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Der Schwur – Dritter Teil – Kapitel 6

Der-SchwurDer Schwur
Historischer Roman aus dem mexikanischen Unabhängigkeitskrieg

Dritter Teil
Der See Ostuta

Kapitel 6
Juan el Zapote fühlt seine Tugend straucheln

Wir haben schon erwähnt, dass Calderas und Don Rafael die Hazienda del Valle derartig befestigt hatten, dass sie fähig war, allen Kräften der Insurgenten in der ganzen Provinz zu widerstehen. Außer den drei Feldgeschützen, die der Gouverneur von Oajaca geliefert hatte, hatte Don Rafael das spanische Gouvernement vermocht, den Sold für die Mannschaft der Garnison, deren Zahl sich auf ungefähr Hundert belief, zu übernehmen und ihn als kommandierenden Offizier anzuerkennen.

Diese für den Schatz des Vizekönigs wenig fühlbare Ausgabe würde die Mittel Don Rafaels überstiegen haben. Sein obgleich nicht unbeträchtliches Vermögen würde, wie man sich leicht denken kann, nicht ausgereicht haben, den Unterhalt und die Equipierung seiner Soldaten durch fast zwei Jahre hindurch zu bestreiten.

Der Sold an und für sich war sehr geringfügig, aber die Gebühren, die für den Zoll des zwischen Puebla und Oajaca stattfindenden Handels erhoben wurden und die der Kommandant der Hazienda einnahm, verdoppelten ihn fast, und daher kam es, dass die Garnison sich nie weder über die Dauer noch über die Anstrengungen eines so reichlich vergoltenen Dienstes beklagte.

Der Leutnant Veraegui, ein tapferer, unternehmender und tätiger Mann, der den Befehl während der Abwesenheit des Obersten führte, hatte sich seit langer Zeit damit begnügt, sich in der Verteidigung zu halten, bis zu dem Augenblick, wo er erfahren und auch Don Rafael benachrichtigt hatte, dass die Guerilla Arroyos in die Provinz zurückgekehrt seien. Er hatte sich vorgenommen, sie wo möglich aufzureiben.

Da er jedoch sehr interessiert und wenig skrupulös war, abgesehen von seiner Tapferkeit, hatte er sich keineswegs beeilt, seinen Plan zur Ausführung zu bringen. In seiner Absicht lag es, Arroyo sich bereichern zu lassen, um zugleich Ehre und Vorteil aus der Niederlage des Guerillero zu ziehen. In seiner Eigenschaft als Spanier kümmerte es ihn wenig, dass die Kreolen gebrandschatzt wurden, wenn nur die Früchte des Raubes Arroyos seine Beute vergrößern konnten. Seine Soldaten teilten vollkommen seine Ansichten und dies erklärt, warum sie sich bis jetzt auf den einen Ausfall beschränkten, bei dem sie ungefähr zehn Banditen gefangen genommen oder getötet hatten.

Der Leutnant Veraegui befand sich noch in dieser Stimmung philosophischer Neutralität, als er an demselben Morgen des Tages, an dem Don Rafael sich bemühte, den Verfolgungen der Leute Arroyos zu entgehen, durch einen Boten des Gouverneurs von Oajaca den Befehl erhielt, so schnell wie möglich mit den Banditen ein Ende zu machen, welche die Provinz verheerten. Zugleich wurde ihm angezeigt, dass eine Verstärkung von sechzig Mann Milizen der Provinz an demselben Abend eintreffen würden.

Der Katalonier tobte zwar ein wenig beim Empfang dieses Briefes, der ihn zwang, seine Beute zu verringern, da er die Ausführung seiner Pläne beschleunigen musste. Er dachte keinen Augenblick daran, sich zu widersetzen. Nur wurde seine Laune, die schon aus natürlichen Gründen nicht die Beste in Betreff der Insurgenten war, dadurch nicht gemildert und weissagte nicht Gutes für diejenigen, die das Unglück haben würden, in seine Hände zu fallen.

