Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Atlantis Teil 7

»Meine Herren!« Die Stimme des Sprechers schallte durch den Raum. »Die Tagesordnung unserer heutigen Sitzung umfasst die folgenden drei Punkte:

Erstens einen Antrag Australiens auf gemeinsam zu treffende Maßnahmen gegen das überhandnehmende Seeräuberunwesen. Zweitens einen Antrag Europas auf etappenweise Sprengung des neuen Panamakanals und drittens einen Antrag Südafrikas betreffend amerikanischer Kriegslieferungen an den Kaiser Augustus.

Wir schreiten zur Behandlung des ersten Punktes. Ich bitte den Herrn Staatssekretär der Marine, seine Ausführungen zu dem Antrag der Australischen Union zu machen.«

Der Staatssekretär erhob sich und sprach: »Meine Herren! Der Antrag Australiens verdient die größte Aufmerksamkeit von unserer Seite. Im Verlauf der letzten Seekriege wurden von verschiedenen der beteiligten Mächte in höchster Not Kaperbriefe ausgestellt. Es wurden also Privatpersonen, die im Besitz von U-Booten waren, durch einen solchen Brief zu Teilen der legitimen bewaffneten Macht zur See gestempelt. Die Erfolge dieser Maßnahmen waren teilweise sehr groß. Einige Welthandelsflotten wurden stark dezimiert.

Verhältnisse ganz ähnlicher Art zeigten übrigens schon die Kriege am Ausgang des 18. Jahrhunderts. Und wiederum entwickelte sich ebenso wie damals aus dem gesetzlichen Kapertum ein ungesetzliches Seeräubertum. Nur mit dem kleinen Unterschied gegen damals, dass die modernen Piraten sich ausschließlich der U-Boote bedienen. Das Unwesen hat leider mit der Zeit immer mehr überhandgenommen. Auch Bürger der Vereinigten Staaten sind oft genug in beklagenswerter Weise in Mitleidenschaft gezogen worden.

Die einzelnen Staaten haben schon seit Langem versucht, das Unwesen zu steuern. Aber ein durchschlagender Erfolg war den bisherigen Bemühungen versagt. Der Antrag Australiens zielt dahin, eine große gemeinsame Aktion alle Beteiligten zu veranlassen. Man denkt, durch ein kombiniertes Vorgehen von Luft- und Seestreitkräften die Piraten in ihre letzten Schlupfwinkel zu verfolgen, aufzureiben und dem ganzen Unwesen ein Ende zu bereiten. Die Erledigung der Vorfragen dürfte jedoch nicht ganz einfach sein. Denken Sie nur an die prozentuale Beteiligung der einzelnen Staaten, die Kommandantenfrage, die Finanzierung, und Sie werden die Schwierigkeiten erkennen. Diese Präliminarien dürften am besten in einem Parlamentsausschuss erledigt werden, dessen Bildung ich anrege.«

Der Vorschlag des Staatssekretärs fand allgemeine Billigung. Der Sprecher hatte das Wort.

»Meine Herren! Den zweiten Punkt unserer Tagesordnung bildet der bekannte Beschluss des Berner Parlaments. Die Gründe, die Europa zu diesem Schritt bewogen haben, dürften Ihnen allen durch die Presse genügend bekannt sein. Ich eröffne die Diskussion über diese Frage.«

Zwei Stunden lang wechselten sich die Redner auf der Tribüne ab, die für und wider den europäischen Antrag sprachen. Der laute Beifall, der den Reden Dafür folgte, sie bei jedem Schlagwort von Humanität, christlicher Nächstenliebe und Menschentum unterbrach, verriet die Stimmung des Hauses schon jetzt zur Genüge. Als Letzter sprach Wilkinson, Florida. Seine Rede gipfelte in einem überaus scharfen Angriff auf die Canal Company und ihren Leiter. Aufmerksam folgten die Kongressmitglieder seinen Ausführungen. Als er die möglichen Folgen einer Ablenkung des Golfstroms für Florida ausmalte, stieg das Interesse noch höher.

»… Kann das amerikanische Volk die Verantwortung tragen, dass blühende, dichtbevölkerte Teile Europas in Eiswüsten verwandelt werden? Dass Armut, Not und Elend Millionen an den Bettelstab bringen, in den Tod jagen … und alles, um dieser Kanalgesellschaft ein paar Milliarden zu ersparen, dieser Gesellschaft, deren Geschäftspraktiken sowieso schon genügend anrüchig sind?

Mögen auch die Befürchtungen übertrieben sein. Schon die Möglichkeit muss genügen, um unseren Beschlüssen die Richtung zu geben. Entschlössen wir uns anders, träte das Gefürchtete ein, so wäre das ein schwarzes Blatt in der glorreichen Geschichte Amerikas. Auf Generationen hinaus wäre jede Regierung unseres Landes in den Augen der Welt verächtlich gemacht.

Denken Sie, meine Herren, wie unsere Väter stets für die Ideale der Menschheit gekämpft haben. Wollen wir diesen Prinzipien untreu werden?«

Mit stark erhobener Stimme hatte er die letzten Worte gesprochen. Lautes Händeklatschen, vermischt mit kräftigen Nein-nein-Rufen, gab die Antwort. Die Abstimmung brachte eine überwältigende Majorität für den europäischen Antrag.

