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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Kommandant des Tower 25

Der Kommandant des Tower
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Zweites Buch
Der Lordprotektor
Siebzehntes Kapitel

Was in der Klosterkirche zu Zion um Mitternacht von den Wächtern gehört und gesehen wurde.

Herrlich gelegen an den Ufern der Themse zwischen Brentford und Isleworth, ungefähr halben Weges von der Hauptstadt nach Windsor, befand sich das aufgehobene Zionskloster, welches als erster Halteplatz für den Leichenzug bestimmt worden war. In diesem einst so angesehenen, jetzt aber unheimlichen und entweihten Kloster, welches der habsüchtige König aller seiner Einkünfte und Reichtümer beraubt hatte, war die schöne, aber unglückliche Catharina Howard eingesperrt gewesen. Ver­geblich hatte sie hier um Einsprache von oben gefleht vor demselben Altar, vor dem später die Leiche ihres tyrannischen Gemahls stehen sollte, und halb wahnsinnig vor Entsetzen hatte man sie hinweggeholt, um auf Heinrichs ruchlosen Be­fehl von Henkers Hand zu sterben. Schuldig mochte sie sein, aber was war ihre Schuld im Vergleich zu der ihres unerbittlichen Gatten und Richters!

Großartige Vorbreitungen waren jetzt in dem vernachlässigten Kloster getroffen worden, um das ungeheure Leichengefolge unterzubringen. Glücklicherweise war das Gebäude ein sehr weitläufiges, die Hallen und Zimmer, obschon ver­fallen und verkommen, fassten eine unglaubliche Menschen­menge, wovon sie jetzt den tatsächlichen Beweis lieferten. Zur Zeit unserer Geschichte war eine reichliche Bewirtung bei traurigen Anlässen ebenso gebräuchlich wie bei Festgelagen und Freudenfesten, und die ungeheuren Vorräte, die zur Steifung der zu erwartenden Gäste in Zion aufgespeichert worden waren, beschränkten sich keineswegs auf »Leichengebäck«.

Für das Unterkommen der geistlichen und weltlichen Lords, der fremden Gesandten und anderer Personen hohen Ranges war trefflich gesorgt. Die Mehrzahl der an dem Trauerzug Teilnehmenden aber musste sich selbst helfen, und nie waren die Schlafgemächer des Klosters selbst in seinen blühendsten Zeiten so gefüllt gewesen. Die Säle und Hallen des alten Gotteshauses waren schwarz behangen und mit Wappenschildern geschmückt, und die schöne alte Klosterkirche, die bei dieser Gelegenheit neu aufgeputzt wurde, war ebenfalls in Trauer gekleidet, der Hochaltar mit schwarzem Samt bedeckt und mit denselben Juwelen, Gold- und Silbergeschirren ausge­schmückt, die ehedem aus dem Klosterschatz geraubt worden waren. In der Mitte des Chors, von doppelten Schranken umgeben, war ein Katafalk aufgestellt, der fast noch prächti­ger war, als der in der Kapelle von Westminster. Die Um­hänge des hohen Baldachins waren mit Fransen von schwarzer Seide und Gold besetzt, und an der Seite waren Fähn­chen, Wappenschilder und große Banner angebracht. Eine beträchtliche Anzahl großer Wachskerzen brannte ringsum.

Der Leichenzug kam natürlich nur langsam weiter, und es war ein Uhr vorbei, als er in Brentford ankam. Von hier aus ritt eine Anzahl von Rittern, Edelleuten und Die­nern mit dem Lordmayor und dem Alderman von London nach Zion vorauf, wo sie sich in langen Reihen zu jeder Seite des Klostertores aufstellten. Ungefähr um zwei Uhr kam der Leichenwagen vor der westlich gelegenen Klostertür an. Das Bildnis des Königs wurde zuerst heruntergenommen und von den drei Riesenwächtern mit entsprechend Sorgfalt und Ehrerbietung in die Sakristei gebracht. Unter vielen Zeremonien wurde dann der Sarg heruntergehoben und durch zwei Reihen von Rittern und Edelleuten hindurch zu dem bestimmten Platz im Chor gebracht. Rings in dem mit herrlicher Schnitzarbeit versehenen Chor wurden all die verschiedenen Banner und Standarten, welche bei der Prozession gebraucht worden waren, aufgestellt.