Wenn man nun noch bedenkt, dass das Eintreffen dieses Befehls, so schnell wie möglich mit der Bande Arroyos ein Ende zu machen, mit der Nachricht des bevorstehenden Marsches Morelos’ nach Oajaca, der Aufhebung der Belagerung von Huajapam und der vollständigen Auflösung des Belagerungsheeres zusammenhing, kann man leicht begreifen, wie sehr sich der katalanische Leutnant seine Menschlichkeit vorwarf, die er sich gegen die vier Banditen hatte zuschulden kommen lassen, welche er in einem Anfall christlicher Barmherzigkeit, nicht wie ihre drei Gefährten an den Beinen, sondern am Hals hatte aufhängen lassen.

Ungefähr eine Stunde, nachdem der Hauptmann Lantejas die für seinen Namen so verhängnisvolle Hazienda del Valle passiert hatte, und nur einige Minuten, nachdem unter dem Schutz der Dunkelheit der Nacht die am Tor aufgehängten Köpfe auf Befehl Arroyos weggenommen worden waren, näherten sich zwei Gestalten dem mit Schießscharten versehenen Haus Don Rafaels.

Die beiden Gestalten waren der Bote Gaspar und sein Gevatter Juan el Zapote, welche die Dunkelheit abgewartet hatten, um sich bis zur Hazienda zu schleichen, aus Furcht, in die Hände der Guerillero zu fallen, die sie blockierten.

Beide hatten sich bis zum Untergang der Sonne versteckt gehalten und waren deshalb um so weniger Gefahr gelaufen, von den Leuten Arroyos aufgegriffen zu werden, da diese, wie wir wissen, zurückberufen worden waren, um alle ihre Kräfte gegen San Carlos zu konzentrieren.

»Ich sehe niemandem in unserer Nähe, meiner Treu! Alles ist hier leer«, sagte Juan, als beide den Eingang der langen Eschenallee, die zur Hazienda führte, erreicht hatten. »Aller Wahrscheinlichkeit nach haben meine ehemaligen Kameraden die Belagerung aufgehoben. Warum?«

»Das soll uns wenig kümmern«, erwiderte Gaspar. Die Hauptsache ist, dass wir unter diesen Bäumen in Sicherheit sind, und in einer Minute werden wir die Hazienda erreicht haben.«

»Das ist nicht einerlei. Ich lege mir gern Rechenschaft ab von den Dingen dieser Welt.«

»Bah! Machen wir, dass wir fortkommen«, sagte Gaspar.

»Langsam, Gevatter. Wir müssen vorsichtig sein. Wenn die Tugend auch einträglich ist, so muss man sie dennoch mit Einsicht ausüben, und mein Äußeres, so militärisch es auch ist, könnte leicht der Schildwache verdächtig erscheinen. Ein Flintenschuss ist so leicht abgefeuert!«

»Die Wahrheit ist, mein lieber Juan, dass du eine verteufelte Visage hast, die du versuchen solltest, abzulegen.«

»Das ist die schlechte Gesellschaft, die mich angesteckt hat. Ich habe so viel Unglück gehabt.«

»Nun, ich will allein gehen und mich den Schildwachen zu erkennen geben. Dann werde ich dich als einen Don Rafael Tres-Villas sehr ergebenen Mann vorstellen, der sich erbietet, ihn zu befreien.«

»So ist’s recht, vorausgesetzt, dass der Oberst noch lebt.«

»Wer da?«, rief die dröhnende Stimme der Schildwache.

»Gut Freund!«, erwiderte Gaspar, allein vorgehend, während sein Gefährte durch ein übertriebenes Misstrauen in seine militärische Physiognomie sich instinktmäßig, obgleich es Nacht war, hinter dem Stamm einer der dicken Eschen versteckte.

»Schert Euch zum Teufel!«, erwiderte die Schildwache.

»Ich überbringe dringende Nachrichten vom Obersten Tres-Villas«, sagte Gaspar.

»Und wir wollen sie dem Leutnant Veraegui mitteilen«, fügte Juan hinzu, ohne sich zu zeigen.

»Ah! Und wie viel seid Ihr?«

»Zwei«, erwiderte Gaspar.

»Dann kommt ohne Furcht näher.«

Die beiden Männer schritten durch die Eschenallee, hinter der sich das Tor der Hazienda öffnete, und Juan konnte nun, als der Einzige unter seinen ehemaligen Waffengefährten, welche unlängst noch dieselbe blockiert hatten, das Innere der Festung sehen.