Endloser Beifall folgte, als das Resultat verkündet wurde.

»Wir haben es ihm gut gegeben!«, flüsterte Struck seinem Nachbarn Teddington zu. »Das nächste Mal wird er besser an uns denken.«

Teddington zupfte ostentativ an seiner langen Nase.

Miller und Struck sahen ihn fragend an.

»Ich glaube, Gentlemen, wir haben eine pyramidale Dummheit gemacht.« Er lachte, während zwei Gesichter neben ihm lang und länger wurden.

»Trösten wir uns! Wir sind nicht die Einzigen. Fünfundsiebzig Prozent von unseren Kollegen waren ebenso dumm.«

Fast gleichzeitig flammte in der siebenten Abendstunde über allen größeren Städten Europas der Lichtpressedienst auf.

Washington, 1 Uhr nordamerikanische Zeit: Der Kongress hat die etappenweise Sprengung des neuen Panamakanals mit großer Mehrheit beschlossen.

Da waren Millionen von Seelen, denen diese am Himmel leuchtende Botschaft wirklich vom Himmel zu kommen schien. Der schwere Alpdruck, der ihre Sinne und Herzen seit Monaten gefangen hielt, wich einem befreiten Aufatmen.

Alles das, was die Zeitungen, die Presse in jeder Form, über die wahrscheinlichen, für Nordeuropa fürchterlichen Folgen einer Gesamtsprengung und ihre Auswirkungen verbreitet hatte, all das war schwach gegenüber dem, was als Gerücht in tausendfacher Form von Mund zu Mund lief. Sparten die Zeitungen schon nicht mit stärksten Farben bei der Ausmalung der Zukunftsbilder, so hatte hier die Fantasie ganz ungehemmtes Spiel.

Da lagen Schottland und Irland unter ewigem Eis. Skandinavien ein neues Sibirien. Die Häfen von Nordeuropa nur noch wenige Monate im Jahr eisfrei. Verminderte Erwerbsmöglichkeiten überall. Die landwirtschaftlichen Betriebe zum Tode verurteilt. Menschenüberfluss, Hunger, Armut, Not und die Folgen: Auswanderung von Millionen und aber Millionen.

Wie viele hatten schon jetzt die alte Heimat verlassen! In Schottland und an den Fjorden Skandinaviens waren die Landgüter spottfeil … kaum verkäuflich geworden. Die industriellen Unternehmungen in jenen Ländern begannen bereits einen Mangel an Arbeitskräften zu spüren. Das Auswanderungsgeschäft der Flug- und Schiffahrtsgesellschaften blühte wie nie zuvor.

Was in den in erster Linie bedrohten Gegenden zurückblieb, war seines Lebens schon seit Langem nicht mehr froh. Die Kunde aus Washington nahm den Druck von den Herzen. Die Straßen und Plätze wogten von dichten Menschenmassen. Die Nachrichten des Lichtpressedienstes, welche die einzelnen Phasen der Sitzung in Washington, Bruchstücke der Reden, an den Abendhimmel warfen, weckten immer neue Begeisterung. Europa atmete auf. Das seit Tagen in Bern versammelte Parlament schloss seine Sitzung mit einer glänzenden Rede des Präsidenten. Ein Glückwunschtelegramm flog über den Ozean.

 

*

 

Walter Uhlenkort hatte Audienz bei Mynheer van Teeren, dem Präsidenten der Südafrikanischen Union. Er überbrachte ihm persönliche Empfehlungen seines Oheims Christian Harlessen, des Präsidenten der Vereinigten Europäischen Staaten. Nach kurzer Abschweifung wandte sich das Gespräch den letzten Ereignissen zu.

»Sie kommen von Timbuktu, Herr Uhlenkort? … Nun, was haben Sie da gesehen, und was sagen Sie dazu?«

»Ich sah, was ich leider schon vorher ahnte, vermutete.«

»Sie ahnten? … Was haben Sie vermutet?«

»Ich fand bestätigt, was ich fürchtete. Dem Kaiser Augustus gibt diese Entdeckung einen Trumpf stärkster Art in die Hand. Die wissenschaftliche Erschließung dieser natürlichen Energiequelle hat eine ungeheure wirtschaftliche und politische Bedeutung. Mit einer solchen Naturkraft von Millionen von Pferdestärken lässt sich viel anfangen.«

»So ist es, Herr Uhlenkort. Wir wissen es und fürchten es. Unser Ministerium hatte gestern Abend eine Sitzung, die sich bis tief in die Nacht hineinzog. Wir haben gesessen und konferiert, sind aber noch zu keiner Stellungnahme, zu keinem Entschluss gekommen. Eine Möglichkeit, den Schlag zu parieren, ließ sich nicht erkennen. Wir sind mehr denn je auf die Hilfe Europas angewiesen.

