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Die Gespenster – Erster Teil – Vierzigste Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil

Vierzigste Erzählung

Das durch nächtliche Erscheinungen übelberüchtigte Wirtshaus

Robert, Gastwirt eines blühenden Städtchens am Oberrhein, war durch den Zuspruch, womit Reisende seit vielen Jahren sein Haus beehrten, wohlhabend geworden. Aber plötzlich blieb er ohne Gäste und ohne Nahrung. Alle, die sonst bei ihm eingekehrt waren, vermieden entweder das Städtchen ganz oder nahmen mit der weniger guten Aufnahme im zweiten Wirtshaus vorlieb. Die Ursache davon konnte ihm nicht lange verborgen bleiben. Sein Haus war der Wohnsitz eines Gespenstes geworden, welches die Reisenden erschreckte. Und welcher Reisende, vom zurückgelegten Wege ermüdet, tummelt sich gerne mit Gespenstern herum?

Vetter Siegfried, ein junger rüstiger Freier, der ein Auge auf das schöne Röschen – die einzige Tochter des Wirts – hatte, war in den vergangenen Jahren bald als besuchender Freund, bald als reisender Geschäftsmann oft in dieses Haus gekommen. Ihm pflegte für die Nacht immer die nämliche Stube im oberen Stock des Hauses angewiesen zu werden. Und hier war es ihm vorbehalten, zuerst die für ein Wirtshaus so unglückliche Entdeckung zu machen, dass ein irregehender Nachtgeist den Hausfrieden störe.

Einst räumte er des Gespenstes wegen dieses Zimmer um Mitternacht, da bereits ein jeder im ersten Schlaf lag. Fast außer sich stürzte er damals im bloßen Hemd halb fallend die Treppe hinab und weckte atemlos den Wirt. Es hielt schwer, ehe dieser aus ihm herausbringen konnte, von welcher Art das Unglück sei, das ihn in dieser nächtlichen Stunde heimgesucht habe. Endlich, da seine durch die Erscheinung des Nachtgeistes empörten Lebensgeister wieder einigermaßen beruhigt waren, erfuhr Robert Folgendes von ihm:

»Eine ganz weiße Totengestalt öffnete mein verschlossenes Zimmer; ich erwachte davon. Der Geist hatte in der einenHaud ein Bund Schlüssel, in der anderen eine Nachtlampe, die nur einen schwachen Schimmer um sich her verbreitete. Er schwebte vor meinem Bett vorbei und die Stube einige Male auf und ab. Dann setzte er die Lampe auf den Nachttisch und schlüpfte in mein Bett hinein. Ich wollte schreien, aber ich konnte nicht. Entsetzen und Todesangst zerrütteten alle meine Sinne. Gott weiß, wie ich aus dem Bett gekommen sein mag, ohne eine Beute dieses Todesengels geworden zu sein.«

Der zitternde Robert weckte seine Hausknechte. Nach reiflicher Überlegung des Für und Wider wagte er es, sich im Geleit derselben und wohl bewaffnet, dem verrufenen Zimmer zu nähern. Er fand es verschlossen. Siegfried hatte, wie er sich erinnern konnte, die Tür hinter sich zugeworfen, in der Hoffnung, auf seiner Flucht so von dem Geist weniger rasch verfolgt werden zu können. Da er den Abend beim Zubettegehen den Stubenschlüssel abgezogen und auf den Nachttisch neben dem Bett hingelegt hatte, so musste das Zimmer mit dem Hauptschlüssel geöffnet werden. Es geschah. Mit forschendem Blick spähte man zu der Leichengestalt. Aber vergebens! Sie war verschwunden.

Indessen wagte Siegfried doch nicht, für den Rest der Nacht von dem verlassenen Bett wieder Besitz zu nehmen.

