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Das Böse ist weiblich – jedenfalls in Japan

Das Böse ist weiblich – jedenfalls in Japan
J-Horror und was dahinter steckt

Was ist J-Horror?

Japanische Horrorfilme sind eigentlich nichts Neues. Oder doch? Horrorfilme aus Japan bedienten schon immer zwei Extreme: die reine Ästhetik und äußerste Brutalität. Mit dem Film Kwaidan aus dem Jahr 1964 schuf Regisseur Masaki Kobayashi ein Paradebeispiel für die Ästhetik des Horrorfilmgenres. Dagegen dürften die Guinea-Pig-Filme (1985-1992) ein Beispiel für die verstörenden Elemente des japanischen Horrorkinos sein.

Ende der 90er Jahre geschah jedoch etwas, das das japanische Horrorkino radikal verändern sollte. 1998 kam ein Film in die japanischen Kinos, dessen Erfolg bis heute Wellen schlägt. Ringu lautete der Titel und zog die Zuschauer in Massen an. Interessant hierbei: Der gleichnamige Roman von Koji Suzuki, auf dem der Film basiert, wurde davor bereits dreimal verfilmt (darunter auch eine Softpornoversion), die aber allesamt floppten. Erst die Kinoversion von Hideo Nakata sorgte für Furore und beeinflusste sogar die Ästhetik des Hollywoodkinos.

Man muss hierbei zusätzlich Folgendes erwähnen: Durch die asiatische Wirtschaftskrise, die Ende der 90er Jahre wütete, waren auch die japanischen Lichtspielhäuser und Produktionsfirmen betroffen. Viele Firmen gingen pleite oder standen vor dem Bankrott. Genau in diese Phase wurde einer Low-Budget-Produktion grünes Licht gegeben, in der es um eine unheimliche Frau geht, die diejenigen heimsucht, die wenige Tage zuvor ein seltsames Video gesehen haben. Der Filmhistoriker David Kalat meint, dass der Erfolg von Ringu die japanische Filmbranche vor dem Ruin rettete. Die Folge dieser Produktion waren nicht nur ein Sequel und ein Prequel oder ein südkoreanisches Remake sowie ein Remake aus Hollywood. Die Folge war viel weitgreifender. Ring, so der internationale Titel, führte nämlich zu einer ganzen Reihe ähnlich konzipierter Horrorfilme, die man unter den Begriff J-Horror fasst. Somit wurde mit Ring zugleich ein neues Genre gegründet, das nicht nur in Japan beliebt war, sondern die japanische Filmbranche verstärkt international sichtbar machte. Was aber ist so besonders an diesen Filmen? Und welche sozialen und kulturellen Aspekte beinhalten sie? Mit diesen Fragen wollen wir uns im Folgenden beschäftigen.

Alles Frauen oder was?

Bei der Sichtung moderner japanischer Horrorfilme, sogenannter J-Horror-Filme, fällt eines auf: Das Geschlecht des Bösen ist stets weiblich. In Ring ist es eine Frau, die aus dem Fernseher kriecht, um sich ihre Opfer zu holen. In Audition sucht eine Frau einen Mann heim, indem sie ihm eine etwas andere Akupunktur inklusive Fußabtrennung verabreicht. In Hypnosis (1999) ist es ebenfalls eine Frau, die sich nach einer Hypnose (der Titel sagt alles) in einen Dämon verwandelt. In Ju-On kriecht ein weibliches Ungeheuer die düstere Treppe eines Spukhauses hinunter (der Junge ist eigentlich nur Beiwerk). Weitere Beispiele finden sich in Filmen wie Inugami (2001), in dem es Frauen sind, denen die Aufgabe obliegt, Geister in ihrem Bann zu halten und die daher als böse bzw. gefährlich angesehen werden, Shikoku, in dem auf einer Insel ein weiblicher Geist lebt, der sich an seinen Peinigern rächen will, oder ISOLA (2000), in dem ein weiblicher Teenager aufgrund eines Experiments unter einer Persönlichkeitsspaltung leidet.

