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Der Wolfmensch – Kapitel 3

Elie Berthet
Der Wolfmensch
oder: Die Bestie des Gévaudan
Aus dem Französischen von A. Kretzschmar
Hartleben’s Verlags-Exedition. Pest, Wien und Leipzig, 1858.

Erster Teil
Kapitel III

Die Kriegserklärung

Es trat ein Augenblick verlegenen Schweigens ein. Augenscheinlich empfand Herr von Laroche-Boisseau jetzt einen sehr lebhaften Wunsch, in genauere Mitteilung mit dem Prior und seinem Neffen zu treten. Der Stolz aber hielt ihn ab, ihnen entgegenzukommen. Pater Bonaventura seinerseits, welcher diese Absicht erriet, hielt sich klugerweise auf der Defensive. Der Baron kreuzte die Beine und begann mit den Fingerspitzen auf dem Tisch zu trommeln. Endlich fragte er in kurzem Ton: »Nun, ehrwürdiger Vater, ich will doch nicht hoffen, dass Ihr Groll gegen mich hegt, weil ich mich vorhin etwas lebhaft ausdrückte? Nichts macht mehr zur üblen Laune geneigt wie ein leerer Magen. Die einzige Schuld bei der ganzen Sache betrifft unsere alberne Wirtin, welche so ohne Weiteres das für mich bereitete Frühstück Euch überlassen hat.«

Der Mönch antwortete, während er dabei sorgfältig eine schöne Birne schälte, er habe von diesem Umstand nicht gewusst, jedenfalls aber sei er ein viel zu guter Christ, um eine Anwandlung von Zorn nicht zu entschuldigen.

»Das freut mich, hochwürdiger Herr, denn es bestehen zwischen uns auch noch andere gewisse Beweggründe zu wechselseitiger Unzufriedenheit und ich würde mich glücklich schätzen, wenn diese Begegnung uns Gelegenheit böte, jenen alten Eifersüchteleien ein Ende zu machen. Was wäre wohl eure Meinung in dieser Beziehung, Herr Prior?«

Bonaventura antwortete mit demselben Phlegma und derselben Versöhnlichkeit, dass er stets bereit sei, alles zu tun, was mit seiner Pflicht vereinbar sei, um sich bei dem Herrn Baron in Gunst zu setzen.

Dieser schien mit diesen unbestimmtem zurückhaltenden Worten nicht sehr zufrieden zu sein. Er verschob die Erklärung, die er auf dem Punkt gestanden hervorgerufen hatte, und fragte zerstreut: »Ohne Zweifel, hochwürdiger Herr, reist Ihr nach Mercoire zu Fräulein von Barjac?«

»Allerdings, Herr Baron, und Ihr …«

»O, Ihr wisst es recht wohl, das ganze Land weiß es. Ich will als guter Paladin das Ungeheuer vertilgen, welches die Ländereien einer schönen Schlossherrin verwüstet.«

»Und glaubt Ihr, Herr Baron«, fragte der Prior mit sichtlichem Interesse, »glaubt Ihr mit diesem wütenden Tier wirklich fertig zu werden?«

»Ich bin dessen gewiss«, antwortete Laroche-Boisseau mit dem Selbstvertrauen eines Jägers. »Dieser Wolf hat sich nach den letzten Nachrichten in den Wald von Mercoire geflüchtet und es steht zu bezweifeln, dass er sich daraus entfernen wird. Morgen wird er demgemäß aufgespürt, gehetzt und noch vor Ende des Tages unvermeidlich erlegt werden, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

»Für morgen wäre also gesorgt, aber würden nach eurer Meinung auch heute friedliche Reisende den Wald ohne Gefahr passieren können?«

Diesmal ließ der gute Pater Bonaventura sich seine Furcht so sehr anmerken, dass der Baron vielleicht nicht dem boshaften Vergnügen widerstehen konnte, ihn ein wenig zu quälen.

»Hm!«, sagte er gleichgültig, »die Bestie ist von riesiger Größe und besitzt eine unglaubliche Dreistigkeit. Zu trauen ist allerdings nicht.«

Der Prior stieß eine Art Seufzer aus und sah seinen Neffen an, welcher ruhig blieb.

In diesem Augenblick trat Madame Richard, von ihren Mägden begleitet, ein, welche das Frühstück des Barons trugen, und jede zusammenhängende Konversation wurde nun unmöglich.

Es dauerte jedoch nicht lange, so schickte Laroche-Boisseau, als ob ihm selbst viel daran gelegen hätte, die Unterhaltung fortzusetzen, die Wirtin und die Dienstboten fort, indem er in trockenem Ton versicherte, dass er nichts mehr bedürfe.

Der Prior, der, so wie die Stunde des Aufbruchs heranrückte, immer unruhiger wurde, hob bald in schmeichelndem Ton wieder an: »Wohlan, Herr Baron, da wir ebenfalls nach Mercoire wollen, würdet Ihr uns dann wohl die Ehre geben, uns mit Euch reisen zu lassen? Eure Tapferkeit ist bekannt und übrigens bilden Eure Leute eine ansehnliche Bedeckung. Erlaubt uns daher uns Euch auzuschließen und Fräulein von Barjac, unsere Mündel, wird Euch für Eure Gefälligkeit Dank wissen.«

Diese direkte Bitte schien dem guten Pater einige Überwindung gekostet zu haben, dennoch aber zeigte sich der Baron nicht sehr eilig, auf den Vorschlag einzugehen.

