Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Similischmuck

Paul Rosenhayn
Elf Abenteuer des Joe Jenkins
Der Similischmuck

Der dunkle Seidenvorhang schloss sich rauschend über der Leinwand. In den bronzenen Schalen, hinter den buntfarbigen Deckenmedaillons, in den hohen Girandolen flammte das Licht auf. Durch die Ränge des großen Lichtspielhauses ging es wie ein Aufatmen. Hier und da schimmerte ein Batisttüchlein, zerdrückten scheue Finger verstohlen ein glitzerndes Tränchen.
Am Proszenium glühte die nächste Nummer auf. Knisternd wendeten sich Programme. Die Lichtfülle schrumpfte ruckweise zusammen und glitt allmählich in ein tiefes Dunkel über, und auf der Leinwand schimmerte es in violetten Schriftzeichen:

WOCHENCHRONIK

Das Orchester setzte mit einer Marschmelodie ein, und surrend glitt es vorüber: Bilder vom Kriegsschauplatz …  Sprengversuche in einem Flussbett … ein Defilé vor einem fremden Monarchen, dann kam ein Bild:

ANKUNFT DES BERÜHMTEN
SCHWEDISCHEN FORSCHERS SVEN HEDIN
IN BERLIN

Die Halle des Lehrter Bahnhofs tauchte flimmernd auf der Leinwand auf. Ein paar Herren im Frack stellen sich in Positur. Der reservierte Wagen des D-Zuges öffnete sich. Lächelnd und grüßend trat der berühmte Forscher auf den Bahnsteig. Ein paar Reisende, die mit dem gleichen Zug gekommen sein mochten, blieben neugierig und lachend stehen.
In diesem Augenblick gellte ein entsetzlicher Aufschrei durch das Theater.
In diesem kreischenden Ton zitterte eine so unverkennbare Todesangst, dass ein Teil des Publikums bebend und verstört von den Bänken aufsprang. Ein Scharren von Füßen, ein Stimmengewirr, das immer mehr anschwoll, ging durch das Haus. Der Film brach ab, die Musik schwieg und das Licht flammte auf. Aller Augen richteten sich auf den Platz, von dem der Schrei gekommen war.
Vorn in der ersten Bankreihe bemühte sich ein Mann um eine Frau, die bewegungslos in seinen Armen lag. Ein paar Herren eilten hinzu und boten ihre Hilfe an. Mitleidig näherten sich einige Frauen der Gruppe, unschlüssig und ratlos, was hier zu tun sei.
Zwei Theaterdiener hoben die anscheinend Erkrankte sanft empor und trugen sie behutsam in den Vorraum, um sie dort auf eine Chaiselongue niederzulegen.
Der Herr, der in offensichtlicher Teilnahme der kleinen Gruppe gefolgt war, zog schweigend ein kleines Kristallfläschchen. »Einen Augenblick!«
Die Diener, die einen Arzt vermuten mochten, traten respektvoll zurück. Der Fremde rieb mit dem Inhalt des Fläschchens der Bewusstlosen die Schläfe. Nach einigen Sekunden schlug sie die Augen auf.
Der Fremde wandte sich herum und winkte einem der Diener. »Einen Wagen!«

Der Diener sprang davon.
Der Ehemann der Erkrankten machte den Eindruck eines gut situierten Handwerkers. Er ging auf den Fremden zu und reichte ihm die Hand. »Ich danke Ihnen. Sie haben meiner Frau eine große Wohltat erwiesen … Sie sind Arzt, vermute ich …« Bevor der andere etwas erwidern konnte, fuhr der Sprechende, noch immer verwirrt und erregt, fort: »Ich hätte eine Bitte, Herr Doktor … würden Sie mit uns nach Hause fahren?«
Als der Gefragte zögerte, fuhr er in dringlichem, fast bittendem Ton fort: »Bitte … kommen Sie mit uns. Um es Ihnen offen zu sagen … ich fürchte mich, mit meiner Frau jetzt allein zu bleiben …«
Der Fremde ließ einen fragenden Blick von der Erkrankten zu ihrem Gatten hinübergleiten und schwieg.

