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Der Schwur – Dritter Teil – Kapitel 9

Der-SchwurDer Schwur
Historischer Roman aus dem mexikanischen Unabhängigkeitskrieg

Dritter Teil
Der See Ostuta

Kapitel 9
Die Wassergottheit

Kaum befand sich der Hauptmann Don Lantejas mit seinen beiden Gefährten auf freiem Fuß und einige Schritte von der Hazienda, die ihm fast so verhängnisvoll geworden wäre, als er sich von einer Art nervöser Ohnmacht befallen fühlte, die immer nach seinen vorübergehenden Anfällen von Heroismus über ihn kam.

Er folgte daher dem Indianer fast automatisch, der sich, den Fluss überschreitend, zum See Ostuta wandte, den zu sehen er einen Augenblick bezweifelt hatte, und der nach seiner Aussage nicht weiter als eine Stunde entfernt sein sollte.

In dem Maße, in dem sich Don Cornelio von der Räuberhöhle Arroyos entfernte, gewann er auch sein kaltes Blut wieder, und es entstand der Wunsch in ihm, zu erfahren, auf welche Weise es dem Indianer gelungen sei, zu entwischen und sich der Papiere wieder zu bemächtigen, denen sie alle drei Freiheit und Leben verdankten.

Costal erfüllte sein Verlangen mit wenigen Worten, denn alle seine Gedanken waren von der Nähe des wunderbaren Sees, in welchem er endlich die Wassergottheit, den Gegenstand seiner glühenden Wünsche, zu finden glaubte, in Anspruch genommen hatte.

Ohne die geringste Gefahr zu vermuten, war er, wie auch der Schwarze nach ihm, einem Vorposten Arroyos in die Hände gefallen und von dort zu der Hazienda geführt, ausgefragt und der Spionage verdächtigt worden, denn der Guerillero hatte die Manie, in allen denen, welche der Zufall in seine Hände lieferte, Spione zu wittern.

Für den Augenblick war Arroyo gerade beschäftigt, die Hazienda zu durchsuchen und den Besitzer derselben zu martern, um ihn zum Geständnis dessen zu zwingen, was er wissen wollte, und hatte es daher auf eine spätere Zeit verschoben, über das Schicksal des Indianers zu entscheiden. Vorläufig hatte man ihn in der Mitte der Soldaten gelassen, die im Hof lagerten.

Der Indianer war in der ersten Stunde seiner Gefangenschaft – da er in dem Augenblick, in dem er am Ziel aller seiner Wünsche zu sein glaubte, festgenommen worden war – von einem Anfall von Raserei und Verzweiflung, der unmöglich zu beschreiben ist, ergriffen worden. Nach und nach gewann er seine gewöhnliche Ruhe wieder und hatte alle Quellen seiner List zurate gezogen, um zu entwischen – vergeblich.

Die einzige Hoffnung, die ihm nun noch übrig blieb, war, dass wenn Don Cornelio in denselben Hinterhalt fiel, wie er, seine Beglaubigungsbriefe, die er bei sich trug, nicht allein die Befreiung des Hauptmanns, sondern auch die seine herbeiführen würden.

Costal berechnete mit Angst die Zeit, die verrann, als Gaspacho, bereit, nach einem von San Carlos ziemlich entlegenen Punkt zu jagen, seinen Kameraden noch die Art und Weise erzählte, wie er sich des Dolmans bemächtigt hätte, nach dem er schon lüstern gewesen sei, als er noch auf den Schultern seines Eigentümers hing, und der ihm gerade zur rechten Zeit kam, um seine zerlumpte Jacke zu sehen.

Durch diesen Bericht hatte der Indianer erfahren, dass der Hauptmann ein Gefangener wie er sei, obschon er ihn nicht hatte eintreten sehen.

Seine Wächter, weit davon entfernt, seine Kraft und Unerschrockenheit zu argwöhnen, ließen ihn unbeachtet umhergehen. Nun hatte sich Costal dem Banditen genähert und den Dolman, als dem Offizier gehörig, welchen er begleitet hatte, zurückzufordern. Gaspacho weigerte sich natürlich, ihn wieder herauszugeben, und warf ihn um seine Schultern, nachdem er ihn von seinen Kameraden hatte bewundern lassen. Schon hatte er einen Arm in den Ärmel gesteckt, als der Indianer ihn mit einem in seinem Gürtel verborgenen Dolch niederstieß und ihm das kostbare Kleidungsstück entriss. Sobald er sich in dessen Besitz sah, wickelte er ihn um seinen Arm, machte sich aus dem Körper Gaspachos einen lebenden Schild und erreichte, indem er ihn mit bewunderungswürdiger Kraft auf seine benutzten Feinde zurückstieß, den Saal, in den man den Hauptmann geführt hatte. Das Übrige weiß der Leser.

