeit will ich Euch noch von einem anderen befreien. An das Geschäft will ich recht bald gehen.«

»Ja, bald, guter Chakra, ja recht bald, sobald als irgend möglich ist! Nun, ich will Euch nicht länger aufhalten. Es wird Tag und muss nach Hause und etwas schlafen. Ich habe die letzte Nacht kein Auge zugetan. Ach, ich kann nicht schlafen, solange er nicht aufgefunden ist. Ich muss nach Hause gehen und hören, ob da etwas Neues über ihn gibt.«

Mit diesen Worten drehte der Jude sich um, verließ Chakra ohne weiteren Abschied auf seinem Platz und ging gedankenvoll fort.