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Der Kommandant des Tower 33

Der Kommandant des Tower
Band 2
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Drittes Buch
Der Lordgroßadmiral von England
Sechstes Kapitel

Wie König Edward VI. in der Westminsterabtei gekrönt wird

In der alten Westminsterabtei, wo sein Vater und Groß­vater gekrönt und wo so viele seiner Vorgänger gesalbt worden waren, hatte man alle zur Krönung des jungen Edward nötigen Vorbereitungen getroffen.

In der Mitte des Chores und dem Hochaltar gegen­über war eine hohe Bühne errichtet worden. Den Boden derselben hatte man reich mit Teppichen belegt, die Ränder mit Goldstoff behangen. Zweiundzwanzig breite Stufen führten zu dieser Bühne an der westlichen Seite hinauf, während nur halb so viel Stufen zum Altar hinunterführ­ten. Dieser selbst war prächtig aufgeziert mit goldenen und silbernen Geräten, die auf einer mit Juwelen besetzten Decke ruhten. Die schönen Säulen im Schiff der Kirche waren zum Teil mit rotem und weißem Samt umwunden und mit Bannern und Wappenschildern geschmückt.

Schon frühmorgens füllten sich alle Zugänge zu der Abtei mit Tausenden von Menschen, die Einlass gewinnen wollten, und noch vor acht Uhr war jeden Fleck in dem weiten Gebäude besetzt, der nicht für die bei der Zeremonie Beteiligten reserviert worden war.

Um neun Uhr wurden die Zuschauer in etwas von der auf ihnen lastenden Langeweile erlöst, indem die Chorherren und Kaplane erschienen. Ihnen folgten zehn Bischöfe, bedeckt mit der Mitra und in Scharlach gekleidet. Kurz darauf kam der Erzbischof von Canterbury selbst, mit der Mitra und in vollem bischöflichen Ornat. Vor ihm her wurde das Kreuz getragen.

Cranmer sah überaus ernst aus, als ob die feierliche Zeremonie, die er zu vollziehen hatte, all seine Gedanken in Anspruch nähme, und war sich anscheinend des großen Interesses, welches seine Erscheinung erregte, nicht bewusst.

Die Geistlichen ordneten sich ihrem Rang gemäß und gingen dann zu dem großen Tor, welches in das Schiff der Kirche führte, hinaus, um den König in die Abtei zu geleiten. Der Weg vom Tor bis zum Haupteingang in den Palast war mit Tuch belegt und eingefriedigt. Zu beiden Seiten stand eine Reihe von Bogenschützen und Hellebardieren. Das Schauspiel war prächtig. Ein heller, sonniger Morgen wirkte erheiternd auf die Menge, die rings um die Abtei und in den Palasthöfen versammelt war, und erhielt sie bei guter Laune. Durchaus nichts Ordnungswidriges störte die allgemeine Harmonie.

Unterdessen war der Erzbischof von Canterbury mit den Prälaten und ihrem Gefolge in den Palast getreten, und aller Blicke hafteten an dem großen Portal, auf dessen Stufen zu beiden Seiten Zeremonienmeister und Beamte des königlichen Haushaltes standen.

Endlich verkündeten laute Trompetenfanfaren die Annähernng Edwards.

Ein wahrhaft erschütterndes Jubelgeschrei durchbebte die Luft, als nun der junge König unter seinem von vier Baronen getragenen Thronhimmel hervorkam. Er trug ein Kleid von Purpursamt, breit mit Hermelin eingefasst, und sechs in weißen Atlas gekleidete Pagen trugen die Schleppe. Als Edward auf die Abtei zuschritt und rechts nnd links mit lächelndem Gruß für die Jubelrufe dankte, da war es sehr nötig, dass die Hellebardiere so fest standen, um dem Andrängen der Menge zu wehren.

Das Trompetengeschmetter und das laute Geschrei hatten den in der Abtei Harren­den verkündigt, dass der König komme, und die Erwartung war auf das Höchste gespannt. Doch werfen wir einen flüchtigen Blick durch das prächtige Gebäude, bevor wir den Eintritt des Zuges beschreiben.