»Ich muss Ihnen sagen«, fuhr der Ehemann fort, »ich habe alle diese Tage erwartet und gefürchtet, dass ein Anfall oder eine andere Katastrophe eintreten würde …«
»So war Ihre Frau krank?«
»Nein. Krank war sie nicht … aber, irgendetwas anderes muss mit ihr vorgegangen sein … etwas, was ich bis heute nicht verstehe … nicht fasse … es ist auch kein Zufall, dass wir heute in dieses Lichtspieltheater gefahren sind … meine Frau hat mich gezwungen, mit ihr hereinzugehen … sie muss gewusst haben, dass irgendetwas sie hier erwarte … und von all den unbegreiflichen Dingen, die in diesen Tagen in meinem Haus vorgegangen sind, ist dieser Anfall nur das Letzte.«
Der Fremde warf einen forschenden Blick auf die Frau, die allmählich zu sich kam. Dann sagte er mit ruhiger Stimme: »Gut. Ich werde mitkommen.«
Der Diener kam zurück. »Ein Auto war nicht zu haben«, meldete er. »Aber ich habe eine Droschke erwischt. Sie wartet vor der Tür.«
Der Fremde nickte. »Also gehen wir.«
Auf dem regenfeuchten Asphalt der endlosen Straßen des Berliner Westens spiegelten sich in hundertfachen Reflexen die elektrischen Lichter. Während die Droschke gemächlich dahintrottete, war der Ehemann zärtlich um seine Frau besorgt, die noch bleich und matt neben ihm in den Polstern lehnte. Allmählich sank ihr Kopf schwer gegen seine Schulter. Die beiden Männer betrachteten stumm das junge, hübsche Gesicht, über das von Zeit zu Zeit die zitternden Strahlen der Straßenlaternen huschten. Noch jetzt, selbst im Halbschlaf, trug das junge Gesicht den unverkennbaren Ausdruck der Angst und des Entsetzens, und tiefe melancholische Schatten lagen um die Augen. Ein schwerer schmerzlicher Zug war um den leicht geöffneten Mund eingegraben, und noch immer schien es wie ein Zittern durch ihre Gestalt zu gehen.
Während die beiden Männer teilnehmend die junge Frau anblickten, schien es, als ob die Spannung in ihren Zügen allmählich wiche. Der gequälte Ausdruck ging langsam in ein friedliches, selbstvergessenes Lächeln über, und mit einem leichten Ruck glitt ihr Kopf an die Schulter ihres Gatten. Er beugte sich zärtlich über sie. Während er ihren tiefen, langsamen Atemzügen lauschte, sagte er lächelnd: »Sie schläft!«
Der Fremde, der schweigend dem Paar gegenübergesessen hatte, nickte. »Ja, sie schläft tief und fest.«
Der Ehemann stieß einen tiefen Seufzer aus. »Zunächst, Herr Doktor …«
»Ich bin kein Arzt«, erwiderte der andere. »Mein Name ist Joe Jenkins …«
Es war, als ob dem anderen der Atem stockte. »Wie …«,  begann er endlich mit bebender Stimme. »Mr. Joe Jenkins, der berühmte Detektiv?«
»Derselbe.«
»Nun, Mr. Jenkins …« Er haschte nach der Hand des anderen und drückte sie fest. »Sie glauben nicht, wie mich das freut … das ist, als ob eine höhere Fügung Sie mir gerade in diesem Moment geschickt hätte … denn ich kann Sie versichern: Was ich Ihnen zu berichten habe, dürfte zu dem Seltsamsten gehören, was jemals einen Detektiv beschäftigt hat!«
»Nun«, sagte Joe Jenkins lächelnd, »ich hatte von vornherein das Gefühl, dass hier etwas zugrunde liegt, was in mein Ressort schlägt.«
Die Schlafende machte plötzlich eine zuckende Bewegung.