Anders sieht es im westlichen Genrekino aus, wo das Böse im Normalfall männlichen Schauspielern vorbehalten ist. Ob Vampir, Untoter, Kannibale oder Werwolf, die Rolle des Antagonisten wird (außer bei Vampiren) so gut wie immer männlich besetzt. Die Frau steht meistens auf der Seite des Guten und kämpft als Final Girl gegen das Böse.

Nimmt man diesen Aspekt unter die Lupe, so ergibt sich eine kulturell bedingte Dichotomie, welche auf diese Weise in Japan nicht auffindbar ist. In westlichen Horrorfilmen werden in der Regel Gegensätze gegenübergestellt, wie zum Beispiel Licht und Schatten, Mann und Frau, Tod und Geburt. Da der Tod einen durchweg männlichen Charakter besitzt, bekommt sein Gegenpart, die Geburt, eine weibliche Verkörperung. So gesehen besitzt das Final Girl der modernen westlichen Horrorfilme einen durchweg mütterlichen Charakter. Sie beschützt uns – die Zuschauer – vor dem Bösen und vernichtet dieses in letzter Konsequenz. Dadurch erschafft sie in gewisser Weise die Welt neu, indem sie einen Konflikt, der bisher das Weltbild geprägt hat, beseitigt. In dieser neuen Situation ist die zu Beginn des jeweiligen Films dargestellte Dichotomie aufgelöst. Auch wenn das Böse, wie in vielen Filmen, am Ende nochmals in Erscheinung tritt, um dadurch den Zuschauer noch einen Schrecken mit nach Hause zu geben, existiert der Konflikt zwischen bisherigem Protagonist und Antagonist nicht mehr. Das Böse zieht weiter an einen anderen Ort, um dort in einer Fortsetzung erneut für Unruhe zu sorgen.

In Japan existiert diese konkrete Gegenüberstellung nicht. Natürlich finden wir auch in J-Horrorfilmen eine gewisse Dichotomie. Diese variiert allerdings von der westlichen. Es gibt Filme, in denen Männer – als Symbol für die Aufrechterhaltung der Ordnung – den Frauen – als Symbol für Veränderung – gegenübergestellt werden. Diese finden wir zum Beispiel in Audition. In einem Großteil der Filme sehen wir aber eine geschlechtlich undifferenzierte Rollenverteilung. Eine Frau steht einer anderen Frau gegenüber. Der Mann, welcher der weiblichen Protagonistin Hilfestellung leistet, spielt hierbei eine eher untergeordnete Rolle.

Die kulturellen Hintergründe von J-Horror

Dieser Aspekt besitzt seinen Ursprung in japanischen Mangas. Die dortigen Protagonisten sind in der Regel weiblich. Sie müssen sich bestimmten Gefahren stellen, bis sie letztendlich als Sieger hervorgehen. In Mangas haben die Darstellungen von Frauen und insbesondere weiblicher Helden einen grundlegenden sexuellen Charakter. Sie treten zum Beispiel in Form erotisierter Schulmädchen auf, auch wenn sie als weitgehend älter eingestuft werden. Damit zielen sie auf ein männliches Publikum ab bzw. vermitteln eine eindeutig männliche Perspektive und visualisieren das Wunschdenken vieler männlicher Leser in Japan. Die Frau unterliegt zwar nicht dem Bösen, dafür aber dem männlichen Blick. Was zunächst als eine Form von Emanzipation wirkt, da ja die Frau die Rolle des Helden übernimmt, stellt sich letzten Endes als eine in ihre Schranken gewiesene Weiblichkeit dar, deren Verhalten unter der Kontrolle des Patriarchats steht. Diese Form der Darstellung wird in vielen J-Horrorfilmen übernommen. Die weiblichen Hauptfiguren teilen daher ein sehr ähnliches Schicksal wie ihre Kolleginnen in den japanischen Comics. Dem Patriarchat untergeordnet, können sie innerhalb eines Rahmens selbständig agieren. Figuren, die aus dieser Eingrenzung aber ausbrechen, werden als feindlich und böse charakterisiert, da sie der traditionellen patriarchalen Ordnung Schaden zufügen, indem sie diese infrage stellen. Diejenigen, welche sich der traditionellen Ordnung entgegenstellen, werden als Antagonisten gebrandmarkt. Es sind in der Regel weibliche Geister, sogenannte Fuchsfrauen oder Fuchsgeister, die im Sinne der japanischen Folklore in weißer Kleidung und langen schwarzen Haaren erscheinen.

