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Dämonische Reisen in alle Welt – Kapitel II, Teil 4

Johann Konrad Friederich
Dämonische Reisen in alle Welt
Nach einem französischen Manuskript bearbeitet, 1847.

Kapitel II, Teil 4

In der Tat, als den anderen Tag die fürstliche Familie von einer Spazierfahrt von Frankfurt in mehreren Wagen zurückkehrte, in deren Letzteren die Hofdamen und namentlich Fräulein von Rabenstein saßen, wurde dieser von einer Bande wilder Burschen gewaltsam angehalten, dessen Schlag geöffnet, Fräulein von Rabenstein aus demselben gerissen, misshandelt und bei den Haaren herumgezerrt, sodass sie jämmerlich zu schreien begann. Der Fürst, der mit seiner Gemahlin in dem ersten Wagen saß, ließ sogleich halten, stieg aus und wollte die rohen Burschen an ihrem schmählichen Treiben hindern, ihnen befehlend, die Damen sogleich loszulassen, und dies Benehmen ernstlich rügend. Aber die Wütenden horchten nicht auf die Stimme ihres Landesherrn, fuhren in ihren Misshandlungen fort, und würden es, Gott weiß wie weit, getrieben haben, wenn nicht in diesem Augenblick zwei Reiter dahergesprengt wären, welche die Unglückliche aus den Händen ihrer Henker befreiten und diese schnell in einen Zustand totaler Untätigkeit versetzten, indem sie sie mit Reitpeitschen züchtigten, sodass sie laut auf- und um Gnade schrien.

Die Dame wurde nun wieder in ihren Wagen und nach Homburg gebracht, wo sie jedoch den nächsten Tag verabschiedet und in ihrer Heimat zurückgeschickt wurde.

Ihre Retter waren Michel und Asmodi gewesen.

Indessen hatte der Angriff auf einen fürstlichen Wagen gewaltiges Aufsehen gemacht. Eine solche Verwegenheit war bis dahin in Deutschland noch nicht vorgekommen, und man erwartete, dass die vermessenen Verbrecher, welche Hand an das Eigentum und die Begleitung ihres Souveräns gelegt hatten, die allerschärfste Strafe erhalten und auf Majestätsverbrechen angeklagt würden. Aber zum großen Erstaunen aller Welt wurde jede Untersuchung niedergeschlagen und die ganze Sache unterdrückt.

Eine andere Neuigkeit brachte, wie das so der Welten Lauf ist, alles Vorgefallene bald wieder in Vergessenheit. Man kündigte nämlich die nahe Ankunft Ronges zu Frankfurt an.

»Wer ist dieser Ronge?«, fragte Stürmer einen an der Mittagstafel neben ihm sitzenden Badegast.

»Wie, mein Herr, Sie kennen Ronge nicht, den großen Reformator, den zweiten Luther, von dem alle Welt voll ist, der dem päpstlichen Unwesen den Garaus machen, den letzten Todesstoß versetzen wird!«, antwortete der Gefragte, ein ehrlicher Frankfurter.

»Ei, wo sind Sie denn her?«

»Um Vergebung, ich bin erst seit einigen Tagen wieder in Deutschland und habe noch nicht Gelegenheit gehabt …«

