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Der Marone – Cynthias Bericht

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 22

Cynthias Bericht

Cynthia zögerte nicht lange, der Aufforderung des Jessuron zu entsprechen, denn dieser übte einen Einfluss auf sie aus, der, wenn er auch nicht so bedeutend und so geheimnisvoll war wie der des Myalmannes, sich doch auf etwas sehr Wesentliches in der ganzen Welt Verbreitetes gründete, auf die Macht des Geldes. Die Mulattin war sehr nach Geld begierig, wie leider fast jedermann in unserem vorzüglich nach Sinnengenuss und Überfeinerung strebenden Zeitalter. Geld allein gewährte Cynthia die Mittel, das ausgelassene Leben, an das sie gewöhnt war, fortsetzen zu können, und so liebte sie dies über alle Maßen.

Deshalb ging sie auch so bald wie irgend möglich zu dem Hof des Koppelhalters und fand die Gelegenheit, abzukommen, umso leichter, da ihr Herr abwesend war. Doch wäre er auch wirklich zu Hause gewesen, so hätte sie wohl nur geringe Schwierigkeit gehabt, einen Vorwand zum Ausgehen aufzufinden, oder vielmehr wäre sie ohne allen Vorwand davongegangen.

In jener Zeit nämlich, in welcher diese Geschichte sich zutrug, hatte die Sklaverei auf den Westindischen Inseln, ganz besonders aber auf Jamaika, eine große Veränderung erfahren.

Die beredten Stimmen eines Wilberforce als auch eines Clarkeson waren bereits bis in die entlegensten Winkel der Insel Jamaika gedrungen, und die Schwarzen auf den Pflanzungen horchten aufmerksam auf die ersten Ankündigungen der künftigen Emanzipation. Der Sklavenhandel war geächtet und man erwartete allgemein, dass die Sklaverei alsbald ebenfalls für geächtet erklärt würde.

Durch diese Aussicht waren die schwarzen Leibeigenen kühner geworden, und die gänzlich regungslose Unterwerfung unter den unbeschränkten Willen des Herrn oder unter die grausame Peitsche des Aufsehers, wie solche ehemals bestand, war durchaus nicht mehr vorhanden. Daher war es auch für Sklaven keineswegs so ungewöhnlich, Urlaub ohne vorherige Erlaubnis zu nehmen, oftmals mehrere Tage lang abwesend zu sein und dann ohne Furcht vor Strafe zurückzukehren, ja manchmal vielleicht sogar ganz fortzubleiben. Aufstände waren auf den Pflanzungen nicht ungewöhnlich geworden und meistens endeten sie mit Brandstiftung wie mit blutigen Auftritten. Mehr als ein Haufen von Ausreißern hatte sich in den entfernteren Gebirgen festgesetzt, wo sie allen Behörden zum Trotz und ungeachtet der das Fortlaufen hindernden Polizei, die von den Maronen etwas nachlässig ausgeübt wurde, ihre volle wenn auch höchst rohe, sich größtenteils auf Stehlen und Rauben stützende Unabhängigkeit fortwährend behaupteten. Diese schwarzen Ausreißer spielten tatsächlich nun eine nicht unbedeutende Rolle und waren fast ganz das, was in früheren Zeiten die ursprünglichen Maronen gewesen waren, die nun aber, wie schon bereits erwähnt, nach dem schlauen, wenn auch schädlichen Grundsatz, einen Dieb anzustellen, um einen Dieb zu fangen, die Polizei zur Entdeckung und Wiedereinbringung fortgelaufener Sklaven auf der Insel bildeten.

Bei solchen gelockerten Verhältnissen der Sklaverei kümmerte sich ein keckes Frauenzimmer wie Cynthia gar nicht darum, Erlaubnis zum Fortgehen zu verlangen, sondern nahm diese bei passender Gelegenheit nach eigenem Gutdünken und Belieben. Deshalb wanderte sie auch bereits zu einer noch ziemlich frühen Tageszeit, fast bald, nachdem der blaue Fritz bei ihr gewesen war, zum Hof Jessurons.

Obwohl sie dem Jakob Jessuron nicht die geringste Auskunft über den Aufenthalt und die Absichten des so rätselhaft verschwundenen Buchhalters zu geben vermochte, so waren ihre Aussagen dennoch von hohem Interesse für ihn, da sie ihm sehr befriedigende Nachrichten geben konnte.

Freilich hatte er schon vom blauen Fritz erfahren, der Custos habe die beabsichtigte Reise wirklich angetreten, indes von Cynthia erhielt der Jessuron nun die ganz bestimmte und verbürgte Nachricht, dass er vor dem Beginn der Reise noch den Zaubertrank in dem beim Abschied getrunkenen Glas Swizzle zu sich genommen hatte. Diese Nachricht war ihm umso angenehmer, als er den Erfolgen seiner spanischen Abgesandten immerhin etwas misstraute. Wenn nun aber der Zauber so rasch wirkte, wie Chakra es versichert hatte, so würde dies den Banditen in der Ausführung ihrer jedenfalls gefährlichen Aufgabe zuvorkommen.

