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Die drei Schwestern

Hanno Berg
Die drei Schwestern

 

I

 

Judith Erler war gerade gestorben. Ihre älteste Tochter Hannah hatte im Krankenhaus an ihrem Sterbebett gesessen, während die beiden jüngeren Töchter, Nele und Dorit, zu tun hatten und deshalb nicht am Bett ihrer Mutter sitzen konnten.

Judith hatte ihrer Tochter mit letzter Kraft von einem Testament erzählt. Sie war reich und hinterließ zwei Millionen Euro in Bargeld und Immobilien. Und sie machte ihrer ältesten Tochter – wie so oft – Vorwürfe, bevor sie starb.

Hannah beschloss, zum Haus ihrer Mutter zu fahren und nach dem Testament zu suchen. Sie hatte die Hoffnung, dass ihre Mutter dort das Original aufbewahrte und keinen Notar beauftragt hatte, denn sie war sehr geizig gewesen. Hannah glaubte nämlich, dass die Alte sie enterbt habe, weil sie mit dem Leben ihrer Ältesten so gar nicht einverstanden war, wie sie sie immer wieder wissen ließ. Hannah dachte, wenn sie im Haus ihrer Mutter das Original finde, könne sie es vernichten, und niemand werde erfahren, dass sie enterbt worden sei.

Als sie am Haus der Alten ankam, durchsuchte sie systematisch Arbeits-, Wohn- und Schlafzimmer ihrer Mutter. Endlich fand sie eine Kopie des Testaments in einer Schreibtischschublade. Die Kopie trug den Stempel eines Notars. Mist! Die Alte war auf Nummer sicher gegangen und hatte doch einen Anwalt beauftragt. Hannah las sich das Testament durch. Wie sie erwartet hatte, bekam sie nur den Pflichtteil, wie auch die zweitälteste Tochter Judiths, ihre Schwester Dorit. Ihre jüngste Schwester Nele bekam den ganzen Rest.

Hannah überlegte fieberhaft, was sie nun tun sollte. Endlich fasste sie einen Entschluss. Sie legte die Kopie in die Schublade zurück und räumte auf. Dann fuhr sie nach Hause, um ihre weiteren Schritte in Ruhe zu planen.

 

II

 

Das Nachlassgericht setzte alle drei Töchter von Judith Erler von ihrem Testament in Kenntnis. Während Dorit ärgerlich war – Hannah hatte ihren Ärger längst überwunden und Pläne für ihr weiteres Vorgehen geschmiedet –, war Nele, das Nesthäkchen und der Liebling der Mutter, zunächst sehr traurig über deren Tod und gar nicht so sehr aufs Erben aus, obwohl sie nun eine reiche Frau war.

Nur langsam konnte sich Nele mit dem Tod ihrer Mutter abfinden und fand deshalb erst nach und nach ins normale Leben zurück. Drei Wochen später, sie war auf ihrem Fahrrad zum Einkaufszentrum in der Nähe ihrer Wohnung unterwegs, wurde sie mit einer Pistole erschossen. Der Täter oder die Täterin konnte unerkannt entkommen.

Als die Polizei am Tatort ankam, hatte sie bereits Kenntnis von einem Mordversuch an Neles ältester Schwester Hannah. Auch auf sie war mit einer Pistole geschossen worden, und sie war wie durch ein Wunder dem Tod entgangen, als sie vor den Schüssen in ihre Wohnung flüchtete.

Hauptkommissar Bartmann ließ die Projektile der Waffen, mit denen auf die beiden Schwestern geschossen worden war, miteinander vergleichen. Die Projektile, mit denen man auf Hannah gezielt hatte, steckten in deren Wohnungstür und dem Türrahmen. Man stellte fest, dass in beiden Fällen dieselbe Waffe benutzt worden war. –

Wenige Tage später machte der Täter offensichtlich zum zweiten Mal Ernst und erschlug Hannah in ihrer Wohnung mit einem stumpfen Gegenstand, von welchem aber jede Spur fehlte. Sie hatte ihren Mörder gekannt, denn es gab keine Spuren eines gewaltsamen Eindringens. Das Opfer musste ihn selbst hereingelassen haben. Hauptkommissar Bartmann ärgerte sich, dass sein Chef, Kriminalrat Beck, keinen Personenschutz für Hannah genehmigte, weil er zu wenig Personal hatte.

