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Die Tauscher 22

die-tauscherDr. Uwe Krause
Die Tauscher Teil 22

Florian schaute aus dem Fenster. Der Wagen hatte sich durch ein Labyrinth kleinerer Straßen bewegt und bog nun in die Hauptstraße ein. Der Tanzpalast lag direkt neben ihnen.

Florian stieg aus und eilte auf das Gebäude zu. Er war völlig durchgeschwitzt, das Hemd klebte auf seiner Haut.

Er hatte keine Ahnung, wo er die Levinsohn suchen sollte, aber sie wartete an den Garderoben auf ihn.

»Sie sehen leicht derangiert aus«, lautete ihre Begrüßung.

»Ich kann immer noch gut mithalten«, behauptete Hammerstain und machte eine ausschweifende Handbewegung durch das Foyer.

Fräulein Levinsohn schnitt eine Grimasse und wollte zum Ausgang stürmen. Nach zwei Schritten reduzierte sie ihr Tempo beträchtlich und wartete, bis sie sich bei Hammerstain einhaken konnte.

»Sie lassen sich mitschleifen wie ein nasser Sack«, nörgelte Hammerstain, als sie schon draußen auf der Straße waren.

»Das kommt nur, weil Sie wie ein gestochener Gaul rennen. Wie soll eine Dame da mitkommen?«, verteidigte sich Fräulein Levinsohn.

»Eine Dame, die gesoffen hat wie ein Vollmatrose!«

»Püh!«, machte Fräulein Levinsohn verachtungsvoll.

Sie bestand darauf, nicht direkt zur Wohnung zurückzugehen, sondern einen Bummel durch die Innenstadt zu machen. Sie schleifte Hammerstain zu jedem Schaufenster und reduzierte genüsslich seine Männlichkeit, indem sie ihn zum Begleiter ihres ausführlichsten Studiums der Modeauslagen degradierte.

Ihr Interesse war ebenso verkrampft wie die Bewegung, mit der ein Alkoholiker den ersten Schnaps des Tages in sich hineinschüttet.

Hammerstain trat einige Schritte zurück, an den Rand des Gehsteiges. In seinem Rücken rollte der Verkehr, er konnte den Luftzug der vorbeifahrenden Wagen im Nacken spüren.

Der Lärm dröhnte in seinen Ohren, konnte aber ein anderes Geräusch nicht überdecken – die Stimme Wietolds, die in seinem Kopf erklang, wie eine Radioübertragung aus der Nachbarwohnung. Hammerstain konnte die Stimme nicht abschalten. In einer Endlosschleife sprach sie immer wieder dieselben Sätze, stellte dieselben Fragen.

Der Rhythmus der vorbeieilenden Schritte veränderte sich. Jemand rempelte Florian an, auf der Straße quietschten Bremsen, Hupen gellten und der Geruch nach verbranntem Gummi machte sich breit. In der Ferne erklangen Sirenen.

Er schaute zu Fräulein Levinsohn, die reglos vor dem Glas des Schaufensters stand und in der gesamten Zeit nur einen Punkt auf dem drapierten Samt des Hintergrundes angestarrt hatte. Neben ihrem Kopf schwebte ein Gesicht, eine geisterhafte Widerspiegelung in der Scheibe. Florian brauchte eine Weile, bis er dieses Gesicht als Spiegelung erkannte, und er brauchte noch länger, bis er erkannte, wessen Gesicht es war.

Er spürte, wie sich der Schweiß durch die Poren drängte. Da war es also wieder – dieses Gesicht, dieses sein Gesicht in all seiner Fremdheit und nun schien es, als hätte es ihn beobachtet, abschätzend und kühl beurteilend, als ginge es um einen Fremden.

Innerhalb von wenigen Sekunden, in Hupen, Bremsenquietschen, aufheulenden Motoren, kam der Verkehr zum Stillstand. Die blinkenden Signallichter von Polizei und Feuerwehr erschienen im Hintergrund über den Wagendächern und arbeiteten sich mühsam vorwärts.

Fräulein Levinsohn drehte sich erschreckt um und drückte sich an die Scheibe, als eine Gruppe an ihr vorbeirannte. Für einige Sekunden verlor Hammerstain sie hinter den vorbeijagenden Köpfen und Hüten aus dem Blick. Die Furcht, sie könnte verschwinden, mitgerissen werden, sich aus irgendeinem Grund in Nichts auflösen, ließ sein Herz poltern.

