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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Chakra auf dem Rückweg

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 30

Chakra auf dem Rückweg

Von den drei Magistratspersonen, die den Koromantis verurteilt hatten, schlief der eine schon sechs Monate im Grab, der Zweite ebenso viele Tage, und der Dritte, der große Custos selbst, war jetzt gleichfalls eine Leiche! Alle drei hatte der Myalmann ermordet, obwohl in den beiden ersten Fällen durchaus kein Verdacht irgendeines unnatürlichen Todes geweckt worden war, wenigstens nicht hinreichend, um eine gerichtliche Untersuchung zu veranlassen. Beide waren an langsamen Krankheiten gestorben, die eine gewisse Ähnlichkeit miteinander besaßen, und die, wenn sie auch im Ganzen den Charakter eines zehrenden Fiebers getragen, doch manche so neue und ganz fremdartige Erscheinungen dargeboten hatten, dass die Kunst der jamaikanischen Jünger Äskulaps gänzlich dadurch getäuscht worden war.

Über den Tod dieser beiden hatte Chakra nicht die geringste Besorgnis gehabt und würde sie auch schwerlich gehabt haben, selbst wenn eine richterliche Untersuchung eingeleitet worden wäre. Bei beiden Mordtaten war seine Leitung vollkommen geheim geblieben, beide waren durch die unsichtbare Vermittlung Obis beschafft worden, die zu dieser Zeit auf jeder Pflanzung der Inseln in geheimnisvoller Weise bestand.

Bei der Ermordung des Custos war dies aber alles ganz verschieden. Die Umstände hatten es so gefügt, dass dies Ereignis beschleunigt und überstürzt werden musste. Nun war wirklich Gefahr vorhanden, wie Chakra es wohl selbst begriff, dass man in dem Zauber des Obi Gift zu entdecken vermochte. Ein so plötzlicher und durch natürliche Ursachen unerklärbarer Tod wie der des Custos Vaughan musste zweifelsohne Verdacht erregen und zu einer Öffnung und genauen Untersuchung der Leiche führen.

Chakra wusste, dass man im Inneren derselben noch etwas Stärkeres finden könne als selbst den Saft der Savannablume oder des Calalue, und dass die Krankheit, welcher der Custos erlag, aller Wahrscheinlichkeit nach für Gift erklärt werden würde.

Deshalb war er dieses Mal nicht ohne Befürchtungen, und diese wandten sich vorzugsweise auf Cynthia. Der Ehrlichkeit dieser seiner Helferin misstraute er freilich durchaus nicht, wohl aber fürchtete er, dass ihre Festigkeit nicht ausreichen möge, und dass sie zu schwach sei, um die Kreuz- und Querfragen eines die Untersuchung leitenden geschickten Mannes aushalten zu können.

Kaum war Chakra daher etwas von der Hütte entfernt, wo die Leiche des vergifteten Custos lag, als er auch schon darüber nachzudenken begann, wie Cynthia zu unverbrüchlichem Schweigen genötigt werden oder deutlicher, wie die Mulattin am besten aus dem Weg geräumt werden könne.

Wegen des anderen Teilnehmers an dem Verbrechen hatte er eigentlich keine Furcht, er glaubte, dass Jessuron selbst zu tief darin verwickelt sei, um seinen Mitverschworenen je zu verraten, und dies ließ ihn ganz auf die Verschwiegenheit des Koppelhalters vertrauen.

Lange verweilten seine Gedanken auch nicht bei der von Cynthia zu befürchtenden Gefahr, denn eine so geringfügige Sache wie die, ihre Zunge zum Schweigen zu bringen, wurde bald durch ein viel wichtigeres Vorhaben verdrängt, zu dessen Ausführung er nun eilte.

Als er die Hütte verlassen hatte, wo die Leiche seines unglücklichen Schlachtopfers lag, nahm er zuerst seinen Weg auf Fußpfaden und in Büschen, allein nur auf kurze Zeit, denn die bald hereinbrechende Dunkelheit der Nacht gestattete ihm, ganz sicher auf der Hauptstraße zu gehen. Auf ihr wanderte er nun schweigend, aber mit beträchtlicher Schnelligkeit, denn mit seinen unverhältnismäßig langen Beinen vermochte er über den Boden fast so schnell wie ein Maultier im Trab hinzugleiten. Wenn er irgendjemand auf der Landstraße sah, der ihm begegnen musste, so schlüpfte er wie gewöhnlich zwischen das Buschwerk und verbarg sich da, bis er vorübergegangen war. Und wenn Reisende zufällig denselben Weg wie er gingen, was auch zuweilen vorkam, so vermied er dadurch ein Zusammentreffen, dass er einen Umweg in den Wäldern machte und weit oberhalb dieser wieder auf die Hauptstraße kam.