Der Indianer und der Afrikaner, die nun noch zur rechten Zeit befreit worden waren, konnten den See vor Aufgang des Mondes erreichen und, sobald er erschien, ihre Beschwörungen der Gottheiten der Gewässer und der Berge beginnen. Noch war ein delikater Punkt zwischen dem Indianer und dem Hauptmann zu regulieren.

So viel stand fest, es war eine ganz vergebliche Mühe, den Versuch zu machen, den Indianer davon zurückzubringen, sich von seinen absurden und abergläubischen Grundsätzen zu bekehren. Don Cornelio kannte Costal zu gut, um es auch nur zu versuchen. Ihm den Vorschlag zu machen, ihn zu begleiten, war ebenso wenig tunlich. Die Gläubigen, zu welcher Religion sie sich auch immer bekennen mögen, finden sich in der Ausübung ihres Kultes durch die Nähe Ungläubiger gestört.

Don Cornelio urteilte ganz richtig, dass in dem Fall, wo der Indianer sich seine Gegenwart gefallen ließe, er nicht Anstand nehmen würde, ihr allein die grausame Täuschung zuzuschreiben, die doch unmöglich ausbleiben konnte.

Der Hauptmann musste daher allein bleiben, und das war es, was ihm am wenigsten zusagte, da sie sich noch so nahe der Räuberhöhle Arroyos befanden. Als er sich aber über die Absichten Costals unterrichten wollte, kam ihm dieser schon zuvor.

»Es ist wenig wahrscheinlich«, sagte er, »dass Eure Herrlichkeit eine noch bewohnte Hütte so nah bei diesem Räubernest antreffen werden. Die geringste Hütte muss verlassen sein, aber ich vermute, dass, wenn Ihr ein Dach fändet, um Euch zu schützen …«

»Ihr wünscht also nicht, dass auch ich zugelassen werde, wie Ihr, um meine ehrfurchtsvollen Huldigungen Tlaloc oder seinen Gefährten dazu bringen?«, antwortete der Hauptmann.

»Es wäre mir viel lieber – viel lieber«, erwiderte der Indianer zögernd, denn er wagte nicht zu gestehen, dass ihm die Gegenwart Lantejas’ eine Last sei. »Wenn Eure Herrlichkeit – anderswo wäre – als bei uns; und dann übrigens«, fügte er lebhaft hinzu, »ist es eine ernste Angelegenheit, mit Geistern einer übergeordneten Welt zu verkehren. Seht, hier steht der tapfere Clara, der schon bei dem bloßen Gedanken erbleicht.« Das Gesicht des Schwarzen zeigte in der Tat eine Art eisengrauen Teints. »Jetzt, Clara, ist es indes noch Zeit, zurückzutreten, wenn du Furcht hast.«

»Es ist der Mond, der mich bleich macht, alle Teufel!«, rief der Afrikaner, indem er sich seiner Steigbügel versicherte, ohne daran zu denken, dass der Mond nicht schien. »Ich werde nicht einen Zollbreit vor dem Genius der Goldlager zurückweichen.«

Der Hauptmann machte der Unterhaltung ein Ende, indem er zu dem Indianer sagte, dass er seinen Widerwillen begriffe, Zeugen zu seinem abergläubischen Unternehmen mitzubringen, dass er seinerseits ein zu guter Christ wäre, um einem Akt beizuwohnen, der gegen seine religiösen Prinzipien verstieße, und dass endlich in Ermangelung einer Hütte, möge sie bewohnt sein oder nicht, die Nacht warm genug wäre, um sie unter dem schön gestirnten Himmel zubringen zu können.

»Nun«, antwortete Costal, »wenn wir binnen einer Viertelstunde keinen Zufluchtsort finden, wie wir ihn für Euch suchen, so müssen wir uns trennen, denn schon zeigt mir der frische Wind, der sich erhebt, die Nähe des Sees an.«

Die Reisenden setzten ihren Weg schweigend fort, der Anblick der immer wilder werdenden Landschaft ließ nur wenig Hoffnung, eine menschliche Wohnung anzutreffen, so bescheiden sie auch immer sein mochte.