Der Chor mit seinen tausend Wachskerzen, den Leidtra­genden von höchstem Rang, den geistlichen Würdenträgern, die ihr heiliges Amt verrichteten, den Kaplanen, Chorsängern und anderen, mit feinem Schmuck von Bannern und Wappenschildern, gewährte einen seltsam frappierenden Anblick. Als der Bischof von London im Verein mit den Chorsängern ein feierliches Totenamt hielt, war die Gesamtwirkung von Schauspiel und Hymnus eine wahrhaft ergreifende. Nicht nur der Chor, sondern auch das ganze Schiff der großen Klosterkirche war so gedrängt voller Menschen, dass diejenigen, welche bei der Zeremonie tätig waren, darin behindert wurden.

Der Gottdesdienst war jedoch kaum beendet, als auch die Kirche vollständig geräumt wurde, bis auf die Wächter. Daraufhin begann mit allem Ernst die Vertilgung der guten Dinge, die in Halle und Speisesaal bereitstanden. Von einem Ende des Klosters bis zum anderen wurde gegessen und getrunken und die Schaffner, Küchenjungen und Diener hatten genug zu tun, um den nicht enden wollenden Anforderungen zu entsprechen. Leider müssen wir sagen, dass unter den Leidtragenden große Heiterkeit herrschte, und einige Lieder wurden gelegentlich gehört, die nicht gerade wie Trauerlieder klangen. An den Klostertoren wurden reichlich Speisen verteilt und den Armen Almosen gegeben.

Bel der Leiche wurde beständig Wache gehalten und der Posten alle Stunden gewechselt. Aber trotz der aufgebotenen Wachsamkeit begab sich ein sonderbarer Vorfall, den wir so­gleich erzählen werden.

Etwas vor Mitternacht war die Reihe, Wache zu stehen, an den drei Riesenwächtern. Als der ältere Bruder, auf seine ungeheure Hellebarde gelehnt, zur Linken der Bahre stand, bemerkte er, dass unter dem den Sarg bedeckenden Leichentuch ein dunkler Strom hervorgequollen war, der langsam an der einen Seite des Katafalks heruntertröpfelte.

Entsetzt starrte er auf die blutige Lache, bis einige Tropfen auf den Boden gelangt waren. Dann stieß er einen Schrei aus, der seine Brüder sofort an seine Seite brachte.

»Was hast du, Og?«, riefen die beiden Riesen.

»Seht hier«, sprach der andere, »das ist des Königs Blut. Der Sarg ist aufgesprungen.«

»Ohne Zweifel!«, rief Gog. »Das ist ein entsetzliches Unglück, aber wir können nichts dafür.«

»Dummes Zeug!«, rief Magog. »Die schlechten Wege zwischen hier und Brentford, auf denen der Wagen zu sehr gestoßen wurde, haben Schuld, nicht wir! Aber was ist zu tun? Mich dünkt, wir müssen jemand rufen.«

»Ja, aber der Blutfluss wird immer stärker. Wir sollten ihm Einhalt tun.«

»Wie geht das an? Können wir den geplatzten Sarg wieder dichtmachen?«

»Andere können es, wenn auch nicht wir«, sagte Og. »Wir dürfen nicht säumen, Hilfe zu schaffen. Diese entsetzlichen Flecke müssen vertilgt werden, ehe morgen die Träger kommen.«

Ohne Weiteres eilte er auf das große westliche Tor der Kirche zu, gefolgt von seinen Brüdern, die ganz außer sich zu sein schienen über das entsetzliche Ereignis. Aber kaum hatten sie die Tür erreicht, als sie plötzlich durch ein heftiges Bellen, das augenscheinlich vom Chor herkam, er­schreckt wurden.