 

III

 

Um die beiden Mordfälle zu lösen, bei denen es durchaus einen Zusammenhang geben musste, recherchierte Hauptkommissar Bartmann im Umfeld der beiden Opfer. Dabei fand er sehr schnell heraus, dass die Mutter der beiden Schwestern vor kurzer Zeit gestorben war und ein Testament hinterlassen hatte. Was der Inhalt des Testaments war, fand die Polizei natürlich ebenfalls sofort heraus, und daraus schien sich ein Motiv der einzig überlebenden Schwester Dorit ableiten zu lassen.

Da Bartmann mehr und mehr unter den Druck der Öffentlichkeit geriet, teilte er Kriminalrat Beck mit, was seine Ermittlungen bisher ergeben hatten. Beck war sehr zufrieden mit den Ergebnissen des Hauptkommissars und befahl eine Hausdurchsuchung bei Dorit Erler. Anschließend verkündete er der Presse, was Bartmann und seine Leute bisher wussten.

Die Hausdurchsuchung fand noch am selben Nachmittag statt. Und die Beamten wurden fündig. Sie stellten in Dorit Erlers Räumen die Pistole sicher, aus welcher auf ihre Schwestern Nele und Hannah geschossen worden war und außerdem einen großen Kerzenständer aus Messing, an welchem sich Hannahs Blut befand, allerdings keine Fingerabdrücke. Bernd Ginster, Hannahs Mann, identifizierte den Kerzenständer als den, der bei seiner Frau im Zimmer gestanden hatte, bevor er nach dem Mord verschwand, was ihm zunächst gar nicht aufgefallen war.

Die Indizien schienen Dorit Erler stark zu belasten, obwohl sich Hauptkommissar Bartmann durchaus noch nicht sicher war, dass sie in beiden Fällen die Mörderin war. Sein Chef jedoch wollte mit Blick auf die Medien schnell eine Lösung präsentieren und veranlasste Dorits Verhaftung und baldige Anklage wegen Mordes an ihren beiden Schwestern. So hatte die Öffentlichkeit ihre Täterin, und andere Möglichkeiten waren ja auf den ersten Blick auch nirgendwo sichtbar. Bartmann jedoch behielt sich seinem Chef gegenüber vor, weiteren Spuren nachgehen zu dürfen, wenn sich denn welche ergäben, bis er eindeutig nachweisen konnte, was genau geschehen war.

 

IV

 

Seine Leute hatten herausgefunden, dass die Waffe, mit der Nele Erler erschossen und auf ihre Schwester Hannah geschossen wurde, bei einem Einbruch in Berlin benutzt worden war, dessen Täter man gefasst hatte. Dieser hatte ausgesagt, er habe die Waffe kurz nach dem Bruch an eine unbekannte Frau verkauft. Bartmanns Leute befragten ihn und legten ihm ein Foto von Dorit Erler vor.

»Nein, Herr Hauptkommissar, Dorit Erler ist nicht die Frau, der Meierling die Waffe damals verkauft hat«, sagte Oberkommissar Schund, der Meierling das Foto gezeigt hatte. »Da ist er sich sicher.«

»Zeigen Sie ihm doch einmal das Foto von Hannah Ginster, Christian!«, sagte der Hauptkommissar einer Ahnung folgend, die er schon die ganze Zeit gehabt hatte.

»Mach ich, Chef!«, meinte Schund und verschwand mit dem entsprechenden Foto im Verhörraum. –

Fünf Minuten später war er zurück und konnte berichten, dass Meierling Hannah Ginster sofort wiedererkannt hatte.

»Na, das war ja ein Volltreffer«, grinste Bartmann und lobte Oberkommissar Schund. »Aber was sagt uns das nun?«

»Das sagt uns, dass nicht Dorit Erler ihre kleine Schwester erschoss, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach Hannah Ginster. Und dann hat sie, um die Polizei zu täuschen, auf ihre eigene Tür geschossen und ihrer Schwester die Waffe untergejubelt. Aber wer erschlug dann Hannah Ginster? Oder müssen wir davon ausgehen, dass dies tatsächlich Dorit Erler war?«

»Das, lieber Christian, ist jetzt nicht mehr so sicher, wie es zuvor erschien. Möglicherweise ist noch ein ganz anderer Mensch der Täter in Hannahs Fall. Wir müssen jedenfalls erst einmal weiter ermitteln.«

Dies taten Bartmann und seine Leute dann auch, ohne jedoch Kriminalrat Beck oder gar die Presse zu informieren, denn solches hätte doch nur wieder immensen Druck für Bartmanns Team bedeutet, was dieser gern vermeiden wollte.