»Aber von Ronge ist ja die Welt voll, Sie müsse von Nova Zembla komme.«

»Nicht doch, nur von Paris.«

»Und da weß mer noch nix von Ronge?«

»Nicht, das ich wüsste.«

»Gut, so hören Se.«

»Der Bischof von Trier ließ vor ähm Jahr en sogenannte heilige, ungenähte Rock, den unser Herr Christus getrage hawe soll, öffentlich ausstelle, und viele Hunderttausend Narre sin nach Trier gewannert, den merkwürdige heilige Rock zu begaffe, dadurch nebebei Vergebung ihrer Sünden hoffend, un es soll gar mancherlei Mirakel dabei vorgefalle sein. Do erließ awer Ronge, über den damals eine Kirchestrof verhängt war, ein famoses Schreibe an den Bischof Arnoldi zu Trier, in welchem er diesem tüchtig die Meinung sagte, und diese Ausstellung gewissermaßen als en abergläubische Götzedienst, als eine leidige Geldspekulation auf den Beutel der Einfältigen abgesehen, darstellte. Un weiter war es auch nichts. Jetzt machen der Ronge, der Ezersky, der Kerbler und der Dowiat all dem katholische Unwese en End. In Leipzig hawe se bei’me prächtige Gastmohl gerufe: ›Ähn Gott un ähn Ronge!‹ Un dann sin se in die Komödie gange un hawe dem Teufel sei Anteil spiele gesehn, un jetz komme se morge nach Offebach un übermorge nach Frankfort. Den Spektakel will ich sehe, den’s da gewe wird, das werd noch än anner Gewihl gewe, als beim Göthe seim Denkmol, odder wann än Aff uf em Kamehl in der Meß am Nickelchestag durch die Gass reit, odder wann die Jenny Lind singt. Wann Sie ä mohl än rechte Spaß hawe wolle, so rot ich Ihne, den Tag nach Frankfort zu gehe, wo Sie ihr Wunnerwerk sehe wern. In der Fahrgass werd ä Triumphboge zwerch üwer die Gass gehängt. Die Sach gibt mich freilich nix an, dann ich bin Gott sei Dank ä guter Altlutheraner. Awer freie tut michs doch, wann ämol des katholische Osepassezeug de Marsch gemacht kriegt.«

Und so fuhr der gute Frankfurter noch eine Zeitlang fort, Ronge zu preisen und die Römisch-Katholischen zu verwünschen.

Stürmer dankte höflich für die gütigst mitgeteilte Auskunft und beschloss der Ankunft Ronges beizuwohnen. Schon am anderen Tag fuhr Michel mit seinem Begleiter nach Frankfurt und von da nach dem nahen Offenbach, wohin ebenfalls die Frankfurter strömten, den Wundermann, wie sie ihn nannten, um so eher in Augenschein nehmen zu können. Der ungeheuren, sich auf der Chaussee nach Offenbach wälzenden Menschenmenge folgend, hörten sie schon unterwegs die Freudenschüsse fallen, welche die nahe Ankunft des großen Reformators ankündigten. Gegen vier Uhr nachmittags traf endlich der Heißersehnte in einem vierspännigen Wagen, von Reitern umgeben, in Offenbach ein, wo man ihn mit Musik, Gesang und sich unaufhörlich schwingenden Fähnchen empfing. Er war in Begleitung der Pfarrer Dowiat und Kerbler. Hocherfreut über den ihm hier wie noch nirgends gewordenen Empfang hielt Ronge aus dem Fenster des Hauses, in dem er abgestiegen war, eine Anrede an die enthusiastische, judelnde Menge, versicherte sie seiner tiefen Rührung und ließ sich durch dieselbe sogar hinreißen, ein Wortspiel über den Namen der Stadt Offenbach zu improvisieren, indem er das gute Städtchen nicht nur einen offenenBach, sondern einen offenen Strom nannte, der kräftig alleHindernisse überwinden und sie hinaus ins Meer der Weltgeschichte schleudern würde! Nun stieg die Extase der guten Offenbacher aufs Höchste und des Jubelgeschreis und der Vivats war kein Ende.

Auch Kerbler begrüßte die hochherzigen Offenbacher von der Höhe seines Wagens herab mit einem dreifachen Hoch. Am Abend waren viele Häuser der Stadt Offenbach durch bunte Lampen prächtig erleuchtet, und hier und da sah man allegorische Transparente mit allerlei Sinnsprüchen, welche die Begeisterung des Tages gedichtet hatte. Man führte Ronge und seine Gefährten in einen öffentlichen Garten, in welchem sie abermals mit Gesang und Musik und von einigen Hundert bunten Laternenträgern mit, wie man zu sagen pflegt, donnernden Vivats empfangen wurden. Diese Laternen begeisterten den Pfarrer Dowiat zu einer improvisierten Prophezeiung, durch welche er verkündete, dass diese vielen leuchtenden Lichter bald eine Sonne bilden, welche die ganze Welt überstrahlen würde.

