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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Skalpjäger – Ein Schweifschuss

Thomas Mayne Reid
Die Skalpjäger

Zweiter Teil
Sechstes Kapitel

Ein Schweifschuss

Ich war in eine Art von Träumerei versunken. Mein Geist beschäftigte sich mit den Ereignissen, von welchen ich soeben Zeuge gewesen war, als eine Stimme, welche ich als die des alten Rube erkannte, mich aus meiner Zerstreuung erweckte.

»Schaut hier, Jungen! Der alte Rube verschwendet kein Blei, aber wenn ich nicht den Schuss des Indianers übertreffe, so mögt Ihr mir die Ohren abschneiden.«

Ein lautes Gelächter begrüßte diese Anspielung des Trappers auf seine Ohren, die, wie wir bemerkt haben, bereits so dicht abgeschnitten waren, dass weder ein Messer noch eine Schere noch etwas daran zu tun vermochte.

»Wie willst du es machen, Rube?«, rief einer von den Jägern. »Wollt Ihr das Ziel von Eurem eigenen Kopf schießen?«

»Ihr sollt es sehen, wenn Ihr warten wollt«, erwiderte Rube, indem er zu dem Baum schritt und eine lange schwere Büchse, welche an denselben gelehnt war, nahm und sie sorgfältig auswischte.

Die Aufmerksamkeit aller wurde jetzt auf die Manöver des alten Trappers gelenkt. Man erschöpfte sich in Vermutungen über seine Pläne. Was konnte er zur Verdunklung des soeben getanen Schusses ausführen? Niemand vermochte es zu erraten.

»Wenn ich ihn nicht übertreffe«, fuhr er murmelnd fort, während er seine Büchse lud, »so könnt Ihr dem alten Rube den kleinen Finger von seiner rechten Pfote schneiden.«

Ein zweites Gelächter erhob sich, da alle wussten, dass ihm gerade dieser Finger fehlte.

»Ja«, fuhr er fort, indem er auf die ihn umgebenden Gesichter blickte. »Ihr mögt mich skalpieren, wenn ich es nicht tue.«

Diese Bemerkung erregte ein abermaliges Gelächter, denn obgleich die Katzenfellmütze tief über seinen Kopf gezogen war, wussten doch alle Anwesenden, dass der alte Rube keinen Skalp mehr besaß.

»Wie wollt Ihr es aber tun? Sagt uns das, Old Nag.«

»Seht Ihr das?«, fragte der Trapper, indem er eine Frucht des Pitahayakaktus, die er soeben abgepflückt und von ihren kleinen Stacheln befreit hatte, in die Höhe hielt.

»Ja, ja!«, riefen mehrere Stimmen.

»Ihr seht es also? Nun, Ihr bemerkt, dass es nicht halb so groß ist, wie der Kürbis des Indianers. Ihr seht das doch auch?«

»O gewiss, jeder Narr müsste das sehen.«

»Nun, was sagt Ihr dazu, wenn ich es auf sechzig Schritte mitten hindurchschieße?«

»Was!«, riefen mehrere, indem sie getäuscht die Achseln zuckten.

»Wenn Ihr es auf eine Stange steckt, so kann es jeder von uns tun, selbst Barney würde es mit seiner alten Muskete herunterschießen können – nicht, Barney?«

»Wahrhaftig, ich könnte es versuchen«, antwortete ein kleiner, auf eine Muskete gestützter Mann, der eine einst himmelblaue zerrissene Uniform trug.

Ich hatte bereits dieses Individuum mit einiger Neugier betrachtet, da mir teils sein eigentümliches Kostüm auffiel, besonders aber wegen der roten Farbe seiner Haare, das röteste, welches ich je gesehen hatte. Es trug die Spuren einer strengen Kasernendisziplin, – das heißt, es war abrasiert worden und wuchs jetzt, kurz und dick und starr und von der Farbe einer abgeschabten Mohrrübe, aus Barneys kleinem runden Kopf.

Es war unmöglich, Barneys Nationalität zu verkennen. Jeder Narr hätte sie erkannt, wie die Trapper zu sagen pflegen.

Was hatte ein solches Individuum an einen solchen Ort gebracht? Ich stellte diese Frage und erhielt bald Aufklärung. Er war Soldat an einem Grenzposten – einer von Onkel Sams Himmelblauen gewesen. Er war des Schweinefleischessens und Riemenputzens in Begleitung eines zu reichlichen Beigeschmacks des Ochsenziemers müde geworden – mit einem Wort, Barney war ein Deserteur. Wie er heißen mochte, weiß ich nicht, aber man nannte ihn O’Cork – Barney O’Cork.

Seine Antwort auf die Frage des Jägers wurde mit Lachen begrüßt.

