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Der Kommandant des Tower 34

Der Kommandant des Tower
Band 2
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Drittes Buch
Der Lordgroßadmiral von England
Siebentes Kapitel

Von dem königlichen Bankett in Westminster Hall. Wie des Königs Kämpe eine drohende Herausforderung erlässt, und wie Xit mit einem wilden Mann kämpft

In der gewaltigen Halle, die William Rufus erbaut und Richard II. renoviert, vergrößert und mit dem unvergleichlich schönen gotischen Dach versehen hat, waren die großartigsten Vorbereitungen zu einem Bankett getroffen worden, welches gleich nach der Krönung der König seinen Edelleuten gab.

Der große Saal – er soll der Größte in der Welt sein, der nicht durch Säulen gestützt wird, und man kann seine Größe einigermaßen an der Tatsache ermessen, dass sechstausend Personen darin Platz finden konnten – war bei dieser Gelegenheit prächtig dekoriert. In der Mitte der Halle waren drei lange Tafeln mit je dreihundert Couverts gedeckt. Auf der Estrade am oberen Ende stand der für den König und die vornehmsten Edelleute bestimmte Tisch, mit dem köstlichsten Linnen bedeckt und im eigentlichen Sinn des Wortes von herrlich gearbeiteten Gold- und Silbergeräten strahlend. Über dem königlichen Stuhl befand sich ein Thronhimmel von Goldtuch, mit des Königs Wappen bestickt, und an jedem Ende des Tisches stand ein offenes, neun Gefächer hohes Büffet mit glitzernden Kredenztellern, kostbaren Ornamenten von Gold und Silber, Bechern und anderen Trinkgefäßen.

Zur Linken der Estrade war eine Plattform für die Sänger errichtet und auf der gegenüberliegenden Seite eine ähnliche für die Vorschneider.

Die Feierlichkeit in der Abtei war nicht so bald zu Ende, als sich alle zum Bankett Geladenen – und sie beliefen sich auf annähernd tausend Personen – nach Westminster Hall be­gaben und daselbst von den Marschällen und Zeremonienmeistern ihren Platz angewiesen erhielten. Bald waren alle Plätze an sämtlichen Tischen besetzt, und diensttuende Kam­merherren, Kammerdiener und Marschälle füllten die Halle.

Jetzt verkündeten laute Trompetenfanfaren am oberen Ende der Halle die Ankunft des Königs. Zuerst kamen die Edelleute uud wurden von dem Vizekämmerer Sir Anthony Wingfield an ihre Plätze geleitet. Dann kamen der Lordkanzler, der Erzbischof von Canterbury und der Lordprotektor und zuletzt der König.

Granmer saß zur Rechten des Königs und der Lordprotektor zur Linken.

Ein Dankgebet wurde gesprochen, dann ertönten wieder die Trompeten. Nachdem die Dienerschar den ersten Gang Speisen gebracht hatte, erschienen in dem großen Tor der Halle der Graf von Warwick, Lordgroßkämmerer des Reiches, und der Graf von Arundel, Lordkämmerer des könig­lichen Haushalts, in prächtiger Kleidung zu Pferde und ritten die Tafeln entlang bis zu der Estrade, um die Bedienung zu überwachen.

Als der zweite Gang aufgetragen ward, tat sich aber­mals das Tor der Halle weit auf, um den Kämpen des Königs, Sir John Dymoke, einzulassen. Er war von Kopf bis zu Fuß in Stahl gekleidet, trug eine weiße Straußfeder auf dem Helm und ritt ein Pferd auf goldgewirkter Decke, in welche die Wappen von England und Frankreich eingestickt waren. Also ritt der Kämpe langsam bis in die Mitte der Halle, ein Herold vorauf. Kein Wunder, dass er prächtig gerüstet und beritten war, denn er hatte bei der Gelegenheit das Recht, sich der besten Rüstung des Königs, »ausgenom­men eine«, und des besten Pferdes aus den königlichen Marställen, »ausgenommen eines«, zu bedienen.

Als Sir John Dymoke sich dem Baldachin näherte, trat ihm Gartner, des Königs Waffenmeister, entgegen und fragte ihn mit lauter Stimme: »Von wannen kommt Ihr, Herr Ritter, und was ist Euer Begehr?«

»Das sollt Ihr sogleich hören«, erwiderte der Kämpe. Indem er sich an seinen eigenen Herold wandte, befahl er ihm, zu verkündigen, was er zu sagen habe.

Nach einem dreimaligen »Hört!« sprach dieser folgendermaßen: »Ist hier irgendjemand, gleichviel welches Standes oder Ranges, der behauptet, dass König Edward VI. nicht der rechtmäßige Erbe dieses Reiches sei, so werfe ich, Sir John Dymoke, Selbigem meinen Handschuh hin und will mit ihm kämpfen auf Leben und Tod.«

Als der Herold schwieg, zog Sir John seinen Handschuh aus und warf ihn auf die Erde. Diese Herausforderung wurde an verschiedenen Stellen der Halle wiederholt. Da aber niemand dieselbe annahm, so ritt der Kämpe zu der Estrade hin und verlangte einen Becher Wein. Der Obermundschenk reichte ihm einen vergoldeten Becher mit Malvasier. Nachdem er davon getrunken hatte, entfernte er sich.

