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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Flusspiraten des Mississippi 16

die-flusspiraten-des-mississippiFriedrich Gerstäcker
Die Flusspiraten des Mississippi
Aus dem Waldleben Amerikas

16. Sanders Pläne. Der alte Lively

Langsam zogen die Männer mit ihrer traurigen Last heimwärts, Livelys Farm zu. Übrigens waren sie von dieser gar nicht so weit entfernt, da, wie schon gesagt, der Hügel, den die Flüchtigen erklommen hatten, einen ziemlich starken Bogen machte. Der Mulatte lag während der ganzen Zeit besinnungslos in der Decke, und nur manchmal, wenn eins der Pferde auf dem rauen Boden einen Fehltritt tat, zuckte er zu-sammen und stieß einen Schmerzenslaut aus.

Als sie sich der Farm näherten, hielten sie, um vor allen Dingen zu beraten, auf welche Art sie den Verwundeten am besten zum Haus brächten, ohne die Frauen dabei zu sehr zu erschrecken. Sander, der sich ja hier Hawes nannte, erbot sich zwar, vorauszureiten. Cook meinte aber, es wäre besser, wenn das einer von der Familie täte, und zwar kein anderer als der alte Lively, da er selbst mit seinem blutigen Gesicht sie vielleicht noch mehr erschrecken würde. Der Alte war damit auch einverstanden, schulterte seine Büchse und wollte eben zu Fuß vorauswandern, als ihm Hawes sein Pferd anbot, das er bestieg und nun rasch seinem Haus zutrabte.

Unterwegs zerbrach sich aber Lively den Kopf, wie er es am klügsten anfange, die Frauen gleich von vornherein so zu beruhigen, dass sie nicht erschräken, sondern augenblicklich wüssten, es wäre alles glücklich abgelaufen. Jene hatten nämlich noch vor dem Aufbruch der Männer gehört, dass die Diebe nicht unbewaffnet geflohen seien. So gut und brauchbar nun aber auch der alte Mann im Wald oder auch sonst sein mochte, wo es galt, kaltes Blut und eine mutige Stirn zu zeigen, so hilflos fühlte er sich hier. Endlich aber beschloss er, ihnen vor allen Dingen zu sagen, dass sie sämtlich unverletzt seien, ihm auf dem Fuße folgten, den einen der Diebe gefangen brächten und den anderen ebenfalls noch vor Abend einzufangen gedächten. Damit musste er sie völlig beruhigen, und hierüber mit sich selbst einig, presste er dem munteren Pferd die bloßen Hacken kräftig in die Seiten, denn der alte Mann ging wie immer barfuß und sprengte in kurzem Galopp den Hügel hinab, an dessen Fuß er schon das helle Dach seines kleinen Hauses erkennen konnte.

Die Frauen schienen aber die Rückkehr der Männer mit größerer Angst und Sorge erwartet zu haben, als diese selbst glauben mochten, denn dass es einen ernsten Kampf galt, bewies ihnen schon der Umstand, dass sie alle nur vorhandenen Waffen mitgenommen hatten. Es ließ sich ja wohl denken, dass bei einer solchen Verfolgung ernster Widerstand zu befürchten war. Diese Furcht wurde noch vermehrt, als sie jetzt den alten Mann allein zurückkehren sahen. Obwohl eine die andere beruhigen wollte, so eilten sie ihm doch sämtlich in aller Hast entgegen, das Schlimmste, was er sagen konnte, sogleich aus seinem Munde zu hören.

»Lively – um Gottes willen, was ist vorgefallen!«, rief seine Frau und musste sich gewaltsam aufrecht halten.

»Wo ist Cook, Vater? Wo ist mein Mann?«, rief die Tochter, »wo habt Ihr – großer Gott – hier ist Blut an Eurem Fuß, und hier auch, an Knie und Schenkel – auch Eure Hand ist blutig. Wo, um alles in der Welt, ist mein Mann?«

»Wo ist James – wo ist der Fremde? Was ist mit den Dieben geschehen?«, riefen nun auch Mrs. Dayton und Adele.