Bald darauf hielten die drei Reisegefährten am Saum einer großen, grünen Savanne an. Einige Wasserlachen, die sich hier und da zerstreut fanden, glitzerten wie Spiegel, und eine Palmengruppe nahm, umringt von einer üppigen Vegetation, den Mittelpunkt derselben ein.

»Eure Herrlichkeit wird sich dort wie in einer Festung befinden, Ihr werdet hinter den Bäumen unsichtbar sein und alles weit um Euch herum sehen können«, sagte Costal.

Don Cornelio willigte ein, diesen Zufluchtsort in Ermangelung eines anderen einzunehmen, und trennte sich zum zweiten Mal von seinen beiden Gefährten, denen er mit den Augen so lange folgte, bis die Entfernung sie seinen Blicken entzog. Unglücklicherweise war, wie leicht vorherzusehen, der Boden der Savanne so feucht, oder vielmehr so aufgeweicht, dass sein Pferd, nach welcher Seite er sich auch wandte, bis an die Knie einsank und nicht mehr vorwärtsging.

Nach vielen vergeblichen Versuchen wurde Don Cornelio gezwungen, darauf zu verzichten, bis zu dem Palmenhain vordringen zu können, um so mehr, da ihm der Wind den stinkenden Bisamgeruch, den die Kaimane ausdünsten, zutrug.

Um sich nicht zu weit von seinen Reisegefährten zu entfernen, begab sich der Hauptmann in die Richtung, welche jene eingeschlagen hatten, und bemühte sich, irgendeinen anderen Punkt, der ebenso sicher war wie der, den er eben hatte verlassen müssen, aufzufinden.

Don Cornelio fürchtete, und gewiss auch nicht ganz ohne Grund, dass die untergeordneten Banditen Arroyos begierig den Tod Gaspachos zu rächen nicht dieselbe Achtung vor dem Abgeordneten Morelos haben könnten wie ihr Chef.

Er hatte nicht vergessen, dass dieser befohlen hatte, sich zur Verfolgung der Herrin der Hazienda bereitzuhalten. In Wirklichkeit glaubte er entferntes Geräusch zu vernehmen, was ihn beunruhigte und veranlasste, sein Pferd anzutreiben.

Der Schwarze und der Indianer waren in ein Dickicht von ungeheuren Bäumen gedrungen, und als der Hauptmann dies hinter sich hatte, befand er sich auf einer ungeheuren flachen Ebene, in deren Mitte er unbeschuht und der Gnade der blutdürstigen Leute Arroyos preisgegeben war.

Ein Kette kahler Berge begrenzte links dieses offene Terrain und vor ihm zeigte sich nach einem Marsch von ungefähr einer Viertelstunde, zuerst in der Entfernung, bald jedoch dicht vor seinen Füßen ein breiter, trüber und dunkler Wasserspiegel.

An diesem düsteren Anblick und bei dem Sichtbarwerden eines von dichten Nebeln verhüllten Hügels, der sich aus der Mitte, der Wasserfläche erhob, erkannte Don Cornelio, ohne ihn jemals gesehen zu haben, den See Ostuta.

Der Zufall hatte ihn gegen seinen Willen dorthin geführt und seine plötzlich erwachte Neugierde wurde so übermächtig, dass er beschloss, ihr zu willfahren.

Sein christliches Gewissen warf ihm freilich diese Neugierde ein wenig vor, doch der Hauptmann brachte es bald damit zum Schweigen, dass er sich überreden, damit keineswegs einen Fehltritt zu begehen, indem er, sozusagen, einer heidnischen Feierlichkeit beiwohnte, sondern dass es im Gegenteil ein verdienstliches Werk sei, der Beschämung eines Ungläubigen beizuwohnen.

Ein etwas entferntes, finsteres und dichtes Gehölz, dasselbe, in dem Don Mariano sich gelagert und über das er die Gipfel hoher Palmen sich erheben sah, schien ihm den günstigen Punkt zur Beobachtung zu bieten.