Das moderne japanische Genrekino bietet im Gegensatz zum westlichen Horrorfilm keine große Variationsbreite im Darstellen von bösen Geistern. In Hollywoodfilmen oder europäischen Horrorstreifen treten u. a. Geister, Hexen, Zombies, Werwölfe, Monster, Maschinen, Tiere sowie Serienmörder in Aktion. Die Differenzierung der einzelnen Typen bleibt nicht bei den genannten Erscheinungen stehen. So werden zum Beispiel Serienmörder weiter kategorisiert, was zu einer unterschiedlichen Darstellung und Charakteristik der einzelnen Figuren führt. Unser Freund Norman Bates unterscheidet sich sowohl von seinem Äußeren als auch durch seine Eigenschaften, die ihn zu einer bestimmten Figur machen, von seinen Kollegen Freddy Krüger, Michael Myers oder Jason. Da wir es hier mit sogenannten Franchize-Produkten zu tun haben, sind natürlich Ähnlichkeiten nicht zu übersehen. Besonders Jason und Myers, die sich beide hinter einer weißen Maske verstecken, weisen gewisse Gemeinsamkeiten auf. Gegenüber den Erscheinungen, in denen sich das Böse in J-Horrorfilmen zu erkennen gibt, sind allerdings auch diese Aspekte überaus differenziert.

Die Auftritte japanischer Geister ähneln dagegen einander stark. Wie oben erwähnt, wird das Böse von einer Frau mit langen schwarzen Haaren in einem weißen Kleid verkörpert. Aber wieso ausgerechnet auf diese Weise? Dieses Phänomen hat traditionell-volkstümliche Hintergründe, werden doch in alten japanischen – übrigens auch in koreanischen und chinesischen – Geistergeschichten die Heimsuchenden sehr oft als solche Frauen beschrieben. Im fernöstlichen Volksglauben spricht man von sogenannten Fuchsfrauen oder auch Fuchsgeistern. Sie sind eigentlich Dämonen oder böse Geister, die sich den Menschen in der Gestalt einer Frau zeigen.

Dieses traditionelle Element der japanischen Schauergeschichte ist also zum festen Bestandteil des modernen japanischen Horrorfilms geworden. Dabei ist die Kleidung der unheimlichen Protagonistinnen nicht zufällig gewählt. Das weiße Kleid oder das weiße Gewand ist in der japanischen Kultur (wie auch in den Kulturen Chinas und Koreas) ein Zeichen von Trauer. Das bedeutet, dass die Figuren nicht einfach Böses tun, weil sie nun einmal böse sind, sondern sie wurden böse aufgrund eines tragischen Schicksals.

Das heißt, in ihrem früheren Leben wurden diese Frauen gequält oder misshandelt. Diese Misshandlungen führten letztendlich zu ihrem Tod. In der Regel erfährt zu ihren Lebzeiten niemand von ihrem schrecklichen Schicksal. Die Tat wird vertuscht und somit bleibt die Schuld ungesühnt. Auch hier zeigt sich eindeutig der Einfluss der patriarchalen Gesellschaft. Das Verschwinden oder der plötzliche Tod einer Frau (jedenfalls in den Filmen, mit denen wir uns gerade beschäftigen) wird nicht weiter untersucht. Der Übeltäter kommt davon, da niemand von seiner Tat erfährt. Erst Jahre später werden durch Zufall Personen auf einen solchen Fall aufmerksam und untersuchen ihn. Im Normalfall geschieht dies in Form einer sogenannten urbanen Legende, die mündlich in einer bestimmten Region überliefert wird.

