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Der Geldbrief

Paul Rosenhayn
Elf Abenteuer des Joe Jenkins
Der Geldbrief

»Ich habe Sie bitten lassen, Mr. Joe Jenkins, weil ich in einer mir unerklärlichen Angelegenheit Ihren Rat haben möchte.«

Mr. Jenkins, der Detektiv, sah sich aufmerksam in dem eleganten Privatkontor des Bankiers um. Er konstatierte mit Befriedigung, dass das Zimmer mit vornehmer Einfachheit ausgestattet war und in jeder Einzelheit den reichen und geschmackvollen Besitzer verriet.

»Ich hörte, dass Sie auf Ihrer Reise durch Europa in Paris Station gemacht haben. Und da war, nach dem Vorgefallenen, mein erster Gedanke der: Hier kann nur Mr. Jenkins helfen«, begann der Bankier von Neuem.

»Sie sind bestohlen worden, Herr Dufayel?«

»Ja. Und zwar auf eine völlig rätselhafte Weise. Ein Geldbrief mit 53.000 Frank ist geöffnet und seines Inhalts beraubt worden. Die Siegel sind unverletzt, und doch ist das Geld fort.«

»Wer hat den Brief gesiegelt?«

»Ich selbst. Ich habe ihn auch persönlich zur Post gebracht. Als der Brief zwei Tage später in London zur Ablieferung gelangte und in Gegenwart des Postbeamten geöffnet wurde, lag statt des Geldes eine Zeitung in dem Brief.«

»Ich muss Sie bitten, Herr Dufayel, mir über einige Punkte Auskunft zu geben.«

»Ich stehe zu Ihrer Verfügung. Aber wollen Sie nicht Platz nehmen?«

Der Detektiv ließ sich in dem Sessel nieder, der in der Nähe des Kamins stand, und legte gemächlich die Beine übereinander.

»Rauchen Sie?«

»Danke, ja.« Mr. Jenkins nahm aus der dargebotenen Importenkiste eine Henry Clay und fragte, indem er die Banderole löste und die Spitze abschnitt: »Besitzen Sie das Kuvert des Geldbriefs?«

»Ja. Hier ist es.« Der Bankier entnahm seiner Brieftasche einen gelben Unischlag und überreichte ihn dem Detektiv, der prüfend die Aufschrift betrachtete.

»Wer hat dies Kuvert geschrieben?«

»Ich selbst!«

»Wann haben Sie den Geldbrief abgesandt?«

»Am 21. Januar.«

»Wissen Sie die Tageszeit?«

»Ja. Es war um 7 Uhr abends.«

»Sie selbst haben das Geld hineingelegt, den Brief gesiegelt und ihn dann zur Post gebracht?«

»Ja. Mein Chauffeur erwartete mich unten im Auto, um mich in die Oper zu fahren. Unterwegs ließ ich vor dem kleinen Postamt der Rue de Sentier halten und gab den Geldbrief auf.«

»Ist Ihnen«, fragte der Detektiv zögernd, »irgendetwas aufgefallen, während Sie den Geldbrief postfertig machten?«

Der Bankier schüttelte den Kopf. »Eine Kleinigkeit …«, begann er zögernd.

»Erzählen Sie!«

»Als ich den Brief siegeln wollte, fehlte der Siegellack. Ich selbst hatte am Tage zuvor eine Stange neben mich auf meinen Schreibtisch gelegt. Sie war fort.«

»Hat sich diese Stange Siegellack später wieder angefunden?«

»Nein.«

»Was taten Sie, um den Brief siegeln zu können? Verließen Sie das Privatkontor?«

»Ich trat einen Augenblick in das Hauptkontor, blieb aber in der Tür stehen. Hier ließ ich mir von dem Lehrling ein anderes Stück Siegellack geben und kehrte dann sofort in das Privatbüro zurück, wo ich den Brief siegelte.«

»Wäre es möglich, Herr Dufayel, dass während dieser kurzen Unterbrechung jemand Ihr Zimmer betreten hat?«

»Nein. Es ist ausgeschlossen«, antwortete der Bankier.

»Der Brief ist ohne Zweifel umgetauscht worden. Dieser Umtausch hat mit ziemlicher Sicherheit in dem Augenblick stattgefunden, in dem Sie das Privatkontor verließen.«

»Das hätte ich sicher sofort bemerkt. Auch kenne ich natürlich meine Handschrift.« Der Detektiv erhob sich und trat ans Fenster, dessen Stores und Vorhänge zugezogen waren und fast bis auf den Parkettboden herniederreichten.