Er konnte, indem er auf einen der Bäume stieg, welche den Saum des Gehölzes bildeten, die ganze Ausdehnung des Sees überblicken, und ein vollständiges ruhiges Verhalten versprach ihm hinlängliche Sicherheit.

Er wählte sich einen Baum aus, auf den er am leichtesten hinaufklettern zu können glaubte, band sein Pferd an einen niedrigen Zweig und kletterte, seinen Karabiner am Bandelier, entschlossen bis zu einer Höhe, von der sein Blick ohne Hindernis über den See schweifen konnte.

Einige Augenblicke später ging der Mond voll und strahlend auf. Wo befand sich Costal zu dieser feierlichen, von ihm so heiß ersehnten Stunde? So fragte sich der Hauptmann, als er zu bemerken glaubte, dass bei der um ihn herum verbreiteten Helle plötzlich die Oberfläche des Sees sowie der Hügel, dessen Fuß die Gewässer bespülten, und der finstere Wald, den er überragte, neues Leben zu erhalten schienen. Wunderbares Licht schien den Hängen des Hügels zu entströmen und fremdartige Töne schlugen an sein Ohr.

Es gehörte nicht viel dazu, das Nervensystem des ehemaligen Studenten der Theologie zu erschüttern und er begann schon, freilich zu spät, zu bereuen, dass er sich an diesen einsamen Ort, dessen wilder Anblick die Seele unwillkürlich mit Schrecken erfüllte und wo sich vielleicht sonderbare Dinge zutragen konnten, gewagt hatte.

Plötzlich erbebte er, wie in demselben Augenblick auch die beiden Diener Don Marianos, beim Anblick eines Menschen, eines Indianer, der am Ufer des Sees erschien. Sein Schreck war nur von kurzer Dauer, denn er erkannte in dem Mann, der mit seinen Händen das Schilf des Sees auseinander schlug und der vom vollen Mondlicht beschienen wurde, seinen Gefährten Costal.

Von seinem hohen Standpunkt aus konnte er ferner, was den Dienern entging, noch einen andern Mann sehen, der wie der Indianer ganz nackt war. Dies war ein Schwarzer. Diese beiden athletischen Gestalten trugen viel dazu bei, dieses sonderbare Gemälde noch wunderlicher zu malen. Darauf schwammen beide durch den See und verschwanden bald aus seinen Augen, wie auch denen der Diener Don Marianos.

Obwohl er beinahe die Enttäuschung eines Zuschauers empfand, der plötzlich ein angefangenes Schauspiel verlassen muss, so, überlegte der Hauptmann doch, ob er sich nicht während der Abwesenheit seiner Gefährten auf dem Gipfel seines Baumes mehr in Sicherheit bestünde, als auf der freien Ebene, und blieb schließlich an seinem Beobachtungsplatz.

Die Absicht Don Cornelios war, dort bis zu dem Zeitpunkt zu bleiben, bis er von Neuem seine beiden Reisegefährten erblicken würde. Er wollte ihnen dann Zeit zum Ankleiden und Aufsuchen ihrer Pferde lassen, selbst aber schleunigst vom Baum steigen und ihnen nacheilen. Er nahm sich vor, ihnen, wenn er sie eingeholt hatte, irgendeine Fabel aufzubinden, deren Erfindung er auf den Moment selbst verschob.

Die Zeit verrann, der Mond stieg immer höher und weder Costal noch der Schwarze kamen zum Vorschein.

Während die Leute Don Marianos schworen, sie hätten den Indianer gesehen, der seit fünfhundert Jahren sein Herz sucht, bildete sich der Hauptmann mit mehr Grund ein, dass die beiden Abenteurer auf dem ehemals dem Tlaloc geheiligten Berg Fuß gefasst hätten.

Bald gaben einige schwache und dumpfe Klänge, welche die Stille der Nacht zu hören erlaubte, den Gedanken Don Cornelios eine andere Richtung, obwohl er vergebliche Anstrengungen machte, die Ursache derselben zu erraten, denn er war weit davon entfernt, den ungestümen Angriff Don Rafaels auf die Hazienda San Carlos zu vermuten und noch weniger, dass das Tor derselben unter dem Kanonendonner, dessen Grollen er von Weitem hörte, in Trümmer gesunken sei. Der Hauptmann quälte sich nicht lange im Geist über diesen Gegenstand, und da er einmal den ersten Schreck überstanden hatte, empfand er bald, beruhigt durch den Gedanken, dass er in der Nähe seiner beiden treuen Diener sei, wie der Oberst in der vergangenen Nacht, eine unwiderstehliche Neigung, sich dem Schlummer in die Arme zu werfen. Seine Augenlider wurden in dem Maße schwerer, wie seine Phantasie ruhiger wurde.