Jenkins legte den Finger auf den Mund.
Die Droschke hatte das brausende Gewühl der Hauptverkehrsstraßen hinter sich gelassen und bog in die stillen Gartenstraßen der Vorstadt ein. Das Licht der Laternen in diesen dunklen Alleen wurde spärlicher und trüber, und immer mehr wichen die Häuser hinter den tiefen, schweigenden Gärten zurück.
Durch ihre veränderte Lage hatte sich der Mantel der jungen Frau ein wenig verschoben. Einmal warf ein vorüberrasendes Automobil einen grellen Lichtstrahl über ihre Gestalt. In diesem Augenblick sah Mr. Joe Jenkins einen großen Brillantschmuck von seltsamer Form in dem zuckenden Licht aufglänzen. Die Augen des Detektivs hefteten sich erstaunt auf das blitzende Geschmeide, das in seltsamem Kontrast stand zu der einfachen Erscheinung seiner Trägerin. Ihr Mann, der den fragenden Blick aufgefangen haben mochte, lächelte ein wenig.

»Der Schmuck ist unecht, Mr. Jenkins«, sagte er. »Ich habe ihn meiner Frau vor etwa vier Wochen von einem Hausierer für zwölf Mark gekauft.«
Der Detektiv nickte, und wieder glitt sein Auge über diesen blitzenden Schmuck, dessen unwahrscheinlich große Steine die Unechtheit auf den ersten Blick vermuten ließen. Joe Jenkins beugte sich lauschend über die Schlafende, dann sagte er: »Ich denke, Sie können jetzt mit Ihrem Bericht beginnen.«
Der andere nickte. »Man Name ist Michaelis. Oskar Michaelis. Wir sind jetzt über zwei Jahre verheiratet. Ich bin Holzbildhauer. Wir haben uns in Perlitz, einem westlichen Vorort von Berlin, ein Häuschen gekauft, und ich habe mir darin ein kleines, schmuckes Atelier eingerichtet. Mein Kundenkreis ist noch klein, und die Aufträge gehen darum ziemlich spärlich ein. Aber ich habe mir in meinen früheren Stellungen ein paar Tausend Mark gespart, und auch meine Frau hat etwas Vermögen. Sie war früher in mehreren vornehmen Häusern Kammerzofe. Viel brauchen wir ohnehin nicht, denn wir sind sehr solide und sparsam und verbringen unsere Abende größtenteils in unseren vier Pfählen, und so können wir schon abwarten, bis die Zeiten bessere werden. Freundschaftlichen Verkehr unterhalten wir fast gar nicht ­- höchstens, dass hier und da ein Nachbar bei uns vorspricht.
Es ist jetzt ungefähr vier Wochen her, wir saßen gerade bei Tisch, da klingelte es. Meine Frau geht hinaus, um nachzusehen. Es vergehen ein paar Minuten – sie kommt nicht zurück. Ungeduldig, ein wenig ärgerlich, gehe ich auf den Flur, um nachzusehen, wer da ist. In der Tür steht meine Frau in eifriger Unterhaltung mit einem Hausierer. Ich trete näher, da sehe ich in der Hand meiner Frau ein großes Brillantcollier ­- eben das, das Sie hier an ihrem Hals sehen. Zu meinem leisen Befremden ist meine Frau anscheinend ganz entzückt von dem Schmuck und betrachtet mit begehrlichen Augen die Steine …
›Aber Kind‹, sage ich, halb lachend, halb ärgerlich, ›du denkst doch nicht im Ernst daran … diese entsetzlich großen Steine, denen man die Unechtheit auf fünfzig Schritt ansieht … du bist doch keine Marktfrau! Das ist ja ein fürchterlicher Talmi!‹
Meine Frau starrt noch immer wie verzückt auf das Halsband. Endlich sagt sie in fast trotzigem Ton: ›Und ich wünsche, dass du mir diesen Schmuck kaufst, Oskar!‹
Ich zucke resigniert die Achseln und wende mich an den Hausierer. ›Was soll er kosten?‹, frage ich.
Er streift mich mit einem scheuen Blick. ›Zwölf Mark!‹, sagt er endlich.