Robert wusste nicht recht, was er von der Erzählung seines Vetters denken sollte. Da er ihm aber noch niemals als einen Spaßmacher, auch nicht als einen größeren Poltron, wie er selbst war, kennengelernt hatte, so setzte er billig keinen Zweifel in die Richtigkeit seiner Aussage. Indessen wurmte es ihm, besorgt sein zu müssen, dass das Gespenst wiederkommen und sein Haus in einem ihm nachteiligen Ruf, mithin ihn selbst um die bisherige gute Nahrung bringen könne. Er glaubte daher in einen sauren Apfel beißen und trotz seiner großen Furcht vor Gespenstern wegen der Möglichkeit des Betruges dem gegenwärtigen auf die Zähne fühlen zu müssen. Am Ende schlich er sich vor dem Anbruch der nächstfolgenden Mitternacht in Gesellfchaft Peters, seines treusten Hausknechts, mit Wehr und Waffen in das Spukzimmer. Peter wurde an der Tür, also ziemlich gefährlich postiert; der Wirt selbst nahm Besitz von einem Großvaterstuhl in dem entlegensten Winkel der Stube. Ein brennendes Licht in der großen Hauslaterne stand auf dem Tisch. Lange warteten sie so des gefürchteten Nachtgeistes vergebens. Das Wachen war für beide eine schwere Aufgabe, und nur die vermeinte Gefahr ihres Wagestücks rüstete sie mit ungewöhnlicher Kraft dazu aus. Aber endlich fing dennoch der Schlaf an, seine sotille Gewalt über Robert auszuüben. Er neigte sein Haupt und beantwortete Peters Anreden nur noch dann und wann in abgebrochenen und zusammenhanglosen Worten. Indessen glaubte Peter, etwas die Treppe heraufkommen zu hören und dumpfe Sockentritte zu unterscheiden. Beides wirkte mächtig auf seine schlaftrunkenen Sinne. Er signalisiere daher seinen Herrn eiligst den bevorstehenden Angriff. Aber Robert hatte der Schlaf völlig überwältigt. Unter diesen veränderten Umständen hielt er sich berechtigt, seinen Posten verlassen und den Entschlafenen durch ein ziemlich unsanftes Rütteln zum Kampf ermuntern zu dürfen. Zitternd entblößten beide ihre Hirschfänger und fassten Posto hinter dem Armstuhl.

Das Gespenst war bereits vor der Stubentür und rasselte mit einem Schlüsselbund, als trüge es Ketten. Ein Leichnam schwebte daher. Er war von oben bis unten in ein weißes Sterbehemd gehüllt, machte zweimal die Runde im Zimmer und schlüpfte dann seufzend in das Bett.

Wer war froher als Robert, als er daraufhin offene Bahn vor sich sah! Er ergriff im Lauf die Laterne und machte in höchster Eile den Rückzug in das untere Stockwerk hinab, wie es indessen auf Rückzügen in bester Ordnung zu geschehen pflegt, so auch hier. Er überließ nicht nur Wehr und Waffen dem Feind, sondern schleuderte auch in seiner Hastigkeit die Laterne dermaßen gegen einen Pfeiler der Treppe, dass sie mit großem Geräusche in Stücke zersplitterte.

Peter, der schon beim ersten Anblick der spukenden Leiche seine Augen fest zugedrückt und seine Seele in der Todesangst allen Heiligen empfohlen hatte, war hinter dem Armstuhl zu Boden gesunken. Er sah nichts, hörte wenig von dem, was um ihn her vorging, und mochte sein Stündlein in Geduld erwarten. Die zerschmetterte Hauslaterne, die ihm das verlorene Bewusstsein hätte wiedergeben sollen, vermehrte nur seine sinnlose Erstarrung.

Robert war indessen, rascher als in der Brautnacht, seinem Ehebett zugeflohen. Er verkroch sich unentkleidet bis über die Ohren unter die Bettdecke, so sehr war er mit seiner Herzhaftigkeit zerfallen.

Des anderen Morgens ganz früh rief er sein Gesinde, seine Frau und Tochter zusammen, forschte mit allem Fleiß nach dem Wohlsein des armen Peters. Aber niemand hatte ihn seit gestern weder gesehen noch etwas von ihm vernommen.

Das erfreuliche Tageslicht, welches den Zaghaften beherzt macht und die Furcht zerstreut, kam endlich der Entschlossenheit Roberts zu Hilfe. Im Geleit der seinen suchte er sein verlorenes Schaf da wieder, wo er fliehend dasselbe verlassen hatte.

Eben da fand er es auch. Der schnarchende Peter lag hinter dem Lehnstuhl lang hingestreckt und war – vielleicht abgemattet von der nächtlichen Angst – seinem endlichen Erretter, dem Schlaf, in die wohltätigen Arme gesunken.