Prächtig in Wahrheit sah es bei dieser Gelegenheit aus. Ein Schauspiel von seltener Schönheit und Pracht bot sich dem Beschauer, wenn er von dem großen Portal zum Chor hinblickte. Mit Ausnahme des abgesperrten und mit Teppichen bedeckten Raumes in der Mitte war das ganze Gebäude gedrängt voller Zuschauer, und diese in die mannigfaltigen und malerischen Kostüme der damaligen Zeit gekleidet. Roben, Mäntel und Überwürfe pflegten von Tuch, Seide, Samt oder ähnlichem Stoff zu sein und an Farben so mannigfaltig wie ein Regenbogen. Ein noch schöneres Kolorit erhielten diese Zeuge durch das Licht, welches durch reich gemalte Scheiben fiel. Aus dem dichten Gedränge erhoben sich die schlanken grauen Säulen, die, wie vorher beschrieben, mit Bannern und Wappenschildern geschmückt waren. Der Chor machte einen wunderbaren Effekt. Die Türen standen weit offen, sodass die Estrade, auf der die Zeremonie vor sich gehen sollte, von allen Sei­ten gesehen werden konnte. Schiff, Flügel und Galerien waren gedrängt voller Menschen, desgleichen die Transepten zu beiden Seiten des Chores sowie die zu der Kapelle St.-Edmunds des Bekenners führenden Gänge; außerdem noch viele andere Orte, von denen aus durchaus nichts von der Feierlichkeit zu sehen war. In der St.-Edmunds-Kapelle, wohin zwei in der Nähe des Altars befindliche Türen führ­ten, waren die Edelleute versammelt, welche dem König huldigen wollten. Selbst in der Kapelle Heinrichs VII. be­fanden sich diejenigen, die anderswo nirgends hatten unter­kommen können.

Die vordere Abteilung des Zuges war jetzt in dem Schiff der Kirche angelangt, und unter lautem Trompetentusche betrat jetzt der junge König die Abtei. Er schritt noch unter dem Thronhimmel und begab sich zu dem Chor, wo ihm der Erzbischof von Canterbury und der Lordprotektor entgegentraten und ihn zu der Kapelle St.-Edmunds des Bekenners führten.

Nach kurzem Verweilen daselbst wurde er, auf einem Samtsessel sitzend, von Lord Seymour und Sir John Gage herausgetragen und auf die Estrade gebracht, an deren nörd­lichem Ende seine beiden Träger ihn niedersetzten.

Cranmer, der ihm mit dem Lordprotektor gefolgt war, trat darauf vor, schaute nach der Versammlung, die voll­kommen still geworden war, hin, und rief alsdann mit sonorer Stimme: »Meine Herren, hier stelle ich Ihnen in König Edward den rechtmäßigen Erben der Krone dieses Reiches vor. Ich frage also Euch alle, die Ihr gekommen seid, um zu huldigen und Treue zu schwören, ob Ihr zu solchem bereit seid?«

Die enthusiastische Antwort erfolgte im selben Angen­blick wie aus einem Munde. »Ja, ja! König Edward! König Edward!«

Von jeder Seite der Tribüne herab tat der Erzbischof dieselbe Anfrage und erhielt dieselbe Antwort.

Alsdann bestiegen die Bischöfe von London und Westminster die Tribüne und führten den König von seinem Sitz zu dem Hochaltar, woselbst er andächtig niederkniete, aber nach kurzem Gebet wieder aufstand, um auf dem Altar das

Opfer zu deponieren, welches ihm der Graf von Warwick überreichte. Nachdem das geschehen war, warf er sich aufs Angesicht nieder, während der Erzbischof von Canterbury das Deus homilium anstimmte.

Alsdann halfen die Prälaten dem König aufstehen und führten ihn zu seinem Sessel, der mittlerweile dem Altar gegenübergestellt worden war. Er nahm in demselben Platz und schaute alsdann unverwandt den Primas an, der ihn mit vernehmlicher Stimme also fragte: »Gestrenger Herr, versprecht Ihr Eurem Volk, die Gesetze und die Freiheiten zu achten und aufrecht zu erhalten?«

»Ich verspreche es feierlich!«, antwortete der junge König mit klarer Stimme.

»Gelobt Ihr, Frieden zu halten mit der Kirche Gottes und mit allen Menschen?«, fuhr Cranmer fort.

»Ich gelobe auch solches feierlich!«, war Edwards Antwort.