In Ring handelt zum Beispiel die Hintergrundgeschichte von Sadako, einem Mädchen, das anders ist als andere. Aus diesem Grund wird sie ständig geärgert und schließlich verjagt. Als junge Frau kommt sie nach Tokio, um dort ein besseres Leben zu beginnen, muss aber recht schnell feststellen, dass sich an ihrem Problem nichts geändert hat. Weiterhin wird sie von ihren Mitmenschen gehänselt und schlecht behandelt. Schließlich ermordet sie ihr eigener Onkel und wirft sie in einen Brunnen. Die Quälereien, die sie in ihrem Leben erdulden musste, lassen sie nach ihrem Tode zu einem Rachegeist werden. Sie wird zu einem verschlüsselten Fluch, der sich über Videobänder auf Menschen überträgt. Im gleichnamigen Roman von Koji Suzuki kehrt Sadako als ein Virus zurück, das sich über Videokassetten auf Menschen überträgt. Visuell ist diese Idee zu schwach, da Viren nicht mit bloßem Auge zu sehen sind. Aus diesem Grund kriecht Sadako im Film als unheimliche Geisterfrau aus dem Fernseher, und ihr Aussehen gleicht dem traditioneller Fuchsfrauen.

In The Call (2001) wird ebenfalls in Form einer urbanen Legende berichtet, dass Schüler und Studenten seltsame Anrufe erhalten. Kurz danach sterben sie einen grausamen Tod. Der Film beginnt in einer Kneipe, in der sich Freunde um einen Tisch versammelt haben, und sich gegenseitig verschiedene Versionen dieser Legende erzählen. Die Spur führt letztendlich zurück zu einer Frau, die einsam in einem Krankenhaus gestorben ist, während sie noch versuchte, mit ihrem Handy jemanden um Hilfe zu rufen. Die Frau selbst erscheint in Form der traditionellen Fuchsfrau oder eines Fuchsgeistes mit weißem Gewand und langen schwarzen Haaren.

In beiden Filmen kommt es zu einer Verbindung zwischen mündlich übermittelter Legende und traditionellem Aberglauben. All dies spielt sich jedoch in einer modernen Gesellschaft ab, in der traditionelle Elemente mehr und mehr verschwinden. J-Horrorfilme präsentieren die japansche Gesellschaft als eine Hybridgesellschaft, in der moderne und traditionelle Elemente nebeneinander existieren. Sie zeigen zugleich, dass sich eine Gesellschaft nicht von ihren traditionellen Wurzeln lösen kann. Durch die Tatsache aber, dass Traditionen immer mehr in Vergessenheit geraten, bekommen diese einen unheimlichen Charakter, da sie von kaum jemandem mehr verstanden werden. Die Frauen, die sich nun als Dämonen an der traditionellen Gesellschaft rächen, tun dies in einer Gesellschaft, in der zwar noch immer patriarchale Strukturen aufrechterhalten werden, in der aber zugleich die ersten Ergebnisse emanzipatorischer Bestrebungen erkennbar sind. Konflikte sind dadurch vorprogrammiert. Diese spielen sich zwischen traditionellem Patriarchat und moderner Emanzipation ab.

Der Film Audition geht sehr konkret auf diesen Konflikt ein. In diesem auf mehreren Filmfestivals ausgezeichneten Werk vermischt sich der moderne Alltag Japans mit Aspekten der klassischen japanischen Geistergeschichte und weist dadurch auf den Konflikt zwischen Patriarchat und Emanzipation hin. Asami trägt den ganzen Film über ein weißes Kleid. Sie hat langes schwarzes Haar. Wie Sadako ist Asami eine vom Schicksal gezeichnete Figur. Über ihre Kindheit ist bekannt, dass sie von ihrem Ballettlehrer missbraucht wurde. Auch andere Männer haben ihr übel mitgespielt. Wiederum verdeutlicht ihr weißes Kleid, dass sie eine tragische Figur ist. Das und ihr Äußeres charakterisieren Asami unzweifelhaft als Fuchsfrau. Zum anderen werden auch hier die oben genannten Merkmale deutlich, die den Konflikt zwischen Patriarchat und Emanzipation vorantreiben.