Er sprang auf sie zu, als die Gruppe vorbei war, und zog sie mit sich.

»Was ist hier bloß los?«, fragte Fräulein Levinsohn erschrocken.

»Keine Ahnung.«

»Wir sollten nicht in diese Richtung gehen!«

»Ich will es herausfinden«, erklärte Hammerstain bestimmt.

Sie mussten sich an den Fassaden entlang drücken, manchmal blieb ihnen nur der Sprung in die Geschäftseingänge, sonst wären sie von der panischen Menge mitgerissen worden.

Die Menschen schienen wie Zahnpaste aus der Tube hinaus auf die Straße gequetscht zu werden.

Polizeimotorräder fuhren von der verstopften Straße auf den Gehsteig und trieben mit Sirenen und aufgeblendeten Scheinwerfern die Menge auseinander.

Hammerstain begann zu zweifeln, ob seine Aktion noch sinnvoll war. Aber da sah er schon die Polizei- und Feuerwehrwagen, eine kompakte schwarze Masse, über denen die Blinklichter kreisten.

Die Polizisten saßen ab, formierten sich unter den herausgeschrieenen Befehlen der Kommandeure zu Gruppen und Doppelreihen und stürmten zwischen den Wagen hindurch. Sanitäter behandelten auf dem Boden liegende Verletzte. Fräulein Levinsohn stöhnte entsetzt beim Anblick der durchgebluteten Kopfverbände.

»Was ist das für ein Gebäude?«

Fräulein Levinsohn reckte den Hals, stützte sich dann auf Hammerstains Schulter und stellte sich auf die Zehenspitzen.

»Das scheint die Lichtburg zu sein«, erklärte sie dann, »bekanntes Kino. Hat die beste Tonanlage der ganzen Stadt, erst vor einigen Monaten installiert.«

»Sieht nach einer soliden Massenschlägerei aus«, stellte Hammerstain nach einer Weile fest. »In der Folge ein bisschen Plünderung und als krönender Abschluss wird ein Feuerchen gelegt. Kommen Sie.«

An einer Plakatsäule in der Nähe war ein Kinoprogramm angeschlagen. In der Lichtburg lief zurzeit das neueste Werk eines Regisseurs, mit dessen Namen Hammerstain nichts anfangen konnte.

»Hier«, Fräulein Levinsohn knallroter Fingernagel deutete auf die winzige Schrift hinter den Namen der Darsteller und des Regisseurs.

»Was würde ich dort lesen, wenn ich es erkennen könnte?«

»Dort steht: Sie brauchen dringend eine Lesebrille«, spottete die Levinsohn, »nein, da stehen einige weitere Namen. Unter anderem der des Produzenten.«

»Wenn Sie Ihren Triumph zur Genüge ausgekostet haben, lesen Sie ihn mir laut und in deutlicher Aussprache vor. Obwohl ich den Namen schon kenne.«

»Spellberg!«

»Wer sonst?«

Der Film hatte an diesem Tag seine Uraufführung gehabt. Wie Hammerstain auf dem Rückweg erfuhr, waren die aus dem Lichtspielhaus strömenden Zuschauer mit den Zuschauern oder genauer Zuhörern zusammengetroffen, die aus einer Lesung von Hüttners Werken kamen, die in einem Saal in der Nachbarschaft stattgefunden hatte. Ohne Vorwarnung hatte sich eine verbissene Keilerei entwickelt. Die Hüttnerverehrer, von denen etliche in uniformartige Kostüme gekleidet waren, wurden völlig überrascht und überrumpelt und bezogen entsprechend Prügel. Dann hatten sie sich allerdings organisiert und ihre ganze Erfahrung auf dem Gebiet der Massenschlägereien mit größtem Ehrgeiz ins Gefecht geworfen, sodass nach kurzer Zeit die Kinofraktion die höhere Einschlagsquote hinnehmen musste.

Das Eintreffen der Polizei machte dem Spuk ein Ende.

