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Die Gespenster – Erster Teil – Sechsunddreißigste Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil

Sechsunddreißigste Erzählung

Tatsachen, welche unser Schaudern vor menschlichen Leichnamen, wie auch die Volkssage zu rechtfertigen scheinen, dass viele Verstorbene spuken

Herr P. studierte in seiner Jugend zu Ingolstadt die Arzneigelehrtheit und wurde einst im Zirkel seiner Universitätsfreunde plötzlich so krank, dass man ihn halb ohnmächtig in seine Wohnung zurückführen und durch Herbeirufen eines Arztes und Wundarztes schleunigst für seine Wiederherstellung sorgen musste. Sein Zufall konnte, nach der Versicherung dieser Sachverständigen, die gefährlichsten Folgen haben. Ungeachtet aller angewandten Mühe wuchs die Gefahr, in welcher der Kranke schwebte, mit jeder Stunde. Er fiel aus seinem anfänglich bloß ohnmächtigen Zustand in starre Sinnlosigkeit, die allerlei Besorgnisse rege machte, welche nur zu begründet waren, denn nach Verlauf von zweimal vierundzwanzig Stunden war er eine Beute des Todes.

Seine Eltern lebten zu entfernt von Ingolstadt, als dass sie bei dem Tod oder auch nur bei der Beerdigung ihres hoffnungsvollen Sohnes persönlich hätten gegenwärtig sein können. Gerne übernahmen daher seine Universitätsfreunde die mit Beisetzung der Leiche verbundenen Geschäfte. Mehrere darunter hatten ihn zärtlich geliebt. Da sie dem lebenden Freunde keinerlei Opfer ihrer freundschaftlichen Zuneigung mehr darbringen konnten, so setzten sie eine Art von Beruhigung darin, seine ihnen hinterlassene Hülle noch durch ein feierliches und ehrenvolles Begräbnis zu ehren.

Die herzliche Sprache des Leichencarmens, welches sie gedruckt seinen tief gebeugten Eltern zuschickten und unter seinen Bekannten verteilten, drückte in den tiefsten Rührungen und Schmerzgefühlen wahre Achtung und Freundschaft aus. Sein vertrautester Freund drückte ihm die Augen zu und den Unterkiefer in die Höhe. Man stellte ihn in einem prächtigen Paradesarg zur Schau, ließ eine Menge Seelenmessen für ihn lesen und ihn fleißig mit geweihtem Wasser besprengen. Um die Feierlichkeit zu erhöhen, beschloss man, ihn nicht wie gewöhnlich bei Tage, sondern des Abends mit Fackeln und einer Trauermusik, begleitet von den sämtlichen zu Ingolstadt Studierenden, zur Gruft zu befördern.

Eine Stunde vor der Beerdigung ließen die Leichenfrauen den Toten im Sarg einige Augenblicke allein. Sie hatten ein Geschäft in einer Kammer dicht neben dem Zimmer, worin die Leiche stand. Plötzlich hörten sie hier auf eine ihnen unbegreifliche Weise ein Poltern. Da sie gewiss wussten, dass keine lebendige Seele bei der Leiche sei, so erschraken sie heftig und zerbrachen sich die Köpfe darüber. Die eine von ihnen, vorzüglich abergläubig, glaubte nichts gewisser, als dass dies nicht mit rechten Dingen zugehe und unstreitig eine spukende Kraftäußerung des toten Leichnams gewesen sei. Dies sei ihr, wie sie versicherte, in ihrer vieljährigen Erfahrung als Leichenfrau schon öfter vorgekommen.

Wie gedacht, so geschehen! Kaum war man in das Leichenzimmer zurückgekehrt und hatte einen flüchtigen Überblick in demselben getan, so bemerkte man, dass der eine Leuchter, der vorher dicht neben der Leiche stand, auf den Boden geworfen worden war. Aber, was unendlich schreckvoller war, die Frauen glaubten auch wahrzunehmen, dass sich die rechte Hand der Leiche, an welche man mit Wachs einen Rosenkranz befestigt hatte, ein wenig bewege.

Sie hüteten sich wohl, diesen Hokuspokus des Bösen, der, ihrer Meinung nach, sein Unwesen mit der armen Leiche treibe, genauer zu untersuchen, sondern stoben heulend und schreiend, pfeilschnell zu den übrigen Hausgenossen. Diese fanden, was die Frauen bemerkt zu haben versicherten, durchaus unglaublich und wollten sich mit eigenen Augen vom Hergang der Sachen überzeugen. Zu ihrem Erstaunen bemerkten sie nicht nur die nämliche Bewegung der Hand, sondern sogar auch ein unverständliches Lallen der Leiche.

Niemand wagte es anfangs, sich dem wunderbaren Toten zu nähern. Man stand zitternd von Weitem, bekreuzigte und segnete sich. Einige flohen, alle schrien: »Die Leiche spukt! Das ist ein offenbares Werk des Teufels!«

Endlich glaubte man, in den abgebrochenen Worten des vermeintlich Gestorbenen die Versicherung, dass er nicht spuke, und ein flehentliches Bitten um Wiederaufnahme unter die Lebenden zu vernehmen.