Erdsäcke, hinter den Ringmauern aufgestapelt, bildeten einen Wall von zehn Fuß Dicke, der zugleich hoch genug war, dass die Belagerten, auf diesem Gegenwall stehend, vollständig vor dem Feuer ihrer Angreifer geschützt mit ihnen kämpfen konnten. Mauerzinnen, die weiter nichts als Verlängerungen der Pfeiler der Ringmauer waren, trugen mit dazu bei, der Hazienda del Valle das Aussehen eines festen Platzes zu verleihen.

Eine einzige Kanone war auf den inneren Wall hinauf geschafft worden. Die beiden anderen standen, bis zur Mündung geladen, auf ihren Lafetten hinter dem massiven Tor, bereit, jeden Augenblick, in welchem es entweder den Belagerern gelungen war, das Tor von außen zu brechen, oder in welchem man von innen plötzlich die Flügel aufriss, einen doppelten Strom von Kartätschen auszuspeien, die in der ganzen Länge der Allee alles zu Boden schmettern mussten. Außerdem waren noch am Tor Schießscharten angebracht, um jede unberufene Annäherung zu verhindern, und diese waren auf alle vier Seiten der Ringmauer ausgedehnt.

Der Leutnant Veraegui war gerade mit seinem Unterleutnant in einem Zimmer des Erdgeschosses mit Kartenspiel beschäftigt. Auf einem Tisch an seiner Seite stand eine große Flasche Branntwein, weiß und stark wie Alkohol, daneben zwei Gläser und nicht weit davon lag ein Bündel Havanna-Zigarren.

Juan el Zapote konnte sich eines geheimen unbehaglichen Gefühls nicht erwehren, das ihn beschlich, als ein forschender Blick aus den von dichten Brauen beschatteten Augen des Leutnants, dessen Haar und langer Schnurrbart bereits anfingen, grau zu werden, auf ihn fiel und ihn durchbohren zu wollen schien.

Der Katalonier verdankte seine Charge rein seinem persönlichen Verdienst. Er war derb und grob, von untersetzter Figur und von einem Körperbau, der eher dazu geschaffen schien, eine Rüstung als eine Uniform zu tragen.

Nach der Musterung Juans schweiften die grauen Augen des Leutnants zu Gaspar hin, dessen Gesicht er sich sogleich wieder erinnerte.

»Ah, Ihr seid’s!«, sagte er, sich an Letzteren wendend. »Ihr habt den Oberst gesehen und bringt mir Nachricht von ihm? Gehört er zu denen, die der Niederlage von Huajapam entronnen sind?«

»Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht. Alles, was ich zu sagen weiß, ist, dass er vor einigen Stunden im Wald auf dem Wege zwischen Huajapam und der Ostuta von den Banditen Arroyos umstellt war.«

»Und Ihr kommt erst jetzt nach Verlauf mehrerer Stunden zu mir, da doch eine Stunde genügt hätte, von dort bis hierher zu gelangen, und unterrichtet mich von der Gefahr, in der mein Oberst schwebt?«, fuhr der alte Leutnant voll Misstrauen und Zorn auf.

»Ich wurde nebst meinem Gevatter hier ebenfalls von den Banditen verfolgt und wir haben nicht eher entwischen können.«

»Ah! Ich verzeihe Euch, wie auch Eurem Gevatter, den ich übrigens eher für einen Freund als für einen Feind Arroyos gehalten haben würde. Wo zum Teufel habe ich denn Euer Gesicht schon gesehen, mein Lieber?«

»Ich bin viel in der Welt herumgereist«, erwiderte Juan, »und es ist daher nicht zu verwundern …«

»Hat der Oberst Euch ersucht, zu mir zu gehen?«, unterbrach ihn Veraegui.

»Ich bin ihm begegnet, ohne ihn zu kennen. Ich habe es leider zu spät erfahren, dass er es war.«

»Das wird unbegreiflich«, erwiderte der Katalonier, dessen Augen sich noch mehr mit Misstrauen füllten.