»Gelobt Ihr, Recht und Gerechtigkeit zu üben und dennoch der Gnade nicht zu vergessen?«

»Ich will nimmer von der Gerechtigkeit lassen!«, erwi­derte Edward mit feiner klangvollen Stimme, die in aller Herzen drang, »und dennoch will ich gnädig sein!«

»Versprecht Ihr, keine anderen Gesetze zu geben, als solche, die zur Ehre und zum Ruhme Gottes gereichen und dem Gemeinwohl dienlich sind, und solche Gesetze nur unter Zustimmung Eures Volkes zu erlassen?«

»Ich werde nur solche Gesetze erlassen, die Gott und meinem Volk angenehm sind!«, erwiderte Edward mit Nachdruck.

Der Erzbischof war mit seinen Fragen zu Ende. Ed­ward stand auf, die beiden Prälaten führten ihn vor den Altar, und er hatte folgenden Eid, den Cranmer ihm vorsprach, auf das Sakrament zu leisten.

»Alles, was ich ver­sprochen habe, will ich tun und halten. So wahr mir Gott helfe und so wahr ich das heilige Evangelium auf dem Altar berühre!«

Nachdem er diesen Schwur geleistet hatte, warf Edward sich nieder in derselben demütigen Weise wie vorhi, nieder, und der Erzbischof stimmte mit lauter Stimme an: Veni, Creator spiritus.

Darauf sprach Cranmer über dem immer in seiner Stellung verharrenden König das Te invocamus. Nachdem das geschehen war, reichte der Prälat Edward die Hand, und derselbe stand auf, worauf der Graf von Warwick eintrat und ihm Mantel und Wamms abnahm, sodass er jetzt in einer Art von rotseidenem Hemd dastand. Sir Anthony Denny und Sir William Herbert hielten alsdann eine Decke von rotem Tuch mit Gold über ihm, während der Erzbischof die Salbung vornahm, erst in beiden Handflächen, dann auf der Brust, dann auf Rücken und Arme und endlich auf dem Kopf, wobei er das Zeichen des Kreuzes machte. Als dieser Teil der Zeremonie vorbei war, ertönten feier­liche Orgelklänge und der ganze Chor stimmte an: Ungebant regem.

Edward stand während diesem auf, und der Erzbischof bekleidete ihn unterdess mit einem weißen Waffenrock, ungefähr von dem Schnitt eines Messgewandes, und setzte ihm eine Art goldener Haube auf, die der Graf von Warwick üherreichte. Dann wurde er mit einem Schwert umgürtet und die Waffe später auf einem Altar niedergelegt, zum Zeichen, dass ihm seine Gewalt vom Himmel verliehen sei. Darauf setzte er sich nieder, und der Lordkämmerer bekleidete seine Füße mit wirklichen Sandalen und Sporen – Letztere wurden aber sogleich wieder abgenommen, damit sie nicht hinderlich sein sollten.

Nun wurde die Krone St.-Edwards dem Erzbischof vom Lordprotektor überreicht, und Cranmer setzte sie auf die Stirn des jungen Königs. Gleichzeitig wurde das Zepter in seine linke, Reichsapfel und Kreuz in seine rechte Hand gegeben. Nachdem Edward die Krone einen Augenblick ge­tragen hatte, wurde sie abgenommen und die Krone von Frankreich an ihre Stelle gesetzt, welche ebenfalls der Herzog von Somerset überreichte. Dann kam noch die dritte Krone, die von Irland, und nachdem diese ebenfalls abgenommen, wurde die Krone von England nochmals überreicht, und diese behielt Edward bis zum Schluss der Zeremonie auf dem Kopf.

Jetzt erschollen lustige Trompetenklänge, die Orgel brauste mächtig und der Chorgesang Te Deum laudamus.

Darauf knieten alle Lords, die geistlichen und weltlichen, der Lordprotektor, der Erzbischof von Canterbury und der Lordkanzler zuerst, vor dem König nieder, einer nach dem anderen, je nach ihrem Rang, und huldigten, indem sie seinen rechten Fuß und die linke Wange küssten und ihre Hände zwischen des Königs Hände legten.

Infolge der großen Anzahl anwesender Edelleute dauerte diese Zeremonie eine beträchtliche Zeit. Aber als alle gehuldigt hatten, riefen sie wie mit einer Stimme: »Gott segne König Edward!« Und die große Versammlung stimmte laut mit ein.

Dann wurde ein Hochamt gehalten, und als das zu Ende war, verließ Edward, immer noch die Krone tragend und begleitet von dem Lordprotektor und allen Edelleuten, unter Zeichen des größten Enthusiasmus die Abtei und kehrte zum Palast von Whitehall zurück.