Man wusste nicht, ob man seinen Augen und Ohren trauen sollte. Indessen fassten die Beherzten doch endlich den vernünftigen Entschluss, die redende Leiche für das zu halten, was sie war – für einen wiedererwachenden Scheintoten, gegen den man nur zu lange die Pflichten der Menschlichkeit verabsäumt habe.

Der höchst ermattete Kranke erholte sich nach und nach von dem dreitägigen Todesschlaf, erlangte zuletzt Kräfte und vollkommene Gesundheit wieder, und lebte noch im Jahre 1791 als ausübender Arzt in Bayern.

Herr Doktor P. befand sich, wie er danach oft erzählte, während seines Scheintodes bloß darum in einem unaussprechlich qualvollen Zustand, weil er sich in demselben all dessen bewusst blieb, was man mit ihm als einer Leiche vornahm. Er hörte und fühlte, aber es war ihm unmöglich, auch nur die geringste Bewegung hervorzubringen. Sein Körper war starr und einer Leiche ähnlich, aber sein Geist lebte. Er hörte die Klagen und Schmerzäußerungen seiner Freunde, fühlte, dass man ihn wie eine wirkliche Leiche behandelte, ihn entkleidete, wusch, und in ein Sterbekleid hüllte, ihm die Augen und den durch das gelähmte Herabhängen des Unterkiefers aufstehenden Mund gewaltsam zudrückte. Er dachte sich seinen hilflosen Zustand und bemerkte nicht nur, wie der Tischler das Maß zum Sarg an ihm nahm, sondern auch alle folgende Anstalten zu seiner Beerdigung. Eine schreckliche Lage!

Kurz vor der wirklichen Vollziehung seines Begräbnisses heftete er, einsam im Sarg liegend, sein Bewusstsein mit der äußersten Anstrengung auf seinen Zustand. Indem seine Seele so mit ganzer Stärke gleichsam auf jeden Punkt der Maschine hinwirkte, kam ihm die Bewegungskraft wieder. Aber seine Hände waren mit Wachs und einem Rosenkranz so fest verknäuelt, dass er sie nicht gebrauchen konnte. Er sträubte und bäumte sich, soviel seine geringen, wiederkehrenden Kräfte es zuließen. Durch diese Bewegung warf er, mithilfe des über ihn gedeckten Tuches den neben ihm stehenden Leuchter um. Das dadurch bewirkte Poltern war, wie wir bereits wissen, die erste Veranlassung zu seiner Rettung.

Herr Doktor P. versicherte, dass ihm während seiner Erstarrung drei Dinge besonders peinlich gewesen wären. In seiner vermeintlichen Sterbestunde nämlich sprach ihm der katholische Geistliche so eifrig zu, dass ihm jede Silbe wie ein Dolch durch die Ohren drang.

Der zweite physische Schmerz, den er am lebhaftesten empfand, entsprang aus der übel angebrachten und vollkommen überflüssigen Dienstfertigkeit, womit man ihm den aufstehenden Mund gewaltsam zudrücken wollte. Besonders gab sich einer seiner Freunde alle Mühe, dieses zu bewerkstelligen, indem er die eine Hand über den Schädel des vermeinten Toten fest anstemmte und mit der anderen das Kinn nach allen Kräften aufwärts drückte. Die Scheinleiche war darauf gefasst, dass ihr dieser unvernünftige Liebesdienst die Fugen der Kinnbacken zersprengen würde, und litt unaussprechliche Schmerzen.

Das Dritte endlich war das Besprengen mit eiskaltem Weihwasser, wovon jeder Tropfen, der ihm ins Gesicht kam, sein Innerstes erschütterte. Dennoch schrieb er diesem Wasser seine Rettung zu. Denn da man ihm, aus frommer Freigebigkeit, auf seinem Totenbett sehr oft damit bespritzte, so kam auch, wie er deutlich fühlte, ziemlich viel davon durch seinen offenen Mund in den Schlund. Dies verursachte den Reiz, der ihm die Bewegung wiedergab.

Dieser äußerst interessante und der größten Aufmerksamkeit würdige Fall – sagt der um die Sterbenden so verdiente Herr Doktor Hufeland – kann uns zu sehr lehrreichen Folgerungen führen. Einmal wird hierdurch außer allem Zweifel gesetzt, dass man ganz tot zu sein scheinen und dennoch hören, fühlen, denken und das ganze Schreckliche seiner Lage empfinden kann. Es gibt einen Zustand, in welchem man das völlige Gefühl seines Lebens und doch nicht die Kraft haben kann, auch nur die geringste Äußerung desselben von sich zu geben – einen Zustand, wo das Empfindungsvermögen fortdauert und alle Bewegungskraft vernichtet ist.

Um sich einigermaßen einen Begriff von diesem Zustand zu machen, erinnere man sich nur an diejenige nicht ganz seltene Lähmung einzelner Glieder, wo man nicht die geringste Kraft hat, diesem Glied nur die kleinste Bewegung zu geben – wo dem Willen also gleichsam aller Einfluss darauf benommen, aber dennoch das Gefühl in größter Vollkommenheit gegenwärtig ist. Was hier den einzelnen Teil betrifft, ist dort der Zustand des ganzen Körpers. Auch werden sich vielleicht Personen, die mit hysterischen Krämpfen behaftet sind, erinnern, in gewissen Ohnmachten etwas Ähnliches erfahren zu haben.