Gaspar erzählte nun dem Leutnant, wie in dem Moment, als er mit seinem Gevatter floh, der Oberst von einem Baum vor ihnen auf die Erde gesprungen sei und wie sie sich getrennt hätten, ohne ihn zu erkennen. Bis dahin ging alles gut, aber der Erzähler hatte sich auf ein für Juan gefährliches Gebiet verirrt. Es blieb noch übrig, zu erklären, wie dieser von seinen ehemaligen Kameraden erfahren hatte, dass der Mann, dem sie begegnet, Don Rafael selbst gewesen sei.

Gaspar stockte und die misstrauischen Blicke des Leutnant schweiften von einem zum anderen. Juan kam seinem Gevatter entschlossen zu Hilfe.

»Mein Gefährte«, fiel er ein, »wagt nicht, aus Rücksicht für mich, die ganze Wahrheit zu enthüllen und ich werde sie an seiner Stelle sagen. Das ist der Hergang: Mein Gevatter war, als er von hier fortritt, um den Señor Don Rafael vor Huajapam aufzusuchen, den Kundschaftern Arroyos in die Hände gefallen, in dessen Zelt gebracht worden und schwebte in großer Gefahr, sein Leben einzubüßen, wenn in Rücksicht auf unsere Gevatterschaft und aus Freundschaft für ihn ich nicht eingewilligt hätte, ihn mit Gefahr meines eigenen Lebens zu retten.

»Ihr wart also im Lager Arroyos?«, schrie der Leutnant.

»Man sieht manchmal ein Lamm unter Wölfen«, erwiderte Juan im Ton tiefer Zerknirschung.

»Ja, namentlich wenn das Lamm dem Wolf täuschend ähnlich steht.«

»Für jede Sünde gibt es Verzeihung. Ich war ein verirrtes Lamm und das ist alles.«

»Hm, ein heulendes Lamm mit Klauen und scharfen Zähnen! Aber fahrt fort.«

»Ich habe immer die Tugend geliebt«, entgegnete Juan, »und in meiner Eigenschaft als tugendhafter Mann war ich unter den Banditen durchaus nicht in meiner Sphäre, als mir mein Gevatter die Gelegenheit bot, auf eine tugendhafte Weise zu entfliehen.«

Das große Wort Tugend, welches Juan auf so prahlerische Weise erst als Substantiv und dann als Adjektivum und zuletzt als Adverbium gebraucht hatte, schien in seinem Mund so übel klingend, dass der Katalonier ausrief: »Zum Henker, dieser Tugendakt musste sehr einträglich sein!«

»Nichts ist einträglicher als die Rechtschaffenheit, das ist mein Grundsatz. Die Hauptsache bleibt immer, dass, wenn ich nicht unter Arroyo gedient hätte, meine früheren Kameraden mir nicht gesagt haben würden, dass der Flüchtling, den wir nicht kannten, kein anderer als Don Rafael war. Ich wäre nicht zu Euch gekommen, um Euch von der Gefahr, in welcher der Oberst sich befindet, zu unterrichten und mein Gevatter wäre gehängt oder erschossen worden.«

»Das alles ist wahr, wie das Evangelium«, sagte Gaspar.

»Außerdem«, fügte Juan hinzu, »wenn es dem Obersten gelungen sein sollte, sich zu retten, wie ich hoffe, so wird er es nur der Anweisung zu danken haben, die ich ihm gab, ein Versteck in den Bambusgebüschen der Ostuta zu suchen.«

»Wo?«, fragte Veraegui.

Juan beschrieb nun auf das Genaueste den angegebenen Ort. Dann fügte er hinzu: »Übrigens werde ich die Ehre beanspruchen, Euch selbst dorthin zu führen.«

»Ihr und Euer Gevatter werdet als Geißeln bis zur Rückkunft des Obersten hierbleiben. Ich traue dem Charakter der Lämmer nicht, die zu lange Umgang mit den Wölfen gehabt haben. Wenn der Oberst lebt, bleibt Ihr beide am Leben, wenn er tot ist … Bringt die beiden Leute fort und bewacht sie scharf«, sagte der Leutnant, ohne seinen Satz zu vollenden.

»Was, ich auch?,« rief der ehrliche Gaspar mit einem für seinen Gevatter wenig schmeichelhaften Erstaunen.