»Wie ist Ihre persönliche Arbeitszeit, Herr Dufayel?«

»Ich pflege von zehn bis zwei und von sechs bis halb acht Uhr hier zu sein.«

»Ich danke Ihnen. Dieses Zimmer hat, wie ich sehe, einen separaten Zugang vom Korridor. Wer hat außer Ihnen einen Schlüssel dazu?«

»Nur meine Frau.«

Der Detektiv sah einen Augenblick zu Boden und fragte dann langsam: »Wo war Ihre Frau an dem betreffenden Abend?«

»Sie erwartete mich in der Oper.«

»Ich möchte Ihr Personal kennenlernen. Aus wieviel Personen besteht es?«

»Ich habe sechs Buchhalter, zwei Korrespondenten, drei Schreibmaschinendamen und einen Lehrling. Außerdem meinen Prokuristen, Herrn Valois. Aber dieser kommt nicht infrage.«

»Warum nicht?«

»Er war an dem betreffenden Tage geschäftlich verreist, nach Rouen, und hat erst gestern Abend seine Reise auf meinen Wunsch unterbrochen.«

»Wie lange ist er in Ihrem Haus?«

»Seit sechs Jahren.«

»Ist er tüchtig?«

»Außerordentlich. Übrigens muss er sofort kommen, um mir die Briefe zur Unterschrift zu bringen. Ich werde Sie mit ihm bekanntmachen.«

Der Bankier stand auf, öffnete die Tür zum Hauptkontor und fragte: »Ist die Post fertig?«

»Sofort, Herr Dufayel.« Fast unmittelbar hinter dem zurückgekehrten Chef trat ein Herr in der Mitte der Dreißig ein. Mit einer leichten Verbeugung legte er einen Stoß Briefe auf den Schreibtisch des Bankiers und sagte in höflichem Ton erklärend: »Ich wollte Sie nicht stören.«

Er wollte sich eben wieder zurückziehen, als der Bankier vorstellte: »Dies ist Mr. Joe Jenkins, der berühmte Detektiv. Er ist gekommen, um Licht in unsere dunkle Geldbriefangelegenheit zu bringen.«

Der Prokurist ging auf den Amerikaner zu, schüttelte ihm die Hand und sagte mit offenem Lächeln: »Erfreut, Sie zu sehen, Mr. Jenkins. Die Geschichte ist sehr fatal. Es ist schade, dass ich an jenem Tag nicht in Paris war, sonst wäre das alles vielleicht nicht passiert.«

»Wie ich höre, Herr Valois, waren Sie verreist?«

»Ja. Ich war in Rouen.«

»Ah, in Rouen. Ich kenne es. Es ist eine sehr schöne, altertümliche Stadt. Ich habe dort mal vierzehn Tage gewohnt, vor zwei Jahren. Im Hotel du Lion d’Or. Es ist wohl das einzige gute Hotel, das die Stadt hat?«

»Sie irren sich, Mr. Jenkins«, erwiderte Herr Valois mit höflichem Lächeln. »Rouen hat inzwischen weit bessere Hotels mit allem Komfort der Neuzeit erhalten.

Ich wohne zum Beispiel im Hotel de l’Abondance, und ich kann es Ihnen sehr empfehlen.«

»Sehr freundlich, Herr Valois. Ich werde es mir merken. Herr Dufayel, Ihr Chef, hat mir viel Lobendes von Ihnen erzählt. Es ist in der Tat bedauerlich, dass Sie an jenem Tag abwesend waren. Sie besorgen das Reisegeschäft?«

»Ja«, sagte der Prokurist mit seinem gewissen Stolz, »Herr Dufayel hat mir den Besuch unserer auswärtigen Klienten überlassen.«

»Es muss für Ihre Frau Gemahlin nicht angenehm sein, Herr Valois, ihren Gatten so häufig entbehren zu müssen!«

Die beiden Herren lächelten.

»Herr Valois ist Junggeselle«, erläuterte Herr Dufayel.

»Ah, das ist etwas anderes!«, sagte Mr. Jenkins, gleichfalls lächelnd. »Ich bitte um Entschuldigung. Sie sehen, auch ein Detektiv kann sich irren!« Er erhob sich. »Sie gestatten wohl, dass ich dieses Kuvert an mich nehme? Und noch eins. Ich möchte einen Blick aus jenem Fenster tun.«

Er schritt auf das Fenster zu, zog die Vorhänge und die Gardinen auf und sah auf die ziemlich stille Straße hinab. Dann öffnete er das Fenster einen Augenblick, sah sich um und machte es sofort wieder zu.