Er entschuldigte sich mit der Notwendigkeit, in der er sich befände, sehr rasch zu reiten, denn er hätte noch heute Abend vielerlei Befehle zu erteilen und in Bezug auf die Treibjagd für den folgenden Tag eine Menge Anordnungen zu treffen.

»Unsere Maultiere sind nicht schlecht«, entgegnete der Prior, dessen geheime Furcht durch diese Weigerung noch mehr erweckt wurde, »und Eure schönen Pferde können auf den fürchterlichen Gebirgswegen auch nicht schneller gehen. Wirklich, Herr Baron, wäre es wohl großmütig uns eine Gunst zu verweigern, die Euch so wenig kosten würde?«

Laroche-Boisseau lächelte auf eigentliche Weise, dann trank er rasch nacheinander mehrere Gläser von dem Saint-Peray-Wein, für welchen er eine unverkennbare VorIiebe zu haben schien, und hob dann, ohne Zweifel durch das edleGetränk keck gemacht, in offenerem Ton wieder an: »Wohlan, Pater Prior, vielleicht wäre ich geneigt, Euch zu dienen. Wenigstens aber muss ich vorher wissen, ob Ihr meine Freunde oder meine Feinde seid.«

»Eure Feinde, Herr Baron? Unter den ehrwürdigen Vätern von Frontenac habt Ihr keine Feinde.«

»Aber habe ich Freunde darunter? Dies ist eine andere Frage, nicht wahr, würdiger Prior? Spielen wir ein unverdecktes Spiel, und da der Zufall oder die Vorsehung, wenn Ihr lieber wollt, uns hier zusammengeführt hat, so wollen wir beide diesen günstigen Umstand zu benutzen suchen. Ich glaube«, fuhr Laroche-Boisseau fort, indem er sich zu Leonce wendete, »dass ich vor diesem jungen Manne mich frei aussprechen kann?«

»Er ist mein Neffe«, entgegnete der Mönch eifrig, »er ist mein Sekretär, mein Vertrauter, mein alter Ego.«

»Gut. Übrigens ist es auch nicht meine Gewohnheit, aus meinen Projekten ein großes Geheimnis zu machen. Hört also und seid offen wie ich. Ihr habt, hochwürdiger Pater, wohl nicht meine rechtmäßigen Beschwerden gegen Eure Abtei und ganz besonders gegen Euch vergessen, der Ihr die Seele des Klosters seid und darin unumschränkte Autorität besitzt?«

»Gegen mich, Herr Baron?«

»Unterbrecht mich nicht, wenn ich bitten darf. Diese schon sehr alten Beschwerden sind eben so sehr die meiner Familie wie meine eigenen. Man betrachtet mich, wie ich recht wohl weiß, als einen Tor, einen Brauskopf, der an weiter nichts denkt, als ein flottes Leben zu führen. Man glaubt, ich sei gar nicht fähig, über etwas nachzudenken. Man hält mich für gleichgültig gegen die Interessen und die Würde meines Namens. Man wird aber bald einsehen, dass dem nicht so ist. So groß auch die Hindernisse sein mögen, so würde ich sie doch zu durchbrechen wissen, wenn man die Unklugheit hätte, mich zum Äußersten zu treiben.«

Während er dies sagte, runzelte er die Stirn und ballte drohend die Fäuste. Bonaventura aber verhielt sich gleichgültig.

Es dauerte nicht lange, so hob der Baron in ruhigerem Ton wieder an: »Wir wollen, wenn es Euch beliebt, hochwürdiger Pater, auf Ereignisse zurückgehen, welche vor bereits sechzehn oder achtzehn Jahren stattgefunden haben. Mein Vater lebte damals noch und auch mein Onkel, der Graf von Varinas, der Herr der schönen Besitzung, von welcher er den Namen hatte. Es hatte, wie ich zugebe, zwischen meinem Vater, dem Baron von Laroche-Boisseau, und seinem ältesten Bruder, dem Grafen von Varinas, niemals eine sehr lebhafte Sympathie bestanden. Mein Vater war wie ich ein flotter Edelmann, der mit seinem Vermögen nicht sehr sparsam umging, das Vergnügen und eine gutbesetzte Tafel liebte. Varinas dagegen hatte eine düstere Gemütsart, ein kränkliches Temperament und besonders in der letzten Zeit seines Lebens war er über alle Maßen geizig und fromm geworden. Seit dem Tod seiner Gattin verlebte er, anstatt auf seinen Gütern zu wohnen, seine ganze Zeit in der Abtei Frontenac, wo er eine Wohnung hatte und wo, wie man sagt, Ihr, hochwürdiger Pater, damals noch schlichter Mönch, einen großen Einfluss auf seinen geschwächten Geist ausübtet. Nichtsdestoweniger waren die Beziehungen der beiden Brüder zueinander niemals feindselig gewesen und bei jeder Gelegenheit bewiesen sie einander die Rücksichten, welche nahe Verwandte in einer ehrenwerten Familie einander schuldig sind. Zu jener Zeit konnten weder mein Vater noch ich vermuten, dass wir jemals die Erben des Grafen werden würden. Er hatte einen Sohn von drei oder vier Jahren, welchen man den Chevalier von Varinas nannte, und der nach ihm seinen Namen und seine Besitzung erben sollte. Dieser Knabe aber starb infolge eines Unfalles, und weniger als sechs Monate darauf hauchte der Graf selbst in der Abtei Frontenac seinen letzten Seufzer aus. Als mein Vater diese traurige Nachricht erhielt, machte dieselbe trotz der Kälte, welche während der letzten Jahre zwischen ihm und seinem Bruder obgewaltet hatte, einen sehr schmerzlichen Eindruck auf ihn. Er eilte zur Abtei, um dem Grafen die letzten Ehren zu erweisen. Nachdem dies geschehen war, wollte er ebenso in meinem Namen wie in dem seinen die Familiengüter und namentlich die Herrschaft Varinas beanspruchen, welche ihm als dem nächsten Verwandten und natürlichen Erben des verstorbenen Gutsherrn zufielen. Wie groß aber war seine Entrüstung, als man ihm ein Testament zeigte, durch welches mein Onkeli das Eigentumsrecht auf seine Ländereien und Schlösser dem Abt von Frontenac vermachte. Es war dies eine empörende Ungerechtigkeit. Augenscheinlich hatten hierbei List und Überredung stattgefunden. Man hatte die Schwäche des Grafen in seinen letzten Augenblicken missbraucht, um seine Familie zu berauben. Man hatte Hinterlist, ja vielleicht Gewalt angewendet, um ihm dieses unsinnige Dokument abzupressen. Mein Vater, der von sehr erregbarem, zornmütigem Temperament war, spie Feuer und Flammen, sprach sich gegen Euren Abt und sein Kapitel in sehr harten Worten aus und verließ dann Frontenac, indem er schwur, sich Gerechtigkeit zu verschaffen.

