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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Eine böse Absicht vereitelt

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 21

Eine böse Absicht vereitelt

Judith wusste bis jetzt eigentlich selbst nicht recht, was sie in ihrem Versteck tun wolle. Sicher beabsichtigte sie nach den Umständen zu handeln, und nur über eins war sie zu einem bestimmten Entschluss gekommen: Sie wollte beide unbehindert auf den Felsen gehen lassen und sich dann erst später zeigen.

So lange wie irgend möglich wollte sie ihre Sehnsucht nach Rache unterdrücken. Sie wollte sie ruhig zusammenkommen lassen, wollte unbemerkter Zeuge ihrer gegenseitigen Zärtlichkeiten sein und sich von allem vergewissern. Aber dann wollte sie plötzlich hervorbrechen und sie mit Anklagen und Vorwürfen überschütten. Das waren ungefähr ihre Absichten, als sie sich in das Versteck begab.

Die junge, die unmittelbare Nähe ihrer heimtückischen Nebenbuhlerin durchaus nicht ahnende Kreolin stieg die Schlucht hinauf und ging dicht an der Stelle vorüber, wo diese verborgen war. Mit leichtem Fuß stieg sie auf die Felsplatte und ging sofort zu dem entgegengesetzten Rand derselben, gerade auf dieselbe nun von den süßen Erinnerungen geheiligte Stelle, wo sie während der Sonnenfinsternis gestanden hatte.

Das über ihren Kopf gebundene Tuch band sie los und hielt es vor die Augen, um diese vor den Strahlen der Sonne zu schützen. So stand sie einige Zeit lautlos und schweigend und schaute ins Tal hinunter, nicht dahin, wo das Haus ihres Vaters, sondern dorthin, wo ein wohl noch teurerer Verwandter sein musste. Das war der Hof des Jessuron, der, obwohl eigentlich düster und unfreundlich aussehend, ihren Augen doch im schönsten Glanz erschien, denn er leuchtete ja von der Liebe zu Herbert umflossen. Was hätte sie nicht darum gegeben, um in diesem Licht für immer leben zu können? Was, wenn sie die Begünstigte sein könnte, die sich jetzt darin sonnte?

»O, könnte ich ihn doch nur noch einmal wiedersehen«, sprach sie leise für sich, »nur noch ein einziges Mal, bevor jene Zeit gekommen, wo ich ihn nie wieder treffen darf, denn dann würde der Gedanke hieran schon ein Verbrechen sein. O, wenn ich ihn noch einmal sehen, noch einmal mit ihm reden könnte, ich wollte ihm alles sagen. Wenn er mich auch nicht lieben kann, so wird er mich doch bedauern müssen, und selbst das würde mich erleichtern, mir gut tun, wenn es meinen Gram auch nicht eigentlich zu heilen vermöchte. O, warum sah er mich hier nur so an, hier an dieser Stelle, mit solchen Blicken, die ich nie vergessen kann? Noch vermag ich sie zu sehen, seine Augen waren auf meine gerichtet und seine Blicke drangen tief in mein Inneres und sagten mir, dass in unseren beiden Seelen etwas vorging, etwas, das nie zu vergessen und nie wieder auszutilgen sei. O Herbert, warum sahst du mich so an? War denn alles etwa nur ein flüchtiges Traumbild, das vorüberzog? O nein, o nein! Nimmermehr! Ach Herbert! Herbert!«

Die letzten Worte sprach die junge Kreolin im stürmischen Drang ihres Herzens fast laut aus. Freilich wurde nur der Name von Judith Jessuron verstanden, aber er machte einen fürchterlichen Eindruck auf sie und durchbohrte ihr Herz wie ein vergifteter Pfeil. Hatte sie bisher noch irgend Zweifel über Käthchens Herkommen gehegt, dieser Ausruf hatte sie alle gänzlich beseitigt. Jetzt hatte die Kreolin selbst alles mit eigenen Worten eingestanden!

