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Der Welt-Detektiv Band 6

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Interessante Abenteuer unter den Indianern 42

Interessante-Abenteuer-unter-den-IndianernJohn Frost
Interessante Abenteuer unter den Indianern
Erzählungen der merkwürdigsten Begebenheiten in den ersten indianischen Kriegen sowie auch Ereignisse während der neueren indianischen Feindseligkeiten in Mexiko und Texas

Der Prophet der Allegheny

Vor vielen Jahren war ein Missionar auf der Reise von der Tuscarora-Niederlassung zu den Seneca begriffen. Als er in frommen Betrachtungen vertieft, seine Schritte durch einen Wald lenkte, stürzte ein Indianer aus einem der dunklen Schlupfwinkel hervor und hemmte des Wanderers Schritt. Sein Haar war schon teilweise durch das Alter gebleicht und die Zeit hatte tiefe Furchen auf seiner Stirn eingegraben. Doch seine Augen strahlten noch mit wildem, jugendlichem Feuer und sein Schritt war noch fest und stolz, wie der eines Kriegers in voller Manneskraft.

»Weißer des Ozeans, woher kommst du, und wohin geht dein Weg«, fragte der Indianer.

»Ich reise«, war die demütige Antwort des Friedensboten, »zu den Wohnungen deiner Brüder, um sie in der Erkenntnis des wahren Gottes zu unterrichten und ihnen den Weg zur Glückseligkeit und zum Frieden anzudeuten.«

»Zur Glückseligkeit und zum Frieden?«, wiederholte der Häuptling hohnlächelnd, während seine dunklen Augen vor Entrüstung blitzten. »Siehe den Segen, welcher den Tritten der weißen Eindringlinge folgt. Wohin er seine Schritte lenkt, schwinden die Rothäute der Wälder dahin, wie der Morgennebel vor den Strahlen der Sonne. Es gab eine Zeit, wo unser Volk frei durch die Wälder streifte und ungestört den Bären, den Bieber und das Rentier jagte. Von der anderen Seite des großen Wassers kamen die weißen Männer mit Donner und Blitz bewaffnet. Im Krieg hetzten sie uns gleich wilden Tieren; im Frieden zerstörten sie uns mit tötlichen Getränken. Hebe dich hinweg gefährlicher Mann. Möge der große Geist deine Heimreise begünstigen, aber ich rate dir, dich sofort zu entfernen.«

Der Häuptling stürzte sich wieder in das Dunkel der Wälder, doch der gute Missionar, die Drohung des Indianers unberücksichtigt lassend, folgte ruhig seinen Weg.

Er predigte Gottes Wort, er lehrte die Wilden den Namen des Heilandes, und viele Indianer horchten seinen Worten mit Aufmerksamkeit und glaubten ihm. Nach Verlauf von 18 Monaten wurde ihre Verehrung geläuterter, geregelter und, wie der Missionär hoffte, beständiger.

Doch ach, plötzlich blieb die kleine Kirche, worin der gute Mann seiner Herde zu predigen und sie zu belehren gewohnt war, unbesucht. Keiner kam hinfort, den reinen Lehren, welche einst ihr Ohr entzückte, zu lauschen, und nur einige wenige Müßiggänger sah man am Sonntagmorgen umherliegen, einen sehnsüchtigen, doch verzagten Blick auf das friedliche, jetzt verlassene Gebäude werfend.

Der Missionar suchte sie auf und erklärte ihnen die Sünde derer, welche einmal zur reinen Erkenntnis gelangt, die Religion des einzigen wahren Gottes verließen. Die armen Indianer schüttelten ihre Köpfe und sagten ihm, dass der große Geist mit ihnen böse sei und einen Propheten gesandt habe, um sie gegen Annahme neuer Lehren zu warnen. Sie erzählten ferner, dass er bald in ihrer Mitte erscheinen würde, wo er in einer Versammlung der Alten und Weisen des Stammes die Botschaft kundtun wolle, mit welcher der große Geist ihn beauftragt habe. Der eifrige Missionar, begierig, dem Betrüger, den man den Propheten der Allegheny nannte, und der niemand anders war als der Bruder des berühmten Tecumseh, von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten, bat und erhielt die Erlaubnis, bei der Versammlung zugegen zu sein, in welcher entschieden werden sollte, ob sie der Religion ihrer Väter folgen oder die neue Lehre der Weißen annehmen sollten.