In der Tat machte er auch beim Parlament von Bordeaux einen Prozess gegen die Abtei anhängig, um die Nichtigkeitserklärung dieses abgeschmackten Testamentes zu erlangen, aber nun zeigte sich der gewaltige Einfluss, welchen die Geistlichkeit in dieser Provinz besaß. Die Sache des Abtes von Frontenac wurde die der ganzen Geistlichkeit und hohe kirchliche Personen. Sogar Bischöfe vermittelten zu seinen Gunsten. Man machte gegen uns jene alte Anschuldigung des Protestantismus geltend, welche jedes Mal wieder zum Vorschein kam, wenn wir unser Recht verteidigen wollten. Ihr ganz besonders, hochwürdiger Pater, wart, wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt, denn ich war damals noch sehr iung, der tätigste und intelligenteste Verfechter der Sache Eures Abtes. Infolge Eurer Bemühungen wurde mein Vater mit seiner Forderung abgewiesen und zur Bezahlung der bedeutenden Kosten verurteilt, während das Kloster im Besitz unseres Erbteils bestätigt wurde. Sagt, hochwürdiger Vater, sind die Ereignisse, welche ich soeben rasch und flüchtig geschildert, nicht ganz genau so, wie ich sie erzählt habe?«

Der versteckte Hass und die böswilligen Andeutungen, welche in dieser Erzählung lagen, hatten die heitere Ruhe des Priors durchaus nicht zu trüben vermocht. Er hatte ruhig mit über der Brust gekreuzten Armen und lächelndem Mund zugehört.

»Die Tatsachen, wenn auch nicht die Motive derselben, sind von Euch wahrheitgemäß erzählt worden, Herr Baron«, entgegnete er. »Ich werde sogar nicht leugnen, dass ich persönlich sehr viel zum Verlust des von Herrn von Laroche-Boisseau, Eurem Vater, anhängig gemachten Prozesses beigetragen habe. Und wenn ich daran nicht recht getan, so werde ich mich deswegen vor Gott und meinem Gewissen verantworten. Nur habt Ihr ohne Zweifel aus Vergessenheit unterlassen, einen kleinen Umstand zu erwähnen, welcher der Sache ein ganz anderes Ansehen zu geben geeignet ist. Dieser Umstand besteht darin, dass die unserem hochzuverehrenden Abt von Eurem seligen Onkel seligen Angedenkens gemachte Schenkung keine definitive ist. Sie soll provisorisch nur als ein Fideikommiss betrachtet werden. Ein Kodizill zum Testament des Grafen von Varinas wird in dem Archiv unseres Hauses aufbewahrt. Dem ausdrücklichen Willen des Testators zufolge wird dieses Kodizill erst nach einer Frist geöffnet werden, welche binnen hier und einigen Monaten abläuft. Erst in einigen Monaten wird daher der eigentliche Wille Eures Verwandten bekannt werden. Bis dahin müsst Ihr Euch enthalten, sein Andenken anzuklagen. Andererseits haben wir uns niemals als Besitzer der Güter des Grafen von Varinas betrachtet. Wir haben uns begnügt, sie mit Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit zu verwalten und werden sie dem, der ein Recht darauf hat, an dem Tage zurückgeben, wo das definitive Testament uns unsere Pflicht in dieser Beziehung geoffenbart haben wird.«