In diesem Augenblick fasste ein grässlicher schauderhafter Gedanke die von der fürchterlichen Eifersucht fast bis zum Wahnsinn getriebene Seele der Jüdin. Ein Gedanke erfüllte sie, ein Anschlag, der wahrhaft der Hölle zu entstammen schien. Er beabsichtigte nichts Geringeres als die vollständige Vernichtung ihrer Nebenbuhlerin, den Tod Käthchen Vaughans. Umstände und Gelegenheit waren diesem Anschlag offenbar günstig und hatten auch den Gedanken hervorgerufen. Die junge Kreolin stand dicht am Abhang des auf dieser Seite hohen und steilen Felsens, kaum drei Fuß vom eigentlichen Rand entfernt. So konnte ein leichter Stoß von hinten sie in den Abgrund stürzen.

Auch war kaum eine Gefahr bei der Ausführung dieses Verbrechens. Die Büsche unten am Abgrund hätten den Leichnam lange Zeit verborgen gehalten, und wenn er dann gefunden wurde, was musste die Erklärung der Totenbeschauer sein? Was anderes als Selbstmord?

Sämtliche Umstände würden eine solche Annahme begünstigt haben. Selbst der eigene Vater würde leicht an einen Selbstmord als an die Folge seines Zwanges zu einer Heirat gegen ihren Willen geglaubt haben. Und hatte sie sich nicht ganz geheim und verstohlen aus dem Haus fortgeschlichen, indem sie gerade eine Gelegenheit wahrnahm, wo sie von niemandem beobachtet war?

Noch andere Umstände waren dem Unentdecktbleiben einer solchen Tat entschieden günstig. Niemand schien zu wissen, dass Käthchen auf den Jumbéfelsen gegangen war, und auch niemand konnte vermuten, dass sie, Judith, selbst da sei, denn auf ihrem Weg war sie von niemandem gesehen worden.

So konnte kein Zeuge bei der Tat sein. Wohl mochte ihre Gestalt unten vom Tal aus wahrgenommen werden können, allein zunächst war die Entfernung viel zu groß, um den ganzen Verlauf der Begebenheit überhaupt mit hinreichender Sicherheit erkennen zu lassen, und dann wäre es noch ein ganz unwahrscheinlicher, durchaus nicht anzunehmender Zufall gewesen, wenn irgendjemand gerade in dem besonderen Augenblick zur Spitze des Berges hinauf gesehen hätte, denn um diese Tageszeit waren die schwarzen Arbeiter auf den Feldern viel zu sehr beschäftigt, als dass man ihnen erlaubt hätte, müßig zum Jumbéfelsen hinauf zu starren.

Solche Erwägungen zogen mit größter Schnelle durch den Geist der auf Mord sinnenden Jüdin, und jede derselben bestärkte sie nur in ihrem entsetzlichen Vorhaben und drängte sie mit Macht zur unverzüglichen Ausführung hin. Ihre außerordentliche Eifersucht war längst eine starke, alle andere Gefühle überwältigende Leidenschaft geworden, der sich ihre ganze Seele unterworfen hatte. Schon längst hatte diese nach Rache geglüht, und nun jetzt, da die Gelegenheit sie zu befriedigen, so außerordentlich günstig war, vermochte sie ihr nicht zu widerstehen. Das höllische Gelüst nach Rache wurde allgewaltig und unbesiegbar.

Judith warf einen Blick die Schlucht hinunter, um sich zu versichern, dass niemand da heraufkomme, einen anderen auf Käthchen, ob sie das Gesicht noch von ihr abgekehrt habe, und dann schlich sie leise aus den Büschen heraus und klomm behende auf den Felsen.

Schweigend wie eine Tigerin, die sich ihrer Beute naht, schlüpfte sie über die Felsenplatte zu der Stelle hin, wo das unschuldige Opfer ihrer wütenden Eifersucht, unbewusst der ihr so nahen und so drohenden Gefahr, in sich versunken stand.

Gab es denn in diesem Augenblick gar keine Stimme der Warnung? Tatsächlich war eine solche vorhanden, und zwar die des jetzt wahrhaft, ohne dass er es ahnte, wie ein Schutzgeist herbeieilenden Smythje.

