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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Erster Teil – Zweiunddreißigste Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil

Zweiunddreißigste Erzählung

Von dem Wechselbalgkobold, welcher den Wöchnerinnen die neugeborenen Kinder verwechselt und ihnen des Nachts ein missgestaltetes Geschöpf an die Stelle ihres wohlgebildeten Säuglings unterschiebt

Den Verheirateten unter meinen Leserinnen wird es unstreitig bekannt sein, dass Schwangeren und Wöchnerinnen nichts so sehr nützt und frommt, als wenn sie sich vor den Träumereien einer lebhaften Einbildungskraft sowie vor allen heftigen Gemütsbewegungen hüten und dass im Gegenteil nichts so gefahrvoll für sie ist als ängstigende Furcht und erschütternder Schrecken. Solange aber die Menschen überhaupt, und die Dienenden insbesondere, den Kopf noch voll törichter Gespensterfurcht haben, ist es fast unmöglich, alle Gefahren dieser Art von dem Wochenbett zu entfernen. Denn man hat Beispiele, wo selbst die vernünftigsten, vorurteilfreiesten Wöchnerinnen bloß dadurch mancher Gefahr ausgesetzt waren, daß sie unter solchen Menschen lebten, die noch von einer kindischen Furcht vor Gespenstern beherrscht wurden.

Wie leicht kann zum Beispiel bei nächtlicher Stille in dem Haus einer Wöchnerin zufälligerweise ein unvorhergesehenes heftiges Gepolter entstehen und die Kindbetterin aus ihrem leisen Schlummer aufschrecken! Aber wie sehr müssen die Gefahren dieses Schreckens vollends dann vermehrt werden, wenn die Wöchnerin noch von manchem Aberglauben beherrscht wird und vielleicht mit der ängstlichen Besorgnis eingeschlummert war: »Ach Gott! Wenn nur diese Nacht kein Wechselbalgträger kommt und mein geliebtes Kind gegen ein ungestaltes Balg vertauscht!«

So unvernünftig und widersinnig diese Besorgnis den meisten meiner Leserinnen auch scheinen mag, so gab es doch eine Zeit, in welcher man diesen jetzt gottlob fast ganz verschwundenen Aberglauben in den Wochenstuben der unteren Volksschichten noch häufig anzutreffen pflegt. Damals überließ sich noch keine Wöchnerin der nächtlichen Ruhe, bevor sie nicht ihren Säugling wegen der Gefahr des Vertauschens bekreuzt und dafür gesorgt hatte, dass irgendein Kleidungsstück ihres Mannes als ihr Talisman in der Nähe des Kindes aufgehängt war. Hatte sie diese Vorsicht einmal anzuwenden vergessen, so erwachte sie vielleicht mit einer Ängstlichkeit, die ihrem mütterlichen Herzen unstreitig mehr Ehre machte als ihrem Verstand.

Leider findet man diesen abgeschmackten Wahnglauben selbst in unseren lichtvollen Tagen wenigstens noch hier und da. Ich führe statt vieler Beispiele nur folgende zwei an:

Vor Jahren kam in einem Dorf bei Alsleben eine arme Tagelöhnerfrau ins Wochenbett, die in ihrer Jugend vieles von dem Wechselbalgkobold und von dessen listrigen Betrügereinen gehört und eine große Furcht vor demselben hatte. Ihr neugeborenes Kind war vollkommen gesunf und wohlgebildet. Dies vermehrte ihre unvernünftig zärtliche Besorgnis für dasselbe nur noch mehr, und es überfiel sie allemal eine große Angst, so oft die Nacht einbrach. Sie durchwachte absichtlich halbe Nächte, und wenn sie, von einer außerordentlichen Müdigkeit überwältigt, ein wenig einschlummerte, so fuhr sie oft schreckhaft zusammen und erwachte bald wieder, ohne von solch einem Schlaf erquickt worden zu sein.