»Dieses angebliche Kodizill ist nichts weiter als eine unwürdige List!«, rief der Baron mit Ungestüm, »und ich weiß recht wohl, dass es den Sinn des ersten Dokuments nicht auf wesentliche Weise abändern wird. Ich habe, hochwürdiger Pater Prior, die geschickten Manöver erraten, durch welche eure Bruderschaft sich den friedlichen Genuss der Ländereien des Grafen von Varinas sichern will. Ohne Zweifel fürchtend, dass die offene und sofortige Schenkung dieser reichen Besitzungen allgemeine Entrüstung erregen würde, habt Ihr versucht, ihr eine bedingte Form zu geben, um den hässlichen Anstoß eines solchen zum Nachteil der legitimen Erben gemachten Vermächtnisses zu vermeiden. Ihr habt geglaubt, dass es geraten sei, Zeit zu gewinnen, um die öffentliche Meinung allmählich an diese dreiste Beraubung zu gewöhnen. Bis dahin, wo dieses Kodizill Euch vollständig das Eigentumsrecht der Güter meines Onkels verbürgt, gebt Ihr vor, dass Ihr bloß die Depositaren derselben seid und seit beinahe sechzehn Jahren seid Ihr nicht in Eurem angemaßten Besitz gestört worden. Ihr hoffet, dass man nach dieser langen Frist Eure strafbare Überredung vergessen habe, dass die Leidenschaften beruhigt seien und dass Ihr ohne Geräusch und ohne großes Aufsehen unser Erbteil auf definitive Weise mit den ungeheuren Besitzungen eurer Abtei vereinigen könnt. Vielleicht wird dies aber nicht geschehen, Herr Prior. Ich werde, wie ich mir nicht verhehle, auf diese alte Angelegenheit zurückkommen, sobald sich die Gelegenheit dazu darbieten wird. Mein Vater ist vor Kummer und durch eure Intrigen und Schikanen beinahe ruiniert gestorben, aber ich bin noch da und werde die Rechte meiner Familie wieder zu erlangen wissen. Ich werde den Augenblick der Eröffnung dieses Kodizills abwarten. Wenn aber dieses Dokument Euren Manövern den Sieg verleiht, dann könnt Ihr versichert sein, dass ich nicht untätig bleiben werde. Die Zeiten haben sich seit sechzehn Jahren sehr geändert. Das Jahrhundert ist vorgeschritten und die Geistlichkeit besitzt nicht mehr den allmächtigen Einfluss wie sonst. Man spricht schon davon, die reichste und mächtigste der religiösen Korporationen, die der Jesuiten, aus Frankreich zu verjagen. Dank der Philosophie und dem Fortschritt der Aufklärung beginnt der Wind sich gegen Euch zu drehen. Nehmt Euch daher in acht, denn diesmal würde Euer Ansehen vielleicht nicht hinreichen, einer Ungerechtigkeit den Sieg zu verschaffen.«

Laroche-Boisseau hatte sich mit großer Heftigkeit ausgesprochen, und selbst Leonce schien von der anscheinenden Rechtmäßigkeit seiner Klagen betroffen zu werden. Der junge Mann betrachtete, den Ellbogen auf den Tisch stützend, seinen Onkel mit einer Miene schmerzlichen Erstaunens, als ob sein ehrliches Gemüt nicht an die Unwürdigkeiten glauben könnte, denen man die Bruderschaft von Frontenac anklagte, und als ob er die Rechtfertigung derselben erwartet hätte.

Pater Bonadentura aber verhielt sich ganz ruhig. Er lächelte und strich zuglelch mit seiner weißen wohlgeformten Hand die Falten seines Mönchsgewandes glatt.

»Wohlan, Herr Baron«, sagte er endlich, »Ihr werdet nun auf die Gelegenheit, welche Ihr sucht, nicht lange mehr zu warten brauchen. Wie ich Euch schon gesagt habe, wird die zur Eröffnung des Kodizills Eures Onkels festgesetzte Frist bald ablaufen. Dann werdet Ihr nach den Eingebungen Eurer Interessen oder eures Grolls handeln. Was die Abtei Frontenac betrifft, so wird sie ohne Furcht und ohne Schwäche dem Willen des Grafen von Varinas, möge derselbe sein, welcher er wolle, Achtung zu verschaffen wissen.«

Die Sicherheit, mit welcher der Prior dies sagte, war eine freimütige und natürliche.

Der Baron wurde ohne Zweifel dadurch eingeschüchtert, denn er fuhr in sanfterem Ton fort: »Wir wollen weder zu rasch noch zu weit gehen, mein hochwürdiger Vater. Ich hoffe noch, dass ich nicht zu diesen äußersten Mitteln schreiten werde. Ich habe, indem ich die Erinnerung an diesen alten Streit wieder erwecke, keinen anderen Zweck, als das Unrecht nachzuweisen, welches ich erlitten hatte, und die Ansprüche auf eine Entschädigung, die mir vonseiten eurer Bruderschaft vielleicht gebührt. Wenn diese Entschädigung mir gewährt würde, wäre ich bereit, das feierliche Versprechen zu geben, die Abtei niemals wieder in dem Besitz der Güter des Grafen von Varinas zu stören.«

»Eine Entschädigung, Herr Baron? Ich verstehe Euch nicht.«

»Ich glaube im Gegenteil, dass Ihr mich recht gut versteht, hochwürdiger Vater, aber hört ferner. Infolge des Prozesses, den wir gegen Euer Kloster geführt haben, vielleicht auch infolge unüberlegter Ausgaben, ist mein gegenwärtiges Vermögen, wie allgemein bekannt, bedeutend zusammengeschmolzen. Meine Einkünfte sind teilweise mit Beschlag belegt, meine Grundstücke verpfändet und ohne die eigennützige Hilfe des Maitre Legris, meines Geschäftsagenten, würde es mir zuweilen vielleicht sehr schwer werden, meinen Namen auf würdige Weise zu behaupten. Nun sehe ich nur zwei Mittel, mich dieser peinlichen Lage zu entreißen: Entweder ich benutze die Umstände, um die Güter des Grafen von Varinas, welche, mir entrissen worden, mit Gewalt zurückzuverlangen, oder ich stelle meinen Reichtum durch eine vorteilhafte Heirat wieder her. Dieses letzte Project ist es, dessen Ausführung ich Euch, mein hochwürdiger Vater, bitten möchte, zu begünstegen. Versteht Ihr mich endlich?«