Das Beratungshaus war nicht groß genug, um eine solche zahlreiche Volksversammlung aufzunehmen. Die Zusammenkunft wurde desshalb in ein Tal, westlich vom Seneca Lake verlegt. Dieses Tal ist von hohen, majestätischen Bäumen beschattet. An jeder Seite ist es mit steilen, rauen Hügeln eingefasst, während sich ein klarer Fluss zwischen denselben dahinschlängelt. Es war eine Szene, auf die niemand mit Gleichgültigkeit blicken konnte. Auf einer kleinen lieblichen Ebene, am Ufer des Stromes, im Schatten der weitausgebreiteten Zweige einer alten ehrwürdigen Ulme saßen die Häuptlinge und Weisen des Stammes, umgeben von einem Haufen staunender Wilden, die mit Ungeduld den wahren Gott aus den Händen ihrer Weisen zu verlangen schienen. In der Mitte dieses Kreises saß der alte, gebeugte Missionar, seine Hände auf der Brust gefaltet. Sein Haupt war nur von einigen spärlichen, weißen Haaren bedeckt. Als er nun seine Hoffnung strahlenden Augen zum Himmel emporrichtete, schien er mit inbrünstigem Gebet den Gott der Wahrheit anzuflehen, sein ewig heiliges Wort durch den Mund seines Dieners zu verkünden und zu verteidigen.

Mehrere Minuten lang herrschte tiefes Schweigen in dem Tal. Nur das Säuseln des Windes in den Blättern und das Murmeln des Baches waren vernehmbar. Plötzlich wurde das Gemurmel vieler Stimmen in der Menge hörbar, denn der Prophet der Allegheny wurde, einen Hügel herabsteigend, sichtbar. Mit raschen Schritten und feurigem Blick trat er in die Mitte des Kreises. Der Missionar erstaunte, in ihm denselben Häuptling zu sehen, welcher ihn vor zwei Jahren in dem TuscaroraWald angehalten hatte. Dasselbe Hirschfell hing noch von seinen Schultern herab, dasselbe Schlachtbeil war in seiner Hand und derselbe unruhige, unstete Geist blitzte wie damals aus seinen Augen. Er redete die vor Schreck starren Wilden an, und das Tal erzitterte bei dem Klang seiner ehernen Stimme.

»Rote Männer der Wälder! Hört, was der große Geist seinen Kindern, welche ihn verlassen haben, durch meinen Mund verkündet. Es gab eine Zeit, wo unsere Vorväter diese Insel innehatten. Ihr Land reichte von dem Aufgang bis zum Niedergange der Sonne. Der große Geist erschuf es für ihren Gebrauch. Er erschuf das Reh und den Büssel zu ihrer Nahrung, auch den Bieber und Bär schuf er, und ihre Felle dienten uns zur Kleidung. Alle diese Gaben bestimmte er für seine roten Kinder, weil er sie liebte. Doch ein schlimmer Tag kam über uns, die Bleichgesichter kamen über das Wasser und landeten an unserer Insel. Ihre Zahl war nur gering. Sie fanden Freunde und nicht Feinde. Sie erzählten uns, dass sie ihr Vaterland verlassen hatten, um den Verfolgungen böser Menschen zu entgehen und hierher gekommen wären, um ihre Religion befolgen zu können. Wir fühlten Mitleid mit ihrer Lage und räumten ihnen Wohnsitze ein.

Ihre Anzahl vermehrte sich rasch, sie verlangten mehr Land, sie begehrten unser ganzes Land. Sie wollten uns ihre Religion aufzwingen und uns zu ihren Sklaven machen! Rothe Männer der Wälder! Habt ihr nicht zuweilen jene melancholisch dumpfen Klänge vernommen, die am Abend und mitunter in der Stille der Nacht durch die tiefen Täler und an den Gebirgsabhängen dahinschweben? Es sind die Klagen jener Geister, deren Gebeine durch die Pflugschare der Weißen aus ihrer Ruhestätte geworfen und dem Spiel des Windes und des Wetters überlassen worden sind. Sie mahnen euch, sie zu rächen, damit sie in Ruhe ihr gesegnetes Paradies, weit von jenen blauen Hügeln entfernt, genießen können!