Weitere Beispiele dieser Besonderheit des neuen japanischen Horrorfilms findet man in den Filmen Hypnosis und Shikoku. In Hypnosis wird die Geschichte einer unheimlichen Massenhypnose erzählt. Merkwürdige Selbstmorde häufen sich und bringen die Polizei auf den Plan. Mit von der Partie ist ein Psychiater, dessen Spezialgebiet … genau! … Hypnose ist. Alle Spuren der bizarren Zwischenfälle führen schließlich zu einer eigenartigen, sich ständig in einem tranceartigen Zustand befindenden Frau namens Yuka. Auch Yuka besitzt die oben beschriebenen Kennzeichen einer Fuchsfrau und tatsächlich entpuppt sie sich im Laufe des Films als eine dämonische Kreatur, die durch die Dauerhypnose aus dem Unterbewusstsein Yukas geschlüpft ist. Yuka ist ebenfalls eine eher tragische Figur, die von verschiedenen Leuten ausgenutzt wurde. Doch wie Sadako und Asami rächt sie sich dafür an ihren Peinigern.

Shikoku schließlich erzählt die Geschichte einer lange zurückliegenden Freundschaft zwischen zwei Mädchen. Während die eine, Hinako, nach Tokio zieht, bleibt Sayori in ihrem Heimatdorf, wo sie von ihren Eltern als Medium ausgebeutet wird. Nach ihrem mysteriösen Tod kehrt sie zu den Lebenden zurück, um sich an ihnen zu rächen. Es sind die bekannten Elemente: Sayori ist Fuchsfrau und tragische Gestalt in einem, in ihr treffen sich japanische Tradition und Moderne.

J-Horror und der Wandel einer Gesellschaft

Das Böse im modernen japanischen Horrorfilm erscheint nicht nur als heimtückische Macht oder als traditionelle Geistervorstellung, sondern ist zugleich eine Art Spiegelbild des aktuellen gesellschaftlichen Wandels in Japan. Dieser Tatbestand ist für Horrorfilme im Allgemeinen nichts Besonderes. So ist etwa der Beginn des modernen amerikanischen Horrorfilms Ende der 60er Jahre eng verbunden mit den damaligen innergesellschaftlichen Konflikten. Auslöser waren der Vietnamkrieg und die Bürgerrechtsbewegungen. Der Vietnamkrieg führte zu einer bis dahin noch nicht dagewesenen Darstellung von Gewalt in den Medien. Die Bürgerrechtsbewegung forderte die Abschaffung althergebrachter Werte. In den damaligen Horrorfilmen gab es keine heldenhaften Protagonisten, die fest zusammenhielten und in deren Welt im Grunde genommen alles in Ordnung war. Sie zeigten vielmehr eine völlig kaputte Gesellschaft, die nicht von äußeren Gefahren bedroht wurde (wie zum Beispiel in den B-Picture der 50er Jahre), sondern in der die Mitmenschen selbst zur Bedrohung wurden – ein Aspekt, der bis heute anhält.

Im japanischen Horrorfilm nimmt die gesellschaftliche Widerspiegelung eine etwas andere Form an. Dort werden andere soziale Veränderungen registriert und vom Genrefilm als innere Bedrohung dargestellt. In dieser Hinsicht lässt sich vor allem ein Thema ausfindig machen: Emanzipation.

In japanischen Genrefilmen, die vor J-Horror produziert wurden, waren Frauen stets die Opfer. Sie wurden von Männern auf sadistischste Art und Weise gequält. Kritik wird in diesen Filmen so gut wie gar nicht laut, dafür ist die Kritik über sie vehement. In modernen asiatischen Horrorfilm ist die Frau dagegen nicht mehr Opfer, sondern Täterin. Einerseits hat dies mit den oben skizzierten traditionellen Einflüssen zu tun, andererseits wird hier ein wesentlicher gesellschaftlicher Wandel aufgegriffen. Immer mehr japanische Frauen lösen sich aus den ausgeprägten patriarchalen Strukturen ihrer Kultur. Sie wollen nicht mehr nur die Rolle der Hausfrau und Mutter übernehmen, sonder ihren eigenen Weg gehen. So ziehen zurzeit viele Frauen ihre berufliche Karriere einer Heirat vor. Dass dies in einer Gesellschaft, die zwar äußerlich modern, innerlich aber weiterhin stark von traditionellen Bindungen durchgezogen ist, zu Konflikten führt, ist offensichtlich. Der moderne japanische Horrorfilm greift diese Veränderungen und die damit verbundenen Konflikte auf und hebt sie auf eine Ebene des Bizarren, Bedrohlichen und Unheimlichen.