»Um so schlimmer für Euch! Man muss sich immer des Sprichworts erinnern: Es ist besser, allein zu gehen, als in schlechter Gesellschaft.«

Die Soldaten führten Gaspar und Juan el Zapote ab, der trotz seines Grundsatzes ziemlich verstimmt war, seinen ersten Tugendakt so schlecht belohnt zu sehen.

Der Leutnant stürzte ein volles Glas seines Branntweins hinunter.

»Bei den Wunden Christi!«, rief er, »ich werde diese Nacht ein Ende mit den Banditen Arroyos machen und den Schakalen und Geiern einen Fraß verschaffen, der auf vierzehn Tage ausreichen soll.«

Auf seinen Befehl warf der Unterleutnant die Karten weg und stürzte in den Hof der Hazienda, um eine Truppe aus dreißig Mann auszusuchen, die dem Obersten mit verhängten Zügeln zu Hilfe eilen und die Ufer des Flusses durchsuchen sollten.

In diesem Augenblick wechselte das Korps der Milizen der Provinz das Losungs- und Erkennungswort mit der Schildwache aus, die auf dem Wall stand. Der Gouverneur hielt sein Wort.

Dieser neue Zwischenfall verzögerte den Abmarsch des Detachements, und während Veraegui seine Maßregeln zu einem allgemeinen Angriff trifft, indem er nicht mehr als die durchaus nötige Anzahl von Leuten zur Bewachung der Hazienda zurücklässt, wollen wir mit kurzen Worten sagen, wie es Don Rafael ergangen war.

Von dem Dickicht aus, in dem der Oberst ein Asyl gefunden hatte, konnte er zwischen den Bambusstengeln hindurch alle Bewegungen im Lager Arroyos beobachten. Er sah das Lager abbrechen und die Guerillero die Zugänge des Flusses verlassen.

Nun verließ der Oberst, als die Nacht gänzlich hereingebrochen war und die Sterne am Himmel glänzten, seinen Zufluchtsort, aufmerksam um sich blickend. So weit sich der Fluss ausdehnte, herrschte die tiefste Stille. Bald aber wurde dieses Schweigen durch drei Männer, die durch die Furt ritten, unterbrochen, später von zwei anderen Reitern, die denselben Weg einschlugen. Die Ersteren waren der Hauptmann Lantejas und seine beiden Gefährten, die anderen die beiden Banditen, die dem Hauptmann Arroyo die Köpfe seiner drei Soldaten brachten, die sie vom Tor der Hazienda del Valle abgenommen hatten.

Die erste Sorge des Obersten war, als er sich allein sah, zu der Stelle des Waldes zurückzukehren, wo er Roncador zuletzt angebunden hatte.

Wie sein Herr so war auch das Pferd den Nachforschungen der Leute Arroyos glücklich entgangen, aber das arme Tier war durch Ermüdung und vorzüglich durch Durst so abgemattet, dass der Oberst erst zum Ufer des Flusses zurückkehren musste, um es zu tränken.

Dies riet ihm auch die Vorsicht, denn die Ostuta war verlassen, das wusste Don Rafael, er wusste nicht, ob die Zugänge zur Hazienda del Valle noch bewacht würden.

Während das abgezäumte Pferd eine reichliche Nahrung in den saftigen Gräsern an den Ufern des Flusses fand, bemerkte Don Rafael, der sich von Neuem hinter das Schilf gekauert hatte, einen Mann, welcher sich anschickte, die Furt des Flusses zu Fuß zu durchwaten, um das andere Ufer zu erreichen.

Der Mann war allein und Don Rafael nahm sich vor, ihn, wer er auch immer sein mochte, nicht vorüber zulassen, sondern ihn auszuforschen. Als der Fußgänger den Fuß ans Land setzte, schritt der Oberst mit dem blanken Degen in der Faust auf ihn zu und befahl ihm zu warten, indem er ihn versicherte, dass er nichts zu fürchten habe.

Dessen ungeachtet schien der Mann sehr erschreckt über diese Aufforderung und in der Tat hatten die plötzliche Gegenwart des Obersten, sein langer Degen sowie seine zerrissenen und kotigen Kleider eben nichts sehr Beruhigendes an sich.