Sie blieben augenblicklich stehen. Als sie zu dem Chor zurückblickten, bot sich ihnen ein Anblick, der sie vor Grauen erstarren machte. Innerhalb der Schranken und dicht neben dem Katafalk, wo der schauderhafte Strom herunter­geflossen war, stand eine große dunkle Gestalt, die unter den obwaltenden Umständen verzeihlicherweise für eine überirdische gehalten wurde. Bei der schwarzen Gestalt befanden sich zwei kohlschwarze Hunde, mit Augen, die in der Fan­tasie der Riesen wie Karfunkel leuchteten. Von ihrem Herrn angefeuert, zerrissen diese Hunde die blutbefleckte Decke des Katafalks mit ihren Zähnen.

»Das ist der Satan in eigener Person!«, rief Magog. »Aber ich werde ihm entgegentreten und diese Höllenhunde von ihrem höllischen Tun abhalten.«

»Ich gehe mit dir«, sprach Og. »Ich fürchte weder Menschen noch Teufel.«

»Und ich will nicht zurückbleiben«, sprach Gog und ging mit.

Aber trotz ihres gepriesenen Mutes schritten sie höchst vorsichtig weiter, und noch ehe sie bis zum Chor gelangt waren, kam ihnen die dunkle Gestalt, mit den knurrenden Hunden zur Seite, entgegen. Sie erkannten nun, dass die anscheinend dämonische Gestalt ein Mönch war, mit der Kapuze dicht über dem geisterhaften Gesicht.

Indem er seine Hand nach ihnen ausstreckte, sprach der Mönch in einem Ton, dass die Hörer neues Entsetzen packte.

»Meine Worte sind in Erfüllung gegangen. Heinrich hat sich dem Bösen verkauft, und ich warnte ihn vor seinem Schicksal, wie Elia, der Thisbiter, den Ahab warnte. Das Gericht Ahabs ist über ihn gekommen. Auf demselben Fleck, wo Catharina Howard kniete, bevor sie zum Tower gebracht wurde, haben die Hunde des Frauenmörders Blut geleckt – sein Blut!«

Bevor sich die Riesen von ihrer Bestürzung hinlänglich erholt hatten, um den Versuch zu machen, ihn zu verhaften, war der Mönch Peto durch eine Seitentür verschwunden, durch die er wahrscheinlich auch in die Kirche gelangt war.

Voller Bestürzung beratschlagten die Riesen, was zu tun sei, als der große Flügel des westlichen Tores sich auftat und Lord St.-John, der Oberzeremonienmeister, mit drei Gardisten eintrat. Die zerrissene Decke des Katafalks machte jede Verheimlichung unmöglich, selbst wenn die Rie­sen zu einem solchen Versuch geneigt gewesen wären. Sie setzten also Lord St.-John sogleich von dem geheimnisvollen Vorfall in Kenntnis.

Der OberZeremonienmeister sah bei der Erzählung höchst ungnädig aus, und die Riesen erwarteten wenigstens einen scharfen Tadel, wenn nicht gar eine ernste Bestrafung ihrer Nachlässigkeit. Zu ihrem Erstaunen aber verwandelte sich der Ärger des Zuhörers in großen Ernst und, ohne ir­gendeine sie betreffende Bemerkung zu machen, schritt er zu einer Untersuchung des Katafalks. Nachdem er sich von der Wahrheit des ganz ungeheuerlichen Berichtes überzeugt hatte, gab der Oberzeremonienmeister sofort den Befehl zur Wiederherstellung des Sarges und der zerrissenen Decke sowie zur Reinigung der Stelle, indem er dem Riesen bei Todesstrafe verbot, ein einziges Wort über die geheimnisvolle Erscheinung des Mönchs und der Hunde zu reden.

Den Rest der Nacht hindurch wurde strenge Wache ge­halten und Sorge getragen, dass ein ferneres Eindringen unmöglich war.