Noch eine andere wichtige Nachricht wurde dem Jessuron durch Cynthia mitgeteilt. Sie hatte Chakra diesen Morgen gesehen, gerade nachdem ihr Herr fortgereist war. Es war für den Fall der Abreise des Custos bereits zuvor eine Zusammenkunft zwischen ihr und dem Myalmann verabredet worden, und diese hatte denselben Morgen stattgefunden. Die Absicht hierbei war, dass das Mulattenmädchen Chakra von allem vor der Abreise Vorgefallenen Nachricht geben solle.

Cynthia wusste zwar nicht bestimmt, dass Chakra dem Custos nachgeeilt sei, er hatte ihr von einer solchen Absicht nicht das Geringste gesagt, allein sie glaubte dies sicher. Er hatte während des Gesprächs einige Äußerungen fallen lassen, die ihr zu einer solchen Vermutung Anlass gaben, und außerdem, als er sie verlassen hatte, anstatt nach seinem Schlupfwinkel im Teufelsloch zurückzukehren, den Weg in der Richtung nach Savanna eingeschlagen.

Dies war der Hauptinhalt von Cynthias Aussagen, und nachdem sie für ihre Mitteilungen wohl belohnt worden war, kehrte sie unverweilt nach Willkommenberg zurück.

Jakob Jessuron war indes durch Cynthias Bericht keineswegs gänzlich beruhigt worden. Die fortdauernde Abwesenheit Herbert Vaughans blieb unerklärlich wie zuvor, und als die Zeit verging und die Nacht ohne irgendein Anzeichen seiner Rückkehr immer näher rückte, wurde Jessuron, und mit ihm die schöne Judith vielleicht noch im höheren Maße, über sein spurloses Verschwinden höchst unruhig.

Judiths Verdacht, dass Herbert irgendeine Zusammenkunft mit seiner Cousine Käthchen habe, war durch das, was sie gesehen hatte, so ziemlich entkräftet worden. Als sie den Jumbéfelsen verlassen hatte, war sie nicht geradewegs nach Hause geritten, sondern hatte noch einige Zeit in der näheren Umgebung des Berges verweilt, um abzuwarten, ob Herbert sich nicht zeigen würde. Allein da sie weder ihn selbst noch irgendwelche Spuren von ihm entdeckte, so schloss sie mit der höchsten Befriedigung, dass alle früheren Annahmen und Voraussetzungen über ihn auf Einbildung beruht hätten und falsch gewesen seien, und dass gar keine Zusammenkunft beabsichtigt worden sei. Käthchens Ersteigung des Jumbéfelsens war allerdings ein wenig seltsam, aber Smythje folgte ihr, und Judith hatte den Teil ihrer Unterredung dann nicht gehört, der deutlich zeigte, dass seine Ankunft dort nur rein zufällig sei, zufällig nämlich, da er den Ort, wohin die junge Kreolin sich zurückgezogen hatte, mit dem ihm eigenen Scharfsinn unverzüglich entdeckt hatte.

Diese Erwägungen besänftigten immerhin das von der fürchterlichen Eifersucht aufgestachelte Gemüt der jungen Frau, allein eigentlich doch nur in geringem Maße, denn Herberts Abwesenheit schien ihr fortwährend verhängnisvoll und Unglück verkündend zu sein, besonders, wenn sie sich eines kürzlich zwischen ihnen geführten Gesprächs erinnerte.

Irgendeine Reue über ihre schwarzen Absichten auf dem Jumbéfelsen fühlte sie durchaus gar nicht, vielmehr würde sie diese ganz sicher und unbedenklich ausgeführt haben, wäre Smythje nicht gerade zu rechter Zeit dort angekommen. Die von Käthchen so bedeutungsvoll ausgesprochenen und von ihr belauschten Worte hatten ihr deren Gefühle und Empfindungen hinreichend enthüllt, und wenn der, dem sie galten, jetzt auch nicht persönlich zugegen oder in der Nähe war, so konnte Judith dennoch nicht mehr bezweifeln, dass er ganz allein der Gegenstand ihres Selbstgespräches gewesen sei. Vielleicht würde sie die Tat, wenn wirklich vollbracht, in irgendeiner Weise bereut haben, allein die bloße Absicht bereute sie nicht oder machte sich darum keine Gewissensbisse. Das ließ die grenzenlose Eifersucht, die noch immer in ihrer Brust tobte, durchaus nicht zu.

Judiths Rückkehr gewährte dem alten Jessuron keine neue Auskunft über Herberts spurloses Verschwinden, denn sie wusste wirklich gar nichts zu erzählen, ausgenommen, was zu verschweigen sie für klüger hielt. Der Umstand, dass auch sie während ihres Ritts ihn nicht aufgefunden noch irgendeine Spur von ihm entdeckt hatte, machte seine Abwesenheit nur noch immer unerklärlicher und geheimnisvoller.