»Was soll das?«, wunderte sich Fräulein Levinsohn, »das ergibt doch keinen Sinn. Da schauen sich die Leute so eine rührselige Schmonzette an und drei Minuten später schlagen sie auf irgendwelche harmlosen Unbekannten ein, bloß weil sich die mit dieser schicken schwarzen Kluft und den Stiefeln verkleidet haben.«

»Wenn es diese Verkleidung war.«

»Was meinen Sie?«

»Möglicherweise hätten die Leute auch auf eine Gruppe Nonnen eingeschlagen, wenn die zufälligerweise vorbeigekommen wären. Vielleicht ging es gar nicht darum, bestimmte Leute zu verprügeln. Sondern es ging einfach nur um das Prügeln.«

»Nach so einer romantischen Herz-Schmerz-Geschichte?«

»Also, mich machen diese Rührstücke auch immer aggressiv«, gestand Hammerstain.

»Sie sind immer aggressiv, Sie merken es nur nicht«, musste Fräulein Levinsohn noch eins draufsetzen.

»Wenn es so wäre, würde diese Behauptung für Sie schmerzhafte Konsequenzen haben«, stieß Florian hervor. Grinsend registrierte er aus den Augenwinkeln, dass Sara Levinsohn einen Schritt zur Seite machte.

Einige Straßen weiter war von dem ganzen Tumult nichts mehr zu merken. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Auf den zweiten wirkte die Stadt noch nervöser und hektischer, als wäre die Fiebertemperatur um einige weitere Grade gestiegen.

In seiner Wohnung machte sich Hammerstain nicht einmal die Mühe, das Jackett abzulegen.

»Also, wo ist der Beweis?«

Fräulein Levinsohn schaute ihn erstaunt an. Sie hatte sofort das Radio angestellt, wo zwischen flotter Musik über die neuesten Vorkommnisse in der Stadt berichtet wurde. Die Massenschlägerei hatte nur Verletzte gefordert. Ihr Auslöser war nach wie vor ein Rätsel, zumal völlig unbescholtene und vor allem völlig untrainierte, ältliche und übergewichtige Familienväter zu den Ersten gehört hatten, die sich auf ihre Opfer stürzten.

Fräulein Levinsohn schaute Hammerstain mit einem hilflosen Blick an. »Ich verstehe das alles nicht mehr! Ich habe das Gefühl, als würde die Welt, die ich kenne, immer mehr zu kleinen Krümeln zerbröckeln und ich habe nichts mehr, an das ich mich halten kann.«

»Manche Dinge ändern sich nie – zum Beispiel die Tatsache, dass Sie mich ignorieren. Also – wo haben Sie Ihre verdammten Beweise?«

»Ach so. Die Beweise – warum sagen Sie denn nicht gleich, was Sie meinen?«

Fräulein Levinsohn sprang auf und kam mit einem Stück Papier wedelnd aus ihrem Büro zurück.

»Voilá, der Beweis«, erklärte sie triumphierend.

»Woher haben Sie das?«

»War hinter einen Schrank gefallen. Purer Zufallsfund.«

Florian setzte sich an seinen Schreibtisch und schaltete die Lampe an. Er betrachtete die Fotografie. Kein Zweifel, der Mann auf dem Bild war er selbst und es gab auch keinen Zweifel, dass er gerade tanzte, als der Auslöser betätigt wurde. Seine Partnerin war nicht zu erkennen. Irgendwer hatte das Foto sauber durchgerissen, nur noch eine Hand auf der Schulter bewies, dass diese Partnerin überhaupt existiert hatte.

Fräulein Levinsohn stellte sich hinter Florian und schaute ihm über die Schulter. Sie hatte sich im Bad frisch gemacht und roch sehr appetitlich nach Fliederseife.

»Nun, habe ich zuviel versprochen?«, erkundigte sie sich, »ich frage mich nur, was diese Schrift dort hinten bedeutet.«

Florian griff zu einer Lupe und betrachtete die Buchstaben, die in der Körnung der Fotografie undeutlich wurden.

»Das Schriftband oben sagt etwas von einem Tanzfest und unten ist ein Fahrplan mit der Überschrift Nikopol, letzte Station

»Ich wusste nicht, dass Sie Russisch können«, sagte Fräulein Levinsohn.

Ich auch nicht, dachte Florian. Aber es hatte etwas zu bedeuten. Aus dem Foto war nicht viel mehr zu entnehmen. Es hätte überall auf der Welt aufgenommen werden können. Die Personen im Hintergrund waren dem Anlass entsprechend gekleidet, die sichtbaren Wände gehörten mit ihren Säulen und Simsen zu einem Gebäude, das keinerlei Besonderheiten zu haben schien. Er selbst trug passende Abendgarderobe, er wirkte jünger und er schien diesen Tanz zu genießen.