Ein ehrlicher Bürger, der dies mit anhörte und die Sache buchstäblich nahm, äußerte: »Aber dann muss es erst hell sein, wenn wir zwei Sonnen haben werden. Die eine wird dann bei Tag und die andere bei Nacht scheinen!«

Dass das Ganze nach löblicher alter deutscher Weise mit einem tüchtigen Festschmaus endete, bei dem es namentlich nicht an zahllosen Toasts fehlte, welche die Köpfe noch mehr erleuchteten, wenn auch endlich etwas schwer machten, bedarf wohl kaum erwähnt zu werden. Auch Michel und sein Begleiter hatten an dem Mahl teilgenommen und unterhielten sich köstlich. Sie ließen jedoch der ganzen Sache, eine kleine vorübergehende Bosheit abgerechnet, ihren Lauf.

Als nämlich einer der Toastausbringer in seiner Begeisterung schrie »Ja, meine Herren, die Teufel der Finsternis werden für immer in die Abgründe der Hölle geschleudert werden, und unseres Ronge hellstrahlendes Lichtmeer …«, trat bei dem Wort Lichtmeer plötzlich eine dichte Finsternis ein, denn ein Zugwind löschte fast alle Lichter zumal aus, bis auf eine kleine, gleich einem Nachtlicht leuchtende Lampe, die nur noch einen matten Schein auf die gluthroten Gesichter der Gäste warf, die sich plötzlich verwundert einander anstarrten. Zugleich ließ sich ein höhnisches Spottgelächter hören, aber niemand vermochte zu entdecken, wo dieser Schall eigentlich herkam. Auch der Redner war verblüfft bei dem hellstrahlenden Lichtmeer stecken geblieben. Nachdem man von seinem ersten Erstaunen zurückgekommen war, begann man die Lichter wieder allmählich anzuzünden.

Ronge sagte endlich: »Meine Herren, so wird es uns auch gehen. Der römische Wind wird unsere Lichter hier und da ausblasen, aber wir werden sie immer wieder anzünden und leuchtend machen.«

»Bravo, bravo«, erschallte es von allen Seiten, und das Festmahl hatte nun seinen ungestörten Fortgang.

Den folgenden Morgen bereitete sich Ronge zur Abfahrt nach Frankfurt vor, wohin er, von einem Dutzend Wagen gefolgt, fuhr, und wo er von einer unermesslichen Menschenmenge schon vor den Toren dieser Stadt mit einem ungeheueren Vivatgeschrei empfangen wurde.

Auch Michel war dem neuen Reformator nach Frankfurt gefolgt und hatte unterwegs den Hinkenden gefragt, was dieser von der Sache halte.

