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Die Gespenster – Erster Teil – Siebenunddreißigste Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil

Siebenunddreißigste Erzählung

Beweis, dass der Leichnam eines als Verbrecher Hingerichteten keinen Scherz mit sich treiben lässt

Kurz vor dem Ausbruch des ersten Schlesischen Krieges verlor ein preußisches Kürassierregiment durch folgendes sonderbare Ereignis einen seiner Beurlaubten. Eine Ordonnanz von diesem Regiment ritt an einem Wintertag, da es bald finster werden wollte, in Berufsgeschäften von einem Ort zum anderen. Es gesellte sich ein Beurlaubter zu ihr, der nach der nämlichen Stadt gehen und nicht gern allein sein wollte, weil der Weg vor einem Gerichtsplatz vorbei führte, wo vor wenig Tagen ein Verbrecher gehangen war. Zwar musste der Beurlaubte, dem reitenden Kriegsgefährten zur Seite, seinen Weg zu Fuß machen. Allein es war ihm auch nur um Gesellschaft zu tun, und der Kommandierte, dessen Geschäfte nicht eilig waren, tat ihm gerne den Gefallen, sein Pferd nicht aus dem Schritt kommen zu lassen.

Es war bereits finster, als sie unter vertraulichen Gesprächen in die Gegend des Gerichtstages ankamen. Der dort Hängende war schon lange ein Gegenstand ihres Gesprächs gewesen. Begünstigt vom Sternenschimmer, sahen sie jetzt den Leichnam des Verbrechers neben sich, gleichsam zwischen Himmel und Erde schweben. Es wollte ihnen kalt überlaufen. Als Soldaten aber, das heißt, als Männer, die in ihrem Stand den Tod in mancherlei schreckhaften Gestalten kennenzulernen Gelegenheit haben, taten sie allerdings wohl, sich bei Zeiten zu einer gewissen Fühllosigkeit gegen seine Außenseite zu gewöhnen.

Indessen war der Rappe des Kürassiers, während dass man sich dem Hochgericht immer mehr genähert hatte, wild geworden. Er scheute sehr und wollte durchaus keinen ruhigen Schritt mehr gehen. Es fehlte wenig, so hätte er seinen Herrn abgeworfen. Vielleicht machte der ungewohnte Anblick der hängenden Leiche ihn scheu; vielleicht auch nicht. Genug, den Reiter und seinen Gefährten überfiel ebenfalls ein unüberwindliches Grausen der Haut, ohne dass sie es sich einander anmerken lassen wollten. Man suchte vielmehr durch kindische Verspottung des Leblosen am Galgen, sich wenigstens jenen Anschein von Ruhe und Gleichgültigkeit zu geben, und jene wahre, auf Vorurteilslosigkeit gegründete Unbefangenheit einander einzuflößen, welche unstreitig beiden fehlte.

»Bruder!«, sagte der Beurlaubte mit schalem Witz, den die Furcht gebar. »Du bist doch ein rechter Narr gewesen, dass du dich hast hängen lassen. Komm mit, wir wollen miteinander ein Gläschen trinken!«

Kaum hatte er dies ausgesprochen, so hörten beide ein dumpfes Kettengeklirr, als ob der Hingerichtete zu ihnen herabkäme. Aber – was noch weit unbegreiflicher und schrecklicher als dies war -eine Bassstimme antwortete vom Galgen herab: »Warte, Bruder! Ich will gleich mitgehen.«

Die Reisegefährten schauderten heftig zusammen. Furcht und Entsetzen überfielen sie und beflügelten ihre Schritte. Das Pferd, dem die Natur einen schärferen Blick verlieh, hatte wahrscheinlich schon vorhin beim Unruhigwerden wahrgenommen, dass es am Galgen spuke. Jetzt schnaubte es fürchterlicher als je und enteilte dem Gespenst beim ersten Vernehmen der Schreckenstöne in unaufhaltbaren Sätzen. Die Sporen, die ihm unwillkürlich in die Seiten fuhren, beflügelten es vollends.

Verlassen und einsam sah sich bald der arme Fußgänger, so sehr er auch anfangs mit dem flüchtigen Ross wetteiferte. Zwar eilte der Verspottete vom Galgen mit Kettengerassel hinter ihm her und wollte als Gesellschafter, wie es schien, dem Verlassenen die Stelle des treulosen Gefährten ersetzen. Allein mit dieser Gesellschaft war ihm durchaus nicht gedient. Er bot alle seine Kräfte auf, um dem verfolgenden Gespenst zu enteilen.

Das Entsetzen, welches beim Anhören der unerwarteten Antwort sich seiner bemächtigte, der schreckliche Gedanke, für eine bloß leichtsinnige Spottrede einem rachsüchtigen Geist in die Hände fallen zu müssen, die hörbar zunehmende Annäherung des Kettenträgers, das Hinschwinden seiner durch übermäßiges Laufen bald erschöpften Körperkräfte und besonders die lebendige Vorstellung des nahen Augenblicks, in welchem das höllische Wesen die mörderischen Klauen nach seinem Genick ausstrecken würde – dies alles war unaussprechlich qualvoll für ihn und förderte sein Unglück.

Wirklich war das Gespenst dieses Mal mörderischer Natur. Denn kaum erreichte der Geängstigte das Stadttor, so stürzte er ohnmächtig zu Boden und starb an den Folgen des heftigen Blutsturzes, welchen das unmenschliche Laufen ihm zugezogen und die Ausschweifungen seiner feurigen Einbildungskraft veranlasst hatten.

Die Anwesenden im Tor, vom Hergang der Sache schon durch die Ordonnanz unterrichtet, waren in der Wachstube noch mit den Hilfeleistungen gegen den Verunglückten beschäftigt, da erschien mit klirrendem Rasseln auch das Gespenst!

Es war – ein Kesselflicker!

Von der Last des mit Kesseln und klapperndem Eisenwerk schwer beladenen Schubkarrens ermüdet, sammelte er, gleichgültig gegen den jedesmaligen Ruheplatz, oft und dieses Mal zufällig unter dem Galgen neue Kräfte. Das Pferd des Kürassiers mochte ihn im Finstern erblickt haben und scheute. Auf die mutwillige Anrede und Aufforderung zum Trinken gab er, im Namen des Stummen, eine mutwillige Antwort. Und um die Entschlossenheit des Fragenden ein wenig auf die Probe zu stellen, eilte er mit seinem rasselnden Karren hinter ihm her, ohne die traurigen Folgen seines absichtslosen Scherzes, den der Mutwille des Sterbenden selbst veranlasst hatte, auch nur dunkel zu ahnden.