»Ich brauche alles, was Sie über die letzte Station Nikopol herausfinden können«, verlangte Florian.

»Atlas, Atlas, Atlas«, seufzte Fräulein Levinsohn und zog ab, nur um kurz darauf einen Band in Tischgröße anzuschleppen. Sie suchte im Register und schlug die entsprechende Seite auf.

»Moskau, St. Petersburg«, deutete sie auf die Städte, »und das hier ist Nikopol. Hier an der Grenze zu der weißen Fläche.«

»Und was soll die weiße Fläche?«

Fräulein Levinsohn sprang auf Hammerstains Schreibtisch und baumelte mit den Beinen. Sie beobachtete ihren Chef wieder einmal mit schräg gelegtem Kopf, wartete so lange, dass es Florian unbehaglich wurde, und sagte endlich: »Wissen Sie, Herr Hammerstain, ich frage mich ernsthaft nach dem System Ihrer Gedächtnislücken.«

»Was soll das denn heißen?«, blaffte Hammerstain.

Die Levinsohn zuckte ein wenig zusammen, baumelte aber weiterhin tapfer mit dem Beinen. »Ich meine die Sache mit der Pille, die bei Ihnen zu Ausfallerscheinungen geführt hat. Einige Dinge haben Sie schlichtweg vergessen und dann können Sie plötzlich Russisch, obwohl Sie vergessen haben, dass Sie es können und dann wiederum wissen Sie solche Dinge nicht, die jedes Kind weiß. Da ist kein Zusammenhang.«

»Vielleicht ja doch. Und was ist jetzt mit der weißen Fläche?«

Die Levinsohn blickte zur Decke und rasselte die Sätze herunter, als hätte sie diese schon vor Jahren auswendig gelernt.

»1914 bis 1918, russischer Bürgerkrieg, der zaristische General von Anken-Starhemberg wechselt die Seiten, übernimmt das Kommando der Rebellen, schlägt die Zaristen in Grund und Boden. Aber statt nach St. Petersburg zu marschieren und dem Zaren endgültig den Garaus zu machen, sammelt er seine Truppen und zieht sich nach Sibirien zurück. Seitdem ist das ein Gebiet, in das sich kein Fremder mehr wagt. Die Russen haben drei militärische Invasionen versucht, die letzte 1941 und sind jedesmal blutig zurückgeschlagen worden.«

»Und dieser General? Was macht der?«

»Nichts. Er rührt sich nicht. Seine Reiter bewachen einen breiten Korridor und schicken jeden zurück, der einzudringen versucht. Das ist alles.«

»Sollen die Russen doch froh sein, wenn sie Ruhe haben.«

»Sie haben keine Ruhe. Sie haben Angst. Da ist ein riesiges Gebiet vor ihrer Haustür und sie wissen nicht, was sich dort abspielt. Kein Kundschafter ist je durch den Korridor gelangt und wenn, so ist er nicht zurückgekehrt. Es gab Flugzeuge, die aus der Luft aufklären sollten. Die wurden abgeschossen, also weiß man immerhin, dass es dort eine moderne Artillerie gibt. Die hatten die Rebellen vorher nicht. Also muss man annehmen, dass dort etwas passiert. Aber was es ist, weiß keiner. Es gibt Gerüchte über Handel mit chinesischen Häfen, aber es gibt keine genauen Angaben. Es sollen Teile für eine Eisenbahn geliefert worden sein, man berichtet von Maschinenlärm, ein Höhenballon, der an der Grenze bei günstiger Sicht aufstieg, konnte Fotografien von Rauchwolken machen, die wahrscheinlich von Industriegebieten stammen. Aber seit wann gibt es dort Industrie und was produziert sie? Das Gebiet ist voller wertvoller Rohstoffe, aber bisher war es nur Weidegebiet für die einheimischen Reitervölker.«

»Woher beziehen Sie diese Kenntnisse?« Hammerstain massierte sich seine wütend pochenden Schläfen. Es war, als wollte etwas in seinem Hirn den Schädel sprengen, um nach draußen zu gelangen.

