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Jacob von Molay, der letzte Templer 3

Franz Theodor Wangenheim
Jacob von Molay, der letzte Templer
Erster Teil
St. Jean d’Angeli
Verlag von Joh. Fr. Hammerich, Altona, 1838

Drittes Kapitel

Es dunkelte schon, als auf dem mit wildem Gestrüpp bewachsenen Wege, wenig genug betreten, um ihn öde zu nennen, sich eine Anzahl bewaffneter Männer zu Pferde daher bewegte; je zwei und zwei, ritten sie zur Seite dreier anderen Pferde, auf welchem sich sonderbare Gestalten befanden. Man konnte von diesen Gestalten den Oberkörper nicht erkennen, denn sie hingen mit dem Leib über den Sätteln, während man ihnen unter dem Bauch des Pferdes Hände und Füße zusammengeschnürt hatte. Zur Rechten und Linken des Weges zog sich der Forst vom Blancas hin, Eigentum jenes Ritters, welcher auf dem festen Schloss in Languedoc befahl. Durch das Geräusch, welches die Rosse verursachten, drang zuweilen das Rufen entfernter Menschen. Es waren die Köhler, welche in diesem Forst hausten, und ihr Geschäft nur zum Schein trieben, damit man ihnen nicht wegen Verletzung des Wildbanns den klarsten Beweis so geradezu führen könnte. Auch war es nicht ratsam, in die Nähe dieser Halbverwilderten zu kommen. Ihre Selbsterhaltung machte, dass der Todschlag nicht gar schwer auf ihrem Gewissen drückte.

Die kriegerische Begleitung jener drei, welche sich in so peinlicher Lage befanden, musste nicht aus den beherztesten Männern bestehen, denn sie vermied jedes laute Wort und hatte vermutlich nur darum den Weg über das Gestrüpp eingeschlagen, damit der Huftritt der Pferde nicht weithin schallte. Kleine ängstliche Schauer waren diesen Leuten nicht zu verdenken, denn im Volksmund lebte noch manche Geschichte von den Gräueltaten, die in diesem Forst verübt sein sollten. Man erinnerte sich, dass vor mehreren Jahren sogar ein Räuberhauptmann da gehaust hatte, der sich selbst nicht erblödete, Pilger auf offener Landstraße anzufallen, ihnen das Reisegeld abzunehmen und die Kleinodien, welche sie irgendeinem Heiligenbild zu verehren gedachten.

Da man auf dem ungleichen Weg nicht eben rasch vorwärtskam, so brach die Nacht herein, und leider musste man des Mondlichtes entbehren, weil auf des Tages schwüle Gewitterwolken folgten, die den ganzen Horizont schwärzten. Die auf so grausame Weise Gefesselten schienen mehr tot als lebendig, denn keiner von ihnen stieß noch einen Schmerzenslaut aus. Man hatte sie auf diese Weise schon von Paris hierher geführt. Es waren die letzten drei von den Verurteilten. Der Ort ihrer Bestimmung, jenes feste Schloss, konnte man in zwei Stunden erreicht haben. Darum hatte ihre bewaffnete Begleitung ihnen die gewöhnliche Zeit zur Erholung versagt. Der Weg wurde aber jetzt noch immer wilder, als er schon gewesen war. Der Zug hielt an und die Bewaffneten flüsterten untereinander. Sie konnten keinen Ausweg finden, denn der Forst öffnete sich vor ihnen, ihr Weg führte gerade in ihn hinein.

»Was gibt es denn?«, rief es unter dem Bauch eines der Pferde hervor, welche die Gefangenen trugen. »Warum haltet Ihr? Sollen wir denn die ganze Nacht in dieser hündischen Lage hängen bleiben?«

»Halt’s Maul!«, verwies ihm einer mit gedämpfter Stimme. »Denk ich doch, du Gauner hättest längst das Sprechen verlernt. Weiß nur nicht, was sie an dir Teufelsbraten noch aufheben wollen? An euch drei Höllenbräugeln! Muss man da noch die ganze Nacht sich herumtreiben. Ich sehe nicht ab, wie wir anders herausfinden wollen, wenn nicht irgendein Heiliger sich unserer erbarmt und einen himmlischen Boten abschickt.«

»Du bist doch so dumm wie ein Stück Holz«, versetzte der andere wieder. »Ich hänge hier wie ein gebundenes Kalb auf der Schindmähre und höre doch das Knistern der Flamme. Rufe die Köhler, sie werden dich wieder auf den rechten Weg bringen.«

