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Gold Band 2 – Kapitel 01.3

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 2
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 1
Ein Abend im Paradies
Teil 3

»Eine was?«, fuhr der Justizrat jetzt erstaunt auf und sah seinen Nachbarn ganz verwundert an.

»Wo Sie gerade glauben, dass ein passender Platz wäre«, ergänzte aber Fischer, der sich an Erbes Erklärung und den verblüfften Gesichtern der neu Eingewanderten ergötzte. »Der Doktor hat seinen eigenen Dialekt – eine Art Rezeptsprache, an die Sie sich wohl noch erst gewöhnen müssen. Übrigens werden Sie alle diese Ausdrücke, wie ledge Felsvorsprung, gravel Kies, clay Ton oder Lehm, und wie sie alle heißen, schon noch zur Genüge und vielleicht zum Überdruss kennenlernen. Der Doktor hat jedoch recht – einen Platz angeben kann Ihnen niemand, denn wenn einer von uns eine Stelle wüsste, wo wirklich Gold genug läge, reiche Ausbeute zu liefern, ginge er natürlich selber hin. Etwas Gold finden Sie überall, nur ob es die daran gewandte Arbeit zahlt, ist die Frage. Jetzt aber tun Sie mir den Gefallen und lassen Sie uns von diesem verwünschten Thema schweigen. Gold! Gold! Ewig Gold! Man hört hier weiter nichts den ganzen Tag in diesen nichtswürdigen Diggins, und ich versichere Ihnen, das bloße Wort ist mir schon zum Ekel geworden.

»Hallo, da kommt Johnny!«, rief auf einmal der Aktuar, indem er zum Eingang deutete.

Als sich alle rasch dorthin drehten, trat eine so wunderliche Persönlichkeit in die Tür, wie sie wirklich nur dieses wunderliche von allen Ländern, Kalifornien, ausbrüten und in Lebenskraft und Tätigkeit erhalten konnte.

Es war ein kleiner hagerer Bursche von vielleicht 26 bis 36 Jahren, das Alter ließ sich aber nicht genau bestimmen, da er das Gesicht entsetzlich in Falten zog und überdies auch in den letzten acht Tagen schwerlich Wasser daran gebracht hatte. Gekleidet ging er in eine kurze graue Jacke von baumwollenem Zeug, ebensolche, durch den Gebrauch aber übermäßig abgenutzte Hosen und Schuhe ohne Strümpfe. Vor allem eigentümlich aber war sein Hut – ein ganz gewöhnlicher, einst schwarz gewesener breitrandiger Filzhut zwar, aber an drei Seiten den Rand in die Höhe geschlagen und festgenäht, wobei die eine Ecke sogar noch eine alte Bronzebrosche mit einem großen blauen Glasstein schmückte.

Die ganze Gestalt war kaum höher als vier dreiviertel Fuß, ihr Gesicht aber in finstere, ernste Falten gelegt. Als er die Deutschen um den Tisch herum sitzen sah, trat er auf sie zu, blieb etwa drei Schritte von ihnen stehen, schlug dabei die Arme über der Brust zusammen und sagte: »So ist das Volk! In den Tag lebt es hinein, unbekümmert um das, was die nächste Stunde bringt, und unheildrohend hängt dabei schon die Wetterwolke über ihrem Haupt, die Ahnungslosen zu zermalmen.«

»Meine Güte!«, rief Binderhof erstaunt und fast verblüfft aus, indem er sich nach der neuen Erscheinung umdrehte. »Wo ist der nun wieder ausgebrochen? Lamberg«, flüsterte er dann seinem Nachbarn zu, »wenn ich wieder nach Hause reise, lasse ich mir den und den Doktor abwaschen und ausstopfen und nehme sie für unser Naturalienkabinett mit.«

»Na, Napoleon«, sagte aber Fischer gutmütig, »lass deine Schrullen und setz dich her zu uns. Hier sind neue Landsleute eingetroffen, gib Pfötchen und sag ihnen Guten Abend.«

»Ein schlechter Willkomm ist es, den ich ihnen in den Minen bringe«, erwiderte aber der mit dem dreieckigen Hut und den unterschlagenen Armen, indem er seine, unter den zusammengezogenen Brauen fast verschwindenden Augen über die einzelnen Gäste schweifen ließ. »Ihnen wäre besser, dass sie das Land nie gesehen hätten.«

»Donnerwetter – was ‘s nu los?«, sagte der Justizrat bestürzt, indem er halb von seinem Sitz emporfuhr.

»Bleiben Sie ruhig sitzen«, beschwichtigte ihn aber Fischer, »dies hier ist bloß Napoleon, Johnny Napoleon, der manchmal ganz verrückte Einfälle hat. Wer weiß, was ihm heute wieder durch den Kopf geschossen ist.«

»Ich will dir was sagen, Fischer«, brach da Johnny plötzlich, in ganz natürlicher Sprache und seine Arme herunternehmend ab. »Erst gib einmal Raum, dass ich da mit hin kann, und dann schenke mir ein Glas Wein ein, denn ich habe schmählichen Durst, und zuletzt bitte ich dich dringend, nichts zu beurteilen, was du nicht verstehst. Guten Abend, meine Herren«, wandte er sich dann, mit einer sehr formellen Verbeugung an die übrigen Gäste und warf eines seiner Beine über die Bank, neben dem zur Seite rückenden Fischer Platz zu nehmen.