Die außerordentliche Hast, mit welcher der Myalmann vorwärts eilte, bewies wohl deutlich, dass das soeben begangene Verbrechen durchaus noch nicht die letzte Übeltat Chakras gewesen war, und dass gerade jetzt ihm ein Vorhaben von gleicher oder vielleicht noch größerer Wichtigkeit am Herzen lag.

Stets die große Landstraße von Savanna-la-Mer zur Bay verfolgend, erreichte er zuletzt den Carrion-Kreuzweg und konnte dann bald den Jumbéfelsen erblicken, der in dem hellen Mondlicht von fern fast wie ein prächtiger Glaspalast aussah.

Hier, wo Chakras eigener Bereich anfing, verließ er die große Hauptstraße und schlug einen durch die Wälder führenden Nebenweg ein. Dieser Fußpfad, der nahe am Jumbéfelsen vorüberführte, war derselbe, den Herbert am vorigen Morgen mit den beiden Maronen benutzt hatte. Von dem Zug dieser drei wusste Chakra ebenso wenig, wie von der auf Jessurons Befehl begonnenen Unternehmung der spanischen Negerjäger. Der Koromantis hielt sich für den einzigen Beteiligten in dem Mordanschlag und ahnte gar nicht, dass noch andere dabei mitwirken sollten.

Als Chakra unterhalb des Jumbéfelsens angekommen war und sich in dessen dunklem Schatten befand, hielt er seinen raschen Lauf etwas an. Offenbar war er unschlüssig, was er nun tun solle. Er blickte aufmerksam in den Himmel. Hier verkündete ihm das Sinken des Orion, dass ungefähr in zwei Stunden keine Sterne mehr zu sehen sein und der Tag anbrechen würden.

»Nur noch wenige Stunden!«, murmelte er, nachdem er seine Beobachtung am Himmel gemacht hatte. »Geht nicht an, geht nicht an! In der Zeit soll ich zum Teufelsloch kommen, um die Lampe zu holen, und dann zurück auf den Felsen, um sie zu befestigen. Das geht nicht! Adam und seine Leute brauchen auch noch eine Stunde, bevor sie auf den Felsen kommen können, und dann ist es heller Tag. Das geht nicht an! Es muss in der Nacht geschehen, sonst folgt man mir und das Teufelsloch bleibt kein sicherer Zufluchtsort. Kann’s nicht wagen, kann’s nicht wagen!«

»Humm!«, fuhr er nach einigem Nachsinnen fort, »es ist schade, dass ich nicht zwei Stunden früher hier gewesen bin! Da hätte sich alles noch machen lassen, doch nun nicht mehr, es ist zu spät. Aber eigentlich schadet das gar nichts. Morgen wird es eben so gut gehen. In der Zeit erfahren die Schwarzen vielleicht, dass der Custos tot ist, das gibt Verwirrung und da geht alles leichter. Ja, morgen wird die richtige Zeit zur Ausführung sein. Dann um diese Zeit gegen Morgen schläft die kleine Quasheba, die hübsche Tochter jener stolzen Quadrone und des übermütigen Custos, in den Armen Chakras, des Myalmannes. Humm.«

 

***

 

»Zwei Stunden noch vor Tagesanbruch!«, fügte er nach einer längeren Zeit des Nachsinnens über seine entsetzlichen Pläne und Erwartungen hinzu. »Zwei Stunden noch. Ich habe gerade noch Zeit, zu Jerussons Koppel hinunterzugehen und dann vor Anbruch des Tages zurück zum Teufelsloch. Der alte Sünder ist gewiss neugierig, zu wissen, was geschehen ist, und ich möchte den Rest von den fünfzig Pfund haben. Das Geld habe ich nun sehr nötig, da ich mir eine Frau zulegen und mich häuslich einrichten will. Ha, ha, ha!«

Hierbei lachte der sich mit solchen Zukunftsgedanken schmeichelnde und darüber entzückte Myalmann hell auf und erschien in einer wahrhaft mehr als teuflischen Hässlichkeit. Dann aber setzte er sich wieder in Bewegung und schlug den zu der Koppel führenden Weg ein.