Eines Abends spät, da sich ihr Gemüt auch eben mit ängstlichen Gedanken dieser Art beschäftigte, klopfte jemand ganz unvermutet an das Fenster, neben welchem sie mit dem Kind im Bett lag. Sie fuhr schrecklich zusammen, glaubte den Kobold zu hören und fürchtete angstvoll, dass es nun um ihr liebes Kind geschehen sei. Zwar hatte sie sich geirrt, denn es zeigte sich sogleich, dass der Klopfende ein junger Mensch war, der ihrem Mann wegen dessen Tagelöhnerarbeit für den nächstfolgenden Tag etwas zu bestellen hatte. Aber das Unglück war nun einmal geschehen. Der heftige Schreck, den sie von dem Klopfen an das Fenster hatte, zog ihr eine Krankheit zu, in welcher ihr Leben auf dem Spiel stand. Der unschuldige Säugling teilte das traurige Los mit ihr und starb nach wenigen Tagen.

Wem ist nun dieser Menschenmord zuzuschreiben, dem Wechselbalgkobold oder vielmehr dem verwünschten Aberglauben und der unchristlichen Furcht vor Dingen, wovor sich kein rechtschaffender Christ fürchten soll?

Ganz anders und viel vernünftiger betrug sich eine kluge und entschlossene Bürgersfrau zu Erfurt in ihrem Wochenbett. In einer der ersten Nächte nach ihrer Niederkunft klopfte etwas so stark an die Stubentür, dass sie dadurch ziemlich unsanft aus ihrem Schlummer erweckt wurde.

»Was war das? Wer klopft da?«, fragte sie geschwind die sogenannte Wartefrau.

Es klopfte abermals. Die furchtsame, abergläubige Wärterin zitterte und wies ängstlich zur Tür hin, ohne ein Wort hervorbringen zu können. Die Wöchnerin nannte die Zitternde eine alberne Memme und gebot ihr zu untersuchen, wer geklopft habe, denn unstreitig würde sie beim Öffnen der Stubentür eine natürliche Ursache entdecken. Allein die Wartefrau war weder durch Bitten noch durch Schelten dahin zu bringen, dass sie hätte die Tür aufmachen und die Sache untersuchen sollen. Anstatt den Befehl der Wöchnerin zu erfüllen, machte sie derselben vielmehr noch alberne Vorwürfe, dass sie ganz gewiss vergessen haben würde, drei Kreuze über das Kind zu machen und ein männliches Kleidungsstück aufzuhängen, wodurch sie nun dem Kobold Mut gemacht habe, seine Tücke an dem Kind auszuüben. Mit unverrückten Augen sah die Alberne zur gefürchteten Gegend der Stubentür und seufzte einmal über das andere auf das Herzbrechende.

Die durch ihren Zustand ohnehin so empfindliche, reizbare Wöchnerin ärgerte sich über die abergläubige Dummheit des Weibes. Da indessen das Klopfen an der Tür wiederholt wurde und sie durchaus wissen wollte, wer da sei, so stieg sie, ihrer Entkräftung ungeachtet behutsam aus dem Bett, riss die Tür schnell auf, und siehe – ihr treuer Haushund war im Krieg mit seinen Erbfeinden und klopfte mit dem Gelenk seines kratzenden Hinterbeines an die Tür an, vor welcher er wachsam ruhte. Freilich mochte dies Klopfen bei der nächtlicheu Stille der sogenannten Gespensterstunde den gespannten Sinnen viel stärker ertönen als zur Tageszeit. Indessen schämte sich doch die Wartefrau nun, einen gutmütigen Pudel für den so gefürchteten Wechselbalgträger gehalten zu haben. Zwar gelobte sie der Wöchnerin an, dass sie in Zukunft niemals wieder so ungehorsam und so kindisch bange sein wolle. Diese entließ sie aber dennoch ihres Dienstes, zumal da sie von dem ihr zugezogenen Verdruss und der Erkältung mehrere nachteilige Folgen zu dulden hatte. Unstreitig würde indessen ihre Gesundheit noch mehr gelitten haben, wenn sie eben so furchtsam und abergläubig gewesen wäre wie jene Wartefrau. Vielleicht hätten sich dann beide bis an den Morgen des nächsten Tages untätig geängstigt. Auch würden sie dann den Pudel in seiner Lage gegen die Tür nicht überrascht, mithin die unschuldige Ursache des Geräusches wahrscheinlich nie entdeckt haben.