»Von der Straße ist der Täter nicht gekommen«, erklärte er, halb zu sich selbst, »die Mauer ist vollständig glatt, und die Etage liegt verhältnismäßig hoch. Es bleibt also nur übrig, anzunehmen … Hallo – was ist das?« Er zog eine Taschenlaterne und ließ den Strahl auf das schwarz marmorne Fensterbrett fallen, auf das er sich niedergebeugt hatte. Die beiden Herren traten eiligst hinzu und erkannten auf den ersten Blick den Abdruck von zwei Füßen. Jemand hatte auf dem Fensterbrett gestanden.

Herr Dufayel starrte einen Augenblick wortlos auf die Fußspuren und sagte dann mit merkwürdig zitternder Stimme: »Fast könnte man glauben, es wäre der Fuß eines Kindes, so klein ist er.«

»Nein,« sagte Mr. Jenkins langsam, während er einen Block aus der Tasche zog und die Spur darauf abdrückte. »Es ist kein Kinderfuß. Es ist der Fuß einer Frau.«

Er faltete das Blatt mit der Zeichnung sorgfältig zusammen. »Ich möchte noch um verschiedene Einzelheiten bitten, die indessen verhältnismäßig unwichtig sind. Ich möchte daher Sie, Herr Dufayel, nicht damit behelligen. Vielleicht würde Ihr Prokurist, Herr Valois, die Güte haben, mir außerhalb der Geschäftszeit eine Stunde zur Verfügung zu stehen?«

»Mit Vergnügen«, erwiderte der Angeredete verbindlich. »Ich werde gern alles tun, was irgendwie dazu dienen kann, Licht in diese Sache zu bringen, die immer unerklärlicher wird.«

»Vielleicht hat Herr Valois die Liebenswürdigkeit, mich am Donnerstagabend um halb sieben in meiner Wohnung zu besuchen? Ich wohne 31, Avenue Wagram.«

»Ich werde nicht verfehlen.«

»Und wann werde ich das Vergnügen haben, Sie wieder bei mir zu sehen?«, fragte Herr Dufayel.

Der Detektiv dachte einen Moment nach. »Wir haben heute Dienstag. Erwarten Sie mich übermorgen, Donnerstagabend, um halb acht.«

Mr. Joe Jenkins schüttelte dem Bankier die Hand und wollte auf dem Weg durch das Hauptkontor das Bankgeschäft verlassen.

»Sie können es bequemer haben«, sagte Herr Dufayel lächelnd und schloss die Separattür auf, die direkt auf den Korridor führte. Der Bankier geleitete seinen Gast höflich an die Haustür.

»Noch eins, Herr Dufayel«, begann Mr. Jenkins, »ich möchte Sie bitten, mir heute Abend eine Liste mit den Namen und Adressen Ihres gesamten Personals zugehen zu lassen, sodass ich sie morgen mit erster Post in meinem Besitz habe.«

»Sehr wohl. Glauben Sie, Aussichten zu haben, den Täter zu ermitteln?«

»Ich denke, ihn Ihnen am Donnerstag zu liefern. Adieu.«

In diesem Moment wurde von außen die Korridortür geöffnet, und auf der Schwelle stand eine distinguiert aussehende junge Dame.

Die Züge des Bankiers erhielten einen strahlenden Ausdruck. »Meine Frau«, sagte er. »Dies ist Mr. Joe Jenkins. Er ist im Begriff, den Dieb des Geldbriefs ausfindig zu machen.«

Die junge Dame, die, wie der Detektiv bemerkte, sehr schön war, warf einen etwas spöttischen Blick auf Mr. Jenkins und sagte: »Ich fürchte, mein Herr, Sie werden sich vergeblich bemühen. Nach allem, was ich von dem Fall gehört habe, ist der Brief nicht hier in Paris, sondern unterwegs seines Inhalts beraubt worden.«

»Sie irren, meine Gnädigste«, erwiderte der Angeredete in ruhigem Ton. »Der Diebstahl ist hier geschehen, im Privatkontor Ihres Gatten.«