Seine höhnische Miene annehmend erwiderte Asmodi: »Nicht viel, eine Sekte mehr, und das ist alles. Ronge erbost wegen geistiger Insubordination gegen seine Oberen suspendiert worden zu sein, schrieb mehr aus Rache als um einer guten Sache willen jenen Brief an den Bischof Arnoldi, ohne dabei im Geringsten die Folgen, die er hatte, zu ahnen. Dieses Schreiben in mehreren sogenannten liberalen Blättern abgedruckt und verbreitet, verursachte einen gewaltigen Rumor, worauf großes Geschrei und Wehklagen im Feldlager der Römisch-Katholischen, deren Priester einfältig genug sind, den hingeworfenen Handschuh aufzuheben, in die Posaune zu stoßen, einen Federkampf auf Leben und Tod, oft nicht in den anständigsten Ausdrücken zu veranlassen, und so dem Sendschreiben und seinem Verfasser eine Wichtigkeit und eine Kraft zu verleihen, welche beide ohne diesen heillosen Lärmen nie erlangt haben würden. Tausendjährige Erfahrungen vermögen diese Herren nicht klüger zu machen, sie gießen unaufhörlich Öl ins Feuer, und zwar so lange, bis es sie selbst verbrennen wird. Ohne ihr Wutgeschrei wäre Ronges Schreiben, das samt seinem Verfasser nur ein sehr mittelmäßiges Erzeugnis ist, nach wenig Monden in das Meer der Vergessenheit gesunken. Aber der Skandal erstarkte den ex-katholischen Priester, der nun Anhänger und Verteidiger sendet und sich dadurch berufen glaubt, die Rolle eines großen Reformators zu spielen, ein zweiter Luther zu werden. An was alles er bei dem Abfassen jenes Briefes auch nicht im Entferntesten dachte, eine Rolle, der er in keiner Hinsicht gewachsen ist, obwohl man in unseren Zeiten ziemlich gefahrlos dergleichen Unternehmungen wagen darf, und statt Kerker, Gefängnis, Märtyrertum und Scheiterhaufen, höchstens ein Ausweisen von löblicher Polizei riskiert.

Die Wichtigkeit, die seine Feinde Ronges Handlungen beilegten, und das Lob und die Marktschreiereien seiner Freunde und Anhänger haben dem guten, eben nicht sehr starkgeistigen Mann, der sich nun selbst für ein Phänomen hält, schwindeln gemacht, und ihn zu den sowohl unpassenden als auch lächerlichen Triumphreisen veranlasst, bei denen er gleich einem Possenreißer von Ort zu Ort in Blumen bekränzten Wagen fährt, die herbeilaufenden Haufen anredet, und so die erste Rolle in dem wahrhaft komisch-tragischen Possenspiel übernommen hat. Doch wir sind in der guten Stadt Frankfurt angekommen, folgen wir unserem Triumphator, um Zeuge seiner neuen Siege zu sein.

Die guten Frankfurter hatten sich gehörig vorbereitet, um den ersehnten Reformator würdig zu empfangen. Durch die Straßen fahrend, wurde er fast mit Blumen, Kränzen und Girlanden erstickt. An vielen Fenstern sah man sein mit Blumen gekröntes Bildnis hängen, Fähnlein und Tücher wehten unaufhörlich. Unter dem hängenden Triumphbogen in der Fahrgasse angekommen, an dem man die sinnreiche Inschrift Willkommen Ronge, und seine Mitstreiter! las, wurde er mit einer Anrede begrüßt. Ein als weißer Engel gekleidetes Mädchen überreichte ihm eine kostbar eingebundene Prachtbibel.

Ronge dankte höflichst und setzte hierauf seinen Zug weiter bis zu dem Gasthof fort, der ihn aufzunehmen bestimmt war. Hier hielt er nochmals eine Rede an das versammelte und unaufhörlich jubelndeVolk und predigte später in einer der protestantischen Kirchen Frankfurts. Dass das prächtige Fest wieder mit einem köstlichen Schmaus und vielen Toasts endete, ist kaum nötig zu bemerken. Die sonst bei solchen Gelegenheiten so schwierige Regierung und löbliche Polizei Frankfurts, eben keine besonderen Lichtfreunde, drückte jedoch dieses Mal die Augen zu, und ließ den Abend leuchten, wer da leuchten wollte.

»Ein tolles Treiben«, sagte Michel zu seinem Begleiter, gegen Abend über die Zeil gehend.

»O!, das will nichts heißen. Wir müssen jetzt einer Beratung dieser Deutschkatholiken, wie sie sich zu nennen belieben, beiwohnen. Da wirst du erst dein blaues Wunder erleben.«

»Wieso?«

»Folge mir!«

Der Hinkende führte seinen Befreier durch mehrere enge Straßen in ein geräumiges Wirtshaus in der Saalgasse, in welchem sich eine zahlreiche Versammlung von römischen Katholiken aus Frankfurt und der Umgebung eingefunden hatte, bei denen durch Ronges Umtriebe und Ankunft die Lust deutsch-katholisch zu werden, erwacht war, und die hierher gekommen waren, um bei einem Schoppen Wein die nötige Rücksprache zu nehmen und sich nach den Umständen und Bedingungen zu erkundigen, unter denen man dem neuen Glauben beitreten könne.