»Herr Gott!«, schrie er. »Lasst einen Diener vorüber, der Hilfe für seine Herrschaft sucht.«

»Wer ist Deine Herrschaft?«, fragte Don Rafael mit sanfter Stimme.

»Die Besitzer der Hazienda San Carlos.«

»Don Fernando Lacarra und Doña Marianita Silva?«

»Ihr kennt sie?«

»Sind sie in Gefahr?«

»Leider ja!«, rief der Diener. »Ihr Haus ist ausgeplündert und ich habe das Schmerzensgeschrei meines armen Herrn unter den Peitschenhieben Arroyos …«

»Was, immer dieser Elende?«, unterbrach ihn Don Rafael heftig.

»Er ist es immer, wenn es irgendein Verbrechen zu verüben gilt.«

»Und Eure Herrin Doña Marianita?«

»Um ihm die Entdeckung des Ortes zu entreißen, wo sie verborgen war, wandte der Räuber die Peitsche an meinem Herrn an. Allein glücklicherweise ist es mir gelungen, seine Brutalität zuschanden zu machen, indem ich der Doña zur Flucht durch das Fenster des Zimmers verhalf, wo sie versteckt war. Dann bin ich nach ihr entflohen und will nun Hilfe von der Hazienda del Valle holen, deren großmütige Verteidiger nicht gestatten werden, dass man ungestraft die Gesetze des Krieges verletzt.

»Sind die Zugänge dahin unbesetzt?«, fragte der Oberst.

»Ohne Zweifel. Die ganze Truppe der Banditen ist in San Carlos konzentriert.«

»Nun, kommt mit mir!«, rief Don Rafael. »Ich verspreche Euch eine ebenso schnelle wie blutige Rache!«

Ohne sich weiter auszusprechen, warf der Oberst seinem Pferd den Zaum über, schwang sich in den Sattel und half dem Diener, sich hinter ihm aufzusetzen. Dann sprengten sie pfeilschnell zu der Hazienda del Valle.

»Wohin wird Eure Herrin geflohen sein?«, fragte Don Rafael nach Verlauf einiger Minuten des Stillschweigens.

»In meiner Verwirrung habe ich nicht daran gedacht, sie zu der Hazienda zu weisen, wohin wir uns jetzt begeben. Ich habe ihr den Rat erteilt, in den bei San Carlos liegenden Wäldern einen Zufluchtsort zu suchen. Aber das Wichtigste ist, dass sie den Klauen Arroyos hat entfliehen können. Arme junge Frau! Sie war diesen Morgen noch so glücklich!«, fügte der Diener mit einem Seufzer hinzu. »Sie erwartete im Laufe dieses unglückseligen Tages ihren Vater und ihre Schwester, die sie seit beinahe einem Jahr nicht gesehen hat.«

Der Oberst konnte sich eines Zitterns, das ihm durch den ganzen Körper lief, nicht erwehren.

»Wisst Ihr es genau, dass Don Mariano und Doña Gertrudis kommen sollten?«, fragte er mit einer gewissen Beklemmung.

»Ein Brief setzte wenigstens ihre Ankunft auf heute fest. Wenn sie nur nicht in die Hände der Blutmenschen gefallen sind! Dabei muss man noch bedenken, dass dieser Arroyo ein ehemaliger Diener des Vaters meiner unglücklichen Herrin ist.«

»Hoffen wir!«, sagte der Oberst mit Anstrengung.

»Vielleicht auch hat die Schwäche der Doña Gertrudis einen Aufenthalt auf der Reise von zwei oder drei Tagen nötig gemacht. Wenn das wäre, könnte sie nicht genug von Glück sagen.«

»Was sagt Ihr? Doña Gertrudis wäre krank?«

»Ei was!«, erwiderte der Diener Don Fernandos. »Ihr scheint sie doch zu kennen und wisst nicht, dass sie nur noch ein bloßer Schatten ist und dass ein geheimer Kummer sie verzehrt? … Aber warum zittert Ihr so?«, fügte er hinzu, indem er an seinem Arm, den er um den Leib des Obersten geschlungen hatte, die nervösen Zuckungen fühlte, die diesen durchbebten.