Langsam wendet meine Frau den Kopf zu mir herum und sieht mich mit einem Blick an, von dem sie aus Erfahrung weiß, dass ich ihm nicht widerstehen kann.
Also, um es kurz zu machen, Mr. Jenkins: Ich habe den Schmuck gekauft. Widerwillig, ärgerlich … immer in der Hoffnung, meine Frau werde den unechten Schmuck nicht tragen. Und sie hat ihn auch kaum getragen. Höchstens hat sie ihn mal abends auf ein Stündchen angelegt, und ich habe sie lächelnd beobachtet, wie sie sich über das Glitzern der Similis freute. Sie werden mich vielleicht für schwach halten, Mr. Jenkins … aber, du lieber Gott, das Bedürfnis sich zu schmücken, ist nun einmal den Frauen mitgegeben.
Eines Abends, als ich aus der Stadt komme, treffe ich wieder den Hausierer in unserer Straße, nicht weit von meinem Haus. Er sieht mir mit einem scheuen Blick ins Gesicht, lüftet leicht den Hut und geht weiter. Ich blieb stehen und sah ihm lange nach, wie seine schmale, ein wenig gebückte Gestalt allmählich im Abendnebel verschwand. Und, ich weiß selbst nicht wie, Mr. Jenkins. Während ich ihm nachblickte, drängte sich mir das Gefühl auf, als ob diese Begegnung der Vorbote eines Unheils sei.
Ich komme nach Hause. Sonst empfängt mich meine Frau immer an der Tür. Heute ist die Diele leer. Ein wenig beunruhigt gehe ich durch den Korridor. Plötzlich höre ich ein seltsames Geräusch. Und im nächsten Augenblick weiß ich es: Jemand weint. Eine Frau — meine Frau. Ich gehen dem Ton nach und finde Fanny endlich im Wohnzimmer. Einen Augenblick bleibe ich vor der Tür stehen, mit klopfendem, angsterfülltem Herzen. Noch nie habe ich ein so trostloses, fürchterliches Weinen gehört. Ich trete ein. Sie springt verwirrt auf und fährt sich mit dem Tuch über die Augen, die rot und geschwollen waren. Aber, soviel ich sie auch gefragt habe, Mr. Jenkins, sie hat mir nie gesagt, warum sie geweint hat.
Am nächsten Morgen erhielt ich einen größeren Auftrag. Ein angesehener Berliner Juwelier bestellte mir sechs Ebenholztruhen mit reicher Schnitzerei, bestimmt zur Aufnahme von Schmuck. Daher habe ich die ganze Woche mein Haus nicht verlassen.
Vorgestern Bbend nun, etwa um sieben Uhr, klingelte es an der Haustür. Ich eile herzu und öffne; niemand ist da. Im nächsten Moment schimmert etwas Weißes auf dem Boden – ein Buch, das jemand durch den Spalt des Briefeinwurfs geworfen haben musste. Ich hebe es auf. Es ist der Modenkalender. Irgendein Kolporteur mochte ihn zur Ansicht hereingeworfen haben. Ich beschließe, nach Feierabend darin zu lesen und stecke das Buch in die Tasche.
Müde, wie ich von der Arbeit war, vergaß ich, meiner Frau von dem Kalender zu sagen. An diesem Abend hatte ich lange in der Werkstatt zu arbeiten. Erst um halb zwölf kam ich dazu, mich zur Ruhe zu legen. Meine Frau schlief schon.
Wir haben elektrisches Licht. Ich schalte die kleine Lampe auf meinem Nachttischchen ein und blättere in dem Kalender – für mich das beste Schlafmittel. Allmählich fühle ich, wie mir die Augen zufallen. Mit einer halb unbewussten Bewegung lege ich das Buch auf die Marmorplatte des Nachttisches und schlafe ein.
