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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Erster Teil – Achtunddreißigste Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil

Achtunddreißigste Erzählung

Von der Erscheinung eines Ermordeten, der sein vergrabenes Eigentum seinem Rächer zuwenden und die Mörderin bestraft wissen wollte

Einst reiste ein reicher Mann ganz einsam durch den Spessart. Er war noch tief in diesem mächtigen, vormals so gefährlichen Gebirgswald, da trübte sich plötzlich der Himmel, und bald umgab ihn mitternächtliche Finsternis. Der Wind hatte sich erhoben und heulte spukend in dem knisternden und knackenden Gehölz. Blitze zerspalteten mit Zickzack die Wolken, Schlag auf Schlag brüllte der Donner, und der Himmel goss sich in Strömen herunter. Vergebens suchte der arme Wanderer sich zu schirmen, er starrte vor Kälte und Nässe. Von seines Pferdes Hals hing der nasse Zaum nachlässig hinab, es ging langsam und vorsichtig auf dem ungewissen Weg. Oft ergriff er den Zügel und hielt es an, um etwa das Bellen von Hunden oder das Horn eines Nachtwächters zu hören, das ihm ein nahes Dorf verraten könnte. Endlich erblickte er von Weitem ein Licht, das ihm zwischen den Bäumen entgegenschimmerte.

Er eilte darauf zu, und als er näher kam, sah er mit Freuden, dass er sich nicht getäuscht hatte. Ein mutiger Hofhund kam ihm entgegen und bellte vor ihm her, bis an das Tor eines einsamen ehemaligen Raubschlosses im Gehölz. So viel ihm das nächtliche Dunkel gestattete, erkannte er grausenerregende Trümmer der mord- und raubsüchtigen Ritterzeit: alte verfallene Gebäude, Gräber und Warttürme.

Einst mochten hier fehdelustige Kämpfer mit wilden Knappen hausen, aber jetzt war dies wüste Schloss ein öffentliches Wirtshaus für verirrte Reisende.

Unser Wanderer saß ab und rief laut. Sogleich stand der geschäftige Wirt an der Tür, bückte sich öfters und entschuldigte sich. Das ganze Haus wäre besetzt und kein Bett mehr frei.

Umsonst war das Bitten des Reisenden. Sogar auf dem Boden und im Stall war kein Platz mehr übrig, denn des Grafen Bedienstete, hieß es, hätten alles in Beschlag genommmen.

Die Hausmagd hatte Mitleid mit dem armen Reisenden. »Wenn Sie ein Herz haben«, sagte sie, »so können Sie bei uns über Nacht bleiben. Aber ich sage es Ihnen vorher, Sie müssen sich nicht fürchten, wenn Ihre Vorhänge aufgezogen werden, wenn Ketten um Sie her rasseln und ein Geist um Ihr Bett herumstreicht. Haben Sie Mut, ihn zu fragen, warum er sein Grab verlässt, so will ich Ihnen das verrufene Schlafgemach anweisen.«

Unser Reisender willigte ein, ohne sich zu besinnen, denn er hatte viel Mut und verachtete Gespenster und Weibergeschwätz.

Die Magd führte ihn durch einen langen Bogengang, der mit Efeu bewachsen und hin und wieder verfallen war. Sie sah oft furchtsam umher und änderte die Farbe, denn die Einbildung machte ihr die Flamme des Lichts blau. Sie stiegen die Wendeltreppe hinauf und erreichten das einsame Zimmer. Die Magd säumte nicht, sondern enteilte den grausenvollen, entlegenen Gemächern.

Das Wachslicht brannte, der Reisende legte sich zu Bett und erwartete den Geist bis um Mitternacht. Auf einmal hörte er den hohlen Wind sausen, dass das schlotternde Schloss klirrte und die krachende Tür erbebte. Näher und näher kam das schreckliche Getöne von rasselnden Ketten, die auf dem Boden nachgeschleppt wurden. Endlich trat ein Geist mit fürchterlichem Schritt ins Zimmer, näherte sich dem Bett und riss die Vorhänge weit voneinander. Da stand das scheußliche Phantom in menschlicher Gestalt, entblößte seinen hageren Busen, der mit Blut befleckt war, zeigte schweigend auf die verwundete Brust und rang dreimal die Hände. Unter dem erschrockenen Reisenden zitterte das Bettgestell. Ihn selbst schüttelte die Angst, Todesschweiß tröpfelte von seiner Stirn, sein borstiges Haar sträubte sich wild in die Höhe, und er betete, was der Schrecken ihm eingab.

Endlich ermannte er sich und rief: »Sage, wer bist du, und was willst du?«

Der bleiche Geist antwortete mit hohler Stimme: »Schon drei Jahre sind verflossen, dass ich die Sonne nicht mehr sehe, dass ich so, wie du, von der Nacht überfallen wurde, und von der Reise ermüdet, hier in diesem Zimmer schlief. Siehe, noch klebt an diesem Boden mein Blut. Ich lag auf diesem Bett im festen Schlaf. Die grausame Wirtin, gereizt durch die Kostbarkeiten, die ich bei mir hatte, schlich sich herein, stach mir das mörderische Messer in die Brust, und auf den Boden rann mein strömendes Blut. Sie raubte mein Vermögen und vergrub es tief in die Erde, unweit von hier im freien Feld. Sei guten Muts, steh auf. Meine Tritte sollen dich dahin leiten. Dort grabe, nimm alles, aber rufe laut um Gerechtigkeit, dass die gottlose Mörderin bestraft werde und mein Geist zur Ruhe komme. Auch fördere meine Gebeine unter diesen Dielen in eine geweihte Erde.«

Hier schwieg der Geist. Der Fremde folgte im Hemd, wie er war, und unerschrocken dem Phantom nach. Sie gingen die morsche Treppe hinab, dann gemach durch den bedeckten Gang, durch Gesträuch und endlich über eine weite Heide. Auf einmal blieb der Geist in der Mitte derselben stehen und verschwand in einer Flamme. Bestürzt stand der Fremde da und fand nichts um sich her, womit er die Stelle hätte markieren können, wo er bei Tage graben sollte. Was sollte er tun? Die Nacht war entsetzlich dunkel, die Angst wirkte auf ihn, und die Natur selbst gab ihm das Zeichen. Er erwachte plötzlich vom lebhaftesten aller Träume. Wie er den Kopf hob, fand er das Zeichen – im Bett!

So mag – wachend und schlafend – mancher fürchterlich schöne Traum geträumt sein, der hinterher, aus Liebe zum Wunderbaren und Unbegreiflichen, mit Zusätzen der Wirklichkeit bereichert, und als Tatsache und reine Wahrheit erzählt und wieder erzählt wird.