»Ja, wenn mein Hals mir nicht lieber wäre als eine taube Nuss, dann würde ich deinen Spitzbubenrat befolgen. Es wäre der nächste Weg, auf ehrsame Weise in Abrahams Schoß zu steigen.«

»Was könnten sie dir denn nehmen? Dein Pferd etwa? Das können sie nicht gebrauchen. Höchstens könnte sie dein Schwert gelüsten, das wäre alles. Bedenke aber, wie sie des Königs Zorn rege machen würden, wenn sie einem von seinen Söldnern ein Stück nehmen, was dem König gehört. Philipp ist so nicht der Mann, der sich gern was nehmen lässt – haben, haben – so lautet seine Regel.«

Der Kriegsmann schwieg. Es war, als ob ihm des Gefangenen Meinung einleuchtend wäre. Jener flüsterte wieder mit seinen Gefährten, sie beratschlagten und kamen endlich zu einem Beschluss, der ihrem Feldherrntalent Ehre machte. Sie wollten nämlich beieinanderbleiben, um im Notfall räuberischer Gewalt begegnen zu können. Die Köhler wollten sie herbeirufen und sie zur bereitwilligen Hilfe mahnen. Dieser Beschluss war einstimmig angenommen worden. Die rauen Stimmen tönten in den Forst hinein, und es dauerte nicht lange, so schwankte ein heller Schein hinter Baum und Busch hervor. Er verschwand zuweilen wieder, doch nur, um näher und heller aufzuleuchten. Von Gefahr konnte hier keine Rede sein, denn nur ein Mann, ein Stück brennendes Holz in der Hand, dessen Flamme seine wilden Züge beleuchtete, näherte sich dem Trupp so weit, dass er im Fall eines feindlichen Empfangs wieder in den Forst flüchten konnte.

Das machte den Anführer des Trupps frischmutig und er rief dem Köhler zu: »Im Namen des Königs, dessen Untertan du bist, fordere ich dich auf, uns den rechten Weg zu der Veste des Ritters von Blancas zu zeigen!«

»Zum Schloss Roucy!«, rief der wieder unter dem Bauch des Pferdes hervor.

»Weiß schon, weiß schon«, meinte der Köhler. »Werde des Königs Befehl Gehorsam leisten. Ihr habt ja aber dort, wie ich sehe, eine ganz eigene Art von Reiterei bei Euch«, fügte er verwundernd hinzu, indem er wie neugierig näher herantrat. »Möchte so keine Stunde hängen – die Adern im Kopf würden mir so bersten. Na, ich wünsche Euch dreien viel Vergnügen auf Roucy, wenn Ihr hundert Klafter tief im Felsen, bei verschimmeltem Brot und faulem Wasser, mit hundert Pfund Eisen, eine herrliche Musica anstimmt.«

Während der Köhler dieses sagte, war er ganz nahe an denjenigen heraugetreten, welcher den Namen der Veste genau genannt hatte.

»Nicht wahr, Alter«, rief dieser lachend, »und zu dem Gerassel unserer Ketten unser Geheul an die tauben Felsenwände schlägt!«

»Was soll das Geschwätz?«, mischte sich der Anführer hinein.»Fort, fort! Dass wir vom Weg kommen, sonst haben wir ein Donnerwetter sowohl vom König als auch vom Himmel zu erwarten.«

»Das geht nicht so schnell, Herr«, zog sich der Köhler zurück. »Ich bin schon ein bisschen zu alt, um solch weite Wege zu machen. Aber mein Peter, der soll Euch führen. Will hier diesen Span in die Erde stecken, dass Peter den Weg zu Euch nicht verfehlt.«

Ohne irgendeine Antwort zu erwarten, verschwand der Köhler in das Dunkel des Forstes. Die Bewaffneten mussten sich ruhig verhalten, bis Peter käme. An eine Unterhaltung war nicht zu denken, denn in jedermanns Kopf entwickelten sich Möglichkeiten, wie sie das Vorurteil gegen diese halbwilden Menschen gebären musste. Gern hätten sie den flammenden Span ausgelöscht, damit auch Peter und wer weiß, wie viele andere noch, nicht wüssten, wo sie sich befänden. Aber die Maßregel schien doch einem jeden gar zu feige. Auch regte sich nichts Verdächtiges, und der vorlaute Gefangene bestärkte sie in ihrem kühnlichen Erwarten. Er klagte sein Schicksal an, welches sich nun in sehr kurzer Zeit entscheiden würde, drückte seine Furcht aus vor Kerker und Fesseln; eine ganz neue Erscheinung bei dem Verwegenen.