Der alte Lively, so von allen Seiten bestürmt, dass er gar nicht zu Worte kam, vergaß natürlich auch jede Silbe von dem, was er zur Beruhigung der Frauen hatte sagen wollen und vermehrte durch sein Schweigen nur noch die Angst und das Entsetzen der Frauen. Endlich aber, als ihm diese nur einen Augenblick Zeit gaben, seine Gedanken zu sammeln, fühlte er selbst, dass jetzt eine Antwort unumgänglich war, hielt sich jedoch, da ihm jeder weitere Faden abgerissen war, fest an die letzte Frage und stotterte nur, dabei bemüht, ein höchst beruhigendes Gesicht zu machen:

»Er ist noch nicht tot – sie bringen ihn!«

»Wen? Um Gottes willen!«, schrien die beiden Frauen wie aus einem Mund, während Adele leichenblass wurde. »Wen, Mann? Wen bringen sie? Wo ist James? Wo ist Cook?«

»Hinter dem anderen her!«, rief der alte Lively jetzt, durch die vielen Fragen total verwirrt. »Er kommt mit dem einen, den wir durchs Bein geschossen haben.«

»James?«, rief die alte Dame.

»Cook?«, stöhnte die junge Frau.

»Unsinn!«, brummte aber jetzt der Alte, dem es anfing, siedendheiß zu werden. »Der Mulatte, Herr Jesus, Weiber, macht einen nicht toll. James und Cook sind beide so gesund wie ich. Cook hat sich bloß die Nase ein bisschen blutig geschlagen – den Mulatten haben sie angeschossen, der andere ist geflohen, und James ist auf seiner Fährte geblieben.«

»Beruhigen Sie sich«, sagte Mrs. Dayton jetzt zu der alten Frau, »es ist keiner unserer Freunde verwundet, sie haben nur einen der Diebe gefangen, den sie nach Hause bringen.«

»Aber was in aller Welt erschreckst du uns da nur so!«, rief mit vorwurfsvollem Ton Mrs. Lively.

»Ach, Vater«, beteuerte auch Mrs. Gook, »die Angst bekomme ich in vier Wochen nicht wieder aus den Gliedern!«

»Na, das ist eine schöne Geschichte«, brummte der Alte in komischer Verzweiflung, »ich werde hier extra vorausgeschickt, um gleich als persönliches Beispiel zu dienen, dass sich alle wohlauf befinden, und springe nun gerade mit beiden Füßen ins Porzellan hinein. Sie sind alle wohlauf. Cook und Hawes werden gleich hier sein – Bohs ist aber mit Cooks James – du liebe Zeit, man verliert hier noch das bisschen Verstand – James ist mit Cooks Bohs – nein, doch nicht – der Hund wollte nicht mit – dem weißen Dieb nach und wird wohl nicht eher wiederkommen, bis er ihn selber bringt oder doch genau weiß, wohin er sich gewandt hat.«

Der alte Mann musste jetzt einen ausführlichen Bericht über das Geschehene geben, denn als er in der Nacht die Cewehre holte, hatte er den Frauen nur flüchtig sagen können, dass jemand gestohlen habe und sie dem Dieb nachsetzen wollten. Diesen Bericht hörte aber auch eine von dem alten Lively bis dahin noch nicht bemerkte Person an, die erst diesen Morgen eingetroffen war und noch beim nachträglich bereiteten Frühstück saß, als die Frauen dem Alten entgegeneilten. Dieses Individuum war aber niemand anderer als Doktor Monrove oder der Leichendoktor, wie ihn die Hinterwäldler nannten, der jetzt, noch zwischen Hunger und Neugier schwankend, mit einem halb abgenagten Truthahnknochen in der einen und einem Stück braungebranntem Maisbrot in der anderen Hand, zu den Frauen trat und mit wachsendem Interesse hörte, dass ein Mann verwundet, gefährlich verwundet sei und hierhergeschafft werden würde.

»Bester Mr. Lively«, wandte er sich jetzt an diesen.

»Ach, Leich – Doktor Monrove«, sagte der alte Mann und blickte sich erstaunt und vielleicht auch erschrocken nach dem sonst gern gemiedenen Mann um – erzählten sich doch die Landleute schon von ihm, er wittere eine Leiche so weit wie ein Turkey-Bussard. »Ihr kommt und könnt hier gleich Eure Kunst zeigen, ob einem armen Teufel noch zu helfen ist, dem das Tageslicht an mehr als einer Stelle durch die Haut scheint. Aber da kommen sie wahrhaftig schon – so mögt Ihr gleich mit anfassen. Alte, wo wollen wir ihn denn hinlegen?«