Höre mich, o du getäuschtes verführtes Volk zum letzten Mal! Diese weiten, blühenden Regionen waren einst euer Erbteil, doch jetzt ist weder euer Freudengesang noch euer Schlachtruf an den Ufern des majestätischen Hudson und des silbernen Mohawk zu hören. Die östlichen Stämme sind schon längst verschwunden, sogar die Wälder, welche ihnen einst zum Aufenthalt dienten, sind der Art erlegen. Kaum noch eine Spur bleibt von unserer Nation über, als hier und da der indianische Name eines Stromes oder Dorfes. Und dasselbe Schicksal werden früher oder später auch die anderen Stämme teilen. In kurzer Zeit werden sie denselben Weg gehen, den ihre Brüder vor ihnen gegangen sind. Sie werden wie Rauch von der Erde verschwinden. Ihre Geschichte sogar wird in Vergessenheit geraten, und die Plätze, welche sie jetzt kennen, werden sich dann ihrer nicht mehr erinnern. Wir wernen immer weiter zurückgetrieben, bis wir zuletzt nicht weiter können. Unsere Beile sind gebrochen, unsere Bogen schlaff und unsere Feuer erloschen. Nur noch kurze Zeit, und der Weiße wird aufhören uns zu verfolgen, weil wir zu bestehen aufgehört haben werden!«

Der Prophet beendete seine Rede, welche mit aller wilden Beredsamkeit wahrer und eingebildeter Begeisterung gehalten worden war. Auf einmal schien die ganze Menge von einem Gefühl heftiger Entrüstung gegen den guten Missionar aufgeregt zu sein.

Als die Aufregung sich etwas gelegt hatte, erhielt der alte Missionar die Erlaubnis, zugunsten desjenigen zu reden, der ihn gesandt hatte.

Man konnte gewiss keine rührendere und schönere Gestalt als die des guten Mannes erblicken. Er schien bereits die Jahre, welche dem Psalmisten gemäß, dem Menschen zugestanden sind, überschritten zu haben. Obwohl seine Stimme klar und seine Bewegungen noch kräftig waren, so war doch ein gewisses Etwas in seinen Blicken, welches anzudeuten schien, dass seine Pilgrimsreise bald auf immer schließen würde.

Mit frommer Innigkeit beschrieb er seinen Zuhörern die Macht und Wohlthätigkeit des Schöpfers des Weltalls. Er erzählte ihnen von Christus Verheißungen von ewiger Glückseligkeit an diejenigen, welche sein Wort hören und seine Gebote befolgen. Als er glaubte, dass er diesen wichtigen Gegenstand hinlänglich ihrem Geist eingeprägt habe, fuhr er fort, seinen aufmerksamen Zuhörern die zahlreichen Vorteile der Zivilisation auseinanderzusetzen. Er kontrastierte den wilden, in den Wäldern in ungezähmter Unabhängigkeit umherschweifenden Indianer, welcher in dem einen Augenblick in dem Blut seines Feindes schwelge, und im nächsten selber als ein Opfer grausamer Rache falle, mit dem friedlichen Landmann, der im Schoß seiner Familie alle Annehmlichkeiten eines zivilisierten Lebens in diesem glücklichen Land genieße. Er schloss mit einer feierlichen Erklärung zum Himmel, dass der einzige Grund, der ihn veranlasst hatte, unter sie zu kommen, die Liebe zu seinem Schöpfer und seinen Nebenmenschen wäre. Als der uneigennützige Missionar seine Rede beendet hatte, erhob sich Sagouaha (der schlaflose Wächter) oder Red Jucket, wie er gewöhnlich genannt wurde, ein SenecaHäuptling von großem Ansehen und einer der tüchtigsten Redner seiner Nation, und legte seinem Stamm die Ermahnungen des ehrwürdigen Predigers ans Herz. Er verteidigte die Sache der Religion und der Menschlichkeit und schloss seine Rede mit folgenden bemerkenswerten Worten: »Freunde und Brüder! Es war der Wille des großen Geistes, dass wir heute hier zusammenkommen sollten. Er hat den Schleier von der Sonne hinweggezogen und sie in vollem Glanz auf uns scheinen lassen. Unsere Augen sind geöffnet, sodass wir deutlich sehen, unsere Ohren sind aufgetan, sodass wir die guten Worte, welche zu uns gesprochen worden, hören konnten. Für alle diese Gaben gebüre dem großen Geist Dank.«

Die Versammlung beriet sich darauf beinahe zwei Stunden. Nach Verlauf dieser Zeit erhob sich der Älteste von ihnen und verkündete feierlich das Resultat der Beratung: »Dass für die Zukunft sie den Gott der Christen verehren wollten, und dass der Missionar, welcher ihnen die Gesetze des Allmächtigen gelehrt hatte, als ihr größter Wohltäter geehrt werden müsse.« Als dieser Ausspruch von dem würdigen Alten bekannt gemacht wurde, kannte die Wut des Propheten der Allegheny keine Grenzen. Er sprang vom Boden auf, ergriff seinen Tomahawk und, der ganzen Versammlung mit der Rache des großen Geistes drohend, stürzte er mit Ungestüm aus dem Kreis und verschwand im Schatten des Waldes.