»Noch nicht, Herr Baron.«

»Ihr pflegt sonst weit mehr Scharfsinn an den Tag zu legen«, hob Laroche-Boisseau in trockenem Ton wieder an. »Ich will mich indessen ganz deutlich erklären. Hochwürdiger Vater, Euer Kloster, welches so gern große Erbschaften macht, zeigt auf dieselbe Weise eine eigentümliche Vorliebe für reiche Erbinnen. Ihr habt in diesem Augenblick eine wohlhabende Mündel, welche Ihr mit eifersüchtiger Sorgfalt überwacht. Ihr umgebt sie mit Spionen, Ihr erforscht ihre unschuldigsten Handlungen, Ihr seid misstrauisch gegen alle, die ihr zu nahe kommen. Ohne den Zweck der Intrigen, mit welchen man Fräulein Christine von Barjac umgibt, ermitteln zu können, will ich doch gern glauben, dass man niemals daran gedacht hat, eine Nonne aus ihr zu machen und mit ihren ansehnlichen Gütern irgendein Frauenkloster zu beschenken, welches man begünstigen möchte.«

Der Mönch schien seit einem Augenblick die ziemlich beleidigenden Ausdrücke, deren der Baron sich bediente, mit weniger Geduld zu ertragen, denn eine dunkle Röte färbte seine Wangenknochen.

»Herr Baron«, antwortete er mit leicht zitternder Stimme, »trotz meines Wunsches, mich in den Schranken der Mäßigung zu halten, kann ich Eure beleidigenden Voraussetzungen gegen das heilige Haus, dem ich angehöre, nicht länger dulden. Wenn daher diese Unterredung noch länger dauern soll, so ersuche ich Euch, mit weniger Bitterkeit und mehr Gerechtigkeit zu sprechen. Der Abt und das Kapitel von Frontenac haben niemals daran gedacht, Fräulein von Barjac dem geistlichen Stand zu widmen, und sie werden bei diesem Beschluss beharren, dafern nicht ihre Mündel einen positiven und beharrlichen Beruf zeigt, was durchaus nicht wahrscheinlich ist. Ihr wisst, denn Ihr kennt sie, wie mühevoll unsere Aufgabe ist, diese iunge, eigenwillige, unzähmbare, jeden guten Rat verwerfende junge Dame zu überwachen. Die Ursulinerinnen von Mende haben versucht, ihr die Anfangsgründe des Unterrichtes beizubringen. Ihre Fortschritte sind aber nur mäßig gewesen, und sie hat dieses Kloster nach Verlauf von zwei Jahren wieder verlassen, nachdem sie den armen Schwestern durch ihre Störrigkeit uud Widerspenstigkeit das Leben aufs Äußerste verbittert hatte. Seit ihrer Rückkehr auf Schloss Mercoire haben wir ihr einen wackeren, rechtschaffenen Edelmann und eine alte Nonne, deren Geduld, Eifer und hohe Tugend wir seit langer Zeit kennen, an die Seite gegeben. Ihr seht, Herr Baron, dass es uns bei einer Mündel von diesem Charakter sehr schwer geworden sein möchte, ihr unseren Willen aufzudringen. Wenn daher Fräulein von Barjac in der Welt bleiben und sich verheiraten will, so wird es uns nicht einfallen, Ihrer Wahl entgegen zu sein – vorausgesetzt, dass dieselbe ihrer und des edlen Hauses, aus welchem sie stammt, nicht unwürdig sei.«

»Ist das wahr, hochwürdiger Vater?«, rief Laroche-Boisseau lebhaft. »Würde man auf keinen Widerstand von Eurer Seite stoßen, wenn der Prätendent das Unglück hätte, Euch und den anderen Würdenträgern Eurer Abtei zu misfallen? Nehmen wir einmal an, dass ich, der ich jetzt mit Euch spreche, die Ihre gefasst hätte, diese kleine Löwin zu zähmen, dass es mir gelungen wäre, einen günstigen Eindruck auf sie zu machen, und dass ich trotz ihres wilden Temperamentes es wagte, sie zu heiraten. Antwortet mir einmal offen: Würdet Ihr in diesem Fall ein solches Bündnis nicht durch alle Euch zu Gebote stehenden Mittel zu verhindern suchen?«

Diese direkte Frage schien den Prior in große Verlegenheit zu setzen, und selbst Leonce erwartete seine Antwort mit ängstlicher Spannung.

»Was, Herr Baron«, fragte Bonaventura, »hättet Ihr wirklich die Aufmerksamkeit des Fräuleins von Barjac in besonderer Weise auf Euch gezogen? Die junge Dame hat sich bis jetzt gegen alle, welche gewagt haben, sich ihr auf galante Weise zu nähern, unzugänglich gezeigt.«

»Und sie würde sich ohne Zweifel auch gegen mich so gezeigt haben, wenn ich den Fehler begangen hätte, ihr mit süßlichen Redensarten lästig zu fallen, welche sie verabscheut. Nein, ich habe ihr niemals ein Wort von Liebe gesagt. Bei den Gelegenheiten aber, wo meine Jagden mich nach Mercoire führten, fand Fräulein von Barjac an meiner Gesellschaft stets mehr Gefallen als an der irgendeines anderen Edelmannes unserer Gegend. Allerdings ist das noch nicht viel. Bei einem Mädchen aber, welches von dem gewöhnlichen Schlag so verschieden ist, liegt darin schon manches, was gewisse Hoffnungen gibt. Wenn ich daher nicht die Gewissheit hätte, dass meine Pläne von einer anderen Seite durchkreuzt würden, so würde ich den Mut nicht verlieren. Deshalb beschwöre ich Euch, mir zu sagen, worauf ich zu rechnen habe. Noch einmal frage ich Euch: Seid Ihr meine Freunde oder meine Feinde?«