»Ach du lieber Cott!«, sagte die alte Dame, »hier ins Haus soll er?«

»Nun, wir dürfen …«

»Nein, nein, du hast recht, er ist auch ein Mensch so gut wie wir, wenn auch ein sündhafter, den Gott gestraft hat. Ja, da weiß ich aber meiner Seele keinen Rat weiter, als dass ihr ihn in Cooks Haus schaffen müsst. Ihr anderen zieht, bis er transpotiert werden kann, zu uns herübe. Ach, beste Mrs. Dayton, dass Sie auch gerade zu so unglücklicher Zeit zu uns kommen mussten, und wir hatten uns alle so auf Sie gefreut.«

Mrs. Dayton wollte sie nun zwar hierüber beruhigen, es blieb ihnen aber keine Zeit dazu, denn die kleine Kavalkade hielt in diesem Augenblick vor dem Tor, und Cook und Hawes an der einen, Doktor Monrove und der alte Lively auf der andern Seite, trugen den Verwundeten langsam und so vorsichtig wie möglich in dieselbe Tür hinein, aus der er in der vorigen Nacht mit so viel Glück hatte entfliehen können.

Der Mulatte stöhnte, als er die Augen aufschlug und seine Umgebung wiedererkannte.

Doktor Monrove, der indessen auf des alten Lively Anfrage nur unzusammenhängende und diesem völlig unverständliche Worte erwidert hatte, denn er nannte ihm in aller Geschwindigkeit eine Menge von Brüchen, Quetschungen sowie Hieb-, Stich- und Schusswunden, bei denen es ihm ungemeine Freude machen würde, ihre Heilung an einem menschlichen Wesen zu beobachten, schien es kaum erwarten zu können, den Verwundeten genauer zu untersuchen. Er versicherte auch ein über das andere Mal, es sei der glücklichste Zufall von der Welt, der ihn hier zu so guter Stunde hergeführt habe.

Auf Hawes Frage endlich, ob er wohl glaube, dass der Mann sein Bewusstsein wiedergewinnen könne, antwortete er, sich freudig dabei die Hände reibend: »Ei gewiss, gewiss – soll mir noch zwei, drei Tage leben, hoffe ihn zu trepanieren und den rechten Arm wie das rechte Bein zu amputieren.«

»Wozu?«, fragte der alte Lively erstaunt.

»Lassen Sie mich nur machen, bester Herr«, erwiderte der kleine Mann, ohne die Frage weiter zu beachten, in größter Geschäftigkeit, »lassen Sie mich nur machen. Hier am Feuer, Gentlemen, wird wohl der beste Platz sein, sein Lager zu bereiten … ein paar wollene Decken genügen … verlange nichts weiter für meine Mühe, Gentlemen, als die Leiche. Werden mir wohl ein Pferd borgen, sie nach Helena zu schaffen … ein alter Sack genügt.«

Der alte Lively drückte sich leise aus dem Zimmer. Ihm fing es an, in der Gesellschaft des kleinen Mannes unheimlich zu werden, und selbst Cook wäre ihm gern gefolgt, wenn nicht noch einige zu treffende Anordnungen seine Gegenwart erfordert hätten. Hawes, der eine Zeitlang sinnend, und ohne mit jemandem ein Wort zu wechseln, an dem Lager des Mulatten stand, beobachtete aufmerksam dessen Zustand und erklärte endlich, bei ihm bleiben zu wollen. In jedem anderen Fall hätte Cook das vielleicht nicht einmal zugegeben. Hier aber schien es ihm sogar lieb zu sein, und er verließ selbst auf kurze Zeit das Haus, versprach jedoch bald zurückkehren zu wollen, um von dem Mulatten, wenn dieser aus seiner Ohnmacht erwache, noch über manches Aufklärung zu erhalten.

Das zu verhindern, war jetzt Hawes’ einziges Trachten. Mit verschlungenen Armen und fest aufeinandergebissenen Zähnen ging er, als er sich mit dem Doktor und dem Kranken allein sah, im Zimmer auf und ab, seine Pläne zu ordnen und die nötigen Maßregeln zu ergreifen.