»Jeder von uns«, fuhr der Trapper fort, »könnte eine Persimone auf diese Weise durchschießen, aber es ist ein mächtiger Unterschied, wenn man durch das Visier ein Mädchen wie jenes sieht.«

»Ihr habt recht«, sagte ein anderer Jäger, »es wird einem dabei ganz sonderbar um die Gelenke zumute.«

»Heilige Muttergottes! War es nicht eine Schönheit?«, rief der kleine Ire mit einem Nachdruck, welcher die Trapper wieder in lautes Gelächter versetzte.

»Pah!«, rief Rube, der jetzt mit Laden fertig war. »Ihr seid eine Bande von kichernden Narren – das seid ihr. Wer hat von einer Squaw palavert? Ich habe ebenso gut, wie der Indianer, eine alte Squaw – sie wird diesem Kind das Ding halten – sie wird es.«

»Eine Squaw – Ihr eine Squaw! Ha, ha, ha!«

»Ja, Old Nag, ich habe eine Squaw, die ich nicht für zwei von seinen eintauschen würde. Ich will mich auf die Beine machen und die Alte holen. Haltet die Mäuler und wartet – wollt Ihr?«

Hiermit schulterte der geräucherte alte Sünder seine Büchse und schritt in den Wald.

Ich sowie mehrere andere, erst in der letzten Zeit Gekommene, welche Rube nicht kannten, begann zu denken, dass er eine alte Frau habe. Es war kein Frauenzimmer in der Nähe des Lagers zu sehen. Vielleicht war sie aber im Wald versteckt. Die Trapper, welche ihn kannten, schienen jedoch zu verstehen, dass der alte Bursche einen besonderen Streich vorhabe und dass dies bei ihm nichts Neues war.

Wir wurden nicht lange in Ungewissheit erhalten. Nach wenigen Minuten sah man Rube zurückkehren und an seiner Seite das alte Weib in Gestalt eines langen, mageren, hochbeinigen Mustangs, der sich bei näherer Besichtigung als eine Stute erwies. Dies war also Rubes Squaw und sie war ihm, mit Ausnahme der Ohren, keineswegs unähnlich. Sie hatte, wie ihre ganze Rasse, lange Ohren – gerade so wie das Tier, auf welchem Don Quixote gegen die Windmühlen Sturm lief. Die langen Ohren gaben ihr ein maultierartiges Aussehen – aber es war nur dem Anschein nach – sie war, wenn man sie aufmerksam untersuchte, ein reiner Mustang. Sie schien früher die gelbliche Farbe, welche bei den mexikanischen Pferden gewöhnlich ist, besessen zu haben. Aber die Zeit und die Narben hatten sie einigermaßen metamorphosiert und an ihrem ganzen Körper, besonders aber am Hals und Kopf, herrschte graues Haar vor. Die letzteren Teile sahen schmutzig gesprenkelt aus. Sie keuchte stark und in regelmäßigen Zwischenräumen von mehreren Minuten erhob sich ihr Rücken mit einem Ruck, als ob sie mit den Hinterbeinen auszuschlagen versuche und es nicht könne. Sie war dünn wie ein Pfosten und trug ihren Kopf unter dem Niveau ihrer Schultern, aber in dem Blinzeln ihres einzigen Auges – denn sie hatte nur eines – lag etwas, welches einem verkündete, dass sie noch auf lange Zeit nicht die Absicht habe, den Geist aufzugeben.

Dies war das alte Weib, welches Rube zu bringen versprochen hatte, und sie wurde, als er sie heranführte, von einem lauten Lachen begrüßt.

»Nun schaut her, Jungs«, sagte er, indem er vor der Menge Halt machte. »Ihr könnt lachen und schnattern und grinsen, bis Ihr Leibschmerzen kriegt – das mögt Ihr – aber dieses Kind wird dem Schuss jenes Indianers den Glanz nehmen – das wird er, oder wenn er es nicht tut, zerplatzen.«

Einige von den Umstehenden bemerkten, dass es wahrscheinlich genug sei, und dass sie nur sehen möchten, auf welche Weise er es tue. Keiner, der den alten Rube kannte, bezweifelte, dass er einer von den allerbesten Schützen im Gebirge und vielleicht dem Indianer vollkommen gleich sei. Aber es war die Art und die Umstände, was dem Schuss des Letzteren solchen Eklat gegeben hatte. Es kam nicht alle Tage vor, dass sich ein schönes Mädchen bereitfinden ließ, sich so dem Feuer auszusetzen, wie es die Squaw getan hatte, und nicht jeder Jäger würde es gewagt haben, auf ein so aufgestelltes Ziel zu feuern. Die Merkwürdigkeit des Schusses lag in seiner Neuheit und Eigentümlichkeit. Die Jäger hatten oft auf ein Ziel gefeuert, welches ein anderer in seiner Hand hielt. Dagegen gab es aber nur wenige, welche Lust gehabt hätten, es auf ihrem Kopf zu tragen. Wie sollte also Rube dem Schuss jenes Indianers den Glanz nehmen? Dies war die Frage, welche ein jeder dem anderen stellte und die endlich an Rube selbst direkt erging.