»Ahah, teures Käthchen! Da sind Sie oben auf dem Felsen? Auf Ehre, bin ich hinter ihnen hergerannt! O, mir geht der Atem ganz aus, auf Ehre.«

Judith hörte die Stimme und wollte sich jetzt wieder unbemerkt in ihr Versteck zurückschleichen, als Käthchen sich etwas umwandte und sie auf diese Weise zwang, auf dem Platz zu verbleiben. Mit Gedankenschnelle hatte die Jüdin ihre auf den Mord der Nebenbuhlerin gerichtete Haltung geändert, und als die Kreolin sie zuerst erblickte, stand sie bereits mit nachlässig herabhängenden Armen, ganz in der Stellung, als wäre sie eben erst oben auf dem Felsen angelangt.

Käthchen sah sie hier mit Erstaunen und auch nicht ganz ohne Furcht, denn der wilde Blick aus den rollenden funkelnden Augen der getäuschten und so unerwartet in ihren verbrecherischen Absichten gestörten Mörderin musste von ihr durchaus bemerkt werden.

Bevor eine von den beiden ein Wort hervorzubringen vermochte, wurde Smythjes Stimme abermals von unten heraufschallend vernommen.

»Liebes Herz, ich komme schon! Gleich werde ich oben bei Ihnen sein«, fuhr er fort, während seine stets aus einer anderen Gegend herkommende Stimme anzeigte, dass er jetzt um den Felsen herum zu der eigentlichen Engschlucht lief.

»Ich bitte Sie um Verzeihung, Fräulein Vaughan«, sagte die Jüdin mit einer raschen Verbeugung und einem strengen, vornehm tuenden Blick auf Käthchen. »Ich bitte Sie tatsächlich sehr um Verzeihung. Es ist dies nun schon das zweite Mal, dass ich mich bei Ihnen hier auf diesem prächtigen Platz eindränge! Ich versichere Ihnen, ich bin durchaus wirklich nur ganz zufällig hier, und um Ihnen zu zeigen, dass ich nicht die Absicht habe, zu stören, will ich Ihnen einen Guten Morgen wünschen!««

Mit diesen Worten wandte sich die Tochter Jakob Jessurons ab und war von der Felsplatte verschwunden, bevor Käthchen noch Worte finden konnte, um ihr Erstaunen oder ihren gerechten Unwillen auszudrücken.

»Beim Jupiter«, keuchte Smythje, atemlos die Felsplatte erreichend. »Hatten Sie Gesellschaft hier? Gewiss habe ich jemand aus der Schlucht herauskommen sehen und noch dazu eine Dame im Roitkleid.«

»Fräulein Jessuron ist hier gewesen!«

»Ah, Fräulein Jessuron, die bemerkenswerte junge Dame, die sich jetzt verheiraten soll mit ihrem Vetter, wird gesagt! Beim Jupiter, sie wird eine prächtige Frau für ihn abgeben, wenn sie nur nicht zu viel ihren eigenen Weg gehen will! Ha, ha, ha! Was meinen Sie davon, teures Käthchen?«

»Ich habe gar keine Meinung darüber, Herr Smythje. Bitte, lassen Sie uns nach Hause zurückkehren.«

Smythje mochte doch wohl den ängstlichen Ton, mit dem diese Bitte ausgesprochen wurde, bemerken, ohne den eigentlichen Grund desselben zu begreifen.

»Ganz wohl, ich bin bereit, zurückzukehren. Aber, Käthchen, wie sonderbar Sie doch sind, Sie haben mir einen kleinen Streich spielen wollen, nicht wahr? Ha, ha, ha! Nun das ist ganz spaßhaft. Aber ich hatte Ihr weißes Kopftuch zwischen den grünen Bäumen gesehen und das leitete mich hier hinauf zu ihrem Versteck. Ha, ha, ha!«

Schwerlich ahnte Smythje, wie nahe seine Braut einem höchst verhängnisvollen Geschick gewesen, und ebenso wenig ahnte Käthchen, dass Smythje ihr Retter war!