»Und ich werde nicht müde werden zu antworten, dass die Väter von Frontenac niemandes Feinde sind. Ist uns die Nächstenliebe nicht selbst gegen die zur Pflicht gemacht, welche uns beleidigt haben?«

»Auf diese Weise entschlüpft Ihr mir nicht, Herr Prior! Wollt Ihr zum Beispiel leugnen, dass Eure gegenwärtige Reise hauptsächlich den Zweck habe, meine möglichen Fortschritte in der Gunst des Fräuleins von Barjac zu bekämpfen? Habt Ihr nicht Kenntnis von der Bevorzugung erhalten, welche Eure Mündel mir einräumt, und habt Ihr, nachdem Ihr meine bevorstehende Ankunft auf dem Schloss Mercoire erfahren, Euch nicht unverweilt auf den Weg gemacht, um in Eurer Eigenschaft als Ratgeber und wirkliches Oberhaupt eurer Bruderschaft durch Eure Gegenwart alle meine Versuche zu vereiteln? Seht, hochwürdiger Vater, trotz Eurer ein wenig allzu ungeistlichen List habe ich doch Vertrauen zu Eurer Aufrichtigkeit. Antwortet mir einfach mit einem Nein, und ich werde ohne Zaudern Euch glauben.«

Auf diese Weise in die Enge getrieben, konnte Pater Bonaventura der Frage nicht mehr ausweichen. »Wohlan«, hob er an, »ich leugne nicht, dass meine Anwesenheit in Mercoire notwendig erschienen ist, um die Bewerber, welche der Reichtum und die Schönheit des Fräuleins von Barjac unaufhörlich anlocken, in Schranken zu halten. Wir vertreten Vaterstelle an diesem jungen Mädchen. Können wir sie wohl unter der tumultuarischen Gefellschaft, welche sich in ihrem eigenen Haus versammeln wird, ohne Schutz und ohne Rat lassen?«

»Gut!«, sagte der Baron in trockenem Ton, indem er sich zugleich erhob. »Das nenne ich endlich rund heraus gesprochen, hochwürdiger Vater. Ihr betrachtet also meine Aufmerksamkeiten gegen Eure Mündel mit ungünstigem Auge und werdet meine Pläne mit allen Euren Kräften bekämpfen?«

»Ich habe schon die Ehre gehabt, Herr von Laroche-Boisseau, zu versichern, dass Fräulein von Barjac in ihrer Wahl unbedingt frei bleiben würde. Nur werden die Väter von Frontenac ohne Zweifel von dem ihnen zustehenden Rechte Gebrauch machen, Ratschläge zu erteilen, Vorstellungen zu machen …«

»Immer besser, immer besser«, entgegnete der Barun in ironischem Ton, indem er mit großen Schritten auf- und abging und seine silbernen Sporen klirren ließ. »Unglücklicherweise für Euch, mein hochwürdiger Herr, versichert man, dass Eure Vorstellungen bei diesem störrigen Kind kein sonderliches Gehör finden. Aber wollt Ihr mir nicht wenigstens die Ursache der beklagenswerten Vorurteile mitteilen, welche Ihr gegen mich gefasst habt?«

»Ach, Herr Baron«, rief der Pater Bonaventura, durch diese Hartnäckigkeit ungeduldig gemacht, »ist es wohl notwendig, andere Ursachen aufzusuchen, als Euer unordentliches, ausschweifendes Leben, den Ruin Eures Vermögens, und ganz besonders Eure geheime Anhänglichkeit an die protestantische Ketzerei?«

»Mein Ruin ist Euer Werk«, entgegnete Laroche-Boisseau mit Energie. »Mein Leben ist das aller Edelleute, welche sich ihres Adels bewusst sind. Was die alte Beschuldigung des Protestantismus betrifft, die man nur unaufhörlich ins Gesicht wirft, wie man sie auch schon früher meinen Vorfahren und dem sehr frommen und eifrigen Katholiken, dem Grafen von Varinas, ins Gesicht geworfen, so könnte ich fragen, worauf sie sich gründet. Nehmen wir aber auch einen Augenblick lang an, dass sie gegründet sei. Ist es, hochwürdiger Vater, nicht besser, im Herzen protestantisch zu bleiben, als gar keine Religion zu haben wie so viele andere?«

»Und wäre das nicht auch bei Euch der Fall, Herr Baron?«, sagte der Mönch in strengem Ton. »Man versichert, dass Ihr weder Predigt noch Kirche – doch brechen wir hiervon ab«, unterbrach er sich mit Selbstüberwindung. »Ich darf die Gewissen nicht erforschen, ohne in bestimmter Weise dazu aufgefordert worden zu sein. Gott wird uns alle richten!«

Man schwieg abermals. Der Baron fuhr fort, in dem Zimmer auf- und abzugehen.

Endlich blieb er wieder vor dem Prior stehen.

»Also, mein hochwürdiger Vater«, fragte er mit verhaltenem Zorn, »Ihr nehmt das Mittel nicht an, welches ich Euch vorschlug, um schreiende Ungerechtigkeiten wieder gut zu machen? Ich wünschte die Vergangenheit zu verwischen und mit Euch einen Frieden zu schließen, dessen Unterpfand Fräulein von Barjac gewesen wäre. Ihr gebt dem Kriege den Vorzug. Ich werde ihn denn gegen Euch führen, und zwar mit Eifer und Erbitterung, das schwöre ich Euch. Um denselben sofort zu beginnen, erkläre ich hiermit, dass ich Eure Mündel Euch zum Trotz heiraten werde.«

Der Prior antwortete auf diese Art von Herausforderung durch ein Lächeln.