»Ja, ja«, meinte einer von den Bewaffneten, »böse Tat – schlimmer Lohn. Bist auf der ganzen Fahrt so halsstarrig gewesen, drum kommt dir das Wasser an den Hals? Merkst du was? Es wird dir schlecht behagen in dem Felsennest. Hättest nur heute von der Sonne Abschied nehmen sollen, denn bevor sie aufgeht, hüllt dich ewige Finsternis ein. Wirst wohl manchmal nach dem Korb, nach dem Krug suchen müssen, damit du Brot und Wasser hast, welches man an einem langen Strick dir hinuntersenkt.«

Vielleicht hätte der gute Mann dem Gefangenen noch mehrere von diesen Bildern vorgespiegelt, wenn nicht eben eine gelenke Mannesgestalt aus dem Forst geschlüpft wäre.

»Bist du der Peter?«, rief der Anführer.

»Ja, ich bin der Peter«, antwortete die Gestalt, zog den verlöschenden Span aus dem Boden, schwang ihn so heftig im Kreis um den Kopf, dass der Luftzug die Flamme wieder anfachte.

»Wirst du uns denn nun auf den rechten Weg nach Roucy bringen?«

»Ich werde Euch auf den rechten Weg bringen«, versprach der Bursche, während er noch immer seine Fackel schwenkte, sodass die glühenden Kohlen weit umherflogen.

Die Bewaffneten hatten bald Ursache, einzusehen, dass diese Bewegung des Burschen noch eine andere Absicht hatte, als nur den Span in Flammen zu setzen. Denn unheimlich raschelte es und schlüpfte es durch die Büsche und über das Gestrüpp, und hier und da zuckte schon der Schein von dem brennenden Span über ein auftauchendes wildes Gesicht. In einer den Bewaffneten unverständlichen Sprache rief Peter einige Worte. Es schien eine Frage in ihnen zu liegen. Als ob Bäume und Büsche Menschen geworden wären, so heulte es ringsum wild und schrecklich den Namen: »Der Graue, der Graue

»Hier ist Verrat!«, rief der Anführer erschrocken. »In des Königs Namen gebt Kunde, was ihr wollt!«

Der Alte, welcher zuerst den Hilferuf der Verirrten gehört hatte, trat hervor, einen riesigen Schürbaum in der Rechten haltend, eine gute Anzahl hinter ihm, und ebenfalls wie er bewaffnet.

»Es soll Euch nichts Leides widerfahren«, versprach er ernsten Tones, »wenn Ihr Euch willig in das Unabwendbare fügt. Es kümmert uns auch nicht, was diese drei verbrochen haben, ebenso wenig wollen wir die drei. Nur den einen müsst Ihr uns überlassen. Dass Ihr die anderen beiden sicher auf Roucy abliefert, das verbürgen wir Euch.«

»Was!«, zürnte einer von den Bewaffneten, »unterfangt Ihr Euch, des Königs Namen und seine Diener so zu verunglimpfen? Meint Ihr, dass unsere Schwerter Binsen sind?«

»Steckt ein«, befahl der Köhler. »Steckt ein, und gebt Euch nicht unnütz in Gefahr. Unsere Schürbäume schlagen Mann und Ross zu Boden, und dass wir sie zu gebrauchen wissen, das mögt Ihr um Eurer selbst willen glauben.«

Da wurde denn wieder Kriegsrat gehalten. Die Lage der königlichen Söldner war die schlimmste, welche man sich denken kann. Wenn sie auch von ihren Waffen hätten Gebrauch machen wollen, so hatten sie nicht einmal Raum, ein Schwert mit Nachdruck zu schwingen, um so weniger noch ein Pferd zu tummeln. Sie knüpften also Unterhandlungen an, deren Ergebnis war, sich in die Notwendigkeit zu fügen. Die Köhler mussten den Verlangten bezeichnen. Man löste seine Fesseln, half ihm vom Pferd. Er vermochte kaum auf den Beinen zu stehen. Die Köhler schüttelten ihm kräftig die Hand. Das schmerzte aber, weil die Gelenke arg mitgenommen waren. Im verdrießlichsten Ton befahl der eben Befreite, man sollte auch dem zweiten Gefangenen seiner Fesseln entledigen, denn den Freund könne er nicht in der Not verlassen.