»Macht Eure Fleischfalle zu«, rief er, »ich werde es Euch zeigen. Erstens seht Ihr alle, dass diese Stachelbirne nicht mehr als halb so groß wie der Kürbis ist.«

»Ja, gewiss«, antworteten mehrere Stimmen.

»Das ist ein Umstand zu seinen Gunsten, nicht wahr?«

»Ja, ja!«

»Nun, hier ist ein zweiter. Der Indianer hat sein Ziel vom Kopf geschossen – dieses Kind wird aber das seine vom Schwanz wegpirschen. Könnte Euer Indianer das tun – He, Jungs?«

»Nein, nein.«

»Übertrifft das ihn, oder nicht?«

»Es übertrifft ihn – ja, das tut es – weit besser – hurra!«, schrien mehrere Stimmen mit gellendem Gelächter.

Kein Einziger widersprach, da die Jäger, denen der Scherz gefiel, gespannt waren, ihn ausführen zu sehen.

Rube hielt sie nicht lange auf. Er ließ seine Büchse in den Händen seines Freundes Garey und führte die alte Stute zu der Stelle, wo das indianische Mädchen gestanden hatte. Hier hielt er an.

Wir alle erwarteten, ihn das Tier mit der Seite zu uns aufstellen zu sehen, wodurch sein Körper aus dem Bereich der Kugel kam. Es zeigte sich aber bald, dass dies nicht die Absicht des alten Burschen war. Es würde das Aussehen der Sache verloren haben, wenn er es getan hätte und diese Idee ging ihm ohne Zweifel im Kopf herum. Er wählte eine Stelle, wo der Boden ein wenig vertieft war, und führte den Mustang vorwärts, bis dessen Vorderfüße in der Höhlung standen. Auf diese Weise war der Schweif höher, als der Körper.

Nachdem er es mit dem Hinterteil gegen das Lager aufgestellt hatte, flüsterte er ihm etwas in die Ohren, ging herum, legte die Birne auf die höchste Kurve des Schweifstumpfes und kam dann langsamen Schrittes zurück.

Ob wohl die Stute stehen blieb?

In dieser Hinsicht war nichts zu befürchten, sie war dazu abgerichtet worden, länger, als jetzt von ihr verlangt wurde, an einer Stelle zu bleiben.

Das Aussehen der alten Stute, von welcher nichts mehr sichtbar war, als die Hinterbeine und Schenkel – denn die Maultiere hatten ihr den Schweif abgenagt – hatte jetzt die Zuschauer – so mit Munterkeit erfüllt, dass die meisten sich die Seiten hielten.

»Haltet Euer Gackern, wollt Ihr?«, sagte Rube, indem er seine Büchse erfasste und seinen Stand nahm.

Das Gelächter wurde unterbrochen, da niemand den Schuss zu stören wünschte.

»Nun, alter Bauchaufreißer, verschwende dein Futter nicht!«, murmelte der Trapper seiner Büchse zu, die er im nächsten Augenblick erhob und an die Wange gelegt hatte.

Kein Einziger bezweifelte, dass Rube den Gegenstand, auf welchen er zielte, treffen würde. Es war ein Schuss, welcher häufig von den westlichen Büchsenschützen getan wurde – das heißt, ein Schuss auf ein Ziel von derselben Größe, in sechzig Schritt Entfernung. Ohne Zweifel würde Rube es getan haben, aber gerade in dem Augenblick, wo er abdrückte, erhob sich der Rücken der Stute zu einem von ihren periodischen Rucken und die Pitahaya fiel auf den Boden.

Die Kugel war aber bereits unterwegs streifte die Schulter des Tieres und ging durch eines von seinen Ohren.

Die Richtung wurde erst später bekannt, aber ihre Wirkung zeigte sich augenblicklich, denn die an ihrer reizbaren Stelle verwundete Stute, stieß ein halb menschliches Kreischen aus, schwankte und kam unter stetem Ausschlagen direkt in das Lager gesprungen.

Das laute Gelächter und Geschrei der Trapper – die eigentümlichen Ausrufe der Indianer – das Vaya und Viva der Mexikaner – das wilde Fluchen des alten Rube selbst – alles dies zusammen bildete ein Gemisch aus Tönen, von welchem meine Feder keine Idee zu geben vermag.