Möchten wir daher jede Leiche recht sorgsam in Schutz nehmen und ihr noch die nämliche Achtung, Aufmerksamkeit und Fürsorge erweisen, wie vor dem Augenblick des Verscheidens, denn sie hört und fühlt vielleicht noch und segnet im Stillen unsere Bemühungen! Nicht eher wollen wir aufhören, sie so zu behandeln, bis Fäulnis uns zweifelsohne beweist, dass hier jeder Funken von Leben und Empfindung verlöscht sei.

Welche Seligkeit wäre es für den armen P. gewesen, wenn auch nur einer der Umstehenden den Gedanken geäußert hätte: »Er ist vielleicht nicht tot!«

Besonders aber sieht man daraus, dass das Gehör wahrscheinlich derjenige Sinn ist, der am spätesten abstirbt, und durch den man also noch am längsten Empfindungen erhalten kann. Man hat schon mehrere Beispiele, welche dies beweisen.

Unter anderen erzählt der Professor Brühler von der Frau eines Parlamentsadvokaten, welche von jedermann für tot gehalten und bereits auf ein Leichenbrett gelegt worden war.

Ihr Mann, der sie sehr liebte, und sich daher durchaus nicht überreden wollte, dass sie wirklich tot sei, sei endlich auf den Einfall gekommen, einen Leiermann holen zu lassen, weil er sich erinnert habe, dass seine Frau dessen Instrument und die Art, wie dergleichen Leute dazu singen, ungemein liebte.

Er ließ ihn spielen und diejenigen Lieder, welche sie vorzüglich gern gehört hatte, dazu singen. Kaum begann diese Musik, so fing die Tote wieder an, sich zu regen und zu sprechen. Man brachte sie wieder in ihr Bett, aus welchem man sie eben erst genommen hatte. Sie erholte sich wieder und lebte noch viele Jahre.

Eine andere für tot gehaltene Frau erwachte über den Zank ihrer zwei Wächterinnen, von denen jede sich das Leichentuch anmaßte. Die ersten Worte der ins Leben Zurückkehrenden waren daher: »Schafft mir diese nichtswürdigen Weiber weg!« Denn sie hatte ihren ganzen Zank mit angehört.

Die Gewohnheit der Römer, bei ihren Toten durch ein lautes Geschrei sowie auch mit Trompeten und anderen stark tönenden Instrumenten zu wiederholten Malen ein lärmendes Geräusch zu machen, so wie auch die bei vielen anderen Völkern übliche Sitte, dem eben Verschiedenen eine Zeit lang von allen Seiten in die Ohren zu schreien, ist höchstwahrscheinlich ebenfalls durch die Erfahrung veranlasst, dass einer oder der andere einst durch dergleichen Geschrei und Lärmen wieder erwachte und ins Leben zurückkehrte.

Ferner zeigt uns obige Geschichte, was für einen außerordentlichen Eindruck das Besprengen mit kaltem Wasser auf einen Scheintoten machen kann, und wie dadurch in diesem Fall das Lebensgefühl im Inneren wirklich unterhalten und endlich wieder der erste Reiz zur Lebenswirkung gegeben wurde. Es würde daher sehr nützlich sein, wenn man dergleichen Personen, besonders in der Gegend des Herzens und Kopfwirbels von Zeit zu Zeit mit frischem Wasser benetzte. Wahrscheinlich würde durch diese wiederholte Erschütterung dem verborgenen Leben immer eine feine Nahrung zugeführt, und der innere Sinn sowie die Reizbarkeit der Fasern würden immer in einer gewissen Wirksamkeit und Spannung erhalten und am gänzlichen Einschlummern gehindert werden. Den noch übrigen Vorrat von Lebenskraft zu erhalten, ist gewiss ebenso nötig und in manchen Fällen noch nützlicher als dieselbe eine Zeit lang mit gewaltsamen Erweckungsmitteln zu bestürmen und dann wieder mehrere Stunden lang ganz ruhen zu lassen. Ebenso wird ein Funke unter der Asche durch ein fortgesetztes gelindes Anblasen weit eher zur Flamme angefacht werden, als durch einen plötzlichen, zu starken Luftstoß, der ihn eher auszulöschen als zu erwecken vermag.

Zuletzt wollen wir die Warnung daraus ziehen, doch ja nicht zu früh Gewaltsamkeiten an den Verstorbenen auszuüben, weil man ihnen dadurch noch in den ersten Stunden die empfindlichsten Schmerzen verursachen kann. Dazu gehört besonders das gewaltsame Hinaufdrücken des Unterkiefers, das dem guten P. so schmerzhaft war, und noch überdies den Nachteil hat, dass dadurch das so wohltätige Eindringen frischer Luft in die Lungen verhindert wird und folglich ein großes Hilfsmittel zur Wiederbelebung verloren geht.