Leonce aber, der bis jetzt stummer, wenn auch nicht gleichgültiger Zeuge dieser Erklärung gewesen war, rief, indem er sich wie von einem unwiderstehlichen Impuls getrieben erhob: »Was, Herr Baron, Ihr wisst also gewiss, dass Fräulein vonn Barjac Euch liebt?«

Laroche-Boisseau drehte sich rasch herum. Der Prior selbst schien durch die Keckheit seines Neffen in hohem Grade überrascht, obschon nicht erzürnt zu werden.

»Na, na! Was wandelt Euch denn so plötzlich an, mein kleiner Freund?«, fragte der Baron in spöttischem Ton, indem er den Jüngling mit verächtlichem Blick musterte. »Sind das die Dinge, womit man die angehenden Mönche Eurer Art in den Klöstern beschäftigt? Dergleichen Galanterien gehören nicht in Euer Fach. Ihr würdet besser tun, Euer Brevier zu lesen, und der hier anwesende hochwürdige Herr wird Euch ohne Zweifel eine tüchtige Buße auflegen, dass Ihr Euch so ohne Erlaubnis in profane Gespräche gemischt habt.«

»Mein Herr«, entgegnete Leonce, »ich gehöre nicht der Kirche an. Ich bin Laie wie Ihr und werde nicht dulden …« Er schwieg, als ob er über seine Keckheit selbst erschräke.

»Nun, was werdet Ihr denn nicht dulden, lieber Kleiner?«, fragte Laroche-Boisseau mit seiner beleidigenden Ironie. »Wohl, dass Fräulein von Barjac eine Bevorzugung meiner Person zu erkennen gebe? Ich kann nicht recht begreifen, was dies Euch angehen würde und wie Ihr es verhindern könntet?«

»Das ist es nicht«, stammelte Leonce, in welchem der Zorn mit der Verlegenheit kämpfte. »Ich will sagen, dass die beleidigende Weise, auf welche Ihr soeben meinen ehrwürdigen Onkel und den vortrefflichen Vätern von Frontenac begegnet seid …«

»Ha! Ha! Schöner Knabe, Eure Absicht ist also wohl, Euch zum Vorkämpfer dieser Mönche aufzuwerfen und mich ihretwegen zur Rede zu stellen? Das ist wunderschön, denn ich bin durchaus nicht geneigt, mein Wort zurückzunehmen und zu bereuen. Ich werde sogar jedem, der es hören will, sagen, dass die Väter von Frontenac ohne irgendwelche Ausnahme Heuchler und habgierige Intriganten sind, dass sie mich um mein Erbteil betrogen haben, und dass sie ohne Zweifel sich ihrer unschuldigen Mündel als eines Werkzeuges zu bedienen hoffen, um neue Reichtümer und neuen Einfluss zu erwerben. Aber ich werde wachsam sein, ich werde ihre im Dunkeln schleichenden Intrigen zu vereiteln wissen. Ich liebe Fräulein von Barjac und werde vielleicht von ihr wiedergeliebt. Wir werden sehen, wer sich meinen Plänen in den Weg zu stellen wagen wird.«

»Ihr liebt sie?«, rief Leonce mit funkelnden Augen. »Ihr liebt sie? Ihr, mit Eurem abgestumpften Herzen, Eurer verwelkten Seele …«

»Ich sehe, mein lieber junger Freund, dass man Euch einen heiligen Abscheu gegen Weltkinder, wie ich bin, beigebracht hat. Zum Glück ist es von Vorschriften bis zum Beispiel noch weit. Ja, so wahr ich lebe und was man auch sagen möge, ich liebe dieses stolze, mutige Mädchen. Sie ist kein gewöhnliches Weib und ich finde an ihr einen verlockenden Reiz. Aber, morbleu!«, unterbrach er sich in verächtlichem Ton, »was geht Euch die ganze Sache an? Und ich, bin ich nicht allzu gutmütig, dass ich die indiskreten Fragen eines hitzköpfigen Chorknaben beantworte?«

»Mein Herr«, rief Leonce in drohendem Ton, »ich kann Eure Insolenzen nicht länger dulden und ich werde …«

»Nun was werdet Ihr denn tun, mein tapferer Ritter«, entgegnete Laroche-Botsseau mit laut schallendem Gelächter. »Mich fordern? Morbleu, das wäre ungemein spaßhaft. Ich stehe zu Befehl, lieber Kleiner. Also, heraus mit der Klinge. Seht, ich stehe schon bereit, Euch zu empfangen.«

Er hatte eine Fechterstellung angenommen und tat, als ob er mit dem Stiel seiner Peitsche nach ihm geführte Stöße pariere.

»Nun warum kommt Ihr denn nicht heran?«, fuhr er immer noch lachend fort. »Aber Gott verzeihe mir! Ich glaube, Ihr habt Euer Rapier vergessen, mein hitzköpfiger junger Herr! Was ist denn aus Eurem Rapier geworden?«

»Wenigstens kann ich Euch mit der Waffe bekämpfen, die Ihr selbst gewählt habt«, rief Leonce vor Zorn außer sich.

Er ergriff seine auf einem Stuhl liegende Peitsche und ging mit erhobenem Arm auf den Baron los.

Während dieses heftigen Zwistes hatte der Pater Bonacentura eine Ruhe bewahrt, die vollkommen unerklärlich war. Es war, als ob er sehen wollte, wie weit Leonces gerechte Entrüstung gehen würde, als ob er den Grad des Mutes und der Energie dieses jungen Mannes messen wollte, den er von seiner Kindheit an so sanft und friedlich gesehen hatte.

