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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Erster Teil – Fünfunddreißigste Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil

Fünfunddreißigste Erzählung

Von einem ohne menschliches Zutun umherlaufenden Totenkopf

Ein Student von einer Universität, in deren Nachbarschaft vor mehreren Jahren eine Schlacht geliefert worden war, lustwandelte eines Tages auf dem ehemaligen Schlachtfeld und sah einen Bauer, der neben ihm pflügte, mit der Pflugschar einen Totenkopf aus der Erde auswerfen. Dieser Knochen war noch ganz unversehrt und hatte bloß vor der Stirn ein kleines rundes Loch, wodurch wahrscheinlich die Flintenkugel gegangen war, welche den vormaligen Eigentümer des Kopfes getötet hatte. Ein Umstand, der den Studenten bewog, den Schädel sich zuzueignen, ihn zu reinigen, und, der Seltenheit wegen, aufzubewahren.

Er stellte ihn in seinem Schlafgemach auf einen kleinen Tisch vor ein Kruzifix hin, um sich seiner Sterblichkeit dabei zu erinnern.

Seine furchtsame Aufwärterin hatte zwar vieles wider diesen Zierrat seines Nachttisches einzuwenden, allein sie musste sich doch geduldig in den Willen ihres Herrn fügen. Nie ging sie indessen ohne Schauder in diese Kammer. Nie machte sie das Bett ihres Herrn, ohne sich mehrere Male ängstlich nach dem so oft von ihr weggewünschten Totenkopf umzusehen. Diese Ängstlichkeit nahm, wider den gewöhnlichen Gang der Dinge, mit jedem Tag bei ihr zu und stieg aufs Höchste, seitdem sie einmal beim Eintritt in die Kammer zu bemerken glaubte, dass sich der Kopf ein wenig bewege. Zitternd an Händen und Füßen erzählte sie sogleich ihrem Herrn, dass der fatale Kopf sich spukend bewegt und ihr dadurch einen fürchterlichen Schrecken eingejagt habe.

»Das hat sie sich wohl nur eingebildet«, war die ganze Antwort des lächelnden Studenten, welcher glaubte, dass ihre Aussage wohl nur auf einem Irrtum beruhe.

Die Aufwärterin blieb indessen zuversichtlich bei ihrer Erzählung und schwor bei Gott und allen Heiligen, dass sie sich nichts eingebildet habe.

Der Student hingegen schrieb, etwas zu vorschnell, alles auf die Rechnung ihrer schon oft geäußerten Furchtsamkeit vor jenem Kopf. Aber anstatt sie von ihrem Selbstbetrug zu überzeugen, brachte er sie durch Lachen und Spotten bloß zum Stillschweigen.

»Was gilt es«, sagte er unter anderen. »Wäre der spukende Schädel da, nur ein wohl zubereiteter Kalbskopf mit Rosinen, sie würde ihn dann mit lüsternem Wohlbehagen vor sich in der Schüssel liegen sehen!«

Tags darauf, da er von einem Spazierritt zurückkehrte, fand er die dieses Mal unschuldig verspottete Anfwärterin krank und sprachlos im Bett. Niemand erriet, was ihr so plötzlich zugestoßen sein müsse. Indessen gelangte sie mittelst ihrer guten Natur und der angewandten medizinischen Bemühungen bald so viel Bewusstsein und Kräfte wieder, dass sie sich, wiewohl unvollkommen, über das, was ihr widerfahren sei, erklären konnte. Ihre ersten abgebrochenen Worte waren: Der Totenkopf … er lebt … sprang vom Tisch … wollte mich … in den Fuß beißen.«

Der Student ahnte nun, was vorgefallen sein mochte, und eilte sogleich in die Totenkopfkammer. Wirklich fand er den Schädel neben seinem erst zur Hälfte gemachten Bett auf dem Boden liegen. Indessen waren ihm jene Worte der Kranken noch immer gleich unerklärbar, weil sie anzudeuten schienen, dass der Kopf aus eigenem Antrieb vom Tisch herab und zu ihrem Fuß bei dem Bettehingelaufen sei. Er nahm den Kopf von der Erde auf, und legte ihn wieder an seinen gehörigen Ort auf den Tisch. Während dass er mit einigen guten Freunden, die bei ihm waren, noch darüber sprach, fing der Schädel, zum Erstaunen aller Anwesenden, abermals an, sich zu bewegen. Gleich darauf fiel er von dem Tisch herab und rollte wieder zu der Gegend des Bettes hin. Man fuhr schaudernd zusammen und sah bald den spukenden Knochen, bald sich untereinander, mit großen Augen und offenem Mund an, ohne dass man ein Wort hervorzubringen wusste.

Endlich fasste der Herr des Schädels den gescheiten Entschluss, zu untersuchen, ob das Ding wirklich mit dem Bösen zugehe, wovon er sich durchaus nicht überzeugen konnte. Er ergriff am Ende den unsteten Kopf abermals, jedoch diesmal nicht, um ihn wieder auf den Tisch zu setzen, sondern, um ihn genauer zu besichtigen.

Kaum hatte er ihn in Händen, so bemerkte er, dass aus dem Loch vor der Stirn der Schwanz einer großen Maus hervorragte. Natürlich griff er zu und rief lachend aus: »Seht, da habe ich das Gespenst beim Schwanze.«

Man freute sich der entdeckten Täuschung und ging sogleich mit der ungewöhnlichen Mausefalle zur Aufwärterin, um auch sie zu überzeugen, dass nicht ein Geist oder Unhold, sondern ein Mäuschen, sie so tötlich erschreckt habe.

Man zog danach die Maus rückwärts und gewaltsam aus jenem Loch hervor, durch welches sie zwar gemächlich hineingekrochen sein mochte, aber nicht wieder hatte entwischen können, weil der Knochen durch die Gewalt der hineinfahrenden Kugel inwendig ein wenig gesplittert und rau geworden war.

Da der Totenkopf unten am Kinnbacken, worauf er stand, beschädigt war, so stand er an und für sich schon nie recht fest. Die geringste Bewegung der darin verborgenen Maus musste daher einige Bewegung des Kopfes selbst und unter gewissen Umständen sogar dessen Herabfallen an dem Tisch bewirken.

Selbst dle Aufwärterin beruhigte sich wieder und söhnte sich einigermaßen mit dem wunderbaren Schädel aus. Der erschütternde Schrecken, den er mithilfe der Maus ihr eingejagt hatte, ließ indessen einen unauslöschlichen Eindruck bei ihr zurück, und auch das Mäusegeschlecht hatte es nun auf immer ganz mit ihr verdorben.