In Audition erscheint Asami als eine selbstbewusste, selbständige Frau, Ayoama dagegen als ein sehr traditioneller Mann. Für ihn gilt noch immer das alte Frauenbild. Er möchte eine Ehefrau, die für ihn kocht und sich um den Haushalt kümmert. Asami wiederum hasst traditionale Männer, weswegen sie ein Exempel an ihm statuieren möchte. Regisseur Masato Harada findet für diesen Konflikt in seinem Film Inugami noch deutlichere Worte. Die Dialoge erinnern teilweise an eine Diskussionsrunde zwischen Frauenrechtlerinnen und Traditionalisten. Da der Konflikt aufgrund der unvereinbaren Meinungen nicht gelöst werden kann, geht die Gemeinschaft daran zugrunde.

Das japanische Patriarchat unterliegt seit Mitte der 90er Jahre einem zunehmenden Wandel. Dieser macht sich u. a. dadurch bemerkbar, dass zum Beispiel Frauen in berufliche Positionen treten, die bis dahin Männern vorbehalten waren. Diese Emanzipationsversuche und die dadurch ausgelösten sozialen Veränderungen stellen das Patriarchat infrage. Die von Männern dominierte Kultur droht, sich aufzulösen. Und genau innerhalb dieser Phase des sozialen Wandels entstanden die J-Horrorfilme, die somit zum Sprachrohr der japanischen Emanzipationsbewegung wurden.

Nachbemerkung 1

Zwar konzentriert sich der Artikel auf die Anfänge von J-Horror, doch finden sich die beschriebenen Darstellungen auch in späteren Filmen, die zu diesem Genre gehören. Eine Ausnahme gibt es jedoch: Es handelt sich dabei um den Film Ghost Train aus dem Jahr 2007, in dem der weibliche Geist schwarz gekleidet ist. Eine mögliche Erklärung für diese Abweichung konnte ich bisher nicht finden.

Nachbemerkung 2

Die Beziehungen zwischen J-Horror und Emanzipation lassen sich auch durch diverse Statistiken belegen, die sich mit dem sozialen Phänomen Frauen und Arbeitsmarkt beschäftigen sowie anhand weiterer Untersuchungen über Emanzipationsbewegungen in Japan. Die genauen Ausführungen hätten den Artikel, der ja als ein Einblick in dieses Gebiet gedacht war, allerdings bei Weitem gesprengt.

Nachbemerkung 3

Die Kulturwissenschaftlerin Mitsuyo Wada-Macario ist der Meinung, dass J-Horror rein gar nichts mit Emanzipation zu tun habe. Doch gehört sie mit dieser Behauptung, für die sie selbst keine einleuchtenden Gründe darlegt, zu einer Minderheit. Zum Beispiel betonen der Filmhistoriker David Kalat (2007) und der Autor Kim Newman (2012) in ihren jeweiligen filmhistorischen Abhandlungen die Beziehung zwischen beiden Phänomenen. Auch der japanische Regisseur Sion Sono, der selbst Horrorfilme drehte und sich selbst als Feminist bezeichnet, erwähnte in einem Interview mit dem Label Rapid Eye Movies den Zusammenhang.

Die Analyse ist das Ergebnis eigener Untersuchungen, die ich seit mehreren Jahren durchführe. Für den Artikel zusätzlich verwendete Literatur:

  • Bachmayer, Eva (1990). Gequälter Engel. Das Frauenbild in den pornographischen Comics. In: Ruth Linhart/Fleur Wöss (Hrsg). Nippons neue Frauen. S. 205-225. Hamburg: Rohwohlt.
  • Jarvie, I. C. (1974). Film und Gesellschaft. Stuttgart: Enke
  • Kalat, David (2007). J-Horror. New York: Vertigo
  • Lim, Bliss Cua (2009). Translating Time. Cinema, The Fantasic, and Temporal Critique. London: Duke University Press
  • Mitford, Algernon B. (2007). Das alte Japan. Köln: Anaconda

Der Beitrag ist der Auftakt einer Reihe weiterer Artikel, die regelmäßig auf Geisterspiegel erscheinen werden. Im nächsten Artikel beschäftigen wir uns mit Remakes.

(mp)

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