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Aëlita – Teil 29

Alexej-Tolstoi-AelitaAlexej Tolstoi
Aëlita
Ein utopischer Roman

Losj fliegt Gussew zu Hilfe

Um Mitternacht sprang Losj im Hof von Tuskubs Landsitz aus dem Boot. Die Fenster des Hauses waren dunkel, also war Gussew noch nicht zurückgekehrt. Die schräge Hauswand war von Sternen beleuchtet, ihre bläulichen Funken spiegelten sich in der Schwärze der Fensterscheiben. Hinter den Zinnen des Daches ragte im spitzen Winkel ein sonderbarer Schatten auf. Losj schaute genauer hin: Was konnte das sein?

Der kleine Pilot beugte sich zu ihm und flüsterte ängstlich: »Gehen Sie nicht dorthin.«
Losj zog den Revolver aus dem Futteral. Er atmete durch die Nasenflügel die kühle Luft ein. In seinem Gedächtnis erstand das lodernde Feuer über dem Abgrund, der Geruch des brennenden Mooses, Aëlitas dunkel gewordene flammende Augen …

»Kehrst du zurück?«, hatte sie, vor dem Feuer stehend, gefragt. »Erfülle deine Pflicht, kämpfe, siege, aber vergiss nicht – das alles ist nur ein Traum, das alles sind Schatten … Hier, am Feuer, lebst du, und du wirst nicht sterben. Vergiss das nicht, kehre zurück …« Sie war nahe an ihn herangetreten. Ihre Augen hatten sich ganz dicht vor den seinen geöffnet, und er hatte in bodenlose Nacht voller Sternenstaub geblickt.

»Kehre wieder, kehre zurück zu mir, Sohn des Himmels …«
Die Erinnerung versengte ihn wie Feuer und erlosch – nur eine Sekunde lang hatte sie gedauert, nur solange Losj das Futteral des Revolvers aufknöpfte. Während er noch aufmerksam den sonderbaren Schatten jenseits des Hauses betrachtete, fühlte Losj, wie seine Muskeln sich spannten, wie das heißpulsierende Blut sein Herz erbeben ließ: Kampf, Kampf.
Leicht, in Sprüngen, lief er zum Haus. Er horchte, glitt an der Seitenwand entlang und schaute um die Ecke. Nicht weit vom Eingang des Hauses erblickte er ein auf der Seite liegendes zerschlagenes Luftschiff. Der eine Flügel ragte bis über das Dach zu den Sternen empor. Losj unterschied etwas wie Säcke, die im Gras lagen: Das waren Leichen. Im Haus alles dunkel und still.
Sollte es möglich sein – Gussew? Losj lief zu den Getöteten. Nein, das waren Marsianer. Einer lag mit dem Gesicht nach unten auf den Hausstufen. Noch einer hing zwischen den Trümmern des Luftschiffes. Offenbar waren sie durch Schüsse aus dem Haus getötet worden.
Losj lief die Treppe hinauf. Die Tür war nur angelehnt. Er trat ins Haus.

»Alexej Iwanowitsch«, rief Losj. Es war still. Er schaltete die Beleuchtung ein, da wurde es sofort im ganzen Haus hell. Er dachte: Wie unvorsichtig, und vergaß gleich wieder, daran zu denken. Als er unter den Rundbögen hindurchging, glitt er in einer klebrigen Lache aus.

»Alexej Iwanowitsch!«, schrie Losj laut. Er lauschte wiederum – Stille. Da begab er sich in den schmalen Saal mit dem Mattspiegel, setzte sich in einen Sessel und packte sich mit den Fingernägeln am Kinn. Soll ich hier auf ihn warten? Soll ich ihm zu Hilfe fliegen? Aber wohin? Wem gehört dieses zerschlagene Luftschiff? Die Toten sehen nicht wie Soldaten aus … eher wie Arbeiter. Wer hat hier gekämpft? Gussew? Tuskubs Leute? Ja, es darf nicht gezögert werden.

Er nahm die Zifferntafel zur Hand und schaltete den Spiegel auf Platz vor dem Haus des Höchsten Rates der Ingenieure ein. Dann zog er die Schnur und prallte sogleich vom Spiegel zurück, von dem Getöse, das ihm entgegenschallte. Dort, im rötlichen Schein der Laternen flogen Rauchwolken hoch, sprühten Funken und loderten Flammen auf. Jetzt flog eine Gestalt mit ausgebreiteten Armen und blutunterlaufenen Augen mitten in den Spiegel hinein.

