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Der Marone – Zwei unternehmende Reisende

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 26

Zwei unternehmende Reisende

Die Sonne war ins blaue Karibische Meer hinabgesunken, und das Zwielicht, das im Tal bereits vollständig verbreitet war, umfloss nun auch mit purpurnem Saum die Bergspitze, auf welcher die Hütte stand.

Die bisher von den ungeheuren Waldbäumen erzeugten Schatten verwandelten sich in das schwächere Dunkel der anbrechenden Nacht, und die Umrisse der Hütte, die nun ein Totenhaus war, wurden nach und nach durch die allgemein herrschende Dunkelheit unkenntlich.

Im Inneren der verlassenen Wohnung, worin nur der Tote war, herrschte tiefe und feierliche Stille, die ununterbrochene Ruhe und ungestörte Stille des Todes.

Außerhalb derselben erschallten dem eben Vorgefallenen ziemlich entsprechende Töne, das traurige Klagegeschrei der Ohreule, die bereits die Hallen des Waldes durchzog, und der wilde Ruf des Potus, der in der nächtlichen Dunkelheit nach Insekten jagte.

Einen Gegensatz hierzu bildeten nur das Beißen des am Baum festgebundenen Pferdes auf seinem Gebiss und sein ungeduldiges Stampfen mit den Hufen, da das Tier bei den mit dem Hereinbrechen der Nacht immer stärker werdenden Mosquitostichen stets verdrießlicher wurde.

Der Körper des Custos lag auf der Bambusbettstelle, ganz wie Chakra ihn verlassen hatte. Hier war noch keine Freundeshand tätig gewesen, um ihm ein Kopfkissen zurechtzulegen oder die noch offenen, aber glasig und kalt in ihre Höhlen versunkenen Augen milde zuzudrücken.

Bis jetzt war der Diener noch nicht mit der nun zu spät ankommenden Hilfe zurückgekehrt. Auch war es unmöglich, dass er nur früher als in einer Stunde zurückkehren konnte. Content, obwohl geradezu eigentlich nicht sehr weit entfernt, war dennoch für einen Reiter mindestens eine Meile weit entlegen, da die Bergschlucht, durch welche die Straße führte, einen weiten Umweg nötig machte. Rasch konnte man auf derselben unmöglich reiten, und der schwarze Diener war auch keineswegs geneigt, seinen Hals daran zu setzen, um das Leben eines weißen Custos zu retten. Eine volle Stunde mindestens musste darüber hingehen, bevor der Mann zurückkehren konnte. Bis jetzt waren erst zwanzig Minuten verflossen und so jedenfalls noch vierzig übrig. Allein selbst diese vierzig Minuten sollte die Leiche des Custos Vaughan nicht einmal in Ruhe und Frieden bleiben.

Zwanzig Minuten waren kaum verflossen, nachdem Chakra sich von dem Leichnam fortgeschlichen, als noch andere anlangten, um seine Ruhe zu stören und zwar in so gewalttätiger Weise, dass man hätte glauben können, sie vermöge ihn selbst aus dem Totenschlummer zu wecken.

Hätte Chakra beim Verlassen der Hütte die Hauptstraße nach Montegobay zurück eingeschlagen, und so beabsichtigte er allerdings zuerst zu gehen, so wäre er zwei Männern begegnet, nicht so fremd freilich, dass er sie nicht hätte kennen sollen, aber fremdartig genug, um die Aufmerksamkeit eines gewöhnlichen Reisenden zu erregen. Doch zu den Neigungen des Myalmannes gehörte es durchaus nicht, auf der großen Landstraße zu reisen, falls es nicht unumgänglich notwendig war.

Deswegen hatte er sich, als er die Negerhütte verlassen hatte, bald auf einen Nebenweg begeben, der in die Büsche und in den Wald führte, und war dadurch zwei Männern nicht begegnet, die, wenn auch von einer ganz anderen Menschenrasse, doch eben so große und abgefeimte Bösewichter waren wie er selbst.

Diese beiden so bezeichneten Männer sind bereits hinlänglich bekannt, es waren die Negerjäger des Jakob Jessuron – Manuel und Andres, caçadores de cimmrones von der Insel Kuba.

Von der Absicht bei ihrer Reise auf der Landstraße nach Savanna ist der Leser vollkommen unterrichtet, denn Jessurons Gespräch mit ihnen, wie er sie aussandte, hat deutlich den schauderhaften Plan seiner abscheulichen Werkzeuge dargelegt.

Schon den ganzen Tag waren die menschlichen Bluthunde dem vorausreitenden Custos nachgefolgt, bald näher, bald entfernter von ihm, je wie der Reisende anhielt und im Verhältnis zu der verschiedenen Geschwindigkeit von Reitern und von Fußgängern.