Mitten in der Nacht wache ich davon auf, dass etwas an meiner Bettdecke zerrt und gleich darauf an meiner Hand kratzt. Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen. Das Zimmer ist hell erleuchtet. Ich habe vergessen, die Lampe auszuknipsen. Im nächsten Augenblick erkenne ich die Ursache der Störung: Puck, der kleine Hund meiner Frau, ist es, der fortwährend an meiner Hand kratzt, die großen Augen mit einem deutlich erkennbaren Ausdruck des Entsetzens auf die Marmorplatte des Nachttisches gerichtet. Das Tier zittert am ganzen Leib, und seine Haare sind borstenartig gesträubt. Ich folge seinem Blick, und im nächsten Augenblick sehe ich etwas Seltsames, etwas, was ich selbst nicht glauben würde, wenn ich es nicht mit meinen eigenen Augen gesehen hätte. Langsam, wie von einer unsichtbaren Hand bewegt, öffnet sich das Buch auf dem Nachttisch. Die Seiten gehen knisternd auseinander, und offen bleibt das Buch liegen. Ich springe aus dem Bett und stülpe die Karaffe über meinem Kopfe aus. Nein, ich war wach. Das war kein Traum. Ich stürze auf das Buch zu, und meine Blicke irren verständnislos über das bedruckte Papier …«
»Einen Augenblick.«
Der Detektiv sah mit unverhohlener Spannung auf den Sprechenden. »Haben Sie sich die Seiten gemerkt, die obenauf lagen?«
Der andere dachte einen Augenblick nach. »Es war eine Hamburger Geschichte: Der Kapitän der Kattrepel. Ich würde sie sofort wiederfinden. Ich habe das Buch zu Hause … In dieser Nacht habe ich, das werden Sie begreifen, Mr. Jenkins, kaum mehr ein Auge zugetan. Immer wieder schreckte ich aus dem leichten Halbschlummer auf und meine Augen irrten zu dem Buch hinüber, zu diesem merkwürdigen, seltsamen Buch. Ich hörte die Uhr drei schlagen, vier … endlich verfiel ich gegen morgen in einen leichten Schlaf.«
»Drehten Sie die Lampe aus?«
»Ja. Am anderen Morgen lag das Buch geschlossen auf der Marmorplatte des Tischchens.«
»Eine Frage. Erzählten Sie Ihrer Frau von dem Erlebnis dieser Nacht?«
»Nein, Mr. Jenkins.«
»Warum nicht?«
»Wenn ich Ihnen das erklären sollte, Mr. Jenkins … ich vermöchte es nicht. Irgendetwas hat mich davon zurückgehalten. Sei es der Gedanke, meiner Frau die Aufregung zu ersparen, sei es irgendein anderer Grund, über den ich mir selbst nicht recht klar bin –  ich habe ihr nichts erzählt.«
»Wo ist das Buch?«, fragte der Detektiv leichthin.
»Ich habe es in meinen Schreibtisch eingeschlossen.«
»Sehr gut. Was geschah weiter?«
»Es war zwei Tage später, als ich frühmorgens einen kleinen Gang in Perlitz selbst zu erledigen hatte.  Ich musste die Anlage eines Blitzableiters, die ich beschlossen hatte, auf dem Gemeindeamt anmelden. Schon nach einer halben Stunde etwa kehre ich zurück. Der kleine Puck, das Hündchen meiner Frau, begleitete mich. Eben biege ich in unsere Straße ein, als mir plötzlich das Benehmen des Tieres auffällt. Es beginnt auf einmal heftig zu bellen, zornig, wütend, wie ich es sonst überhaupt nicht an ihm kenne, und rennt wie besessen voraus. Ich folge dem Tier mit den Blicken, und plötzlich sehe ich den Grund der Aufregung meines Hundes. Am Gittertor meines Hauses steht der Hausierer.
Ich beschleunige meine Schritte. Der Hund fährt wie besessen auf den Fremden los, der ängstlich ein paar Schritt zurückweicht. Das Tier hat gegen diesen Mann das gleiche unerklärliche Misstrauen wie ich selbst … Eben nähere ich mich meinem Haus, als ich sehe, dass meine Frau eilends den Kiesweg herabgeschritten kommt. Schon vor ihr bin ich zur Stelle.
Der Hausierer zieht ein kleines weißes Kuvert und sagt lächelnd zu meiner Frau: ›Heute möchte ich Ihnen etwas schenken …‹