Losj zog wieder an der Schnur. Er wandte sich von dem Sehschirm ab.
Wollte er mich wirklich nicht wissen lassen, wo ich ihn in diesem Durcheinander suchen soll?

Losj legte die Hände auf den Rücken und schritt in dem niedrigen kleinen Saal auf und ab. Plötzlich fuhr er zusammen, blieb stehen und drehte sich blitzschnell um; die Sicherung seiner Mauserpistole knackte. Hinter der Tür, ganz unten am Boden, streckte sich ein Kopf vor – ein roter Schopf, ein rotes runzliges Gesicht.

Mit einem Sprung war Losj an der Tür. Dahinter, an der Wand, lag in einer Blutlache ein Marsianer. Losj nahm ihn auf die Arme und trug ihn zu einem Sessel, wo er ihn niederlegte. Sein Bauch war aufgerissen.

Der Marsianer fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sagte mit kaum hörbarer Stimme: »Eile, wir gehen zugrunde, Sohn des Himmels, rette uns … öffne mir die Hand …«

Losj bog die erstarrende Faust des Sterbenden auseinander und entriss seiner Hand ein Zettelchen. Mit Mühe entzifferte er: Ich schicke ein Militärluftschiff, um Sie zu holen, und sieben Arbeiter, es sind zuverlässige Leute. Ich belagere das Haus des Höchsten Rates der Ingenieure. Landen Sie neben dem Platz, dort wo der Turm ist. Gussew.

Losj beugte sich zu dem Verwundeten hinab. Er wollte ihn fragen, was hier geschehen sei. Doch der Marsianer röchelte nur und zuckte im Sessel.

Da nahm Losj seinen Kopf in die Hände. Der Marsianer hörte auf zu röcheln. Seine Augen wölbten sich vor. Entsetzen und Seligkeit leuchteten in ihnen: »Rette …« Schatten legten sich auf die Augen, der Mund öffnete sich und ließ die Zähne sehen.

Losj knöpfte seine Jacke zu, schlang den Schal um den Hals und begab sich zum Ausgang des Raumes. Doch kaum hatte er die Tür geöffnet, als hinter dem Rumpf des Luftschiffes bläuliche Funken aufsprühten und ein schwaches, aber scharfes Knattern ertönte. Eine Kugel riss Losj den Tuchhelm vom Kopf.

Mit zusammengebissenen Zähnen rannte Losj die Stufen hinunter, sprang auf das Luftschiff zu und kippte den Rumpf auf diejenigen, die sich dahinter auf die Lauer gelegt hatten.

Man hörte das Krachen von brechendem Metall, die schrillen Vogelschreie der Marsianer. Der riesige Flügel schwang durch die Luft und zerquetschte im Fallen auch noch die Marsianer, die unter den Trümmern hervorkriechen wollten. Einige gebückte Gestalten liefen im Zickzack über die Wiese. Losj holte sie mit einem Sprung ein und schoss. Der Donner der Mauserpistole war fürchterlich. Der nächststehende Marsianer warf sich ins Gras. Ein anderer ließ das Gewehr fallen, hockte nieder und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

Losj packte ihn am Kragen seiner silbergrauen Jacke und hob ihn hoch wie einen jungen Hund. Es war ein Soldat. Losj fragte: »Bist du von Tuskub hierher gesandt woren?«

»Ja, Sohn des Himmels.«
»Ich werde dich töten.«
»Gut, Sohn des Himmels.«
»Womit seid ihr hergeflogen? Wo ist das Luftschiff?«

Vor dem schreckenerregenden Gesicht des Himmelssohnes in der Luft hängend, zeigte der Marsianer mit den vor Entsetzen geweiteten Augen auf die Bäume. In ihrem Schatten stand ein kleines Militärboot.
»Hast du den Sohn des Himmels in der Stadt gesehen? Kannst du ihn finden?«
»Ja.«
»Bring mich zu ihm!«
Losj sprang in das Militärboot. Der Marsianer setzte sich ans Steuer. Die Luftschrauben heulten auf. Ein kalter Nachtwind schlug ihnen entgegen. Über ihnen, in der schwarzen Höhe, schwankten ungeheure, seltsame Sterne.