Als Michel und sein Begleiter eintraten, fanden sie den Saal schon ziemlich angesullt.

Bald darauf bat ein schon etwas ältlicher Mann um Stille, und als diese eingetreten war, sprach er zu der Versammlung.

»Meine Herren, Sie sind also willens, deutsch-katholisch zu werden?«

Ein vernehmbares Ja ertönte fast von jedem Mund.

»Wohlan, so will ich Sie mit dem Hauptartikel unserer neuen Lehre bekannt machen. Vor allem keinen Papst mehr!«

»Keinen Papst mehr!«, wiederholten mehrere Stimmen.

»Das heißt, wir erkennen dem unter diesem Titel zu Rom sitzenden Bischof nicht mehr das Recht zu, sich, unter welchem Vorwand es auch immer sei, in unsere Religionsangelegenheiten einzumischen!«, fuhr der Redner fort. »Sind Sie damit einverstanden?«

»Einverstanden!«, ertönte es von vielen Seiten, doch bemerkte man hier und da auch ein bedenkliches Kopfschütteln.

»Ferner werden Sie schon wissen«, fuhr der Redner fort, dass das Leipziger Konzilium als allgemein bindend den Glauben an einen dreieinigen Gott, an eine heilige, unsichtbare christliche Kirche, Vergebung der Sünden, ewiges Leben, und das Beibehalten zweier Sakramente, der Taufe und des Abendmahls, anerkannt hat.«

»Und die anderen Sakramente?«, rief eine Stimme.

»Sind als solche abgeschafft.«

»Wie? Auch die Ehe soll kein Sakrament mehr sein? Das will mir nicht recht in den Kopf!«, ließ sich einer vernehmen.

»Und die Beichte und die Letzte Ölung?«, schrie ein anderer.

»Sind abgeschafft!«, riefen mehrere Stimmen.

»Hm, hm!«, meinten andere.

»Und die Heiligen?«

»Sind abgesetzt!«, rief einer der Anwesenden lachend.

»Und die Heilige Jungfrau?«

»Von der ist die Sprache nicht gewesen!«, sagte der erste Redner. »Außerdem ist es ja jeder sich neu bildenden Gemeinde anheimgestellt, Satzungen, auf denen sie besteht, nach Gefallen beizubehalten.«

»Gut, wir wollen die Heilige Jungfrau, die Muttergottes, beibehalten!«, ließen sich einige Stimmen vernehmen.

»Warum nicht gar!«, schrie ein anderer.

»Eine Jungfrau, die Mutter geworden ist! Barer Unsinn!«, sagte wieder ein anderer.

»Was? Unsinn? Ein Wunder ist es!«, rief eine Stentorstimme.

»Wir wollen keine Wunder mehr, die Wunder sind abgeschafft!«, ließen sich wieder mehrere hören.

»Geschehene Wunder kann man nicht abschaffen!«, wurde erwidert. »Und wir wollen die Jungfrau und wenigstens die Hauptheiligen beibehalten.«

»Nichts da, die Heiligen müssen samt und sonders ein für alle Mal wegbleiben. Das ist Götzendienerei!«

»Nicht doch, die Familie des heiligen Joseph muss bleiben!«, schrie einer der Anwesenden.

»Und der heilige Johannes!«, rief ein anderer.

»Und der heilige Petrus!«, schrie ein Dritter.

»Und der heilige Paulus!«, ein Vierter.

»Und ich lege ein gutes Wort für die heilige Magdalena ein!«, ein Fünfter.

»Und ich für die heilige Anna!«, ein Sechster.