Er befand sich aber auch in einer kritischen Lage. Der Grund seines Besuches bei Mrs. Dayton ihrer Schwester Adele wegen war durch eine Bemerkung der alten Mrs. Lively, wenn nicht ganz hinfällig, so doch sehr erschüttert worden. Er hatte nämlich durch ihr Gespräch mit Mrs. Dayton erfahren, dass die alten Benwicks in Georgia gestorben wären. Er wusste durch seine frühere Bekanntschaft mit Adele Dunmore recht gut, dass sie von jenen erzogen und gleich einem eigenen Kind behandelt worden war. Kellys Absicht mit ihr glaubte er nun zu durchschauen. Wahrscheinlich wartete ihrer eine bedeutende Erbschaft. Blackfoot hatte ihm ja gesagt, dass Kelly mit Simrow in Georgia auf das Lebhafteste korrespondiere. In diesem Fall stand der auf seinen Dienst gesetzte Preis in gar keinem Verhältnis zu dem Gewinn. Unter allen Umständen musste er also, ehe er des Captains Plan förderte, noch einmal mit diesem sprechen und ihm wenigstens zu verstehen geben, dass er mit der Sache näher bekannt sei, als jener jetzt zu ahnen scheine. Fand er diesen dann, was er jedoch kaum fürchtete, unnachgiebig, ei nun, so gab es vielleicht irgendeinen Ausweg, die schöne Beute für sich selber zu entführen. Wie er das tun sollte, wusste er für den Augenblick allerdings noch nicht, doch war er eitel genug anzunehmen, dass nichts unmöglich ist, wenn seine eigene Person mit ins Spiel kam. Auf jeden Fall musste er Kellys Plan aufschieben, um noch die nötigen Erkundigungen einziehen zu können. Hierbei gab ihm des Mulatten Cefangennahme eine gute Ausrede, weshalb er den erhaltenen Befehl nicht ohne Zögern ausgeführt hatte.

Der Zustand des Mulatten wurde aber auch ohnedies ein neuer Grund für diese Handlungsweise. Hawes durfte ihn nicht verlassen, ohne sich vorher überzeugt zu haben, ob er noch imstande sein werde, Geheimnisse zu enthüllen, und wie weit seine Kenntnisse reichten. Konnte er der Insel gefährlich werden, so verlangte es nicht allein sein Schwur – um den hätte er sich vielleicht wenig gekümmert -, nein, seine eigene Sicherheit, dass der Mulatte unschädlich gemacht würde. Seine einzige Hoffnung blieb jetzt, alle Zeugen zu entfernen und den Schwerverletzten schnell und unbemerkt zu töten. Niemand würde daran denken, ihn näher zu untersuchen, und der Tote würde dann rasch beerdigt oder auch dem Doktor überliefert. Also brauchte Hawes keine Entdeckung zu fürchten.

Sein Plan scheiterte aber an der Leidenschaft, die der Doktor für Schwerverwundete hegte. Nicht durch alle Versprechungen der Welt wäre er auch nur einen Augenblick zu bewegen gewesen, das Zimmer zu verlassen. Er fing sogar jetzt schon an, obwohl der Unglückliche bei jeder Berührung die heftigsten Schmerzen zu empfinden schien, den Körper zu untersuchen, welche Teile besonders verletzt wären. Hawes machte den kleinen Mann darauf aufmerksam, wie unumgänglich notwendig es sei, Schienen für die gebrochenen Gliedmaßen herzustellen. Davon wollte jedoch der Doktor nichts wissen. Er bestand auf schleunige Amputation und kramte zu diesem Zweck seine rasch herbeigeschleppte Satteltasche aus. Obenauf lag eine Menge von kleinen Fläschchen und Büchsen, darunter befanden sich Messer, Sägen, Skalpelle und andere blank und sauber gehaltene Instrumente.

Die Fläschchen und Büchsen stellte der kleine geschäftige Doktor, damit ihm nicht ein Unglück damit passiere, auf den Kaminsims, und die Sägen und übrigen Instrumente breitete er auf dem einzigen kleinen Tisch, der im Zimmer stand, aus, sodass sich Cook, als er einmal hereintrat, einen heimlichen Eid schwur, von dem Tisch nie wieder einen Bissen zu essen.

In Livelys Haus drüben hielten die Männer indessen Rat, was jetzt am besten anzufangen sei, um den entflohenen Weißen einzuholen, denn Cook meinte, nach des Doktors Äußerungen dürften sie schwerlich darauf rechnen, den Mulatten so weit wiederhergestellt zu sehen, dass er irgendeine Frage vernünftig beantworten könnte.