Fischer betrachtete ihn bei dieser Bewegung, bei der er ihm den Rücken zudrehte, lächelnd und sagte dann, als er Platz genommen hatte, und während er ihm ein Glas füllte: »Johnny, Johnny, nimm dich in acht, du hast dein Vorhemdchen heute einmal wieder an der ganz verkehrten Stelle.«

»Fischer«, erwiderte Johnny ernst, »guten Abend, Doktor – lass mich mit solchen Lappalien zufrieden.«

»Da hast du das rechte Wort getroffen, Johnny«, erwiderte der andere lachend, »aber was gibt es denn wieder? Ist etwas vorgefallen?«

»Etwas?«, rief aber Johnny, sich feierlich nach ihm umdrehend, »ein ganzer Haufen, wie der Doktor sagen würde.«

»Na dann schieß einmal los«, sagte Fischer, »aber erst muss ich dich hier unseren Landsleuten vorstellen. Also meine Herren, hier belieben Sie zu bemerken, dies ist der große Goldwäscher Jean Stülbéng, eigentlich Johann Stuhlbein, im gewöhnlichen Leben Johnny oder auch, wegen seiner enormen Ähnlichkeit mit dem auf Helena verstorbenen Kaiser Napoleon, nach diesem genannt. Er ist marchand tailleur, 32 Jahre alt, vollständig ausgewachsen, und wurde vor etwa vier Monaten von uns am Mormongulch lebendig eingefangen. Jetzt scheint er vollständig zahm zu sein, isst von einem Teller, trinkt aus einem Glas und hat sogar, trotz eines früheren zweijährigen Aufenthalts in Frankreich, seine Muttersprache zum Teil wieder gelernt.«

»Bist du nun fertig?«, sagte Johnny, der, ohne auch nur eine Miene seines ernsten Gesichtes zu verziehen, dieser Vorstellung zugehört hatte.

»Vollkommen, Johnny.«

»Sehr wohl, dann erlaube mir, dass auch ich ein Wort zu meiner Rechtfertigung sage – Herr Wirt! Bitte bringen Sie uns einmal drei Flaschen Champagner! Ich habe …«

»Bravo, Johnny«, rief aber Fischer lachend, »das war schon vollkommen genügend, und eine der besten Reden, die du in deinem ganzen Leben gehalten hast. Du brauchst jetzt kein Wort weiter zu sagen.«

»Bitte, unterbrich mich nicht – ich habe leider von vornherein bei unseren neuen Landsleuten mit einem Vorurteil zu kämpfen, mit dem nämlich, dass sie mich in solcher Gesellschaft antreffen. Ich hoffe indes, nähere Bekanntschaft wird das zerstören und uns alle in unserem wahren Licht erscheinen lassen. Jetzt aber – Fischer, sei einmal so gut und öffne eine von den Flaschen …«

»Mit dem größten Vergnügen, Johnny …«

»Zugleich aber«, fuhr Johnny fort, »habe ich Ihnen allen eine ernste Nachricht zu bringen, die Sie hoffentlich aus Ihrer Ruhe und Selbsttäuschung aufrütteln wird. Die Legislatur von Kalifornien hat nämlich ein Gesetz erlassen, nach dem alle Fremde in den Minen, d. h. alle Goldwäscher, denn die Händler sind davon ausgenommen, eine Taxe von 20 Dollar monatlich entrichten sollen!«

»Unsinn!«, riefen die Deutschen, und Fischer und Korbel sprangen von ihren Sitzen auf, » das ist ja nicht möglich.«

»Was gibt es?«, riefen einige Franzosen, die an einem anderen Tisch saßen und wohl merkten, dass da eine unwillkommene Neuigkeit mitgeteilt würde.

Der Wirt, der am Tisch stehen geblieben war, übersetzte ihnen auch bald die neue Kunde, und ein Schrei der Entrüstung lief durch das ganze Zelt. Nur die Neuankömmlinge blieben ziemlich ruhig, da sie die ganze Tragweite dieses allerdings unerwarteten Gesetzes noch nicht begreifen konnten.

Johnny aber, sich auf seiner Bank halb herumdrehend, und jetzt teils zu den Franzosen, teils zu den Deutschen gewandt, begann, in einer wahrhaft verzweifelten Mischung von Deutsch und Französisch beiden Nationalitäten die eben durch einen direkt von San Francisco kommenden Amerikaner erhaltene Nachricht auseinanderzusetzen und seinen festen Entschluss dabei auszusprechen, lieber zu sterben, als diese enorme Taxe zu zahlen.