Das Bankett hatte nun seinen Verlauf. Die Trompeten bliesen zum dritten Gang, und nachdem dieser hereingebracht worden, öffnete sich rechts in der Halle eine Seitentür, und man erblickte ein höchst eigentümliches Schauspiel. Herein traten drei kolossale Gestalten in altsächsischer Rüsinng aus der Zeit des Eroberers, wie man sie wohl noch auf alten Tapeten sieht. Die Rüstung bestand aus Leder und Stahl, dazu Helme von konischer Form mit fantastischen Vor­sprüngen anstelle der Nase, die etwa wie ein Vogelschnabel aussahen. Über ihren Köpfen trugen die drei einen enor­men Schild, dessen Umfang etwa der berühmten Tafelrunde des Königs Arthur gleichkam. Und wohl war die Größe des Schildes notwendig, denn er trug einen vollständig gerüsteten Ritter auf schön geschmücktem Pferd. Die gewaltigen Angelsachsen waren, wie man sich denken wird, die gigantischen Towerwächter. Ebenso wird man erraten, dass der Ritter niemand anders war, als des Königs Zwerg. Xit saß auf seinem Pony, das wie ein Streitross geschmückt war. In der Hand trug er eine Turnierlanze und eine Streitaxt am Sattelknopf. Als er in seiner erhabenen Stellung die Halle entlang getragen wurde, blickte er mit einem Lächeln des Triumphes um sich. Hinter den Riesen kam noch eine andere fantastische Person, zum Teil in wilde Tierhäute gekleidet, mit einer grotesken Maske vor dem Gesicht, San­dalen an den Füßen und einer massiv aussehenden Keule auf der Schnlter. Dieser wild aussehende Mann war Paeolet.

Als der ritterliche Zwerg bis in geringe Entfernnng von des Königs Tisch gebracht worden war, den er in seiner erhabenen Stellung vollständig übersehen konnte, trat ihm Gartner entgegen und fragte nach Namen und Begehr.

»Mein Name ist Sir Pumilio«, antwortete Xit mit seiner gellenden Stimme, »und ich komme, um vor des Kö­nigs Angesicht einen Kampf mit dem wilden Mann zu bestehen, wenn es also erlaubt ist.«

»Seine Majestät erlaubt es gern, Sir Pumilio«, ent­gegnete Gartner, mühsam seinen Ernst behauptend. »Tu’ deine Schuldigkeit, wie es einem tapferen Ritter geziemt.«

»Ich werde mich bemühen«, rief Xit. »Wo steckt der übermütige Wilde?«, fügte er hinzu.

»Hier, sieh ihn!«, rief Paeolet.

Während Xit mit Gartner sprach, hatte der ge­wandte Seiltänzer sich auf die Schultern eines großen Gardisten, der in seiner Nähe stand, geschwungen und sprang nun auf den Schild. Xit griff ihn sofort an und bemühte sich, ihn von der Bühne hinunterzutreiben, aber Paeolet wich seinem Stoß geschickt aus, und es fehlte nicht viel, so wäre Xit selbst hintergekommen. Die Kämpfenden hatten keine sehr große Arena, um ihre Gewandtheit an den Tag zu legen, aber sie benutzten sie aufs Beste, und Paeolets Kniffe waren so spaßhaft, dass sie allgemeines Gelächter erregten. Nach­dem der Kampf einige Minuten gedauert hatte, schlug Paeolet, augenscheinlich in arger Klemme, mit seiner Keule auf den Schild und sprang im selben Augenblick zur Erde. Kaum war er hinunter, als der Rand des Schildes sich wie durch Zauber aufrichtete und eine Reihe feiner Eisenstäbe sichtbar wurde, die den Zwerg, gleich einer Maus in der Falle, ein­schlossen. Groß waren das Erstaunen und die Wut des Kleinen über diesen Streich, auf den er ganz und gar nicht vorbereitet war. Er stieß mit der Lanze gegen die Wandungen seines Käfigs, aber sie waren stark genug, um Wider­stand zu leisten. Er befahl den Riesen, ihn in Freiheit zu setzen, aber umsonst. Endlich befreite ihn Paeolet und trug ihn unter nicht enden wollendem Gelächter davon.

Zunächst proklamierte nun Gartner, begleitet von Norroy und Clarencieux, an verschiedenen Stellen der Halle die Titel des Königs. Vorauf schritten Trompeter, die einen gewalti­gen Lärm machten. Bei jeder dieser Proklamationen riefen die Herolde »Geschenke! Geschenke!«, worauf ihnen vonseiten der Edelleute, Ritter und Esquires manche Kostbarkeit zufiel.

Gegen Ende des Festes stand der Lordmayor von London, Sir Henry Hubblethorne, der, wie man sich erinnern wird, der Erste war, der vom König bei seiner Ankunft im Tower zum Ritter geschlagen wurde, von seinem Platz am oberen Ende der Tafel auf. Indem er vor dem jungen Monarchen niederkniete, bot er ihm einen silbernen, mit Edelsteinen besetzten und mit Hippocras gefüllten Becher. Edward nahm ihn dankend, und nachdem er auf das Wohl der guten Stadt London getrunken hatte, gab er den Becher zurück, indem er den Lordmayor bat, denselben zum Andenken des Tages zu bewahren.

So endete dieses große und denkwürdige Bankett.

Der König kehrte darauf zum Palast zurück, in dessen Höfen Turniere und Lanzenspiele abgehalten wurden, wobei Lord Seymour, zur großen Freude seines Neffen, den ersten Preis davontrug.