»Es ist nichts«, antwortete Don Rafael hastig. »Sagt mir, kennt man die Ursache dieses geheimen Kummers?«

»Wer sollte ihn nicht kennen? Doña Gertrudis liebte einen jungen Offizier über alle Maßen, dass sie, wie man sich erzählt, sich keinen Augenblick besann, das Gelübde abzulegen, sich ihr herrliches Haar abzuschneiden, wenn der, den sie liebte, einer großen Gefahr entging. Das Opfer ist vollbracht worden und nun, da er vielleicht nur ihren Gebeten das Leben verdankt, hat er sie vergessen, während sie seiner noch immer gedenkt und …«

»Nun!,« rief der Oberst mit zitternder Stimme.

»Nun, das junge Mädchen stirbt langsam deswegen hin, das ist alles. … Ach, Herr Kavalier, Ihr seid krank, ich sage es Euch«, fuhr der Diener fort. »Ich fühle Euer Herz unter meinem Arm hämmern, als ob es aus der Brust springen wollte. Mäßigt doch den Lauf Eures Pferdes.«

»Es ist wahr, ich ersticke«, erwiderte Don Rafael mit gepresster Stimme. »Ich leide an Herz zerspringen.«

Der Oberst wankte auf dem Pferd und sein Gefährte war genötigt, ihn zu unterstützen, damit er nicht fiel.

»Dank, mein Freund, Dank!«, sagte Don Rafael mit schwacher Stimme, dessen herkulische Kraft unter dem Gewicht seiner Gemütsbewegung erschlaffte. »Ich fühle mich besser … fahrt in Eurer Erzählung fort … sie interessiert mich. Hatte denn dieser Mann … zu Doña Gertrudis gesagt, dass er sie … nicht mehr liebe? Liebte er eine, andere?«

»Ich weiß nicht.«

»Konnte sie es ihn nicht wissen lassen … durch eine verabredete Botschaft … dass er zu ihr zurückkommen solle, und wäre er auch am Ende der Welt? Vielleicht wäre dann …«

Don Rafael wagte nicht weiter zu sprechen, denn eine lange niedergehaltene Hoffnung fing an, sein Herz mit so großer Gewalt zu erfüllen, dass er fürchtete, sie plötzlich zerstört zu sehen.

»Ihr fragt mich mehr, als ich von der Angelegenheit weiß. Ich habe Euch bereits alles gesagt, was mir darüber zu Ohren gekommen ist.«

Der Oberst unterdrückte einen Seufzer und drang nicht weiter in ihn. Inzwischen strengte der Roncador unter dem Druck seiner Schenkel alle Kraft an und jagte trotz der doppelten Last im vollen Galopp zur Hazienda del Valle.

»Kennt Ihr den Namen des Offiziers, den Doña Gertrudis liebt?«, fragte er nach einigen Minuten.

»Ich kenne ihn nicht, aber ich an seiner Stelle, ich ließe nicht ein so schönes Mädchen, wie das Gerücht sagt, denn ich habe sie nie gesehen, vor Liebe sterben.« Dies waren die letzten Äußerungen, welche die beiden Reiter über diesen Gegenstand wechselten. Einige Augenblicke später erreichten sie den Eingang zur Eschenallee, wo die Stimme der Schildwache sie anhielt.

Don Rafael rief: »Sagt dem Leutnant Veraegui, dass der Oberst Tres-Villas angekommen ist.«

Gleich darauf erklang das Schmettern der Trompeten im Innern der Hazienda zum Zeichen der Freude über die Rückkehr des Kommandanten, während der Diener Don Fernandos vom Pferd sprang und sich tausendmal entschuldigte, den Rang seines Gefährten verkannt zu haben.

»Ich bin vielleicht derjenige, der Euch verpflichtet ist«, erwiderte der Obrist, »denn ich werde Euch eine wichtige Botschaft anvertrauen.«

Der Diener verbeugte sich, und während der Leutnant Veraegui mit zwei Unterleutnants und Soldaten, welche Fackeln trugen, näher kamen, um den Befehlshaber der Garnison zu bewillkommnen, hielt er ehrfurchtsvoll den Zügel des Pferdes.

Indem er die Hazienda betrat, vermutete er nicht die glühenden Wünsche, die der Bote Doña Gertrudis’ und sein Gevatter für seine Rettung hegten.