Wie der Oberst Tres-Villas rechnete auch er auf den Zufall, dessen Gast er sozusagen war. Ähnlich wie es Don Rafael gemacht hatte, befestigte auch er sich auf dem Baum, der ihn zum Asyl diente, und verfiel schnell in einen ruhigen Schlaf, in dem er die erste Stunde nicht gestört wurde.

Mit der Zweiten sollte es nicht ebenso sein, denn sie bereitete ihm ein ebenso unvorhergesehenes als schreckliches Erwachen.

Don Cornelio war nicht so fest eingeschlafen, dass nicht ein unerklärliches Getöse, welches bei der Stille der Nacht um so mehr hörbar war, sein Ohr erreicht hätte. Er erwachte plötzlich und glaubte ganz bestimmt, den Klang einer Glocke vernommen zu haben.

Der Hauptmann horchte lächelnd, denn er glaubte, auf seinem Baum von der Glocke seines Geburtsortes geträumt zu haben. Es war dies keineswegs ein Traum. Derselbe Klang wiederholte sich und zu seinem großen Erstaunen zählte er noch bis zwölf deutliche und klare Schläge, wie sie der Hammer einer Uhr um Mitternacht angibt.

Das konnte tatsächlich die Stunde sein, die auch der Mond andeutete, und Don Cornelio konnte sich eines zweiten Anfalls von Schauer nicht erwehren, denn in Mitte dieser schweigsamen und düsteren Landschaft, die ihn umgab, erblickte er nichts als die kahlen Hügel der Bergkette und eine flache Ebene, auf der sich kein Glockenturm einer Hazienda oder eines Dorfes erhob.

Noch zitterten die Schwingungen der Glocke in der Luft. Sie waren wirklich aus der Mitte des Sees von den glasartigen Hängen des verzauberten Hügels ausgegangen.

Es klang wie ein Zeichen, von dem man hätte sagen können, dass es den indianischen Gottheiten gegeben wäre, um sie aus ihrem hundertjährigen Schlummer zu erwecken.

Das entfernte Geräusch, was Don Cornelio während seines kurzen Schlafes zu vernehmen geglaubt hatte, wurde nach seinem Erwachen immer stärker, dann verwandelte es sich in ein lang anhaltendes Geheul, wie er es in seinem Leben noch nicht gehört hatte.

In einer dieser fast ähnlichen Nacht hatten die Tiger über seinem Kopf ihr Geheul ausgestoßen, das Heulen des Jaguars, das Brüllen des Löwen oder das des stärksten Stiers hatten nicht diese entsetzliche Macht, wie die Töne, die er vernahm. Sie schienen aus den ungeheuren Lungen irgendeiner unbekannten, riesenhaften Tiergattung hervorzugehen.

Diesmal zitterte der Hauptmann an allen Gliedern und würde, hätte er sich nicht festgebunden, unfehlbar von der Höhe seines Sitzes auf die Erde gefallen sein.

Das Ross des Hauptmanns teilte seinen Schreck, es stampfte die Büsche in seiner unmittelbaren Nähe nieder, zerriss mit einem heftigen Ruck den Zaum, und Don Cornelio sah es im Galopp das Gehölz fliehen, welches so schreckliche Gäste zu bergen schien. Er folgte mit erschrecktem Blick dem Tier, das nicht eher stillstand, bis es die Pferde des Indianers und des Schwarzes erreichte.

Was Don Cornelio betrifft, so verfehlten dies Geheul und diese Glockenschläge in der Einsamkeit nicht, seinen Glauben in etwas zu erschüttern. Es gab sogar einen Augenblick, indem er nicht anders glaubte, als die Stimme der Geister zu hören, die Costal anzurufen wagte.

Der Hauptmann Lantejas war aber nicht der Einzige, der erschrak. Zwei Flintenschüsse von ihm entfernt, seinen Augen durch das Laub der Bäume verborgen, hatten sich die Leute Don Marianos auf einen Haufen zusammengedrängt, und mit gleicher Überraschung und mit nicht geringerem Schrecken die zwölf Schläge der unsichtbaren Uhr gezählt.