Darüber freute sich sein gutmütiger Herr herzlich; denn schon hatte er gefürchtet, dass der Bursche wohl gar die Welt gesegnet haben mochte.

Das Abenteuer der Nacht blieb nicht lange ein Geheimnis vor den Bewohnern des Städtchens. Die Vernünftigen unter ihnen machten sich über Roberts albernes Benehmen lustig und nannten ihn eine feige und abergläubige Memme. Dies kam bald zu seinen Ohren und verdross ihn dermaßen, dass er sogleich zum Bürgermeister des Ortes ging, um den Hergang der Sache protokollieren zu lassen. Zugleich verlangte er, dass man die Wirklichkeit des Gespenstes von Obrigkeits wegen an Ort und Stelle prüfen und die Wahrheit seiner übernatürlichen Erfahrungen erhärten lassen möchte. Denn darin allein könne er Ersatz der vor dem ungläubigen Publikum verlorenen Ehre finden.

Man wollte ihm in diesem Gesuch nicht entgegen sein. Der Stadtkorporal durchwachte mit vier beherzten Kerlen die nächste Nacht auf Roberts Spukzimmer. War dem Geist seine Widerpart für dieses Mal zu zahlreich oder hatte er wirklich das Haus geräumt? Genug, er fand es nicht gut, sich den Kampflustigen zu zeigen. Auf die nämliche Art wurden noch zwei folgende Nächte durchwacht; der eigensinnige Geist blieb wieder aus.

Robert hatte sich nun unnütze Kosten gemacht. War er vorher schon das Gespräch der Stadt, so wurde er es nun noch weit mehr.

Bald darauf reiste Vetter Siegfried in Gesellschaft eines Freundes wieder durch das Städtchen. Man erzählte ihm, dass die Leichengestalt, deren schreckenvolles Dasein er zuerst empfinden musste, nachher auch Robert und Peter einen mörderischen Schreck eingejagt hatte. Dies brachte ihn zu dem Entschluss, nie wieder bei seinem Vetter zu übernachten. Des schönen Röschens freundliche Bitten vermochten indes viel über ihn. Er konnte der Einladung desselben nicht widerstehen und wagte es nach wie vor, mit ihr unter einem Dach zu hausen, jedoch nur unter der ausdrücklichen Bedingung, man müsse die Spukstube aus dem Spiel lassen.

Ganz anderer Meinnng war sein Freund und Reisegefährte. Lüstern nach dem Anblick eines Gespenstes wollte er in keinem anderen als dem berüchtigten Zimmer sein Bett bereitet haben und übernachten.

Der Wirt war hocherfreut, dass sich ein Mann fand, der vielleicht der Wiederhersteller seiner Ehre – wie er es nannte – werden würde.

Siegfrieds Freund tat, was er begann, kaltblütig und wohl überlegt. Er hing an die Wand seiner Bettstätte zwei scharf geladene Pistolen, zündete außer der Nachtlampe noch ein Licht an, legte sich dann unbesorgt aufs Bett, schlief ruhig ein und erwachte am nächsten Morgen, ohne das Geringste von einem Geist mitbekommen zu haben. Er unterließ nicht, seinen Gefährten auf das Kleinliche der Gespensterfurcht aufmercksam zu machen, und bat ihn als Freuud, ihm in der folgenden Nacht Gesellschaft zu leisten, um in den Augen seines Röschens wieder männlich und entschlossen zu erscheinen.

Siegfried fühlte das Gutgemeinte in dieser Aufforderung, fasste ein Herz und begab sich beim Anbruch der Nacht mit seinem Freund auf das Spukzimmer. Alles im Haus war zu Bett gegangen und kein Laut unterbrach mehr die mitternächtliche Stille.

Horch! Da kam es mit dumpfen Tritten die Treppe herauf und langsam näher, und immer näher dem Schlafgemach.

Blassen Angesichts erschien die nämliche blendend weiße Geistgestalt. Siegfried dachte in der Angst an keine Pistolen, die über dem Bett hingen, sondern überließ die Prüfung des Geistes recht gerne seinem Freund allein und suchte sein Heil wieder in der Flucht.

Entschlossener, obwohl nicht weniger erstaunt, beobachtete sein Freund die Schreckensgestalt.

Sie näherte sich ihm. Unmöglich konnte er sich des Schauderns enthalten, da er sie zu sich ins Bett schlüpfen sah.

