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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Erster Teil – Neununddreißigste Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil

Neununddreißigste Erzählung

Von den Liliputanern und deren unterirdischen Zaubermusik

Gewöhnlich und am liebsten pflegen sich spukende Geister zu ihren Tummelplätzen ehemalige Klöster, verfallene Häuser, wüste Schlösser, kurz alte und finstere Gebäude zu wählen. Allein zu Havelberg in derPrignitz, machten sie vor Kurzem eine merkwürdige Ausnahme von dieser Regel. Sle trieben daselbst ihr Wesen in dem vor dem Steintor neu erbauten und eben erst fertig gewordenen königlichen Hafermagazin. Als Kinder der Finsternis tobten sie indessen nicht am hellen Tage, auch nicht in dem oberen lichtvollen Teil dieses Gebäudes, sondern bloß in dem Souterrain, und zwar an dem stockfinsteren Abend des 7. Novembers im Jahre 1792.

Zufälligerweise gingen einige Havelberger um acht Uhr vor dem Magazin vorbei uud vernahmen in diesem Gebäude auf eine für sie sehr überraschende Art eine höchst sonderbare Musik. Die Töne kamen wie aus dem Schoß der Erde hervor, klangen ziemlich harmonisch und wurden am deutlichsten vor den Kellerlöchern vernommen. Ganz wider die sonstige Natur der Poltergeister war die Gespenstermusik ungemein sanft und angenehm, sodass die Beherztesten unter den Anwesenden stehen blieben, mit Wohlgefallen nach ihr horchten, und sie, passend genug, die Zauberflöte der Liliputaner nannten. Zuweilen ließ sich indessen ein rauer und heftiger Ton dazwischen hören. Es war, als ob er diejenigen, welche, von den zauberischen Flötentönen verführt wurden, vergaßen, dass sie sich in der Nähe spukender Geister befänden, erschreckend daran erinnern sollte.

Man eilte von dieser sonst nie gehörten Gespenstermusik schaudernd in die Stadt und erzählte davon einem jeden, der ein Ohr für die neue Mär hatte.

Herr Holdefreund, ein Havelbergischer Kaufmann, der jene spukende Keller des Magazins zur Ablage einiger Handelsartikel gemietet hatte, war nicht der Letzte, dem man hinterbrachte, dass sich Gespenster unter seine dortige Kaufmannswaren gemischt hätten. Dieser Herr, durch Stand und Erziehung über die eitle Furcht und den Schrecken des Wahnglaubens erhaben, fürchtete nicht den etwaigen Unfug böser Geister, sondern vielmehr den Schaden, welchen ihm böse Menschen in seiner Ablage verursachen könnten. Er fand es daher allerdings der Mühe wert, sich mit einigen handfesten Leuten sogleich zum wunderbaren Konzert der Liliputaner zu begeben. In der Tat sonderbar! Auch sie alle vernahmen beim Horchen vor den Kellerlöchern sanft säuselnde Flötentöne, ohne ihren Ursprung sogleich erraten zu können. Unmöglich konnte ein Betrüger sie hervorbringen, denn im ganzen Magazin wohnte keine menschliche Seele, und man fand die Türen auf das Sorgfältige verschlossen. Auch durch die Kellerlöcher konnten kein Dieb und kein gaukelnder Spaßmacher in die Souterrains eingedrungen sein, denn sie alle waren mit eisernen Stangen vermauert, außen mit kleinmaschigen Netzen aus Eisendraht vor den Katzen und Ratten, und innen mit hölzernen Vorhängeklappen versehen. Man fand aber nichts davon gewaltsam zerbrochen, sondern alles war in einem vollkommen unbeschädigten Zustand.

Herr Holdefreund bemerkte diesen Umstand mit großem Wohlgefallen, denn er überzeugte ihn, dass hier wenigstens kein Dieb auf seine Kosten die Rolle eines Gespenstes spielte. Zugleich gab er ihm und seinen Gefährten die größste Hoffnung, dass es ihnen mit dem Einfangen der musizierenden Geister gelingen würde. Sie begaben sich letzendlich mit der Vorsicht, die beim Nachspüren der Quellen eines spukhaften Ereignisses nie genug zu empfehlen ist, in die unterirdischen Geisterwohnungen. Man fand aber weder ein Tier noch einen Liliputaner noch irgendein anderes menschenähnliches Gespenst, das die rätselhaften Flötentöne möglicherweise hervorgebracht haben könnte. Allein ihnen war, als ob ein unsichtbares geistiges Wesen sie kühlend umschwebte und spukhaft anhauchte. In dem nämlichen Augenblick nahm auch die Zaubermusik rund um sie her wieder ihren Anfang.

Man horchte staunend, und ihren aufmerksamen Ohren entging keiner der angenehm säuselnden Flötentöne. Aber plötzlich unterbrach ein heftiger Knall das Wohlbehagen der lüsternen Horchenden. Unangenehm gellten davon die Ohren der schreckhaft Zusammenfahrenden, und aller Blicke waren wie hingezogen zu der Gegend des Kellerloches, aus welchem der Knall kam.

Man hatte vergessen, zwei von den gegenübergelegenen Vorhängeladen innen zu verriegeln. Ein heftiger Westwind, der diesen Abend tobte, spielte damit und schmiss sie auf und zu, so oft ein spukender Windstoß seinen ungewöhnlichen Weg durch den Keller nahm. Herr Holdefreund, der unter anderen auch mit Glaswaren handelte, hatte hier eine Ablage von Flaschen aller Art. Zufällig lagen diese mit den offenen Hälsen sämtlich in einer solchen Richtung, dass die Luft mit jedem Windstoß in sie hinein- oder vor ihnen hinfahren konnte, und dadurch, nach Maßgabe der größeren und kleineren Flaschen und Flaschenöffnnngen, grobe und feine Töne aller Art hervorbrachte.

Um sich ganz zu überzeugen, dass der Wind das einzige hier gegenwärtige Gespenst war, verschloss man die dem Spiel der Zugluft ausgesetzten Laden, und augenblicklich verstummte das Konzert der luftigen Geister. Man ließ sie hierauf wieder frei hängen, sodass der Wind sie nach wie vor auf- und zuschmeißen konnte, und – die jetzt nicht mehr rätselhafte Zaubermusik begann von Neuem.