Ich sehe ihn erstaunt von oben bis unten an. Er entnimmt dem Kuvert zwei längliche Karten.

›Dies sind zwei Billetts für den Lichtspielpalast‹, sagt er geschäftig. ›Sie gelten nur für heute Abend. Bitte sehr, gnädige Frau …‹ Damit übergibt er meiner Frau die beiden Karten, die sie zögernd annimmt. ›Und ich bitte Sie … gehen Sie hin!‹

Ein wenig erstaunt über den befremdlichen Tonfall, blicke ich meine Frau an, die wie geistesabwesend auf die beiden Karten starrt.

›Willst du, daßss wir hinfahren?‹, beginne ich. ›Ich muss gestehen, ich habe wenig Lust.‹ Damit drehe ich mich zu dem Hausierer herum. Zu meinem Erstaunen bemerke ich erst jetzt, dass er verschwunden ist.
Ich blicke stumm die Straße hinunter, dann, nach einer Weile, sage ich, indem ich mich zu meiner Frau herumwende: ›Gib her!‹, und strecke die Hand nach den Karten aus.
Mit einem Ruck zieht Fanny die Hand zurück. So, als ob sie ihren Inhalt meinem Griff entziehen will. Und dann sagt sie in einem Ton, so energisch … nein … feindselig … so, wie ich ihn noch nie an ihr gehört habe: ›Ich werde in den Lichtspielpalast fahren. Wenn du nicht mit willst, so fahre ich allein.‹ Damit wendet sie sich herum und geht mit seltsam schweren Schritten auf das Haus zu.
Was blieb mir übrig? Noch nie habe ich meine Frau allein ausgehen lassen. Darum habe ich mich umgezogen, wohl oder übel, und bin mit meiner Frau in den Lichtspielpalast gefahren.
Das Weitere kennen Sie, Mr. Jenkins. Das Erste, was wir sahen, war ein humoristischer Kinderfilm. Dann der große Schlager Die Mumie. Dann kam die Wochenschau … und dann … bei einem der Bilder … ich muss Ihnen gestehen: Ich erinnere mich überhaupt nicht mehr, was auf der Leinwand vorging … als meine Frau plötzlich mit einem entsetzten Schrei aufsprang und mit der Rechten zitternd auf das flimmernde Bild vor uns wies.«
»Es war der Film Sven Hedin in Berlin«, erwiderte Joe Jenkins ruhig.

Der Wagen rollte in langsamen Trab durch die nächtliche Landstraße, die sich in endloser Monotonie verlor bis in die letzten Ausläufer des dunklen Kiefernwaldes. Joe Jenkins blickte schweigend in die reglose Nacht hinaus.
»Wäre es möglich«, begann er nach einer langen Pause, »dass Ihrer Frau eine der Personen auf dem Sven-Hedin-Film bekannt gewesen wäre?«
Der Holzbildhauer schüttelte lächelnd den Kopf. »Ausgeschlossen, Mr. Jenkins.«
»Hm … Sie kennen die Vergangenheit Ihrer Frau genau?«
»Ganz genau. Sie war Zofe in mehreren vornehmen Häusern. Ihre Zeugnisse sind geradezu vorbildlich. Überall war man außerordentlich mit ihr zufrieden.«
»Ihre Papiere sind lückenlos?«

»Absolut. Nicht einen Tag war sie in den vier Jahren außer Stellung.«
Jenkins zog die Uhr. »Ich höre ein Automobil uns entgegenkommen. Sollte es frei sein … so könnte ich noch zur rechten Zeit anlangen …«

Ein kurzer Zuruf, und mit einem Ruck hielt das Automobil ratternd an der Seite der Droschke. Der Detektiv zog eine Visitkarte. »Hier … meine Adresse … sollte sich etwas Neues ereignen … und ich bin sicher, dass sich etwas ereignen wird … so rufen Sie mich telefonisch im Hotel an.«
»Ich werde es sofort tun, Mr. Jenkins … lieb wäre es mir gewesen, wenn Sie mit mir …«

Das Automobil zog fauchend und knatternd an. »Wohin?«, fragte der Chauffeur dienstbeflissen, offenbar froh, in dieser entlegenen Gegend einen Fahrgast zu erhalten.
Der Detektiv warf einen Blick auf die weite Landschaft. Dort vorn, im Osten, lag ein feuriger, rötlicher Schein über dem Horizont: das nächtliche Berlin, das seine ruhelosen, strahlenden Reflexe bis zu den Wolken hinanwarf!

Jenkins horchte einen Moment auf das gleichmäßige Rollen der enteilenden Droschke, dann sagte er leise: »Zum Lichtspielpalast!«