Es ist mir daher außerordentlich angenehm, dass ich Gelegenheit habe, jetzt mit Ihnen gewissermaßen als mit einem Vertreter Europas Rücksprache zu nehmen. Ich hatte bereits heute früh eine Besprechung mit dem europäischen Botschafter. Er machte uns Hoffnungen, versprach, dass Europa uns nicht im Stich lassen würde, uns noch tatkräftiger als bisher unterstützen wolle.

Es wurden auch Vorschläge gemacht, bei uns große Bohrungen anzulegen, um in unserem Land vielleicht ähnliche Funde zu machen, ähnliche Energiequellen zu erschließen. Aber das kostet Zeit, sehr viel Zeit, die wir nicht mehr haben, erfordert außerdem Kapital, das unser Land unmöglich aufbringen kann. So sind wir leider zu der Ansicht gekommen, dass dieser Weg nicht gangbar ist, selbst wenn uns europäisches Kapital in der nötigen Höhe zur Verfügung gestellt werden könnte. Aber was ist zu tun?

Sie, Herr Uhlenkort, haben dort am Tschadsee alles mit eigenen Augen gesehen. Sie wissen die Tragweite jener Entdeckungen genau abzuschätzen, und Sie haben auch Gelegenheit gehabt, sich hier über unsere Hilfsquellen zu informieren. Wenn Sie wieder nach Europa zurückkommen, so werden Sie Ihrem Oheim, Ihrer Regierung ein genaues Bild der Lage hier geben können.

Die Verwicklungen, in die uns die ultimativ gestellten Forderungen des Kaisers Augustus betreffend die Gleichberechtigung beider Rassen gebracht hat, sind nach dieser Entdeckung am Tschadsee außergewöhnlich schwer. Es ist selbstverständlich, dass wir sie in der Form, in der sie gestellt wurden, nicht annehmen können. Aber es ist sehr schwer, ich möchte fast sagen, ausgeschlossen, sie unter diesen Umständen ganz abzulehnen.«

Der Präsident schwieg, seine Züge sprachen deutlich von den Sorgen, die ihn bedrückten. Uhlenkort nahm wieder das Wort zur Erwiderung.

»So bliebe also, Herr Präsident, wieder die alte Frage: zu Kreuze kriechen – bedingungslos zu Kreuze kriechen – oder Krieg.«

»So ist es, Herr Uhlenkort. Krieg oder Frieden, die alte, ewige Frage. Die Entscheidung liegt nicht bei uns, sondern bei Europa. Ist Europa gewillt, unseren Staat, diesen letzten Außenposten der weißen Rasse auf afrikanischem Boden, zu halten und nicht untergehen zu lassen, dann muss es uns mit allen Kräften zur Seite stehen.«

»Das wird es!« Uhlenkort sah dem Präsidenten fest in die Augen. Dann – als trübe sich sein Blick – schaute er ins Weite.

»Solange es kann.« Die Worte kamen kaum hörbar, für den Präsidenten unhörbar, von seinen Lippen. Er lehnte sich in seinen Sessel zurück und legte die Hand über die Augen.

»Herr Uhlenkort!«

Uhlenkort schaute auf.

»Haben Sie Bedenken, Befürchtungen irgendwelcher Art?«

Uhlenkort ließ die Hand sinken, sah in van Teerens Blicken den Schimmer der Angst. Mit einer starken Bewegung richtete er sich auf.

»Europa wird bis zum letzten Atemzug an der Seite Südafrikas stehen. Sobald ich zurückgekehrt bin, werde ich alles tun, dass Ihnen jede nötige Hilfe, dass Ihnen insbesondere Mannschaften, Truppen, dass Ihnen das notwendige Menschenmaterial zugeht. Es wird schwere Kämpfe darüber geben. Viele Köpfe, viele Sinne. Das totalitär regierte Kaiserreich Afrika, wo nur einer gebietet, hat es leichter. Was ich will, ist nicht, die Auswanderung noch stärker zu fördern. Dies Mittel, so gut es bisher schien, wirkt zu langsam, wo die Lage auf des Messers Schneide steht. Gewiss, wir haben von Anfang an bei dieser Auswanderung Wert darauf gelegt, besonders waffengeübte junge Leute hinüberzuschicken, die sich hier mithilfe Ihrer Regierung eine Existenz suchen mussten und auch gefunden haben. Aber das genügt jetzt nicht mehr.«

In den Augen des Präsidenten leuchtete es auf.

»Herr Uhlenkort, glauben Sie wirklich, durchsetzen zu können, dass …«

»Ich will es«, unterbrach ihn Uhlenkort. »Es geht ums Leben. Die Lage verlangt die Anwendung der stärksten Mittel. Wir werden Ihnen europäische Soldaten senden, vorläufig – ich sage vorläufig – ohne Ausrüstung … als Auswanderer!«

»Und die diplomatischen Verwicklungen, die sich daraus mit Sicherheit ergeben dürften … schwierige diplomatische Verwicklungen …« Der Präsident sprach es.

Walter Uhlenkort zuckte die Achseln. »Herr Präsident, diplomatische Verwicklungen schwieriger Art entstehen immer nur dann, wenn das Schwert locker sitzt. Wir müssen mit der Möglichkeit einer bewaffneten Auseinandersetzung rechnen.«