Wenig fehlte, so hätte er nicht das Bett allein, sondern wie Siegfried auch den Kampfplatz geräumt. Aber nein! Er nahm sich männlich zusammen, ergriff mit der einen Hand die Pistole, mit der anderen das brennende Licht, zog sich ein wenig zurück und erwartete so das Weitere.

Der Geist schien auf den gerüsteten Kämpfer gar nicht zu achten, desto aufmerksamer achtete dieser auf die Erscheinung.

Sie schien weiblichen Geschlechts zu sein, wie die nicht ängstlich verhüllte Gegend der Brust ahnen ließ.

Er trat näher zum Bett, worauf sie ruhig hingestreckt liegen blieb, und erforschte jeden ihrer Gesichtszüge. Vorurteil und der erste Schrecken fingen allmählich an, seine Augen nicht ferner zu blenden. Himmel! Wie angenehm, wie unbeschreiblich angenehm wurde er nun überrascht, da er in der Schlummergestalt mit verschlossenen Augen – Röschen – das schöne mondsüchtige Röschen erkannte.

Um die Nachtwandlerin nicht zu wecken, wagte er es nicht, zu seiner Schadloshaltung einen Kuss auf ihren Mund zu drücken. Vielmehr schlich er leise davon, um eiligst ihre Eltern und seinen Freund herbeizuholen.

Aber weder jene noch dieser folgten sogleich, und ohne weitere Umstände seiner Aufforderung.

Die scherzhafte, zuversichtliche Art, womit der Fremde von seiner Entdeckung sprach, und ein Wort im Vertrauen der Wirtin ins Ohr geflüstert, bewog indessen zuerst diese, ihm auf dem Weg zu dem Spukzimmer zurück zu folgen und die Untersuchung der Natur des Nachtgeistes zu beginnen. Um sich nicht von einem Frauenzimmer beschämt zu sehen, mussten sich nun freilich auch Robert und Vetter Siegfried das Wagestück gefallen lassen.

Beide schlichen dem Vortrab nach und steckten fein vorsichtig erst den Kopf zur Tür hinein, als die Mutter schon längst ihr teures Kind beliebäugelte. Diese nämlich kannte Röschens Unschuld und Tugend zu gut, als dass sie nicht hätte fest überzeugt sein sollen, dasselbe nur mondsüchtig hier in diesem Bett finden zu können. Ohnehin wusste sie auch schon aus älteren Erfahrungen, dass Röschen Anlagen zu dieser sonderbaren Krankheit habe.

Der alte Robert aber wollte lange weder den Versicherungen seiner Ehehälfte noch seinen eigenen Augen trauen, bis endlich die schlaftrunkene Nachtwandlerin ihm den Glauben gleichsam in die Hand gab.

Sie verließ das Bett, ergriff mit verschlossenen Augen die erloschene Nachtlampe und ging durch die erstaunte Versammlung, die ihr Platz machte, hindurch zur Tür hinaus.

Man folgte ihr schweigend, weil man einesteils nicht die Besonnenheit gehabt hatte, sie gleich anfangs zu ewecken, und anderenteils ihr eine Schmach ersparen wollte.

Sie fand, ohne im Geringsten zu straucheln, den Weg von der Treppe hinab in ihr Schlafgemach zurück.

Alle legten sich nun beruhigt wieder zu Bett, um vollends auszuschlafen. Siegfried insbesondere nahm mit unbeschreiblichem Vergnügen auf dem Spukzimmer die noch warme Lagerstelle der geliebten Wirtstochter ein. Seine Schlüsse von dem, was diese im lebhaftesten aller Träume getan hatte, auf das, was ihr Herz für ihn empfinden mochte, fielen sehr schmeichelhaft für ihn aus. Nichts hielt ihn daher am nächsten Morgen ab, dem guten Röschen, um ihr jede Schmach zu ersparen, sogleich förmlichst seine Hand anzubieten und den Eltern seine damit verbundenen Absichten zu entdecken. Diese hatten wenig dagegen einzuwenden, und Röschens Herz noch viel weniger.

So endeten spukhafte, bange Nächte mit einer frohen Hochzeitsnacht, die man in eben dem Zimmer feierte, wo das unschuldige Röschen dem geliebten Siegfried zweimal Todesangst eingejagt hatte.