»Aber kein Fremder hat einen Schlüssel zu diesem Zimmer.«

»Und doch ist der Brief von jemandem genommen und durch einen ganz gleichen ersetzt worden, der einen Schlüssel zu diesem Zimmer hatte.«

»Soviel ich weiß, besitze außer meinem Mann nur ich einen Schlüssel zu diesem Privatkontor. Schließlich werden Sie noch behaupten, ich hätte das Geld gestohlen!«

»Ich behaupte nie etwas, was ich nicht beweisen kann«, erwiderte Mr. Jenkins langsam. »Ich habe Ihrem Gatten versprochen, ihm übermorgen Abend den Täter zu bringen.«

»Ich wünsche Ihnen viel Glück dazu«, sagte Madame Dufayel spottend, »und wenn Sie den Täter haben, so halten Sie ihn fest.«

»Es ist kein Täter«, sagte Mr. Jenkins ruhig, »es ist eine Täterin.«

Der Detektiv schritt langsam die Treppe hinunter und winkte, auf der Straße angelangt, ein vorüberfahrendes Auto heran. »Zum Orléans-Bahnhof!«

 

***

 

Es war am Donnerstagabend, als Herr Dufayel nachdenklich in seinem Privatkontor saß. Von Mr. Jenkins hatte er während dieser Zeit nichts gehört. Würde er sein Versprechen halten? Würde er ihm heute Abend den Täter bringen? Der Bankier konnte sich eines unbehaglichen Gefühls nicht erwehren, als er sich diese Frage vorlegte. Immer wieder musste er an die Unterhaltung denken, die Mr. Jenkins in der Haustür mit seiner Frau gehabt hatte. Während er, den Kopf in die Hand gestützt, dasaß, hörte er die Entreetür gehen. Einen Augenblick später klopfte es an seinem Privatkontor, und auf sein »Herein« traten Mr. Jenkins und Herr Valois ein.

»Treten Sie näher, meine Herren.« Mr. Jenkins trat auf den Schreibtisch zu, an dem Herr Dufayel saß, während Herr Valois bescheiden in der Nähe der Tür blieb.

»Nun, Mr. Jenkins«, begann Herr Dufayel, »haben Sie den Dieb entdeckt?«

»Ja.«

Der Bankier lächelte. »Sie scheinen sich nicht mehr Ihres Versprechens zu entsinnen, Mr. Jenkins. Sie wollten mir heute Abend den Dieb bringen« –

»Ich habe ihn gebracht.«

Der Bankier sah sich erstaunt im Zimmer um. »Wo ist der Täter?«

»In diesem Zimmer!«

Mit einem Ruck sprang der Bankier auf die Füße und starrte seinen Prokuristen an, der blitzschnell die Hand auf den Türgriff legte.

»Geben Sie sich keine Mühe, Herr Valois«, sagte Mr. Jenkins ruhig. »Das Haus ist umstellt. Sowie Sie unten erscheinen, werden Sie verhaftet. Ihre Helfershelferin, Mademoiselle Fleury vom Varieté Diana, sitzt bereits mit zweien meiner Agenten unten im Automobil.«

Mr. Jenkins öffnete das Fenster, was ein verabredetes Zeichen zu sein schien, denn gleich darauf erschienen zwei seiner Assistenten, denen er den Auftrag gab, Herrn Valois in den Wagen zu bringen. Der Prokurist leistete keinen Widerstand.

»Fassen Sie sich, Herr Dufayel«, sagte Mr. Jenkins zu dem Bankier, als die beiden allein waren. »Diese Lösung ist noch eine verhältnismäßig erfreuliche.«

»Sie haben recht«, murmelte der Bankier und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Aber sagen Sie mir das eine: Wie haben Sie das herausgebracht?«

»Ich hatte im Anfang zwei Spuren«, erwiderte der Detektiv, indem er sich behaglich in den Sessel lehnte. »Die eine führte zu Herrn Valois, die andere – die andere führte zu einer anderen Person.«

»Und wie kamen Sie zuerst auf den Verdacht, Herr Valois sei der Täter?«

»Durch das Fehlen des Siegellacks. Offenbar war er nur darum fortgenommen worden, damit Sie gezwungen waren, Ihr Privatkontor einen Augenblick zu verlassen, um Ersatz zu beschaffen. In dem Moment, in dem Sie hinausgingen, ist der Täter dann hinzugesprungen und hat den Geldbrief, der auf Ihrem Schreibtisch lag, blitzschnell mit einem genau gleichen vertauscht. Richtiger gesagt, die Täterin, denn es war eine Dame, die Freundin und Helfershelferin des Herrn Valois, eben Fräulein Fleury.«