»Und die heilige Catharina, die heilige Agathe, die heilige Genofeva und die heilige CäCilia, die so schöne Musik macht, müssen vor allen bleiben.«

»Dann behaltet lieber gleich die ganze Legion, samt den Engeln und Erzengeln und den elftausend Jungfrauen bei!«, ließ sich unwillig eine Stimme vernehmen.

»Das wäre wohl das Beste!«, meinte ein anderer.

»Wollt ihr Deutschkatholiken werden oder nicht?«, rief nun der erste Redner.

»Ja!«, ertönte es von vielen Seiten.

»Nun dann müsst ihr euch auch von dem römischen Unsinn und Aberglauben lossagen, sonst bleibt in Teufelsnamen lieber römisch-katholisch!«

»Nein, wir wollen keinen Papst mehr anerkennen, das ist die Hauptsache. Alles andere gehört nicht hierher oder ist Nebensache!«, rief ein Altkluger.

»Alles, was die katholische Religion berührt, gehört allerdings hierher!«, erwiderte ein anderer, dem viele Anwesende beistimmten.

Es war nun des Hin- und Herschreiens kein Ende, dabei leerte man Schoppen auf Schoppen. Mehrere verlangten, man solle Ronge herbeischaffen, der möge entscheiden. Andere erklärten dies für untunlich, da er eben bei einem ihm zu Ehren gegebenen festlichen Gastmahl sei. Der Tumult, das Lärmen, das Streiten wurde immer ärger, und es war nahe daran, dass man sich wegen der heiligen Dreieinigkeit, der Heiligen Jungfrau, allen und einzelnen Heiligen usw. an den Köpfen gekriegt hätte, als sich endlich eine herkulische Bassstimme, nachdem deren Inhaber mehrmals mit seiner Schoppenflasche gewaltig auf den Tisch geklopft hatte, um einen Augenblick Ruhe und Stille bittend, brüllend vernehmen ließ.

Als die erbetene Stille eingetreten war, sagte der Stentor laut und vernehmbar:

»Mein Herren, auf diese Art werden wir uns nimmermehr verstehen. Um die gewünschte Einigkeit zu erlangen, schlage ich der ehrbaren Versammlung vor, über alle strittigen Punkte abzustimmen, wo dann, wie in unserem gesetzgebenden Körper oder in den Kammern der konstitutionellen Staaten, die Majorität entscheiden wird.«

»Bravo, bravo!«, erschallte es von vielen Seiten. »Das war ein guter Gedanke!«

Doch schien der gute Gedanke nicht allen einzuleuchten, wie hier und da ein abermaliges Kopfschütteln zu beweisen schien.

»Herr Wirt«, rief der Stentor, »schaffen Sie doch schnell schwarze und weiße Kugeln herbei, damit wir ballottieren können!«

»Ich habe noch die vom Kolleg her. Sind Ihnen diese recht, so …

»Nur her damit!«

»Sonst könnten wir auch Kurz oder Lang ziehen, das wäre eben so gut«, meinte einer der Gäste.

»Warum nicht gar!«, fiel ihm ein anderer ein. »Nein, lassen wir es bei dem Ballottieren!«

Und alle stimmten ihm nochmals bei.

Die Kugeln wurden nun herbeigebracht, und auf den Vorschlag des ersten Redners ballottierte man, zuerst über die Anerkennung der heiligen Dreieinigkeit. Diese wurde mit großer Majorität anerkannt.

Hierauf stimmte man über die Jungfrauschaft Marias. Diese fiel mit einer bedeutenden Majorität durch.

Nun kam die Reihe an die Heiligen. Da sich aber die meisten Anwesenden heftig gegen eine Generalabstimmung über dieselben erklärten, so musste man sich bequemen, wenigstens über jeden Hauptheiligen besonders abzustimmen. Das Resultat war, dass der heilige Joseph, der heilige Petrus, der heilige Paulus, der heilige Johannes, der heilige Andreas, der heilige Stephan, nebst der heiligen Magdalena, der heiligen Catharina, der heiligen Genofeva, der heiligen Agnes und der heiligen Cäeilia beibehalten, alle übrigen aber ohne Gnade mit mehr oder weniger Majorität in Plenum abgesetzt und aus dem Paradies der Heiligen hinausballottiert wurden, wobei es jedoch manche saure Gesichter gab.