Das ganze Zelt war dadurch in Aufregung gekommen, denn andere, jetzt ebenfalls eintretende Franzosen betätigten die Nachricht. Es war keinem Zweifel mehr unterworfen, dass man den Fremden dadurch zugunsten der Amerikaner eine Last aufbürden wollte, die sie beschlossen hatten, nicht zu dulden. Die heißblütigen Franzosen machten auch schon allerlei Pläne, wie sie die Fremden um ihre Fahne scharen und den Amerikanern die Spitze bieten wollten.

Das Resultat blieb aber für den Augenblick nur ein dem Wirt Günstiges, da die Leute in ihrer Aufregung Flasche nach Flasche forderten.

Mehr und mehr Gäste hatten sich indessen gesammelt, meistens Franzosen, die sich zusammen an ihren Tischen hielten und auf das Lebhafteste fast nichts anderes als das neue Gesetz besprachen. Aber auch noch einige Deutsche waren dazugekommen, die mit einem kurzen, aber höflichen »Guten Abend« an dem nämlichen Tisch Platz nahmen, an dem ihre Landsleute saßen.

Der eine von ihnen war ein noch junger Mann, mit dunklen gelockten Haaren und ebenfalls in ein rotwollenes sogenanntes Minerhemd gekleidet, unter dem er jedoch noch ein anderes von schneeweißer und wie es schien sehr feiner Leinwand trug. Auch die Beinkleider – Rock oder Jacke hatte er nicht an – waren, wenn auch hier und da durch Dornen oder scharfe Steine beschädigt, nach dem neuesten Schnitt gemacht und vom feinsten Stoff. Ein Brillantring an seinem Finger passte aber nicht recht zu der ganzen übrigen Umgebung und verriet, dass der Träger desselben eigentlich einer anderen Gesellschaft angehöre.

Des anderen Erscheinung war in dieser Umgebung noch auffallender, denn gerade so, wie wir erstaunt sein würden, wenn in eine anständige europäische Gesellschaft ein Herr in Hemdsärmeln treten würde, so auffallend war es hier zwischen all den rauen Goldwäschergestalten einen Einzelnen zu treffen, der kein wollenes oder buntbaumwollenes Hemd, sondern einen schwarzen Frack, einen runden hohen Hut und Glacehandschuh trug.

Selbst dem Justizrat, an dem solche Sachen sonst gewöhnlich unbeachtet vorüberglitten, fiel das auf und er drehte sich von dem Mann ab, an seinen Nachbarn zur Rechten, sich nach dieser ungewöhnlichen Erscheinung zu erkundigen. Hier aber traf er auf Erbes dickes, im Genuss des Champagners vor Freude strahlendes Gesicht und gab jede weitere Frage in dieser Richtung auf. Neben seinen anderen Nachbarn, dem Aktuar gerade gegenüber, hatte sich aber der Fremde gesetzt, und er musste seine Neugierde für den Augenblick unbefriedigt lassen.

»Ah, Sie haben Champagner«, gab da der junge Mann im roten Hemd lachend von sich, indem er seinen Strohhut auf eine der Zeltstützen hing, seinen leichten dunklen Schnurrbart ein wenig in die Höhe drehte und dann an dem Tisch Platz nahm. »Johnny hat gewiss wieder seinen splendiden Tag. Herr Wirt, mir auch eine Flasche!«

»Halt!«, rief da Johnny, den Arm ausstreckend. »Sie müssen mit uns trinken, Graf Beckdorf.«

»Ich danke«, erwiderte dieser lachend. »Heute Abend habe ich schon selber bestellt – ein ander Mal.«

»GrafBeckdorf?«, flüsterte der Justizrat erstaunt Erbe zu.

Dieser aber hörte die Bemerkung nicht, sondern betrachtete mit breitem Grinsen den Mann im schwarzen Frack, der sich eben einen feingestrickten wollenen Shawl vom Hals abwand. Sich dann ihm über den Tisch beugend sagte er: »Sie haben wohl einen cold gecatcht, Mister Bu… Bubli… Wie heißen Sie gleich?«

»Bublioni«, sprach der Mann im Frack lachend, der Erbe schon kannte, indem er leicht hinter die vorgehaltene Hand hustete. »Nein, Doktor, ich trage den Shawl nur, damit ich keinen cold catche, wie Sie belieben sich auszudrücken. Wo haben Sie eigentlich Ihr famoses Deutsch gelernt?«

»Iche? In Leipzig – wo anders?«

»Und sagt man da cold catchen statt erkälten?«

»Na, of course – oder eigentlich mehr in die States? Aber das ist alles a like. Sie wissen ja doch, was ich meine.«

»Jawohl, bester Doktor, jawohl.«

Binderhof und Lamberg hatten sich indessen mit Korbel in ein Gespräch über die Bearbeitung der Minen eingelassen, und von dem Wein erhitzt, wurde die Unterhaltung bald laut und lebhaft.