 

V

 

»Die Spusi hat Ihren Verdacht bestätigt, Chef«, sagte Christian Schund und nickte anerkennend. »Mit der Hose und dem Sweatshirt verhielt es sich so, wie Sie vermutet haben.«

»Gut, Christian, genau das habe ich mir gedacht«, sagte Bartmann lächelnd, stand von seinem Schreibtischstuhl auf und nahm seinen Mantel vom Haken. »Ich fahre jetzt dorthin, wo der Täter sich aufhält, wie ich von unseren Leuten weiß, die ihn gerade beschatten. Ich bringe ihn dann gleich mit.«

Der Hauptkommissar ging zu seinem Wagen, der auf dem Parkplatz des Präsidiums stand und fuhr damit zum städtischen Friedhof. Dort grüßte er seine Leute, die in ihrem Wagen auf dem Parkplatz warteten. Anschließend betrat er den Weg, der zu den neueren Gräbern führte und ging zum Grab von Nele Erler. Vor dem schlichten Holzkreuz mit dem Namen der Ermordeten stand ein Mann mit einem Strauß Blumen in der Hand, den der Hauptkommissar zunächst nur von hinten sah. Dennoch wusste er genau, wer der Mann war und sagte: »Guten Tag! Furchtbar, dass man diese hübsche junge Frau so früh aus dem Leben gerissen hat. Finden Sie nicht auch?«

Bernd Ginster ließ vor Schreck die Blumen fallen. Dann stammelte er: »Herr … Hauptkommissar … wie?«

»Wie ich darauf komme, Sie am Grab Ihrer Schwägerin Nele Erler zu suchen? Ganz einfach! Wir haben die Post Ihrer Schwägerin in ihrem Versteck hinter dem Sekretär gefunden, untersucht und herausgefunden, dass Sie beiden ein Liebespaar waren und das seit zwei Jahren. Da wir zudem wussten, dass Ihre Frau Nele umgebracht hatte und den Mord Ihrer Schwägerin Dorit in die Schuhe schob, damit diese erbunwürdig wurde und sie allein schließlich die zwei Millionen von ihrer Mutter erbte, mussten wir nur zwei und zwei zusammenzählen. Sie töteten Ihre Frau, um Ihre Geliebte zu rächen! Ein angenehmer Nebeneffekt dieser Tat war für Sie, dass Sie als Alleinerbe Ihrer Frau nun das ganze Geld bekommen mussten, denn das Gericht verurteilte Dorit für beide Morde. Dies erreichten Sie dadurch, dass Sie Dorit beide Tatwaffen unterschoben, als Sie sie anlässlich des Mordes an Ihrer Frau besuchten.«

»Aber … wie … haben Sie … herausgefunden, dass ich meine … Frau …?«

»Die Frau von der Reinigung, der Sie ihre blutbespritzten Kleidungsstücke nach dem Mord gaben, hat uns angerufen. Sie glaubte nicht, dass das Blut daran aus einer Wunde stammte, die Sie sich angeblich beim Kartoffelschälen zugezogen hatten, weil diese Wunde ihr zu klein für die Menge an Blut auf Ihren Sachen erschien. Unsere Spurensicherung hat die Sachen aus der Reinigung geholt und festgestellt, dass es sich um das Blut Ihrer Frau handelte. Und so bin ich nun hier, um Sie abzuholen, sinnigerweise am Grab der jungen Frau, um die sich in diesem Fall alles drehte.«

 

Im Präsidium brach Bernd Ginster völlig zusammen und legte ein volles Geständnis ab. Er wanderte lebenslänglich ins Gefängnis, während Dorit Erler freigelassen wurde und die zwei Millionen Euro ihrer Mutter bekam.

(hb)