Als sie jedoch noch miteinander darüber verhandelten, kehrte James zurück und erklärte, Cotton habe sich wieder dem Fluss zugewendet, und es sei kein Zweifel, dass er entweder südlich hinab oder den Strom bloß kreuzen wolle. Beides mussten sie zu verhindern suchen, denn nicht allein hatte er schon in Arkansas gemordet, weshalb sogar ein Preis auf seinem Kopf stand, sondern in der jetzigen Lage blieb ihm auch fast nichts weiter als Raub und Mord übrig. Die Männer beschlossen deshalb, die Nachbarn zu warnen und aufzubieten. Zu diesem Zweck sollte James – da Cook erst zu kurze Zeit in der Gegend war, um sie genau zu kennen – die Richtung nach Helena nehmen und alle Waldleute aufsuchen und zusammenholen, während der alte Lively am Strom entlangging, um von hier aus ebenfalls die nötigen Maßregeln zu treffen. Abends wollten sie jedoch zurückkehren, um zu hören, ob vielleicht von anderen Seiten Nachrichten eingegangen seien. Dass der Mörder den Mississippi hinauf versuchen sollte zu entkommen, schien ihnen mit Recht unwahrscheinlich. Für unmöglich hielten sie es aber, dass er in die Stadt Helena fliehen würde, da sie ja die Verbindung nicht ahnen konnten, die zwischen Helena und den Verbrechern bestand.

Cook sollte indessen versuchen, mit des Doktors Hilfe den Mulatten wieder ins Leben zurückzurufen, und ihm, da er ja schon gegenwärtig genug für seine Untaten litt, gänzliche Straflosigkeit zusichern, wenn er gestehen wollte, wo besonders einzelne, bei Little Rock geraubte Gegenstände verborgen seien und wer seine bis dahin noch unentdeckten Helfershelfer wären.

Die Damen rüsteten sich ebenfalls zum Aufbruch, da ja auch der Raum in Livelys Haus jetzt beschränkt worden war. James aber musste natürlich vermuten, Mr. Hawes würde sie auch zurückgeleiten, da er ja überdies gekommen war, Miss Adele abzuholen. Ehe er also sein indessen rasch gefüttertes Pferd wieder bestieg, ging er noch einmal hinüber zu den Damen und bat diese, ihn zu entschuldigen, dass er sie nicht noch ein Stückchen begleiten könne, aber die Angelegenheit, um die es sich handle, verlange zu dringende Eile, als dass man sie auch eine Viertelstunde aufschieben könne. In der nächsten Woche sei jedoch hoffentlich alles beigelegt, und dann käme er wieder hinunter nach Helena und wollte die Ladys, wenn es ihnen recht sei – und James wusste gar nicht, wie gut ihm seine jetzige Verlegenheit stand, er wäre sonst noch viel verlegener geworden -, einmal auf recht lange Zeit hierher holen.

Treuherzig ging er dann auf beide zu, drückte ihnen herzlich die Hände, sprang in den Sattel und trabte rasch von dannen, während der alte Lively ebenfalls seine Büchse schulterte, die für ihn zurechtgelegten Lebensmittel in die Kugeltasche schob und mit einem kurzen Good bye seinen Weg einschlagen wollte.

»Aber? Mr. Lively«, bat da Mrs. Dayton und trat ihm in den Weg, »wieder barfuß? Sie sind erst kürzlich krank gewesen. Das kann ja noch gar nicht gesund sein. Wenn Sie sich nun erkälten und einmal monatelang das Lager hüten müssen?«

Der alte Mann lächelte, der Gedanke war ihm fremd, ja dergleichen würde er nie für möglich halten, monatelang krank im Bett … nein … ein paar Tage vielleicht, wenn ihn einmal das kalte Fieber schüttelte, ober auf keinen Fall länger.

»Es hat keine Not«, erwiderte er und griff dabei in den Nacken, um einen ihm dort lästig werdenden Holzbock fortzunehmen. »Bin einmal daran gewöhnt, und ich kann das Schuhwerk nicht leiden.«

»Ach, dazu bringen Sie ihn nicht«, meinte die alte Mrs. Lively kopfschüttelnd, »was habe ich da nicht schon allrs geredet und gebeten. Er bleibt bei seinem Dickkopf und lässt die Schuhe lieber verschimmeln, als dass er sie anzöge. Höchstens sonntags bequemt er sich einmal dazn, wenn er mit mir zur Kirche reitet.«

Dem Alten fing es an unbehaglich zu werden, und er wollte gehen.