»Du kennst unsere Art und Weise«, entschied der alte Köhler. »Wir haben das Wort gegeben, nur dich haben zu wollen, und der König von Frankreich soll nicht sagen können, die Köhler im Wald von Blancas hätten ihm ihr Wort gebrochen. Daraus also, Freund, kann nichts werden.«

»Nicht?«, zürnte dieser. »Habt Ihr den Gehorsam gegen mich schon verlernt?«

»Wer hieß dich von uns gehen? Hattest aber große Dinge im Kopf – mit Ziegenkäse und einem guten Stück Wildbret mochtest du nicht mehr vorlieb nehmen – das alte Schlaraffenleben im Konvent wachte wieder bei dir auf. Nun siehst du die Früchte davon. Anstatt du deinen alten Freunden danken solltest, dass sie um deine Befreiung in das Wespennest des königlichen Zornes stoßen, sprichst du in einem Ton mit uns, der uns es schier bereuen lässt. Kurz und gut, es steht jetzt in deiner Wahl, ob du deinen alten Freunden folgen oder mit zum Schloss Roucy wandern willst. Peter«, wandte er sich an den jungen Mann mit der Fackel. »Du bringst diese Leute bis an den Steig, welcher zwischen dem Wasser und der Veste bis zur Brücke läuft. Dann kehrst du um. Das aber sage ich Euch, Ihr Herren, krümmt Ihr meinem Buben ein Haar, so findet Ihr den Weg nach Paris nimmermehr wieder. Ihr habt selbst gesehen, wie ich Euch Wort gehalten habe. Darum versprecht mir als redliche Männer, meinen Peter ohne Gefahr wieder nach Hause kehren zu lassen.«

Die Königlichen hätten wohl mehr noch als das versprochen, um nur aus dieser verteufelten Lage zu kommen. Kaum hatten sie es getan, so eilte auch schon der Bursche vorauf. Sie folgten ihm, wenn auch mit schwerem Herzen, da sie einen der Gefangenen nicht mit abliefern konnten.

Im Forst selbst wussten der Köhler Frauen und Kinder schon, dass die Männer ausgezogen waren, einen alten Freund, den Grauen, wie sie ihn nannten, in Freiheit zu setzen. Laut jubelnd empfing man ihn, geschäftig Speise und Trank ihm bietend, denn er schien sehr erschöpft. Was Keller und Küche dieser armen Waldbewohner vermochte, das wurde aufgetischt. Es waren just keine Leckerbissen, doch mundete es dem Hungrigen, dem Durstigen gar herrlich. Eine Rehkeule, am Feuer geröstet, mit Salz und Pfeffer eingerieben, Ziegenkäse und Gerstenbrot sowie klares Quellwasser, das konnte man dennoch bieten. Um ihn her in der Hütte, roh aus Lehmsteinen gebaut, saßen oder kauerten die Freunde und freuten sich seiner Esslust, hofften aber auch, dass er, gesättigt, von seinen Erlebnissen erzählen würde. Es dauerte lange, ehe er seine Mahlzeit beendet hatte, denn die erlahmten Hände konnten mit seinen Zähnen nicht gleichen Schritt halten. Man bedauerte ihn, war ihm hilfreich stets zur Hand, um ihn das Geschäft zu erleichtern. So war es möglich, dass er endlich damit zustande kam. Dieser alte Freund, mit dem Beinamen »der Graue hatte eben keine einnehmenden Gesichtszüge, obwohl ein gewisser Anstrich von einer anderen Kühnheit als der eines Mörders oder Räubers in ihnen zu erkennen war. Sein Körper maß weit über Manneslänge und war mit den Resten eines Unterkleides der Templer bedeckt. Die Nase, lang und stark gebogen, reichte sonderbar weit aus dem mageren Gesicht hervor. Der Mund, klein und scharf vortretend, war von grauem dünnem Barthaar bedeckt. Auch sein Haupthaar, die Augenbrauen, alles sprach von vorgerückten Jahren. Nur die dunklen Augen, in welchen sich das Licht eines flatternden Spans spiegelte, schienen noch recht jugendlich gegen seine Umgebung.

Mit dem Ärmel seines Kleides wischte der Gesättigte nun den Mund ab, griff noch einmal nach dem unförmlichen Krug aus Holz, trank daraus und sprach dann mit weinerlichem Lachen: »Habe ich doch kaum zwanzig Stunden hungern müssen und dursten, während Seine Majestät, unser gnädiger Herr, der König dreimal vierundzwanzig Stunden nichts zu essen hatte. Das war gewiss das erste Mal in seinem Leben, dass er zu der Erkenntnis kam, dass Hunger wehtut.«

Diese Äußerung machte aller Neugier rege.

Der Graue aber gab dem alten Köhler ein Zeichen. Dieser verstand ihn und befahl den Übrigen, dass sie zur Ruhe gehen sollten, damit der Graue sich ebenfalls von den Anstrengungen eines so peinlichen Rittes erholen konnte.

»Morgen, Freunde«, versprach der Graue, »erzähle ich euch desto mehr.

Und jeder wünschte ihm eine gute Nacht.