Als diese Ballottage, die ein paar gute Stunden währte, endlich beendet war, ließ sich eine schon etwas heisere Stimme mit den Worten vernehmen.

»Aber eines, meine Herren, haben wir noch vergessen. Wie sieht es denn mit dem Fegefeuer, der Hölle und dem Teufel aus?«

»Auch diese müssen abgeschafft werden!«, schrien mehrere Stimmen.

Asmodi spitzte jetzt gewaltig die Ohren, und Michel sah ihn lachend von der Seite an.

»So ganz den Glauben an diese abzuschaffen, rate ich doch nicht«, sagte eine etwas schüchterne Stimme, »denn wovor sollen sich dann die Bösen noch fürchten?«

»Das ist wahr!«, sagten mehrere.

»Ach, vor der Hölle fürchtet sich jetzt doch kein Teufel mehr!«, meinte ein anderer. »Wenn die irdischen Strafen und Gesetze, so schlecht sie auch sein mögen, nicht wären, ich wollte sehen, wie es auf Erden zuginge. Darum pereat Fegefeuer und Hölle.«

»Samt allen Teufeln!«, fiel ein anderer ein.

Allen Sündern soll vergeben

und die Hölle nicht mehr sein!

»Oho, da habe ich auch ein Wort mitzusprechen!«, murmelte Asmodi.

Da indessen viele nicht der Meinung waren, dass die Hölle nicht mehr sein solle, so ergriff man, um auch über diese Angelegenheit zu entscheiden, das Auskunftsmittel der Kugelung und brachte zuerst das Fegefeuer zum Abstimmen.

»Dawider habe ich nichts, sie mögen damit machen, was sie wollen, aber an der Hölle sollen sie mir nicht rütteln, oder ich will sie Mores lehren. Das Volk kugelte mich am Ende selbst noch um meine Existenz, aber Geduld!«

Michel lachte, und das Fegefeuer fiel mit geringer Majorität durch.

Jetzt ging es an die Hölle.

Als zu dieser Ballottage die Kugeln ausgeteilt waren, wurden sie auf einmal in den Händen derer, die sie hielten, glühend, und sie verbrannten die Finger so gewaltig, dass alle zumal einen Schrei des Entsetzens hören und die feurigen Kugeln fallen ließen, die, als sie den Boden berührten, gleich Bomben zerplatzten und einen so gewaltigen Pech- und Schwefeldampf verbreiteten, dass die Gefahr des Erstickens groß war, und mehrere der Anwesenden, die ihre Besinnung noch nicht ganz verloren hatten, Fenster und Tür aufrissen und über Hals und Kopf zur Letzteren hinaus- und die Treppen hinabstürzten, um ins Freie zu kommen und frische Luft zu schöpfen, selbst die schon bezahlten und noch nicht getrunkenen Schoppen im Stich lassend. Dem letzten Nachzügler wischte der erboste Hinkende noch einige Hiebe mit seiner Krücke ans, indem er sagte: »Ich will euch lernen, eure verruchten Hände sogar an die Hölle legen zu wollen.«

Der Spuk machte in der guten Stadt Frankfurt nicht wenig Lärmen, und man schrieb den Teufelsstreich allgemein einem erzrömischen Katholiken oder gar einem Jesuiten zu. Der die Polizei präsidierende Senator, ein gewisser Leonhard Reuß, behauptete aber mit giftiger Miene, das Letztere sei unmöglich, denn er habe noch keinem Jesuiten eine Aufenthaltskarte erteilt.

Michel begab sich in den Weißen Schwan und Asmodi in die durch ihn glücklicherweise noch gerettete Hölle zur Ruhe.