Vielleicht gewährte diese Prüfung dem Mönch ein nicht allzu ungünstiges Resultat, denn Bonaventura lächelte bei jeder Antwort seines jungen Kämpfers.

Als er jedoch die beiden Gegner im Begriff sah, miteinander handgemein zu werden, warf er sich mit einer Behendigkeit, die ihm sonst nicht eigen zu sein pflegte, dazwischen und rief: »Pfui, schäme dich, Leonce! Vergisst du schon unsere Lehren? Willst du die wilden Sitten und Leidenschaften der Duellanten unserer Zeit annehmen? Erlauben wohl Vernunft und Religion dergleichen Streitigkeiten? Und Ihr, Herr Baron«, fuhr er zu Laroche-Boisseau, der sich noch auf der Defensive hielt, gewendet fort, »errötet Ihr nicht, Euch auf solche Weise gegen ein harmloses Kind zu benehmen?«

Gleich bei den ersten Worten seines Onkels hatte Leonce, sich seiner Aufwallung schämend, seine Peitsche fallen lassen und sich wieder auf seinen Platz gesetzt. Er bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und gab keine Antwort.

Der Baron seinerseits nahm ebenfalls eine andere Miene an und sagte in leichtfertigem Ton: »Zum Teufel, diesmal habt Ihr wirklich recht, hochwürdiger Vater. Ich hätte die Beleidigung Eures Neffen verachten sollen. Dennoch aber«, hob er in verächtlich gönnerhaftem Ton wieder an, »der junge Mann hat Feuer und vielleicht wird er nicht ganz leicht zu lenken sein, sobald er erst etwas Haar ums Kinn bekommt. Doch lassen wir dies. Die Zeit vergeht und ich muss mich nun wieder auf den Weg machen. Da Ihr meine Vergleichsvorschläge zurückgewiesen habt, so wird nun jeder von uns nach seinem Belieben handeln und der Sieg wird dem Stärksten oder dem Schlauesten beschieden sein.«

Er öffnete die Küchentür und rief: »Zu Pferde, meine Leute – alle zu Pferde!«

Es entstand sofort eine geräuschvolle Bewegung in dem ersten Zimmer, als ob man sich beeilte, dem Befehl des Herrn zu gehorchen.

»Also, Herr Baron«, fragte der Prior mit einer Demut, die von seiner so eben bewiesenen Festigkeit sehr verschieden war. »Ihr werdet uns nicht erlauben, Eure Eskorte zu benutzen, um uns in Sicherheit nach Mercoire zu begeben? Trotz der Differenzen, welche zwischen uns bestehen, würdet Ihr es später, wie ich nicht bezweifle, doch bedauern, wenn irgendein Unfall …«

»Ihr haltet mich für viel zu großmütig und menschenfreundlich«, entgegnete Laroche-Boisseau in seinem spöttischen Ton. »Mein Gott! Wenn der Wolf Euch nun auch zerrisse, glaubt Ihr denn, dass er mir damit einen schlechten Dienst leisten würde? Von der ganzen Abtei Frontenac seid Ihr der einzige Mann, welcher vielleicht fähig ist, meine Pläne zu vereiteln. Von Eurem Scharfblick, Euer Wachsamkeit und Eurer unermüdlichen Tätigkeit habe ich alles zu fürchten. Deshalb werde ich die günstige Aussicht, die sich bietet, nicht von selbst verscherzen. Wir führen Krieg miteinander, Herr Prior, und alle Mittel sind gut, um den Sieg zu erlangen. Übrigens«, setzte er hinzu, indem er Leonce ansah, welcher noch in seine Gedanken versunken war, »habt Ihr denn nicht einen unerschrockenen Verteidiger bei Euch, der recht wohl imstande sein wird, die berüchtigte Bestie des Gevaudan Mores zu lehren? Er wird Euch schon beschützen und sein überwallender Mut kann sich an einem Wolf besser üben als an einem Edelmann. Heute Abend werden wir uns auf dem Schloss Mercoire wiedersehen, wo Ihr gesund und wohlbehalten ankommen werdet – was ich Euch wünsche. So sei es. Adieu!«

Er setzte seinen Hut auf und verließ, ein Jagdliedchen pfeifend, das Zimmer. Einige Minuten später hörte man den Hufschlag der sich entfernenden Pferde.

Der Pater Bonaventura, der durch die Furcht, sich in den gefährlichen Wäldern, die er zu passieren hatte, zu verspäten, angestachelt wurde, beeilte sich ebenfalls, seine Maultiere zu verlangen. Er hoffte, dem Baron in kurzer Entfernung folgen zu können und sich auf diese Weise ihm selbst zum Trotz unter seinen Schutz zu stellen. Das Haus aber war durch den Zuwachs an Gästen in Wirrwarr geraten, und die Maultiere waren daher nicht bereit. Dann musste man auch noch die eifrigen Danksagungen der Madame Richard für die Ehre, welche ihr der Prior erzeigte, indem er sich herabgelassen hatte, bei ihr einzukehren, und ihr Bedauern wegen seines Zwistes mit Laroche-Boisseau anhören, welcher erzürnt gegen sie fortgegangen war, ohne auch nur daran zu denken, die Zeche zu bezahlen, woraus sich übrigens die schöne Witwe nicht viel machte.

Auf diese Weise ging viel Zeit verloren. Als Bonaventura und Leonce endlich unter den Bücklingen und Kniebeugungen der Bewohner der Stadt aus Langogne hinaus waren, gewahrten sie, so weit ihre Blicke reichten, weder den Baron noch seine Leute.