Oftmals auch hatten sie in der Entfernung auf dem weißen staubigen Weg ihr Opfer selbst gesehen, allein die Begleitung des starken Negers, der sein Diener, wie das helle Tageslicht hatten sie von der Ausführung ihres schändlichen Unternehmens abgeschreckt und sie hatten sie bis zu einer für einen Mord passenderen Zeit verschoben, bis zum Untergang der Sonne. Diese Zeit war nun gekommen, und gerade als der eigentliche Mörder vorsichtig und leise aus der Hütte hinweggeeilt war, stürzten die beiden ebenfalls auf Mord sinnenden Banditen in wilder Hast auf die Hütte zu.

»Carambo!«, rief der Ältere und deshalb der Leiter von den beiden aus. »Ich würde mich gar nicht wundern, wenn der Ingeniero uns diese Nacht entschlüpfen würde. Content liegt nicht weit entfernt und der Eigentümer von dem Ingeniero ist sein Freund. Erinnerst du dich wohl, Señor Jakob sagte, er würde da wahrscheinlich die Nacht bleiben?«

»Ja«, erwiderte Andres, »der alte Jessuron sagte es ganz bestimmt.«

»Nun wohl, wenn er dort ankommt, bevor wir ihn erreichen, so ist für heute Nacht nichts mehr zu tun und wir müssen die Gelegenheit auf der Straße zwischen Content und Savanna abwarten.«

»Carajo!«, antwortete Andres verdrießlich. »Hätte er nicht die verdammten Pistolen und den starken Neger an seiner Seite gehabt, wir hätten ihm schon vorher das Licht ausblasen können. Wenn er nun gar Savanna erreicht hätte, bevor wir ein ernstes Wort mit ihm reden können? Was dann, Compadre?«

»Dann«, erwiderte der als Gevatter Angeredete, »dann stände es schlecht für uns! Savanna ist eine große Stadt und es ist nicht so leicht, da jemand auf der Straße zu packen wie hier im Wald. Das Volk da in der Stadt ist geschwätzig, aber die Bäume sprechen nicht. Fünfzig Pfund ist auch gar nicht viel, besonders für einen Custos, wie sie ihn nennen. Verdammt! Wir müssen uns in acht nehmen oder man dreht uns für diesen Spaß noch den Hals um! Ein Custos ist hier, was bei uns ein Alkalde ist. Wenn du einen tötest, so steht ein Dutzend auf, um dich zu verfolgen.«

»Aber was«, fragte Andres, der, wenn auch der Jüngere, doch mehr Klugheit zu besitzen schien als sein älterer Gefährte. »Was tun wir dann, wenn wir gar keine Gelegenheit finden, selbst nicht in Savanna?«

»Dann«, erwiderte der andere, »haben wir wahrscheinlich das Vergnügen, unsere fünfzig Pfund zu verlieren.«

»Warum das, Manuel?«

»Warum das? Weil der Custos in Savanna ein Schiff nehmen und zur See weiterreisen will. So sagte mir der alte Jessuron. Wenn er das tut, können wir ihm nur Lebewohl sagen, denn eine Seereise möchte ich für fünfmal fünfzig Pfund nicht machen. An der von Batabano habe ich für mein ganzes Leben genug. Carajo! Ich glaubte schon, es sei der vomito prieto, der mich ergriffen hat. Fürchtete ich nicht, eben solchen Brechanfall wieder zu bekommen, ich wollte wahrhaftig gleich nach Hause zurückkehren, anstatt hier noch länger in dem Jessuronnnest bei den Negerschindern zu bleiben. Aber nichts soll mich dazu bringen, eine Seereise zu machen, um fünfzig Pfund …«

Der Kubaner unterließ es, seine Rede zu beenden, nicht weil er Anstand nahm, seine eigentliche Absicht unverhüllt auszusprechen, sondern weil er ganz gut wusste, dass eine weitere Erklärung für seinen Gefährten vollkommen überflüssig sei.

»Wenn das der Fall ist«, ermahnte der scharfsinnige Andres, »so müssen wir unser Geschäft jedenfalls noch vor Savanna beenden. Vielleicht, Gevatter, wenn wir jetzt recht rasch vorwärtsgehen, können wir den Custos noch einholen, bevor er Content erreicht hat«

»Du hast recht. Lass uns rasch vorwärts eilen, und wenn es dir gefällt wie mir, so soll jetzt unser Wahlspruch sein: Noche o nunca (diese Nacht oder niemals)!«

»Vamos!«, erwiderte Andres, und die Mörder eilten in raschem Lauf fort, von der Furcht, ihre Beute zu verlieren, angestachelt.