»Ich habe auch mal studiert«, sagte Fräulein Levinsohn leicht pikiert, »meine Planung war nicht, als meist unbezahlte und dazu äußerst schlecht behandelte Assistentin zu reüssieren und schließlich auf dem Schafott zu landen. Außerdem ist die Geschichte enorm spannend. Der General ist ein Cousin dritten Grades eines Schwagers meiner Schwester. Er stammt aus dem Baltikum – der General, meine ich – darum war auch das Reich an ihm interessiert. Man fühlte sich in gewisser Weise verantwortlich.«

Florian wendete das Foto. Jemand hatte etwas mit Tinte auf die Rückseite geschrieben. Die Schrift war nicht seine eigene und sie war auch nicht zu entziffern. Der abgerissene Rand teilte die Buchstaben, man konnte gerade noch die Zahlenfolge 31/12/1939 entziffern.

»Ein Datum«, stellte Fräulein Levinsohn schnell fest. Sie hatte sich neugierig zu Florian gebeugt. »Das ist die Schreibweise nach Reichsnorm. Jede Tippmamsell weiß das. Soll ich nachschauen, ob unter dem Datum irgendetwas im Archiv abgelegt ist?«

Florian schüttelte den Kopf. »Morgen. Ich brauche jetzt meinen Schönheitsschlaf.«

Sara Levinsohn zog sichtlich enttäuscht ab, sie wirkte geradezu aufgedreht.

»Sie wollten mir doch etwas sagen«, fiel Florian ein.

»Ich glaube, wir haben den richtigen Moment verpasst«, gestand Fräulein Levinsohn und hatte es plötzlich sehr eilig, in ihrem Schlafraum zu verschwinden.

Florian machte sich fertig und löschte das Licht. Die Luft im Raum war stickig, er öffnete die Fenster, bevor er sich auf das Sofa legte. Von draußen strömte warme Luft herein, verfärbt von den Gerüchen der Auspuffgase und dem Dunst der Kanalisation. Die Gardinen schwollen und wehten im Durchzug. Lichter wanderten über die Decke, von draußen klangen Stimmen, Schritte und die üblichen Motorengeräusche, von Zeit zu Zeit dröhnte ein Zug über die Brücke in der Nähe und brummte ein Luftschiff bei seiner letzten Schleife zum Anlegeplatz.

Das alles war vertraut wie ein tausendmal getragener Handschuh und doch neu, unbekannt und unverständlich.

Nikopol. Die letzte Station.

Florian warf den Namen aus wie eine Angel. Er musste diesen Namen kennen. Er musste den Fahrplan an der Wand gesehen haben. Aber wann? Und warum erinnerte er sich nicht mehr?

Florian dachte an die Hand, die auf dem Foto auf der Schulter des Mannes gelegen hatte. Es war eine schlanke, gepflegte Frauenhand. Jeder Betrachter konnte spüren, dass diese Hand zu einer schönen Frau gehören musste. Und selbst wenn diese Frau nicht schön sein sollte, dann war sie über alle Maßen anziehend und verführerisch.

Kein Schmuck war an der Hand zu sehen, keine Besonderheit. Und dennoch erweckte der Gedanke an diese Hand in Florian eine starke Empfindung. Allerdings, und das brachte ihn wieder an den Rand eines Tobsuchtsanfalls, war es irgendeine Empfindung und nichts, das er einordnen konnte.

Grummelnd wälzte sich Florian auf die Seite. Er merkte, wie eine Erinnerung in ihm hochstieg. An eine Nacht, in der er nur den Wunsch hatte, zu schlafen, aber irgendetwas hatte ihn geweckt. Oder irgendjemand.

Blödsinn. Florian warf die Decke zur Seite. Er versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Aber die Müdigkeit warf sie immer wieder durcheinander, verwirrte sie, pflückte sie auseinander und setzte sie auf absurde Weise neu zusammen. Walter Hassel, der von einem Mann mit Blumentopf auf dem Kopf besucht wurde, Grünwang, der einen Kemal Soundso vermisste. Spellberg, immer wieder Spellberg. Spellberg als Helfer der Menschheit, Spellberg als Trickser, Spellberg als Filmproduzent. Spellberg und die Rakete, ach was, Spellberg hatte nichts oder vielleicht doch? Spellberg fliegt mit der Rakete nach Nikopol und geht dort zum Tanz. Noch mal Blödsinn. Dieser Kerl in dem Revuetheater hat auch Blödsinn gefaselt, das war Wietold, der hinter einer Frau her war oder was war es und warum sie und …