Ihr Herr versuchte sich vergebens all das zu erklären, was um ihn her vorging.

Gertrudis erwachte und stieß einen Schrei des Entsetzens aus, als das betäubende Geheul, von dem Wald und See widerhallten, ihr Ohr erreichte.

Die Siebenschläfer selbst wären bei diesem Höllenlärm aus ihrem Schlummer erwacht.

Plötzlich erschien Castrillo in der Lichtung, in der sich Don Mariano und seine Tochter befanden. Entmutigung und Schrecken prägten sich auf seinem Gesicht aus.

»Von welchem Unglück willst du mich in Kenntnis setzen?«, fragte Mariano, von der Blässe, die des Dieners Gesicht bedeckte, betroffen hatte.

»Von keinem, Señor Don Mariano, wenn das keins ist, dass wir uns an einem verfluchten Ort befinden, von dem wir so schnell wie möglich fliehen müssen.«

»Haltet Eure Waffen bereit, denn es heulen Jaguare hier herum.«

»Noch nie hat ein Tiger so geheult«, sagte der Diener und ließ den Kopf auf die Brust sinken. »Und Kriegswaffen sind unnütz, wenn die Stimme des Geistes der Finsternis sich vernehmen lässt. Hört! …«

Das Gebrüll oder Geheul hatte, wie wir schon erwähnt haben, durchaus keine Ähnlichkeit mit dem der Tiere des Waldes oder der Savanne.

»Den Verlauf dieser Nacht haben zu viele sonderbare und befremdende Zeichen angedeutet«, begann Castrillo wieder, »als dass es nicht eine Torheit wäre, noch länger an einem Ort zu verweilen, an dem alle Gesetze der Natur über den Haufen geworfen zu sein scheinen, an dem die Toten aus ihren Gräbern erstehen, wo Glockentöne fern von jeder menschlichen Wohnung erklingen, wo endlich der Teufel in der Finsternis heult. Lasst uns fliehen, Señor Don Mariano, solange es noch Zeit ist.«

»Aber wohin?« rief Don Mariano voller Angst; »Ist denn dieses Kind imstande, die Beschwerden des Ritts zu ertragen?«

»Während Ihr zu Gott flehen werdet, gnädig die drohende Gefahr von uns abzuwenden, wollen wir schnell die Sänfte auf die Maultiere laden«, entgegnete der Diener. »Beeilen wir uns, wir haben nicht einen Augenblick zu verlieren, denn ich werde meine Kameraden nicht länger von der Flucht zurückhalten können, und ich selbst …«

»Wir sollen allein hierbleiben!«, unterbrach ihn Gertrudis schaudernd. »Nein, nein, ich fühle die Kraft in mir, zu fliehen, und sollte es auch zu Fuß sein.«

»Nun, es geschehe, wie du wünschst«, erwiderte Don Mariano, »wir wollen den Versuch machen, San Carlos zu erreichen.«

Castrillo stürzte fort zu seinen Kameraden. Als es sich aber darum handelte, die Maultiere und Pferde, die an einem etwas entfernteren Ort untergebracht, herbeizuführen, wagte keiner von ihnen, das Abenteuer zu unternehmen.

»So wollen wir alle vier gehen«, sagte Castrillo.

Seine Gefährten folgten ihm zitternd, indem sie das Zeichen des Kreuzes mit einer fast wahnsinnigen Schnelligkeit schlugen, als ob sie eine ganze Legion von Teufeln beschwören wollten.

Das, was Don Mariano und seine Leute unternehmen wollten, mitten durch die Finsternis sich einen Weg zur Flucht suchen, hätte Don Cornelio nicht für alles Gold der Erde gewagt.

Er fuhr fort, durch den Schrecken auf den Gipfel seines Baumes gebannt, wiederholt seine tolle Neugierde, der er nachgegeben hatte, zu verwünschen und aufmerksam auf das zu lauschten, was er für ein entsetzliches Zwiegespräch zwischen der indianischen Gottheit und seinem unerschrockenen Verehrer hielt, als plötzlich das Geheul wie mit einem Zauberschlag verstummte.

Auf diesen entsetzlichen Lärm folgte nun ein düsteres und beängstigendes Schweigen. Man hätte glauben können, das Entsetzen habe alle Stimmen der Natur zum Schweigen gebracht.