Adele aber trat ihm jetzt in den Weg und sagte, dabei seine Hand ergreifend: »Kommen Sie, Mr Lively, zeigen Sie einmal, dass die Frau unrecht hat und dass Sie auch nachgeben können. Nicht wahr, Sie ziehen die Schuhe heute an? Sehen Sie, da drüben steigt ein Wetter herauf. Wenn es regnet und Sie sind mit bloßen Füßen im Wald, dann müssen Sie krank werden.«

Lively blickte verzweifelt zu der Tür. Das junge Mädchen war aber nicht so leicht abzufertigen wie seine Frau. Adele blickte ihm so bittend und treuherzig ins Gesicht, dass er schon, fast unwillkürlich, anfing, die rauhen Sohlen auf der Diele abzustreichen, als ob er direkt in die Schuhe hineinfahren wollte. Kaum bemerkte das aber seine Frau, als sie noch schon rasch an den Schrank lief, um die von dem Alten sonst so wenig gebrauchten und Fußquetschen genannten Schuhe herbeizuholen. Gleich darauf standen sie, mit gelösten Riemen und sauber abgestäubt, vor ihm. Als er noch einmal von Mrs. Dayton und von Adele recht freundlich gebeten wurde, nur dieses Mal ihrem Rat zu folgen, fuhr er endlich tief aufseufzend in die ihm lästige Fußbekleidung. Während er sich die Riemen zuband, hielt ihm seine Frau das Gewehr.

Als er endlich zum zweiten Mal Abschied genommen hatte und über den schmalen Hofraum schritt, begegnete ihm Cook. Er ging dicht hinter einem dort liegenden Trog entlang, damit jener nur nicht sehen sollte, dass er Schuhe trage. Es kam ihm so fremdartig vor, dass er sich ihrer schämte.

»Ich bin wirklich froh!«, sagte Adele lächelnd, als der alte Mann endlich über die Fenz gestiegen war und hinter den dichten Bäumen der Waldung verschwand, »dass wir ihn soweit gebracht haben. In seinen Jahren ist es doch sicher gefährlich, dem Wetter auf solche Art zu trotzen.«

»Mich wundert, dass er es tat«, meinte Mrs. Lively, »das habe ich aber nur Ihnen zu verdanken, so gern er mich hat. Mir zuliebe hätte er sie nicht angezogen. Jetzt will ich aber auch sehen, ob ich ihn nicht dabei behalten kann, und wenn er eine Weile die Schuhe getragen hat, dann schwatz ich ihm am Ende auch noch die wollenen Socken auf!«

Indessen schritt der alte Lively langsam und vorsichtig, als ob er auf Eiern ginge, in dem ungewohnten und verhassten Schuhwerk wirklich in den Wald. Kaum aber hatte er das Dämmerlicht der Holzung betreten, da warf er einen Blick zurück und schaute sich um, ob er die Farm noch von da aus, wo er sich gerade befand, erkennen könne. Ja, er sah durch die Büsche die hellen Häuser durchschimmern. So ging er noch etwa hundert Schritt weiter, bis er zu einem kleinen Dickicht von Dogwoodbüschen kam.

Hier lehnte er vorsichtig seine Büchse an einen Hickorybaum, band dann beide Schuhbänder wieder eins nach dem anderen auf, zog die Schuhe aus, hing sie sorgsam oben hinein in den laubigen Wipfel eines niedrigen Dogwoodbusches, streckte das linke und dann das rechte Bein, schulterte aufs Neue, aber diesmal viel rascher und freudiger, seine Büchse und zog nun mit so schnellen und lebhaften Schritten in dem leise rauschenden Wald hin und lächelte dabei so stillvergnügt und selbstzufrieden in sich hinein, dass gewiss jeder, der ihn so gesehen hätte, seine herzliche Freude an ihm gehabt haben müsste, ob er auch barfuß mit den hornigen Sohlen durch gelbes Laub und über dürre Äste dahinschritt.

Von dem Tag an weigerte sich Vater Lively nie, wenn seine Frau ernsthaft in ihn drang, die Schuhe anzuziehen. Sonderbar war es aber, dass er dann auch stets genau wieder an derselben Stelle aus dem Wald herauskam, an der er ihn betreten hatte. Seine Frau wusste nicht, warum – er aber desto besser. Er musste ja die dort aufgehängten Schuhe erst wieder anziehen, ehe er sich vor dem Haus durfte blicken lassen.