»Danach müsste aber die Täterin während der ganzen Zeit hier im Zimmer gewesen sein.«

»Allerdings. Die Diebin hat zwei Stunden auf dem Fensterbrett hinter den Gardinen gestanden.«

»Wie aber ist sie hereingekommen?«

»Sie sagten mir, dass Sie um sechs Uhr ins Büro zu kommen pflegten. Das war natürlich Ihrem Prokuristen bekannt, und seine Freundin ist daher kurz vor sechs Uhr hier eingedrungen. Mit einem Nachschlüssel hat Fräulein Fleury die Tür aufgeschlossen und sich dann auf ihren Beobachtungsposten begeben.«

»Aber die Handschrift ist doch meine eigene?«

»Sie irren. Herrn Valois war bekannt, dass Sie am 21. Januar den Betrag von 53.000 Franc nach London schicken würden. Er hat mit bewundernswürdiger Geschicklichkeit ein Kuvert präpariert, das eine der Ihren täuschend nachgebildete Handschrift trug. Dies hat Fräulein Fleury bereitgehalten und dann den Umtausch vorgenommen.«

»Warum hat die Diebin nicht einfach das Kuvert mit dem Geld an sich genommen?«

»Hätten Sie bei Ihrer Rückkehr die Entdeckung gemacht, dass der Geldbrief verschwunden sei, so hätten Sie unverzüglich das Kontor durchsuchen lassen, und man hätte ohne Zweifel die Täterin hinter der Gardine entdeckt.«

»Allerdings. Und Herr Valois? Ich glaubte ihn in Rouen!«

»Er war auch in Rouen, und zwar nicht allein.«

»Nicht allein?«

»Ich bin vorgestern Abend um 8 Uhr 14 nach Rouen gefahren, bin im Hotel de l’Abondance abgestiegen und habe festgestellt, dass Herr Valois dort mit seiner Frau gewohnt hat.«

»Mit seiner Frau?«

»Nun … was man so nennt. Mit seiner Freundin, Madame Fleury, wie ich später herausgebracht habe. Ich habe weiter festgestellt, dass Fräulein Fleury am 21. Januar mittags 12 Uhr 26 nach Paris gefahren und noch in der gleichen Nacht zurückgekehrt ist. Man hat in der Nacht eine erregte Unterhaltung zwischen den beiden Eheleuten gehört.«

»Streit um die Beute!«, sagte Herr Dufayel.

»Wahrscheinlich. Fräulein Fleury scheint überhaupt eine artige Dame zu sein. Herr Valois hat sich ihretwegen ruiniert.«

»Und woher wissen Sie das alles, Mr. Joe Jenkins?«

Der Detektiv lächelte und fuhr fort: »Ich bin dann sofort nach meiner Rückkehr in die Wohnung des Herrn Valois gefahren. Sobald ich von Rouen zurück war, suchte ich, als Schuster verkleidet, die Behausung des Herrn Valois auf. Ich hatte ein Paar Damenstiefelchen mitgenommen und behauptete, Herr Valois habe diese für seine Frau bestellt. Es gelang mir schließlich, von der misstrauischen Haushälterin zu erfahren, dass Herr Valois eine Freundin habe, der er in der Avenue de la Grande Armée eine Wohnung gemietet habe.

Für diese seien wahrscheinlich die Stiefel bestimmt. Ich eilte also in die Avenue de la Grande Armée und fand eine Wohnung vor, die an Miete allein ungefähr so viel kostet, wie Herr Valois bei Ihnen jährlich verdienen dürfte. Mademoiselle Fleury war abwesend, in der Probe, was mir sehr angenehm war. Ich ließ mir von dem Kammermädchen ein Paar Stiefelchen von Madame geben. Als ich sie mit dem Abdruck der Fußspur verglich, war jeder Zweifel ausgeschlossen.«

Es klingelte. Der Bankier erhob sich. »Es ist meine Frau«, erklärte er. »Sie wird von Ihrem Erfolg außerordentlich überrascht sein.«

»Ich möchte nicht stören«, entgegnete Mr. Jenkins. »Haben Sie die Güte, mich Madame Dufayel zu empfehlen. Sie lassen mich wohl durch den anderen Ausgang hinaus.«

»Erwarten Sie also morgen früh meinen Scheck, und empfangen Sie meinen Dank.«