Kurze Zeit darauf wurde das Schweigen wieder durch verworrenes, von fern herschallendes Geräusch unterbrochen, das menschlichen Stimmen nicht unähnlich war, die man aus der Ferne hörte. Dasselbe schien hinter der Hügelkette, die den See von der Nordseite begrenzt, herzukommen.

Don Cornelio zweifelte keinen Augenblick, dass dies die Stimmen Costals und Claras wären, die von dort her nach dem Gelingen ihrer Beschwörung zurückkämen, denn das entsetzliche Geheul konnte von weiter niemand kommen, als von Tlaloc oder von Matlacueze, die durch den Akt besiegt worden waren.

Bald jedoch erkannte der Hauptmann, dass er sich getäuscht habe.

In der Richtung des Weges, den er gekommen war, bemerkte er Lichter, die sich zum See bewegten.

Aus der Schnelligkeit, mit der diese Lichter ihre Stellung veränderten, zu schließen, wurden sie von Reitern getragen. Der Hauptmann bemerkte deutlich, einen halben Büchsenschuss von seiner Zufluchtsstätte entfernt, die erschreckte Gruppe, die sein Pferd mit denen Costals und Claras bildete. Die Lichter konnten daher weder von dem Indianer noch von dem Schwarzen getragen werden.

Es blieb sodann kein Zweifel übrig, dass dies Arroyo und seine schrecklichen Banditen seien.

Kurze Zeit darauf wurde tatsächlich am Ufer des Sees eine Truppe Reiter sichtbar, von denen jeder eine Fackel in der Hand trug. Don Cornelio erkannte darunter Arroyo und seinen Gefährten Bocadro wieder. Die Banditen wandten sich bald nach der einen, bald nach der andern Seite. Nachdem aber dies Hin- und Hertappen geendet hatte, sah er sie nach der der Pferdegruppe entgegengesetzten Richtung eilen und neugierig den Wasserspiegel und das Schilf des Ufers mit den Augen durchmustern.

Auf ein Signal erloschen die Fackeln und alle Gegenstände sanken in eine für die Augen Don Cornelios undurchdringliche Finsternis zurück, da das Licht des Mondes nach dem Licht der Fackeln sehr trübe erschien.

Der Hauptmann hätte von Herzen gern seine beiden Gefährten von der Gefahr unterrichtet, die ihnen die Anwesenheit der Banditen Arroyos bereiten konnte, aber auf welche Weise?

Die Leute Don Marianos standen bei dem Anblick der bewaffneten Männer, unter denen Don Mariano und seine Tochter ihre beiden früheren Rinderhirten erkannten, wie Bildsäulen da, obwohl die Sänfte Gertrudis’ schon zum Aufbruch auf dem Rücken des Maultieres befestigt war.

Don Cornelio folgte allen Bewegungen Arroyos mit unruhigem Blick und sein Herz wurde erst erleichtert, als er ihn mit seinen Reitern den See umgehen und sich entfernen sah.

Bei der nach und nach wieder eingetretenen Mondhelle konnte der Hauptmann fast alles bemerken, sogar, was auf dem Grund des Schilfes vorging. Die Ufer des Sees waren wieder einsam geworden, seine Wasser waren schweigend und ruhig. Plötzlich glaubte Don Cornelio eine leichte Bewegung unter den Wasserpflanzen, die am Ufer wuchsen, zu bemerken. In demselben Augenblick erhob sich ein unbestimmter Schatten in der Mitte des grünen Dickichts, und dieser nahm, indem er sich geräuschlos erhob, die bestimmte Gestalt einer Frau an. Sie war mit einem weißen Kleid bedeckt, lange, verwuschelte, in Unordnung geratene Haare fielen auf ihre Schultern herab.

Kalter Schweiß rieselte von der Stirn Don Cornelios. Durch diese seltsame Erscheinung gebannt, blieben seine Augen auf ihr haften, ohne dass er imstande gewesen wäre, sie wieder abzuwenden. Dies war, daran konnte er nicht mehr zweifeln, die Gefährtin Tlalocs, die furchtbare Matlacueze, die den Beschwörungen des Nachkommen der alten Kaziken von Tehuantepec Gehör gebend, aus ihrem nassen Palast, den sie in den Tiefen des Sees Ostuta bewohnt, hervorgekommen war.